Über die vergangenen Monate ist es in den Medien stiller geworden um den Osten der Ukraine, auch, weil seit Oktober 2015 der russische Einsatz in Syrien ins Zentrum des internationalen Interesses getreten ist. Das russische Internetportal SLON veröffentlicht nun einen Text, der die derzeitigen Zustände in der selbstproklamierten Donezker Volksrepublik aus erster Hand schildert.
Doch zuvor eine kurze Chronik der Ereignisse: Im November 2013 begannen die Proteste gegen die Regierung Janukowitsch in der Ukraine, im Februar 2014 zerfiel die alte politische Führung. Im März folgte die russische Annexion der Krim, im April besetzten prorussische Demonstranten Verwaltungsgebäude in mehreren Gebieten der Ostukraine und riefen die Volksrepublik von Donezk, später die von Lugansk aus. Mithilfe der Armee versuchte die ukrainische Führung die Gebiete wieder unter ihre Kontrolle zu bringen. Während die militärischen Konflikte andauerten, wurden im September 2014 und im Februar 2015 die beiden Minsker Abkommen ausgehandelt, ab September 2015 auch der Waffenstillstand in groben Zügen umgesetzt, wenngleich weiterhin vereinzelte Kampfhandlungen stattfinden. Genauere Informationen und Hintergründe zu diesen Themen bieten unsere Texte zur Annexion der Krim, zum Krieg im Osten der Ukraine und zur selbstproklamierten Donezker Volksrepublik DNR.
SLON leitet seinen aktuellen Beitrag folgendermaßen ein:
„Der Autor dieses Texts, ein in Donezk lebender und arbeitender Journalist, bat uns darum, seinen Namen in der Veröffentlichung nicht zu nennen. Obwohl es in diesem Artikel so gut wie nicht um Politik geht, sondern lediglich um den Alltag in der durch Separatisten von der Ukraine abgetrennten Region, könnten beim sogenannten Ministerium für Staatssicherheit (MGB) der Donezker Volksrepublik (DNR) Fragen aufkommen. Zumal es in der DNR in jüngster Zeit vermehrt zu Festnahmen von Aktivisten und Ehrenamtlichen gekommen.
‚Donezk ist ein Keller, aber hier wird hin und wieder gefeiert, geheiratet, kommen Kinder zur Welt. Menschen sind seltsame Wesen, sie überleben immer‘, bemerkt der Autor. Was von außen betrachtet wie dunkelste Vorzeit wirkt, empfindet man unter kriegsähnlichen Bedingungen irgendwann als Normalität – sowieso ist der Begriff der Normalität im postsowjetischen Raum durch Revolutionen, Kriege, Totalitarismus und den Schock des Übergangs zur Marktwirtschaft ja stark ins Wanken gekommen. Nicht von ungefähr meinen die in diesem Artikel beschriebenen Pensionäre, sie wären ‚wieder in der UdSSR gelandet‘.“
Die Frage: „Gibt es Leben in Donezk?“ ist merkwürdig und verrät einen sofort als Ortsfremden, einen, der nicht mit den hiesigen Realien vertraut ist. Leben gibt es immer, wo noch Menschen leben. Sogar in Stalingrad im Dezember 1942 oder in Berlin wie im April 1945. Warum dann nicht auch im jetzt verhältnismäßig friedlichen Donezk, in dem laut verschiedenen Schätzungen circa 600.000 Menschen leben, oder im gesamten von der DNR kontrollierten Gebiet, in dem 700.000 Menschen ihre Rente in Rubel erhalten und insgesamt fast zwei Millionen leben.
Diese Menschen müssen Tag für Tag irgendwas essen, irgendwo arbeiten, zur Schule und zum Arzt gehen, heiraten, und manchmal sterben sie auch an ganz friedlichen Krankheiten. Und dann werden auch sie feierlich auf Friedhöfen in Särgen verschiedener Preis- und Qualitätsklassen beigesetzt und mit Trauerfeiern verabschiedet. Alles wie im 530 Kilometer entfernten Woronesch, bloß ein bisschen komplizierter.
Zunächst einmal: Die Stadt ist tadellos sauber, die kommunalen Dienste arbeiten einwandfrei. Ebenso regelmäßig und ohne Störungen funktioniert der gesamte öffentliche Verkehr. Eine Fahrt mit dem Trolleybus oder der Tram kostet anderthalb Rubel (wobei der Preis für den Trolleybus allerdings gerade auf drei Rubel erhöht wurde), die Fahrscheine sind farbig bedruckt, das Design ändert sich praktisch jeden Monat. In den Bussen gibt es keine Fahrscheine, die Fahrt kostet drei Rubel.
Der Krieg ist nicht mehr zu spüren. Besonders, wenn man ihn nicht spüren will. Bewaffnete Menschen sieht man seit den radikalen Säuberungsaktionen gegen die hiesigen Kosaken im April letzten Jahres so gut wie keine auf den Straßen, betrunkene Volksmilizen erst recht nicht. Schüsse sind zu hören, aber die hier lebenden Menschen unterscheiden zwischen Beschuss und Anflug. Jede Rentnerin im Trolleybus kann bei weit entfernten Schießgeräuschen großkalibriger Maschinengewehre sagen: das ist am Flughafen, oder: das sind Übungen auf dem Schießplatz in Durnaja Balka.
Und dann ist da natürlich noch die Sperrzeit. Von 23:00 Uhr bis 5:00 Uhr früh. Sie wird streng eingehalten – nach 22:00 Uhr ist es schwer, ein Taxi zu bestellen, besonders in der Innenstadt. Die Taxifahrer sind auch nur Menschen, auch sie müssen rechtzeitig zu Hause sein, und die meisten Patrouillen sind im Zentrum unterwegs.
Naja, und aus verständlichen Gründen gibt es weder einen Flughafen noch Eisenbahnverbindungen.
Die Bevölkerung
Wie viele Menschen leben in Donezk? Ein endloses Thema, heute genauso wie vor dem Krieg. Früher lag die Stadt knapp unterhalb der Millionengrenze. Eine zuverlässige aktuelle Statistik gibt es nicht. Der vom Oberhaupt der DNR Alexander Sachartschenko ernannte Bürgermeister Igor Martynow (ehemals Direktor eines Parks für Kultur und Erholung) behauptete eine Zeitlang, gemessen an der Menge des hergestellten Brotes würden in Donezk etwa 600.000 Menschen leben, und ließ, wie zuvor die gewählten Bürgermeister, wöchentliche Geburtsstatistiken drucken. Die Statistiken zeigten, dass die Geburtenrate um die Hälfte oder gar ein Drittel gesunken war.
Laut einer ukrainischen Statistik haben 1,7 Millionen Menschen „einzelne Regionen“ der Gebiete Lugansk (Anfang 2014 bewohnt von 2,2 Millionen Menschen) und Donezk (Anfang 2014: 4,3 Millionen) verlassen und sich in anderen Gegenden der Ukraine angesiedelt. Fast 1 Million Menschen sind nach Russland ausgereist und etwa 400.000 nach Belarus. Besonders unter der Ausreise von Unternehmern, Professoren, Ärzten und Ingenieuren hat die Stadt zu leiden. Unter den Gebildeten und gut Situierten lag der Anteil der Ausgewanderten sicher bei über 50 Prozent. Nach fast zwei Jahren des Exils haben viele von ihnen in Lwiw, Kiew oder Dnipropetrowsk Fuß gefasst und nicht vor, in die geschundene Stadt ihrer Kindheit zurückzukehren.
In Donezk selbst jedoch sind Unterhaltungen darüber, wie sehr sich die Stadt zum Besseren gewandelt habe und wie viele Menschen zurückkehren würden, zum Volkssport und geworden und gelten als Zeichen, „dass es bald Frieden geben wird”. Beurteilt wird das zum Beispiel an der Menge von Autos auf den Straßen. Teure Autos gibt es im Vergleich zum Vorjahr wesentlich mehr. Manchmal bilden sich sogar Staus.
Die Stadt
Am meisten haben in Donezk die Außenbezirke gelitten, die an Kampfschauplätze grenzen – die Umgebung des Flughafens, die Vororte Peski, Marjinka. Man kann durchaus mal eben eine Spritztour in die halbverlassenen und beschädigten Viertel des Kiewski Rajon unterhalb der Putilowski-Brücke unternehmen und nach einer kurzen Exkursion in zehn Minuten wieder am Puschkin-Boulevard sein, dem Ballungszentrum der besten (regulär arbeitenden) Restaurants der Stadt. In den betroffenen Bezirken sind vor allem kaputte Fenster und ausgebrannte Buden und Verkaufspavillons zu sehen.
Überall sind die Schulen und Kindergärten geöffnet. Schon im August und September des vergangenen Jahres waren mit zwei humanitären Konvois 1000 Tonnen neuer russischer Schulbücher gekommen. Ukrainische Geographie und Geschichte wurde verboten, jetzt ist das erste Thema nach der Heimaterdkunde die Waldtundra. Zu Beginn des Jahres wurde zusätzlich das Fach Staatsbürgerliche Erziehung zum Donbass-Bürger eingeführt. Für alle, von der ersten bis zur elften Klasse. Der Kurs ist in drei Abschnitte unterteilt: Donbass – mein Heimatland, Selbsterziehung zum Bürger der Donezker Volksrepublik, Donbass und Russki Mir. Um im Stundenplan Platz zu machen, hat man die Ukrainisch-Stunden reduziert und das Fach Ethik abgeschafft. Außerdem ist das Essen in den Kindergärten und Schulen seit dem 1. Januar kostenfrei. Eine extrem wichtige Erleichterung.
Es gibt Kinderfeste, Pionierhäuser, Arbeitskreise und Tanzschulen. Adressen von zurückgekehrten Yogalehrern kursieren wie früher die Valuta. Schwimmbäder und Sportclubs sind wieder in Betrieb. Die Theater geöffnet. Alle sind bemüht, den Krieg nicht zu bemerken und alle möglichen „genauen Angaben“ über einen baldigen Frieden aufzuschnappen.
Stromausfälle gibt es in Donezk und Makejewka so gut wie keine. Nur in der direkten Einschlagzone kommt es manchmal dazu, wenn eine Stromtrasse getroffen wird – in der sogenannten grauen Zone (ein neutraler Streifen zwischen den Kriegsparteien, der nach dem Abzug der Waffen von der Demarkationslinie entstanden ist, wie im Minsker Abkommen vereinbart).
Bis zuletzt wurden sogar, anders als in der Ukraine, die Tarife für kommunale Dienstleistungen nicht erhöht. Wobei die Preise nach dem auf eins zu zwei festgesetzten Wechselkurs von Griwna zu Rubel berechnet und fixiert sind.
Probleme gab es mit der Heizung und dem Benzin. Benzin wird aus Russland eingeführt, doch das Jahr 2015 stand ganz im Zeichen der Benzinkrisen. Mal gab es schlicht keinen, mal lag der Preis für einen Liter 95er bei 57 Rubel [0,70 Euro; zum Vergleich: in Moskau kostet der Liter circa 40 Rubel]. Benzin und Gas kamen über Briefkastenunternehmen des Oligarchen Sergej Kurtschenko in die DNR, der als Janukowitschs Brieftasche gilt. Die intransparenten Versorgungswege führten zu einer Reihe von Konflikten und organisierten Demonstrationen gegen ukrainische Oligarchen in Donezk, woraufhin in den Gasleitungen schlagartig der Druck abfiel. Heute ist die Wärmeversorgung stabil.
Geld und Lebensmittel
Die Gespräche der Menschen, die in der Stadt geblieben sind, drehen sich heute weniger um Politik als vielmehr ums Geld. Ärzte und Lehrer bekommen erst seit letztem Sommer regelmäßig Gehalt. Damals wurde der Wechselkurs von Rubel zu Griwna per Befehl auf zwei zu eins festgelegt (auf dem freien Markt liegt der Kurs bei drei zu eins). Die Gehälter rechnete man einfach um, indem man die ukrainischen mit zwei multiplizierte und in Rubel auszahlte. Lehrer und Ärzte hatten zuvor um die 4000 Griwna [im Juli 2015 etwa 170 Euro] verdient, jetzt bekommen sie im Monat also alle etwa 7000 bis 8000 Rubel [85 bis 100 Euro]. Dieses Gehalt gilt als gut. Etwa genauso viel verdienen zum Beispiel Mitarbeiter von lokalen Fernsehsendern. Für einen Job in einem Unternehmen mit einem Gehalt von 5000 Rubel [62 Euro] stehen die Leute Schlange. Aber es gibt auch nicht gerade viele funktionierende Unternehmen.
Einige wenige Fabriken und Bergwerke sind in Betrieb, deren Prozessketten mit der Ukraine verbunden sind. Das sind Fabriken von Rinat Achmetow und Zechen, die Kohle an die Ukraine liefern. Ich hatte Gelegenheit, mit Mitarbeitern des Potschenkow-Bergwerks in Makejewka zu sprechen. Die dortigen Grubenarbeiter bekommen ihr Gehalt regelmäßig in Griwna auf ukrainische Konten gezahlt – im Durchschnitt etwa 10.000 [circa 340 Euro]. Nach hiesigem Maßstab sind sie reich. Ähnlich sieht es im Sassjadko-Bergwerk aus. Aber das sind einzelne Glückspilze.
Ansonsten ist eine Deindustrialisierung im Gange. In Sneshnoje wurde eine bekannte Fabrik stillgelegt, die Schaufeln für Hubschrauberturbinen herstellte, in Donezk steht das Topas-Werk still, das früher das Funkmess-Überwachungssytem Koltschuga produzierte, in Makejewka ruht das Eisenhüttenwerk, stillgelegte Fördertürme werden zu Metallschrott verarbeitet.
Die Preise für Lebensmittel sind in der DNR niedriger als auf der Krim, aber höher als im benachbarten ukrainischen Mariupol, an das die nicht anerkannte Republik unmittelbar grenzt. Urteilen Sie selbst: Schweinefleisch kostet 250 bis 320 Rubel [3 bis 4 Euro], fetter Speck 300 bis 320 Rubel [3,70 bis 4 Euro], tiefgefrorenes Hühnerfleisch 120 Rubel [1,50 Euro], Reis 60 Rubel [0,75 Euro] das Kilo. Das sind Lebensmittel, die nicht für jeden zugänglich sind. Wozu jeder Zugang hat, sind die humanitären Hilfspakete. Das Vorhandensein eines Autos oder eines Mannes, der von Montag bis Freitag zum Beispiel im besagten Mariupol Arbeit gefunden hat, ist ein bedeutender Vorteil. Viele Familien leben ausschließlich von ukrainischen Lebensmitteln, und von Sonntag auf Montag sowie freitags sind die Schlangen entlang der Blockposten für Ausreise aus oder Einreise nach Donezk besonders lang. Benzinkosten werden mithilfe des Internets gespart. Sehr beliebt ist die Seite BlaBlaCar, Mitfahrer bezahlen 150 bis 200 Griwna [5 bis 7 Euro] pro Kopf.
In den letzten Monaten wurde es sehr beliebt, die Rolle Russlands bei der Sicherstellung des Lebens der Republik hervorzukehren. Früher sprach man in Donezk nur ungern über die „Kuratoren aus dem Kreml“ und darüber, woher die Rubel in der DNR kommen. Doch als im Herbst vorübergehend der Minsker Friedensprozess in Gang kam, als mit harten Maßnahmen ein zweimonatiger beidseitiger Waffenstillstand durchgesetzt wurde, machte sich gewisse Ratlosigkeit breit: „Lassen die uns etwa im Stich?!“ Wenn jetzt weiter über „russische Experten“, russische Armeeangehörige oder russisches Geld geredet wird, dann ist das daher auch ein Anzeichen dafür, dass Russland nicht vor hat, die Republiken aufzugeben.
Es lässt sich nur schwer nachvollziehen, welcher Anteil des hiesigen Haushalts durch eingeführte Rubel abgedeckt wird. Laut Nachforschungen deutscher Journalisten handelt es sich um circa 80 Millionen Euro pro Monat, die Russland als Hilfe bereitstelle. Das ergibt knapp eine Milliarde Euro im Jahr.
Humanitäre Hilfe
Noch ein Vorteil im Rennen ums Überleben ist die Möglichkeit, humanitäre Hilfspakete zu erhalten. Am weitesten verbreitet und am magersten sind die aus dem Fonds Wir helfen, der dem ukrainischen Oligarchen Rinat Achmetow gehört. Sein Fonds ist der größte Abnehmer von Nahrungsmitteln aus der Ukraine. Pro Monat werden circa 20.000 Tonnen Nahrungsmittel nach Donezk und Makejewka gebracht (nur dort läuft die Ausgabe der Hilfsgüter). Freiwillige Helfer sortieren in der Donbass Arena Monatsrationen in Tüten mit Firmenaufdruck, versehen sie mit „Nicht zum Verkauf“-Aufklebern. Die Freiwilligen arbeiten ehrenamtlich, bekommen dafür aber üppigere Lebensmittelrationen.
Fette humanitäre Hilfe kommt aus Israel und Russland. Die israelische kommt über die Sochnut, die Jewish Agency for Israel und steht jedem zu, der jüdische Wurzeln nachweisen kann. Hier bilden sich ebenfalls stattliche Schlangen, auch Damen in Nerzpelzen sind zu sehen – in Donezk ist es keine Schande, humanitäre Hilfe zu bekommen. Die Tüten aus Russland und Israel sind besser bestückt und enthalten Fleischkonserven. Mit der Hilfe aus Russland ist es komplizierter. Die berühmten weißen Konvois helfen eher auf staatlicher Ebene – mit Lebensmitteln für Krankenhäuser, Schulen, Kindergärten, mit Benzin für Fahrzeuge der Ambulanz, Polizei und des Katastrophenschutzministeriums sowie mit Baumaterial und Schulbüchern. Dass Hilfsgüter in Tüten ausgegeben werden, kommt eher selten vor. Ich kenne persönlich nur zwei Familien, die von sozialen Einrichtungen russische Hilfspakete erhalten. In einem Fall handelt es sich um die Familie eines Volksmilizen, sie sind Aussiedler aus Slawjansk, in dem anderen um eine alleinerziehende Mutter mit vielen Kindern.
Am wohlhabendsten, wenn man das so sagen kann, sind in der DNR die Rentner. Darunter finden sich – kein Scherz – einige, die nichts dagegen hätten, wenn so ein Krieg ohne Geschützfeuer noch eine Weile andauern würde. Überhaupt ist alles wie zu Sowjetzeiten: Es gibt keine erkennbare soziale Ausdifferenzierung, und die Kinder und Enkel suchen die Nähe der Alten – denn die haben Geld. Die allermeisten Pensionäre erhalten ukrainische Renten. Die Mittel aus dem Rentenfonds der DNR werden dafür diskret „Hilfe aus Russland“ genannt. Die Summe ist für alle gleich: um die 2500 Rubel im Monat.
1220 Griwna [circa 40 Euro] im Monat bekam früher, in der Ukraine, eine alte Dame aus einer der Siedlungen in Makejewka, mit der ich einmal ausführlich über das Leben debattierte. Die Unterscheidung in Reich und Arm verläuft jetzt entlang ganz anderer Grenzen. „Bei uns im Haus wohnt ein ehemaliger Grubenarbeiter“, erzählte sie. „Der bekommt 4000 Griwna [circa 135 Euro] ukrainische Rente. Dazu die Hilfe aus Russland. Und dann bekommt ja auch noch seine Frau Rente, so kommen sie zu zweit auf 20.000 Rubel [circa 245 Euro]. Solche Leute eben. Essen sogar Fleisch.“
Ukrainische Renten bekommen die Menschen, indem sie sich im benachbarten Mariupol oder Pawlograd als temporäre Aussiedler registrieren lassen – selbst oder mit Hilfe einer der zahlreichen Firmen, die sich dem Thema „Rententourismus“ widmen. Neben Rentnerfahrten in die Ukraine gibt es auch das sogenannte Karten-Business, das heißt, jemand fährt mit zwei Dutzend Kreditkarten auf die ukrainische Seite und hebt am Bankautomaten gegen eine gewisse Provision die Renten ab.
Auch Geschichten im Geiste von Gogols Toten Seelen gibt es: Weil die DNR von allen elektronischen Registern abgekoppelt ist, fließt weiterhin Geld auf die Rentenkonten, auch wenn der Inhaber bereits verstorben ist.
Die medizinische Situation ist schwierig. Viele Ärzte sind schlicht ausgewandert. Was noch existiert und funktioniert sind das Zentrum für Brandverletzungen, die regionale Unfallchirurgie und die neuro- und herzchirurgischen Zentren der Kalinin-Klinik. Das ist im Moment der einzige Ort im ganzen Donbass, an dem noch Herzoperationen durchgeführt werden. Vor dem Krieg gab es vier solcher Abteilungen – eine in Lugansk, zwei in Donezk und eine in Mariupol.
Die medizinische Versorgung in der DNR ist ausdrücklich kostenlos. Medikamente kommen aus Russland. Es gab einen Fall, da wurde das Forschungslabor der medizinischen Hochschule, das beste in der ganzen Region, von bewaffneten Leuten geschlossen, nachdem man für eine Kontrolluntersuchung Geld genommen hatte. Wo das Labor das Geld für die Chemikalien hernehmen soll, das ist seine eigene Sache.
Business
Man soll nicht glauben, dass es in schwierigen Zeiten allen schlecht geht. In Donezk gibt es eine Menge Menschen, die sich ziemlich gut eingerichtet haben.
In erster Linie gehören dazu die Volksmilizen. Sie sind jetzt alle unter Vertrag und bekommen Gehalt. Im Schnitt 14.000 Rubel [170 Euro]. Dazu kommen Uniform, Verpflegung im Verband und manchmal Lebensmittelhilfen für die Familien. Dabei ist der „große“ Krieg seit einem Jahr vorbei – seit Debalzewo.
Es gibt auch lokale Unternehmer. Die Geschäfte drehen sich hier vor allem um die Geldflüsse in Rubel. Erfolgreich läuft der Einzelhandel mit Lebensmitteln. Die nationalisierte Supermarktkette ATB ist der Kette „Supermarkt der Republik Nr. 1“ (Perwy respublikanski supermarkt) gewichen.
Kleine Läden finden Wege, Waren aus der Ukraine einzuführen. Leute, die häufig über die Grenze müssen, bringen im Kofferaum Fleisch, Milchprodukte, Kosmetik, Unterwäsche und Haushaltschemie mit. Fast alles davon ist Mangelware.
Es gibt viele Bargeldservice-Firmen. Für das Abheben von ukrainischen Karten streichen sie mitunter bis zu 30 Prozent ein. Der Prozentsatz für russische Konten ist bedeutend kleiner: Mit einer Karte der Sberbank kostet das Abheben sechs Prozent, bei größeren Summen ab 10.000 Rubel verringert sich der Kommissionssatz auf fünf Prozent.
In meinem Lieblingscafé Gastropub am Prospekt Mira wurde letzte Woche eigens für mich das Licht angemacht. Ich war tagsüber der einzige Gast. Aber die Restaurants auf dem Puschkin-Boulevard sind in der Regel gut besucht. Es gibt jetzt auch viel Werbung mit Flyern, die werden einem packenweise ins Autofenster gereicht. Beworben wird alles Mögliche: Saunen, Massage- und Friseursalons, Tätowierstudios, Ankauf von Gebrauchtwagen mit ukrainischer Registrierung, KFZ-Werkstätten.
Die ukrainischen Multiplex-Kino-Ketten sind in Donezk nicht in Betrieb, aber alte Kinotheater haben geöffnet – hierher schaffen es russische Uraufführungen und sogar ukrainisch synchronisierte Weltpremieren. Bei Letzteren sind sogar die Plakate in ukrainischer Sprache bedruckt.
Das Echo des Krieges: Dienstleistungen wie die Rücksetzung von IMEI-Codes auf Handys zwecks Abhörverhinderung (300 Rubel [3,70 Euro] auf dem Markt für Radiotechnik) oder die Herstellung von exklusiven Schall- und Mündungsfeuerdämpfern für Kalaschnikow-Maschinengewehre durch in Fabriken angestellte Dreher.
Das Leben in Donezk pulsiert den ganzen Tag und verhallt gegen 19:00 Uhr, um in der Nacht vollkommen stillzustehen. Die Menschen leben allen Widrigkeiten zum Trotz und vermeiden es, über schlechte Nachrichten zu sprechen. Für schlechte Nachrichten kommt man unter Umständen ins Ministerium für Staatssicherheit.
Wollte man es auf eine Formel bringen: Angst, Geldlosigkeit und die Hoffnung, dass die Kanonen stumm bleiben – das ist es, was das Leben in Donezk aktuell ausmacht.