Sei es die europäische Flüchtlingskrise, sei es der Ukraine-Konflikt: Wenn fundamental gegensätzliche Narrative das Gespräch erschweren oder gar unmöglich machen – was ist da die Rolle der Medien? Um Fragen wie diese ging es auf der n-ost Medienkonferenz On the Tightrope. Journalism in a polarized Europe, zu der an diesem Wochenende in Moskau mehr als 100 Teilnehmer zusammenkamen. Wir von dekoder waren als Medienpartner dabei und haben in unserem Workshop Curate, Translate, Contextualize intensiv darüber diskutiert, inwiefern ein Nationalgrenzen überschreitender Journalismus eine Antwort auf die Herausforderungen für einen Dialog sein kann.
Vor allem aber haben wir viele spannende Menschen kennengelernt – darunter nicht wenige, die wir auch schon auf dekoder übersetzt haben: Etwa Irina Prochorowa, die neulich im Meduza-Interview eine neue politische Sprache forderte. In ihrem Diskussionsbeitrag betonte sie, dass totalitäre Ideen derzeit in Ost wie West attraktiv und populär werden, und rief zu einer gemeinsamen Anstrengung auf, um sie zu überwinden: „Russland und Europa“, sagte sie, „sitzen im selben Boot.“
Alexey Kovalev, der Nudelentferner, berichtete über die Anfänge seines Projekts InoSMI.ru, das ausländische Medienartikel ins Russische übersetzt und inzwischen – ohne ihn – Teil der staatlichen Medienagentur Rossija Sewodnja ist. Von Dmitry Okrest konnten wir uns nochmal ausführlich schildern lassen, was Besucher im militärpatriotischen Park Patriot erwartet. Und daheim bei Olga Beshlej (die mit dem riesigen rosa … und der hassgeliebten Studienkameradin aus Lettland) haben wir – ganz nach sowjetischer Tradition – bis spät in die Nacht philosophisch-politische кухонные разговоры, Küchengespräche, geführt.
Die großen Probleme konnten in diesen drei Tagen nicht geklärt werden. Viele der Panel-Diskussionen schienen die Kommunikationsschwierigkeiten eher zu veranschaulichen als zu lösen. Und dennoch ist es gut zu wissen, dass es so viele Menschen gibt, die sich auch in einer derart polarisierten Welt und allen oft ernüchternden Resultaten zum Trotz immer wieder zusammensetzen, um nach einer gemeinsamen Sprache zu suchen – Menschen, denen gerade aufgrund der bestehenden Deutungs- und Meinungsunterschiede an einem tieferen Verständnis der Lage gelegen ist.
Das nehmen wir dankbar mit, um auch weiterhin mit unseren Artikelübersetzungen, Gnosen und Presseschauen einen Beitrag zu leisten dafür, dass Ost und West füreinander lesbar werden. Mehr und mehr bemühen wir uns, dabei neben den Text auch das Bild zu stellen: Mit unseren Infografiken haben wir im vergangenen Monat ein neues Format eingeführt, um Informationen unmittelbar visuell darzustellen.
Die Grafiken zeigen etwa, wie sich Putins Umfragewerte über die letzten Jahre entwickelt haben, wie sich die neu gewählte und in dieser Woche konstituierende Duma zusammensetzt oder welche statistischen Anomalien der Physiker Sergej Schpilkin bei der Dumawahl festgestellt hat. Bei fast allen Darstellungen lässt sich dabei allerlei klicken, auseinander- und zusammenschieben oder auswählen – es war uns wichtig, dass die Grafiken viele interaktive Möglichkeiten bieten, was technisch gesehen mitunter unerwartet kompliziert war. Aber so ist es eben mit der Interaktion: Es ist nicht immer einfach, sie in Gang zu bringen. Doch wenn sie einmal funktioniert, dann lohnt sie sich.
Es grüßen aus Moskau
Social-Media-Redakteur Daniel Marcus und Gnosen-Redakteur Leonid Klimov