2014 versprach Wassil Werameitschyk seiner Familie, für die Verteidigung der Ukraine zu kämpfen, wenn einmal Panzer Richtung Kyjiw rollen sollten. Als 2022 tatsächlich Panzer Richtung Kyjiw rollten, löste er sein Versprechen ein. Als ausgebildeter Soldat schloss sich der Belarusse dem Widerstandskampf der Ukraine an. Dorthin war er geflohen, weil ihm in Belarus die Festnahme drohte. Während der Massenproteste 2020 war er bereits im Gefängnis gelandet.
Heute befindet sich Werameitschyk wieder in belarussischer Haft. Im November 2024 war er in Vietnam verhaftet und den belarussischen Behörden übergeben worden – es ist eine wilde Geschichte mit vielen Fragezeichen, die aber auch zeigt, wie belarussische Freiwillige aus jeglichem Raster herausfallen und zwischen die Fronten geraten können.
Seit der Festnahme setzen sich seine Frau und seine Mutter bei der ukrainischen Führung dafür ein, ihn auf die Listen zum Gefangenenaustausch zu setzen. Das belarussische Online-Portal Euroradio hat mit Werameitschyks Frau Jauhenija gesprochen und erzählt die tragische Geschichte ihres Mannes.
Mitte März wurde in der Ukraine der Tag des Freiwilligen begangen. Zu diesem Anlass wurde dem Kastus Kalinouski-Regiment, in dessen Reihen sich Wassil Werameitschyk an der Verteidigung der Ukraine beteiligte, die Auszeichnung Für eure und unsere Freiheit verliehen – die größte kollektive Auszeichnung der Ukraine.
Fast zeitgleich hielt der Abgeordnete Ihor Hrus eine Rede in der Werchowna Rada. Er wies auf die Notwendigkeit hin, belarussische Kriegsgefangene zu befreien: „Leider gibt es Jungs, die in den ukrainischen Streitkräften gekämpft haben und sich jetzt in Kriegsgefangenschaft befinden. Die müssen wir alle befreien“, sagte Hrus vor dem Parlament.
Abgesehen von Werameitschyk weiß man von zwei weiteren belarussischen Freiwilligen, die Kriegsgefangene sind – aber in Russland: Sergej Degtew (Kampfname Kleschtsch – dt. Zecke) und Jan Djurbejko (alias Trombli). Sie stehen zwar in den Austauschlisten, über ihr Schicksal ist jedoch seit mehr als zwei Jahren nichts bekannt. Seit Werameitschyk im November 2024 in Vietnam verhaftet wurde, klappert seine Frau Jauhenija die ukrainischen Instanzen ab, hat aber bisher auf alle ihre Schreiben nur maschinelle Antworten bekommen. Jetzt schöpft sie allerdings Hoffnung:
„Erstens signalisiert Lukaschenko seit der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten die Bereitschaft, Kontakt zu den USA aufzunehmen. So gab er dem US-amerikanischen Blogger Mario Naufal ein Interview. Offenbar sieht er in Trump ein würdigeres Gegenüber als in Joe Biden. Zweitens haben wir durch Trumps Zutun bereits die Befreiung von mehreren politischen Gefangenen in Belarus gesehen. Das bedeutet, dass Absprachen möglich sind. Natürlich sind politische Häftlinge etwas anderes als Kriegsgefangene, aber es zeigt doch, dass Lukaschenkos Regime gesprächsbereit ist.
Zudem tauchen in den Medien jetzt die Namen von Belarussen auf, die auf Seiten Russlands gekämpft haben und mittlerweile in ukrainischer Kriegsgefangenschaft sitzen. Manche von denen haben sich sogar schon an Lukaschenko gewandt. Und wir können nun den Austausch dieser Leute gegen jene anbieten, die die Ukraine verteidigt haben. Seit Wassilis Entführung im November haben wir verschiedene Strategien verfolgt. Wir hoffen, dass sich in der Ukraine Leute finden, die uns zuhören und gesprächsbereit sind.“
Werameitschyk hatte auch in der Armee von Belarus gedient
Wir sprachen mit Wassil Werameitschyks ehemaligem Kameraden, den er gleich in den ersten Kriegstagen kennenlernte. Wassili kam damals ins Quartier nach Kyjiw, wo die freiwilligen Kämpfer zwischen ihren Einsätzen untergebracht waren. Werameitschyk hatte früher einmal als Vertragssoldat in den belarussischen Streitkräften gedient, aber vor fast zehn Jahren gekündigt und dann in die IT-Branche gewechselt. Als ehemaliger Offizier konnte Werameitschyk professionell agieren. Er war gut im Organisieren von Abläufen und kannte viele nützliche Tipps – im Unterschied zu vielen anderen, die im Februar 2022 erstmals eine Armee von innen sahen.
„Ein tougher, selbstsicherer Mann mit ausgeprägtem Gerechtigkeitssinn. Absolut verlässlich, ich hatte nie Zweifel an ihm. Er setzte sich für Disziplin ein, damit keine Machnowschtschina entsteht, sondern eine ordentliche Militärstruktur“, erzählt sein Kamerad. Ein anderer Kamerad von Werameitschyk, Bobr (dt. Biber) genannt, ließ sich von Wassilis Ausdauer inspirieren und erzählt folgende Erinnerung:
„Ein Bild ist mir geblieben: Wir saßen im Schützengraben in einem Dorf namens Losowa, es wurde geschossen. Wassili ging mal hierhin, mal dahin, kümmerte sich um die anderen, und wenn Geschosse flogen, zog er nur so ein bisschen den Kopf ein. Und dann war da noch ein ukrainischer Offizier, der gar nicht mehr reagierte. Ich war damals begeistert von ihrer Tapferkeit.“
„Leider betrachten viele Ukrainer heute Belarus als Aggressor-Land"
In der Ukraine weiß man, welche Rolle Freiwillige aus Belarus spielen, aber Werameitschyks Fall ist dadurch komplizierter, dass ihm die Rückkehr in die Ukraine verboten wurde. Um der ukrainischen Gesellschaft derart seltsame Umstände zu erklären, brauche es viele Worte und viel Zeit, sagt Jauhenija Werameitschyk.
Nach Wassils Auslieferung an Belarus kursierte im Internet das Gerücht, sein Einreiseverbot in der Ukraine gehe von jener Militäreinheit aus, in der er gedient hat. Doch der Kommandeur des Kalinouski-Regiments, Pawel Schurmei, dementiert diese Gerüchte. Werameitschyk hatte, nachdem er die Ukraine verlassen hatte, versucht, in Litauen Fuß zu fassen, doch dort hielt man ihn für eine „Bedrohung der nationalen Sicherheit“. Vielleicht wegen seiner Vergangenheit als Vertragssoldat der belarussischen Armee, die er bei seinem Antrag auf einen temporären Aufenthaltstitel nicht verheimlicht hatte.
Wassil Werameitschyk bei seiner Ankunft am Flughafen Minsk, nachdem er in Vietnam belarussischen Behörden übergeben worden war. / Screenshot Video ONT
Wegen seiner Probleme mit dem Aufenthaltsrecht in der Ukraine und Litauen reiste Werameitschyk nach Vietnam, wo er schließlich festgenommen und an Minsk ausgeliefert wurde. Seine Frau sagt dazu: „Wassili wurde entführt.“ Bis zum heutigen Tag wisse keiner, wie die Ukraine einen, der sie verteidigt hat, als unerwünscht betrachten könne. „Die Ukrainer verstehen nicht, wieso sie diese Person austauschen sollten, wo sich doch Tausende ihrer Landsleute in Kriegsgefangenschaft befinden. Wir dachten, die Kommandeure seines Regiments könnten bei der Klärung der Situation behilflich sein, wir konnten aber keinen von ihnen erreichen. Daher würden wir uns mit der Bitte um Wassilis Austausch gern an belarussische und ukrainische Menschenrechtsaktivisten und an die Führung der ukrainischen Streitkräfte wenden.“
Das sei wichtig, weil die Ukraine mit diesem Schritt für die gesamte belarussische Freiwilligenbewegung ein Zeichen des Respekts setzen würde.
„Das wäre nicht nur für die Belarussen eine wichtige Botschaft, sondern für die ganze ukrainische Gesellschaft. Leider betrachten viele Ukrainer heute Belarus als Aggressor-Land. Doch an den Freiwilligen sieht man, dass unsere Völker einander nicht fremd sind und die Ukrainer auch in so einer schwierigen Lage auf die Unterstützung der Belarussen zählen können“, sagt Jauhenija Werameitschyk.
Wir sehen, dass er sich nicht unterkriegen lässt
Wassils Briefe an seine Frau müssen durch die Zensur – dann ist etliches darin geschwärzt, aber sie kommen immerhin an. „Wir schreiben nicht oft, doch wir schreiben uns. Wir haben natürlich keine Möglichkeit, politische Themen zu besprechen, aber an diesen Briefen sehen wir, dass er sich nicht unterkriegen lässt“, erzählt Jewgenija.
Wassils Angehörige hoffen, dass er durchhält, bis die Ukraine sich endlich genauso für ihn einsetzt wie er sich für sie.