Quelle

BelaPAN/Naviny.by

BelaPAN/Naviny.by

Es gibt inzwischen viele Dinge, die in Belarus als „extremistisch“ gelten. So auch das Logo der Nachrichtenagentur BelaPAN: ein roter Reiter auf einem Pferd, das entfernt an das alte belarussische Staatswappen Pahonja erinnert. BelaPAN, gegründet 1991, hat sich über Jahre einen Ruf als unumstößliche Instanz für unabhängige Informationen in Belarus erarbeitet –  als größte Nachrichtenagentur des Landes abseits der staatskontrollierten Informationskanäle. Seit August 2021 sind die Chefredakteurin Irina Lewschina und der ehemalige Direktor, Dimitri Nowoshilow, in Haft.
 
Als der belarussische Geheimdienst KGB die Nachrichtenagentur BelaPAN im November 2021 als „extremistisch“ eingestuft hat, war das der bisher härteste Schlag gegen die größte und bedeutendste unabhängige Nachrichtenagentur des Landes. Dabei hat BelaPAN in den 30 Jahren ihrer Geschichte schon viele Rückschläge und Repressionen erlebt. Heute ist die Website blockiert, Inhalte der zu BelaPAN gehörigen Online-Zeitung Naviny.by können nur noch über die sozialen Medien gelesen werden, darunter auf dem Messengerdienst Telegram. Die Redaktion aber setzt ihre Arbeit aus der Diaspora heraus fort.

BelaPAN (wörtlich im Belarussischen Belaruskae prywatnae ahenztwa nawin, kurz BelaPAN, auf Deutsch so viel wie: Belarussische private Nachrichtenagentur) wurde 1991 vom Journalisten und Lyriker Ales Lipai gegründet, erarbeitete sich in den Neunziger Jahren schnell einen Ruf als verlässliche, unabhängige und objektive Informationsquelle – als Gegenstück zur staatlichen Nachrichtenagentur Belta. Über die Jahre baute BelaPAN seine Tätigkeiten aus, übernahm auch ein Umfrageinstitut. 2002 gründete BelaPAN die Online-Zeitung Naviny.by, wo unter anderem auch Texte von Alexander Klaskowski erscheinen, einem der führenden politischen Journalisten des Landes.

Seit 2004 ist BelaPAN das einzige Medium aus Belarus, das in den internationalen Zusammenschluss der CEE-BusinessLine aufgenommen wurde, also in den Zusammenschluss der Leitmedien im zentral- und osteuropäischen Raum. Die Agentur gewann auch internationale Preise, wie etwa den Gerd Bucerius-Preis Junge Presse Osteuropa im Jahr 2005 und  die Auszeichnung als beste russischsprachige Website außerhalb Russlands im Jahr 20061

Schon vor den Massenprotesten musste BelaPAN Repressionen aushalten, wurde blockiert oder von Hackern attackiert. Nach Hausdurchsuchungen 2018 bei BelaPAN-Gründer Lipai und in der Redaktion gab es Verhaftungen von Redakteuren. Der Vorwurf: unbefugter Zugang zu kostenpflichtigen Informationen der staatlichen Agentur Belta. Wenige Tage später erlag Lipai einem Krebsleiden. Nicht auszuschließen, dass die Repressionen seinen Zustand noch verschlechtert haben. Seine früheren Kollegen zeigen sich davon überzeugt.

Wie alle unabhängigen Medien, leidet BelaPAN insbesondere seit den Massenprotesten im August 2020 unter der bisher größten Repressionswelle seiner Geschichte: Am 14. Januar 2021 kam es zu einer großen Razzia in der Redaktion, IT-Technik und Aufzeichnungen wurden beschlagnahmt. Das hat die Arbeit der Redaktion lahmgelegt, seit April 2021 ist die Online-Seite Naviny.by – auf Anordnung des belarussischen Informationsministeriums – blockiert.

Im Sommer 2021 folgte eine weitere Razzia in der Redaktion und in mindestens sechs Wohnungen von Redakteuren. Die Chefredakteurin Iryna Lewschina, die Buchhalterin Jekaterina Bojewa und der ehemalige Direktor Dimitri Nowoshilow wurden verhaftet. Der Vorwurf laut Ermittlungskomitee: Organisation und Teilnahme an Handlungen, „die die öffentliche Ordnung schwer verletzen“. 

Bojewa kam wenig später frei, Lewschina und Nowoshilow wurden als politische Gefangene eingestuft. Gegen sie wurde ein Verfahren wegen Steuerhinterziehung eingeleitet, außerdem wurden sie wegen Bildung und Leitung einer „extremistischen Formation“ angeklagt. Prozessbeginn war im Juni 2022. Am 6. Oktober 2022 wurde Lewschina zu vier Jahren Gefängnis verurteilt, Nowoshilow, muss sechs Jahre in Haft. Andrej Alexandrow, ehemaliger stellvertretender Direktor, muss 14 Jahre ins Gefängnis. Der Prozess fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Die Urteile, sowie der Prozess selbst, wurden international vielfach als „politisch motiviert“ kritisiert
Teile des alten Naviny- und BelaPan-Teams haben im Exil mit Pozirk ein neues Medium gegründet.

Text: Simone Brunner
(Stand: Oktober 2022)

ECKDATEN

Gegründet: 1991
Chefredakteurin: Irina Lewschina (belarussisch: Iryna Leuschina)
URL: https://t.me/pozirkonline


1.Den Preis gewann BelaPAN für das Newsportal Naviny.by (Belorusskie Nowosti, dt. Belarussische Nachrichten). 
Gnosen

im Gnosmos

als Text

im Gnosmos

als Text

Neueste Gnosen
Gnose Belarus

Janka Bryl

Janka Bryl – Dokumentarist und Schriftsteller – gehörte zu den prominenten Stimmen der sowjetisch-belarusischen Literatur. Wer war er? Was trieb ihn an? Was prägte sein Schaffen? Eine Gnose von Philine Bickhardt. 

Gnose

Häusliche Gewalt in Russland

Häusliche Gewalt ist ein verbreitetes Problem in Russland und wird dennoch als Normalität akzeptiert. Allein in den Jahren 2021-2022 sind in Russland fast 1000 Frauen von ihren Partnern oder nahen Verwandten getötet worden. Mit der Rückkehr kriegstraumatisierter russischer Soldaten aus den Kämpfen gegen die Ukraine verschärft sich die Situation, zumal bereits verurteilte Straftäter unter ihnen sind. Die Theologin und Russland-Expertin Regina Elsner beschreibt in ihrer Gnose für dekoder die Entwicklung häuslicher Gewalt und die Rolle von Staat, Kirche und Zivilgesellschaft. 

Gnose Belarus

Die Stadt Polazk

Polazk war eines der wichtigsten Zentren der früheren Rus’. Im Spätmittelalter entwickelte sich dort ein Ständesystem mit Teilhabe. Erst 1772 beziehungsweise 1793 wurde die Stadt Teil des Russischen Reichs. Die Umwälzungen von Polazk im 19. Jahrhundert sind Beispiel für die russische Kolonisierungspolitik an der Peripherie des Zarenreichs. 

Gnose

Russland und der Kolonialismus

Kolonialimperien – das sind immer die anderen. Und doch hat Russland über eine Vielzahl an Völkern geherrscht und sein Territorium seit dem 16. Jahrhundert auf das 22-Fache vergrößert. Von der Eroberung Sibiriens bis zur angeblichen „Brüderlichkeit der Sowjetvölker“ wird die Kontinuität des russischen Kolonialismus im Krieg gegen die Ukraine besonders deutlich. Die vor diesem Hintergrund erstarkende Idee einer Dekolonisierung Russlands versucht der Kreml mit allen Mitteln zu unterdrücken. 

Gnose

Olga Skabejewa

Zweimal täglich erklärt die Moderatorin im Staatsfernsehen die Welt aus Moskauer Sicht. An manchen Tagen ist sie bis zu fünf Stunden mit Desinformation und Kriegshetze nach Vorgaben des Kreml auf Sendung. Skabejewas Spezialgebiet ist der Vollkontakt: Je nach Bedarf werden Gegner provoziert oder niedergebrüllt. 

Gnose

Margarita Simonjan

Ihre steile Karriere begann mit einer Lüge im staatlichen Auftrag. Heute kokettiert die Chefin des Propaganda-Senders RT und der staatlichen Medienholding Rossija Sewodnja offen mit ihrer Rolle als Gesicht der russischen Desinformation. Der Kreml belohnt sie großzügig dafür. 

Gnose

Anna Netrebko

Die Sopranistin Anna Netrebko wird gleichermaßen gefeiert und angefeindet. Für die einen ist sie der größte Opernstar der Gegenwart, für andere eine Kulturmarionette Wladimir Putins.

Gnose Belarus

Alexander Lukaschenko

Vor 30 Jahren trat Alexander Lukaschenko nach gewonnener Wahl sein Amt als Präsident der Republik Belarus an. Er schaffte demokratische Freiheiten ab und errichtete ein autokratisches System. Waleri Karbalewitsch über Lukaschenkos Machtwillen und Gründe für die Beständigkeit der Diktatur.  

Ein kurzer Augenblick von Normalität und kindlicher Leichtigkeit im Alltag eines ukrainischen Soldaten nahe der Front im Gebiet , © Mykhaylo Palinchak (All rights reserved)