Norilsk ist eine der kältesten Städte auf unserem Globus – und einer der bedeutendsten Rohstofflieferanten überhaupt. Wer hier lebt, muss sich anpassen an extreme Bedingungen: Dauerfrost, neun Monate Winter, eine verheerende ökologische Situation. Wie die Menschen in Norilsk diese Aufgabe bewältigen, zeigen die großartigen Aufnahmen von Elena Chernyshova. Sie hat in ihrer mehrfach preisgekrönten Reportage (u. a. World Press Photo Award 2014) das Leben einer Stadt eingefangen, die oft im Dunkeln liegt, aber nie schläft.
400 km nördlich des Polarkreises gelegen, führt keine Landverbindung nach Norilsk. Die Stadt ist nur über Luft- und Wasserwege mit dem übrigen Russland verbunden. Die Flüsse werden im Winter unpassierbar.
Mit einer Bevölkerung von 175.300 ist Norilsk eine der größten Städte nördlich des Polarkreises. Die Stadt wurde 1940 auf dem Reißbrett entworfen – von Architekten, die in Lagern des Gulag-Systems interniert waren. Sie sollten eine ideale, logisch aufgebaute Stadt erschaffen.
Aufgrund ihrer Lage hat die Stadt ein strenges, subarktisches Klima. Norilsk ist eine der kältesten Städte der Welt. Die Winter sind lang, mit Durchschnittstemperaturen von -25 °C. Während harter Fröste, wenn die Temperatur unter -40 °C fällt, quillt Dampf aus den Kanälen der Wasserversorgung und hüllt die Straßen in dichten Nebel.
Die winterliche Kälteperiode erstreckt sich über circa 280 Tage pro Jahr, dabei fegen an mehr als 130 Tagen Schneestürme durch die Stadt.
Während 8–9 Monaten pro Jahr ist die Stadt von Schnee bedeckt. Mehr als 2 Millionen Tonnen Schnee fallen in dieser Zeit auf die Landfläche des Großraums Norilsk, pro Einwohner 10 Tonnen. Die Schneeverwehungen erreichen eine Höhe von 2–3 Metern.
Während des neunmonatigen Winters ist jeder Weg eine Expedition und mit Gefahr verbunden. Die Arbeitsplätze sind 20–30 km von der Stadt entfernt, die Straßen dorthin führen durch die offene Tundra.
Wenn Schneestürme herrschen, wird der öffentliche Verkehr in Kolonnen organisiert. 15–20 Busse befördern die Arbeiter zwischen der Stadt und den Arbeitsorten hin und her. Sollte ein Bus eine Panne haben, können die Passagiere von einem anderen aufgenommen werden. Solche Konvois verkehren nur drei Mal pro Tag.
Nach dem Zerfall der Sowjetunion stieg Norilsk Nickel (einer der Generaldirektoren war bis 2007 Michail Prochorow) zum weltgrößten Produzenten von Nickel, Palladium und Platin auf. Trotz des harschen Klimas sind die Minen das ganze Jahr rund um die Uhr in Betrieb, auch bei Temperaturen von -50 °C.
In Norilsk gibt es sechs unterirdische Minen. Die Länge der Schächte, in denen das Erz abgebaut wird, beträgt mehr als 800 km, ihre Tiefe variiert zwischen 450 und 2050 Metern.
Die Produktion von Norilsk Nickel pro Jahr:
- mehr als 300.000 Tonnen Nickel (96 % der russischen und 17 % der weltweiten Gesamtproduktion)
- 2.731.000 Unzen Palladium (41 % der weltweiten Produktion) - 683.000 Unzen Platin (11 % der weltweiten Produktion)
- 419.000 Tonnen Kupfer (95 % der russischen Produktion und 2 % der weltweiten)
Norilsk Nickel erwirschaftet 1,9 % des russischen Bruttosozialproduktes. 57 % der Bevölkerung arbeitet unmittelbar in den Abbau- und Produktionsbetrieben.
Die Arbeitsbedingungen sind hart. Zu Hitze und Lärm kommt die Belastung durch schädliche Stoffe. Als Ausgleich dafür erhalten die Arbeiter 90 Tage Urlaub pro Jahr. Das Rentenalter beginnt mit 45 Jahren.
Die Fabriken laufen jeden Tag, rund um die Uhr. Auf drei Arbeitstage im Schichtbetrieb folgt ein Ruhetag.
Nach Angaben des Blacksmith Institute ist Norilsk eine der 10 Städte mit der weltweit stärksten Umweltbelastung. Das russische Statistikinstitut Rosstat führt Norilsk als die am stärksten verschmutzte Stadt des Landes.
Jedes Jahr entlassen die metallurgischen Kombinate fast zwei Millionen Tonnen Gas in die Atmosphäre, vor allem Schwefeldioxid (98 %), aber auch Schwefelkohlenwasserstoffe, Stickoxide und Phenole. Die Menge dieser Emissionen entspricht denen Frankreichs oder einem Prozent des weltweiten Emissionsaufkommens. Auch Schwermetalle wie Blei, Nickel, Selenium und Kobalt werden in die Atmosphäre abgegeben. Das Norilsker Nickelkombinat gilt als größter Einzelluftverschmutzer der Erde.
Für die Umweltverschutzung ist in erster Linie eine veraltete technische Ausstattung verantwortlich. An mehr als 200 Tagen im Jahr überschreiten die Emissionen das gesetzlich zugelassene Maximum. In den nächsten Jahren sollen die Emissionen der Fabriken durch eine Erneuerung der technischen Ausrüstung maßgeblich verringert werden. Die ökologische Situation in der Stadt ist aber weiterhin alamierend.
Zwar ist die Stadt Norilsk wohlhabend, dennoch verfallen viele Gebäude. Fast die ganze Stadt ist auf Pfeilern im Permafrost-Boden errichtet worden. Wenn die oberen Bodenschichten auftauen, werden die Verankerungen instabil, die Strukturen kommen in Bewegung, in tragenden Wänden tun sich große Risse auf. Viele Häuser sind unbewohnt und werden den Mächten der Witterung überlassen.
Die Polarnacht dauert von Ende November bis Ende Januar. In dieser Zeit erhebt sich die Sonne nicht über den Horizont. Die natürlichen Rythmen des Körpers werden außer Kraft gesetzt, viele Bewohner klagen in dieser Zeit über Angstzustände, Nervosität oder Schlaflosigkeit.
Eine Frau und ein Kind in ihrem Wohnzimmer. Während der kalten Monate geht ein Großteil des alltäglichen Lebens in geschlossenen Räumen vor sich, Dunkelheit und Kälte hindern die Menschen daran, sich für längere Zeit unter freiem Himmel aufzuhalten.
Je nach Witterung müssen kleinere Kinder manchmal mehrere Monate am Stück in geschlossenen Räumen verbringen. Die Kindergärten haben daher spezielle Räume eingerichtet, die sich für Laufspiele, Radfahren oder andere Outdoor-Aktivitäten eignen.
Trotz der schwierigen Lebensbedingungen und der ökologischen Situation ist die Geburtenrate in Norilsk höher als in anderen Regionen Russlands. Dennoch haben Klima und Umweltbedingungen einen negativen Einfluss auf die Gesundheit der werdenden Mütter. Die Mehrzahl der Geburten muss per Kaiserschnitt stattfinden.
Während der neun Wintermonate haben die Bewohner von Norilsk keine Gelegenheit, sich in einer grünen Natur zu erholen. Viele schaffen sich daher kleine grüne Oasen in ihren Wohnungen.
Licht ist das wirkungsvollste Mittel, um die Polarnacht besser zu überstehen. In den 50er und 60er Jahren war eine spezielle Lichttherapie verbreitet. Heute gehen die Menschen ins Solarium, das überall und für wenig Geld zugänglich ist.
Eine der beliebtesten Winteraktivitäten ist das Eisbaden. Die Außentemperatur spielt keine Rolle, im Gegenteil: Je kälter es ist, desto mehr Menschen kommen an die Badestellen. Nach dem Badegang kann man sich in kleinen Banjas am Rand des zugefrorenen Sees wieder aufwärmen, die mit heißem Dampf aus dem Heizkraftwerk auf Temperatur gehalten werden.
Die Einwohner von Norilsk haben ein spezielles Verhältnis zur Natur. Nach 9 Monaten in geschlossenen Räumen zieht es die Menschen im Sommer in die unberührte Tundra zu langen Wanderungen.
Fotos: Elena Chernyshova
Bildredaktion: Nastya Golovenchenko
Veröffentlicht am 01.12.2015