Der Fall Leonid Sluzki schlägt immer höhere Wellen. Dem Duma-Abgeordneten der LDPR wird vorgeworfen, im Parlament akkreditierte Journalistinnen mehrfach sexuell belästigt zu haben. In einem Fall hat die russische BBC Sluzkis Übergriffigkeit per Audiomittschnitt dokumentiert (siehe auch unsere Debattenschau zum Thema). Am Mittwoch hatte sich nun der Ethikrat der Duma mit der Angelegenheit beschäftigt, konnte jedoch keinerlei „Verletzung von Verhaltensnormen“ feststellen.
Dies sorgte bei vielen Journalisten für große Empörung. Innerhalb kürzester Zeit verkündeten über 20 russische Medien – darunter Kommersant, Vedomosti, Novaya Gazeta, Meduza und viele weitere auf dekoder vertretene – die Zusammenarbeit mit der Staatsduma einschränken oder gar vollständig boykottieren zu wollen: Sekret Firmy beispielsweise schreibt fortan hinter jeder Erwähnung der Duma den Zusatz: „(Staatsorgan, das sexuelle Belästigung rechtfertigt)“, RBC, Echo Moskwy und eine Reihe weiterer Medien haben ihre parlamentarischen Korrespondenten abgezogen, da die Duma „kein sicherer Ort für Journalisten“ sei, wie Echo-Chefredakteur Alexej Wenediktow erklärt.
Olga Beschlej, Chefredakteurin von Batenka, beschreibt in einer Kolumne auf Colta, warum sie bei der Solidaritätsaktion Stolz empfindet auf die Presse in Russland.
Hilflosigkeit ist das Gefühl, das wir hier allzu oft empfinden. Ein Gefühl, das uns schon seit allzu langer Zeit aufgezwungen wird.
Ja, eine Gruppe von Menschen versucht ständig etwas zu unternehmen – eine Gruppe, die sogar selbst gar nicht sagen kann, welchen Anteil der Bevölkerung sie ausmacht, weil die Umfragen sie genauso belügen, wie sie den Präsidenten belügen. Diese Menschen – zu denen manchmal auch ich gehöre – unterschreiben Petitionen, machen Einzelproteste, gehen zu Demonstrationen, schreiben Texte, kratzen an den Türen von Diensträumen [hoher Beamter – dek]. Und jedes Mal dasselbe Gefühl: Von uns hängt gar nichts ab, wir können nur bitten und krakeelen, bitten und krakeelen. Und weiter Spiele spielen, deren Regeln von Betrügern gemacht werden.
Aber Hilflosigkeit wird durch aktives Handeln überwunden. Deshalb ist die Geschichte mit dem Abgeordneten Sluzki und jenem Konflikt mit der Duma, auf den sich Journalistinnen, Journalisten und ganze Redaktionen eingelassen haben, weitaus bedeutender als eine Geschichte über einen Rüpel und seine Maßlosigkeit.
Es ist auch ein Aufstehen gegen Machtmissbrauch. Auch ein Aufstehen gegen die Gewalt der Privilegierten und im Grunde auch gegen jedwede andere Gewalt. Es ist ein Aufstehen gegen gegen das herrische, konsumistische Verhältnis der Machthaber gegenüber allen anderen.
Es ist eine Geschichte darüber, dass die Geduld zu Ende geht.
Denn es gab in den letzten 18 Jahren eigentlich genug Gründe, Journalisten aus dem intransparent und unehrlich arbeitenden Parlament abzuziehen. Aus einem Parlament, das Gesetze verabschiedet hat und verabschiedet, die die Meinungsfreiheit beschneiden. Es gab auch so schon genug Gründe dafür, dass das Land aufhört, die Lügen, Rüpeleien, Gewalt und Dieberei zu tolerieren.
Niemand sollte in einem Organ der Staatsmacht arbeiten, das sexuelle Belästigung rechtfertigt. Und genau so sollte man meiner Meinung nach nicht in einem Organ der Staatsmacht arbeiten, das ein Gesetz über die Entkriminalisierung von häuslicher Gewalt verabschiedet hat.
Ich weiß nicht, ob es den Journalisten gelingen wird, im Fall Sluzki hinreichend Druck auszuüben, wenn man bedenkt, dass die Staatsmacht ihre Leute unter dem Druck der Gesellschaft nie im Stich lässt. Aber dass die Journalisten sich auf diesen Konflikt eingelassen haben, lässt einen stolz sein auf die Presse in Russland. Das ist schon keine Hilflosigkeit mehr.
Und auch kein Spiel nach aufgezwungenen Regeln.
Mich befremden die Befürchtungen einiger Menschen, dass wir ohne Journalisten in der Duma eine Informationsquelle verlieren würden. Ein professioneller Journalist – und alle Redaktionen, die ihre Kollegen abgezogen haben, sind zweifellos sehr professionell – findet Wege, um von Gesetzesinitiativen nicht nur in der unteren Kammer des Parlaments zu erfahren. Um so mehr, da die wichtigsten Gesetze nicht von Abgeordneten der Staatsduma geschrieben, sondern von der Präsidialadministration lanciert werden.
Und schließlich: Die hochkarätigste, wertvollste und gesellschaftlich wichtigste Arbeit von Journalisten in Russland findet nicht in den Räumen der Staatsduma statt. Sie findet statt bei Recherchen jener Geschichten, über die die Abgeordneten sich ausschweigen. Wenn daher in meiner Redaktion ein parlamentarischer Journalist gebraucht würde – dann nur, um ihn von dort abzuziehen.