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Leviathan gegen Leviathan

Andrej Swjaginzews Film Leviathan, der als erster in der jüngsten russischen Geschichte mit dem zweitwichtigsten Hollywood-Preis, dem Golden Globe, ausgezeichnet und tatsächlich danach auch noch für den Oscar nominiert wurde, war diese Woche [Anfang 2015 - Anm. dekoder] Ziel einer regelrechten Hetzkampagne im eigenen Land. Der Kolumnist von The New Times glaubt, diese Kampagne war sorgfältig geplant.

Источник The New Times

Schon möglich, dass die folgenden Ausführungen nur Vermutungen oder gar Verschwörungstheorien sind. Jedoch klingen diese Vermutungen ziemlich glaubwürdig. Es geht dabei um eine minutiös durchdachte Intrige der Machthaber nicht nur mit dem Ziel, Swjaginzews Werk in Verruf zu bringen (und Leviathan ist wirklich der beste russische Film seit Jahren), sondern auch die lang erwartete neue sozialkritische Richtung im russischen Film.

Von Liebe zu Hass

Nach der Nummer 1 aller Filmfestivals in Cannes letzten Mai, wo Leviathan den Preis für das beste Drehbuch bekommen hatte, schien es, der Film würde uns allen gefallen. Der Einzige, der ihn aktiv missbilligte, war der eigens zur Vorführung angereiste Kulturminister Medinski. Zum Teufel mit ihm! Welchen normalen Menschen interessiert schon Medinskis Meinung? Und so rutschten wir gut ins Neue Jahr: Leviathan als großes Kino! Und gleichzeitig für den Westen nicht in voller Breite und Tiefe verständlich. Lächerlich, dass unterdessen sogar echte Auskenner behaupten, Leviathan sei speziell für den Westen gemacht. Keineswegs! Der Westen, und ganz konkret Europa, hat das Wichtigste nicht verstanden: dass Leviathan nicht einfach nur eine persönliche Geschichte über himmelschreiende Ungerechtigkeit ist, sondern auch ein politisches Statement über den Wesenskern des modernen Russland. Über den schrecklichen Leviathan, den korrupten Staat bar jeglicher Ehre und jeglichen Gewissens, in dem die Kirche den Staat deckt und Jesus de facto von Kriminellen privatisiert wird. In Europa wurde Leviathan nicht ausreichend wertgeschätzt. Die Auszeichnung in Cannes für das beste Drehbuch ist natürlich toll, aber sie ist kein Hauptpreis. Im Dezember hat der in Europa für einige wichtige oscarartige Filmpreise nominierte Leviathan den Kampf gegen die polnische Ida klar verloren. Wladimir Medinskis besorgte Gedanken galten jedoch vor allem der englischsprachigen Welt, vor allem den USA. Wer in Russland kennt die europäischen „Oskars“? Nicht mehr als ein paar Tausend. Wer kennt den Golden Globe und den Oscar? Oh, das ist schon eine ganz andere Geschichte. Der derzeitige Kulturminister ist kein Dummkopf und er hat einen ganzen Trupp von Zuträgern. Und höchstwahrscheinlich hat er selbst aktiv den entsprechenden Stellen zugetragen, dass es – sollte Leviathan nun kurz vor dem offiziellen Kinostart am 5. Februar amerikanische Preise gewinnen und große Popularität beim breiten Publikum in der Heimat erlangen – ein herber Schlag wäre. Jedenfalls was das primitive russische Patriotismus-Verständnis eines Medinski angeht. Und den russischen Staat und die orthodoxe Kirche. Medinski wusste nicht ohne die Hilfe eben jener Zuträger, dass der Produzent des Films Alexander Rodnjanski, der seine hochkarätig besetzten Filme sowohl in Russland als auch in Amerika produziert, bei den Organisatoren des Golden Globe viel bessere Karten hat als bei der Europäische Filmakademie. Also hätte Leviathan den Globus durchaus gewinnen können. Offenbar wurde eben deshalb beschlossen, den Film kurz vor der Verleihung des Golden Globe, in den Augen der russischen Öffentlichkeit niederzumachen. Für die konzertierte Aktion brauchte es eine Woche. Und man darf annehmen, nicht ohne Beteiligung des Geheimdiensts.

Russland, zurück – marsch, marsch!

Am vorigen Wochenende wurde Leviathan nun illegal im Netz veröffentlicht. Es gibt die Vermutung, die Filmemacher hätten das selber getan, doch das widerspricht jeglicher Logik. Wozu sollte Rodnjanski den Film im Netz veröffentlichen, wenn er am 5. Februar ohnehin offiziell in die Kinos gekommen wäre und schon viele den Kinostart ungeduldig erwarteten? Ist ihm dafür nicht sein Geld zu schade? Und was hätte er davon? Swjaginzew ist Perfektionist. Er macht Filme für die große Leinwand. Leviathan besticht durch die fantastische Kameraarbeit des Großmeisters Michail Kritschman. Wozu hätte Swjaginzew seinen bis dato besten Film heimlich ins Netz stellen sollen, wo man ihn auf winzigen Bildschirmen, halbverdeckt von englischen Untertiteln, ansehen würde? Viel plausibler scheint die Annahme, dass der Film von unserem Geheimdienst ins Netz gestellt wurde. Erstens, um die Wirkung zu verderben (denn ausgerechnet die besten Filme rufen bei Zuschauern oft genau die gegensätzliche Reaktion hervor, wenn sie in schlechter Qualität gezeigt werden). Und zweitens, damit seine Agentenschaft in den sozialen Netzen sofort damit beginnen konnte, die öffentliche Wahrnehmung von Leviathan negativ zu beeinflussen. Wäre der Film dort nicht erschienen, hätten sowohl die Filmemacher als auch ich, der ich diese Zeilen schreibe, sagen können: „Was redet ihr Hohlköpfe da? Ihr habt den Film doch nicht mal gesehen!“ Und was bitteschön kann man jetzt erwidern? All die vom Geheimdienst engagierten Leute, die im Internet unter zwei- bis fünfhundert erfundenen Namen ihre Arbeit machen, verkündeten just am Vorabend des Golden-Globe-Triumphs von Leviathan in den sozialen Netzwerken: Der Film ist scheiße, Russlandschmäh und Schwarzmalerei. Das Unangenehmste ist, dass es funktioniert hat. Ich sage es noch einmal: Nach der Premiere in Cannes, wo der Film in guter Qualität gezeigt wurde, waren alle Russen dort begeistert. Mittlerweile aber schreiben sogar viele kluge Menschen, die etwas vom Film verstehen, im Internet: „Den Quatsch seh ich mir erst gar nicht erst an.“ So effektiv erweist sich die KGB-Propaganda eben nach wie vor! So ein Leichtes ist es ihr, sogar angeblich intelligente Leute aus dem Konzept zu bringen! Die Kampagne war angelaufen. Mit dabei die beiden wichtigsten offiziellen Fernsehsender, die besondere Instruktionen erhalten hatten. Als am Montag die Nachricht kam, dass Leviathan tatsächlich einen Golden Globe gewonnen hat, was eine nationale Sensation ist (der einzige russische Film, der den Preis bis dahin gewonnen hatte, war 1969 Bondartschuks Krieg und Frieden), präsentierten die beiden Fernsehsender das nicht nur nicht als Nachricht des Tages, es wurde nur knapp am Ende der Nachrichtensendungen erwähnt. Dabei listeten sie zunächst die anderen Golden-Globe-Gewinner auf, um dann in einem Nebensatz kurz zu sagen, dass Leviathan den Preis als bester fremdsprachiger Film bekommen hat. Das war‘s! Den Höhepunkt erreichte der Irrsinn am 15. Januar, als bekannt wurde, dass Leviathan auch noch für den Oscar nominiert ist. Das ist doch wohl ein großer „Sieg der russischen Waffe“, was denken Sie? Das ist die Nachricht des Tages! Nix da. In den Abendnachrichten des Ersten Kanals wurde die Nachricht ignoriert. Als gäbe es keinen Oscar und keinen Leviathan. Stattdessen wurde uns in allen Nachrichtensendungen freudig verkündet, dass unsere Biathlon-Männer bei einer Weltcup-Etappe Bronze geholt hätten. Schimpf und Schande.

Wohin es führt

Wohin wollen sie uns bekommen? Ins Ghetto. In ein politisches und kulturelles Ghetto, in dem es ein Leichtes sein wird, uns die Gehirne zu waschen und kein Platz sein wird für Filme wie Leviathan, in denen offen über die Verschmelzung von Staat und Kirche gesprochen wird. Erstaunlich ist ein Gedanke, der gerade durch eindeutig bezahlte Einflussagenten in den sozialen Netzwerken verbreitet wird: Medinski habe das Recht, von Leviathan politische Loyalität zu fordern, denn der Film sei mit Unterstützung des Kulturministeriums gedreht. Aber so gut wie alle russischen Filme in den letzten Jahren wurden mit Unterstützung des Kulturministeriums gedreht, warum sollte man da an Leviathan besondere Anforderungen stellen? Besonders, wenn man bedenkt, dass die Unterstützung mickrig ist und das Gros der Finanzierung aus anderen Quellen stammt. Ideale Verhältnisse bestehen in dieser Hinsicht in Frankreich, dessen Herangehensweise von unseren Entscheidungsträgern so gerne als Vorbild zitiert wird. (Dort wird gern davon gesprochen, dass es in Frankreich Verleihquoten für amerikanische Filme gäbe. Fakt ist: Es gibt in Frankreich keinerlei Quoten, es gab sie nie und es wird sie nie geben. Man verscheißert euch.) In Frankreich wird auf jedes Kino-Ticket eine Steuer von 11 Prozent erhoben, die in den Fonds des Centre National de la Cinématographie fließen, das dann wie unser Kulturministerium Zuschüsse an Produzenten vergibt. Dabei geht es um weit größere Summen als die, die unser Kulturministerium für diese Zwecke vergibt, doch keiner würde je auf die Idee kommen, die geförderten Filme einer ideologischen Kontrolle zu unterwerfen. Womöglich weil Frankreich – im Gegensatz zu Russland – ein freies Land ist. Vor dem Hintergrund der Geschichte mit Leviathan hat das Kulturministerium neulich einen Gesetzentwurf eingebracht, demzufolge kein Film eine Verleih-Lizenz bekommt, der „die nationale Kultur verleumdet, die nationale Einheit bedroht und die Grundlagen der Verfassungsordnung zerrüttet“. Man bereitet uns darauf vor, dass in den Kinos keine Filme mehr laufen werden, die die herrschende Macht in Russland kritisieren, und sei es nur indirekt. Man darf gespannt sein, wie lange sie mit ihren Restriktionsgesetzen durchhalten und ob ihnen bald Nürnberger Prozesse bevorstehen. Was Swjaginzew betrifft, tut unser Staat offenbar alles dafür, ihn aus dem Land zu bekommen. Wenn Abschaum an der Macht ist, wählt er sich immer freie, ehrliche, talentierte Menschen als Angriffsziel.

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Andrej Tarkowski

Andrej Tarkowski (4. April 1932 – 29. Dezember 1986) kommt aus der jungen 1960er/1970er-Generation sowjetischer Filmemacher und wurde mit seiner eigenen poetischen Bildsprache zu einem der bedeutendsten Autorenfilmer des 20. Jahrhunderts.

Als Künstler vor allem auf seine Autonomie bedacht, litt er unter dem sowjetischen Ansatz der Kunst als Staatspädagogik, bangte oft um den nächsten Auftrag. Tarkowski war trotzdem kein Dissident. In gewisser Weise wurde er zum Weltenwandler zwischen Ost und West, geborgen nur im Nirgendwo seiner Filme. Die erfreuen sich bis heute einer treuen Zuschauerschaft. 

Seine Bilder operieren zwischen Schein und Sein – Regisseur Andrej Tarkowski (1932–1986) / Foto © Festival de Cine Africano/flickr.com

Zwar erreichten Filme aus dem kapitalistischen Ausland nur in kleiner Zahl die sowjetischen Kinos, die Studenten an der führenden staatlichen Filmhochschule VGIK aber konnten sich zur Tauwetterperiode mit künstlerischen Strömungen und Moden aus dem Westen vertraut machen. So sieht man in Tarkowskis studentischen Arbeiten aus den 1950er Jahren auch deutliche Einflüsse des amerikanischen film noir (Ubizy, dt. Die Mörder, 1956) sowie des französischen Kinos (Sewodnja uwolnenija ne budet, dt. Heute gibt es keinen Feierabend, 19571). Vor allem aber zeigte sich seine Lust am Experiment. Etwas, wozu ihn sein Dozent – der bekannte Dokumentarfilm-Regisseur Michail Romm – ausdrücklich ermutigte.

Die Abschlussarbeit, Katok i skripka (dt. Die Straßenwalze und die Geige, 1961) stach künstlerisch schon hervor, auch wenn die Themenstellung noch sehr dem Zeitgeist verhaftet war, nämlich dem Verhältnis von (körperlicher) Arbeit zur Kunst – was in einem Land, das sich als das Vaterland aller Werktätigen verstand, ideologisch besetzt war. Die Kritik jedoch hatte ihn schon als „echten“ Tarkowski gewertet.2

Tarkowski als auteur des poetischen Films

Seine Bilder, eine geradezu surreale Ästhetik, die zwischen Sein und Schein operiert und Reminiszenzen erweckt – sie sind es, die Tarkowskis Filme in ihrer Gesamtheit für viele Cineasten schließlich einzigartig machen werden. Sei es bei Stalker (1979) in einer postapokalyptisch anmutenden Zone, bei Solaris (1972) auf einer Raumstation oder bei Nostalghia (1983) in einer Landschaft greifbar werdender Heimatlosigkeit. Es sind Bildkompositionen, wie sie seinerzeit nur die Natur des Zelluloids hervorbringen konnte.

Oft wird von ihrer „Wirkmächtigkeit“ gesprochen. Tarkowski selbst erklärte seine Filme zu Versuchen, seine eigene Wahrnehmung zu Bildern werden zu lassen. Sein assoziatives Spiel mit ihnen nannte er „Poesie“4 und stellte sie – in der Tradition der Romantiker – der Wissenschaft gegenüber. Dieses „Leben als Traum“, wie es der schwedische Regisseur Ingmar Bergman umschwärmte, ist charakteristisch für Tarkowskis Schaffen. Gleichzeitig suchte er immer das freie Spiel mit Bedeutungen und Lesarten. 

Spätestens mit dem Meisterwerk Andrej Rubljow (1966) hatte Tarkowski als auteur eine Handschrift entwickelt, und er war dabei, seine eigene Gattung zu schaffen: den poetischen Film.

Andrej Rubljow und der Eklat in Cannes

Gemeinsam mit Filmemacher und Freund Andrej Kontschalowski hatte er die Handlung entworfen und das Drehbuch geschrieben. Die beiden Andrejs stellen einen dritten Andrej in den Mittelpunkt, Andrej Rubljow, einen Mönch aus dem späten 14., frühen 15. Jahrhundert, über den es nur wenige historisch gesicherte Nachrichten gibt, der aber als Ikonenmaler stilbildend geworden ist und sich hoher Verehrung erfreut, auch als Heiliger.

Gezeigt wird Rubljow als ein Künstler, der den Menschen nicht mit Gott drohen will, der politischen Macht skeptisch gegenübersteht und in eine Krise gerät, aus der er erst herausfindet, als er sieht, mit welchem Mut sich ein junger Bursche ohne jede Vorerfahrung daran macht, eine Glocke zu gießen.

Der in schwarzweiß gedrehte Film endet mit einem farbigen Kaleidoskop von Ikonenpartien, die, mit einer an geistliche Gesänge erinnernden Musik unterlegt, den Zuschauer zur Meditation einlädt.

Als der gut dreieinhalb Stunden dauernde Film 1966 fertig war, hatte die Zensur einiges auszusetzen. Vor allem manche als brutal angesehene Szenen mussten herausgeschnitten werden, wodurch das Zeitbild nicht ganz so negativ erschien. Kritiker warfen Tarkowski vor, die Geschichte nicht richtig dargestellt zu haben. Das Publikum konnte dies aber nicht nachprüfen, da der Film zunächst unter Verschluss gehalten wurde.

Über Umwege wurde er 1968 in Cannes zu den Filmfestspielen nominiert, dann aber wegen angeblicher „künstlerischer Mängel“5 zurückgezogen. Erst 1969 konnte er dort – außer Konkurrenz – gezeigt werden und erhielt gleich den Kritiker-Preis, die erste von insgesamt neun Auszeichnungen. Bei den Offiziellen im Filmbetrieb der Sowjetunion rief diese nie ganz geklärte Geschichte mit der Nominierung6 in Cannes einige Verstimmung hervor, Cineasten in Ost und West aber waren begeistert.

Eigensinn und Rätselhaftigkeit

Auf Stanley Kubricks Welterfolg 2001 – A space Odyssey (2001- Odyssee im Weltraum, 1968) erwartete man in der Sowjetunion eine angemessene Antwort von Tarkowski und bedachte ihn mit dem Auftrag. Tarkowski verfilmte dazu die Erzählung Solaris von Stanisław Lem, und es wurde eine ganz eigene Interpretation. Der 1972 fertiggestellte Film hatte mit der Vorlage fast nur noch den Titel gemeinsam. Tarkowski verzichtete auf alle spektakulären technischen Details und schuf ein Drama um Schuld, individuelle Erinnerung und kollektives Gedächtnis. 

War schon in Andrej Rubljow der Zuschauer gefordert zu mutmaßen, wie die Episoden der Handlung zusammenhängen, so nimmt in Solaris die für den reifen Tarkowski typische Rätselhaftigkeit noch deutlich zu. Einzelne Objekte, die sich einer symbolischen Eindeutigkeit entziehen, tauchen in vielen Filmen auf, als gehörten sie zu einer eigenen hermetischen Tarkowski-Welt: Holzhäuser, Tiere oder die Elemente, wie Wasser in Form von Regen, Seen und Flüssen, Erde, Luft, Feuer ... Tarkowski arbeitete zudem gern mit den gleichen Schauspielern und tauschte die Kameraleute nicht ständig aus. Eduard Artemjew schrieb ihm für drei Filme die zum Teil experimentelle Musik – für Tarkowski eine „privilegierte Klangsprache“ für eine „Symbiose mit den Bildern“.7

Tarkowski zwischen Ost und West

In seinem Schaffensdrang hatte er sich jedoch Zeit seines Lebens der sowjetischen Bürokratie zu erwehren, wurde bei Auftragsvergaben immer wieder ignoriert.8 Geldsorgen zwangen ihn, kommerzielle Drehbucharbeiten und Vorträge in der Provinz anzunehmen.9 Auch sorgte der sowjetische Filmverleih dafür, dass Sowjetbürger seine Filme in den Kinos nur schwer zu sehen bekamen. 

Bei all den Querelen: Es ist keineswegs so, dass Tarkowski etwas Dissidentisches in dem sah, was er tat und wie er seine Sujets verfilmte. Lust am Widerspruch auf der einen und eine eher diffuse Religiosität mit Hang zu Esoterik auf der anderen Seite machten ihn ebenso aus wie der tiefe Wunsch, seiner eigenen Kunstvorstellung zu folgen und trotzdem in der Heimat bleiben zu können. Was ihm nicht gelang. 

Um dem Korsett des sowjetischen Filmbetriebs zu entweichen, nahm er 1981 schließlich einen Auftrag in Italien an, obwohl ihm klar war, dass er seine Familie in der Sowjetunion zurücklassen musste. Der sehr persönliche Film Serkalo (dt. Der Spiegel, 1975) und die Sinnsuche von Stalker hatten ihn zuvor erneut dem Vorwurf ausgesetzt, unverständliche Filme zu drehen. Dabei traf etwa Serkalo durchaus den Nerv der Zuschauer in der Sowjetunion: Erzählt wird eine Kindheit in den Jahren der Stalinschen Herrschaft, jedoch so, dass sich viele in Situationen und Konstellationen erkannten. Der Spiegel wird hier Symbol und Metapher des Selbsterkennens in der Erinnerung. 

Als Vertreter der Sowjetunion Tarkowski bedrängten, er solle doch endlich aus Italien zurückkommen, beantragte er Asyl. Nur kurz nach Fertigstellung seines letzten Films Offret (dt. Opfer, 1986) starb er am 29. Dezember 1986 an Krebs, seine Familie ließ man noch zu ihm reisen. Beigesetzt wurde er in Paris.

„Ja, sein Grab ist nicht bei uns (und er ist daran schuldlos).“10



1.Franz, Norbert P. (2016): Filmographie, in: ders. (Hrsg.): Andrej Tarkovskij – Klassiker, classic, классик, classico: Beiträge des Ersten Internationalen Tarkovskij-Symposiums in Potsdam, September 2014, 2 Bde., Potsdam, S. 21
2.Maja Turovskaja nennt ihre Monographie in Anlehnung an Fellinis Film Otto e mezzo (1963): 7 i ½ fil‘my Andreja Tarkovskogo, – (dt. Die siebeneinhalb Filme des Andrej Tarkovskij) Moskau, 1991 – Katok i skripka ist als Kurzfilm der „halbe“.
3.Franz, Norbert P. (2016): Tarkovskijs Weg zum Klassiker, in: ders. (Hrsg.): Andrej Tarkovskij – Klassiker, classic, классик, classico: Beiträge des Ersten Internationalen Tarkovskij-Symposiums in Potsdam, September 2014, 2 Bde., Potsdam, S. 34
4.„Der Film entspringt der unmittelbaren Lebensbeobachtung. Dies ist für mich der richtige Weg filmischer Poesie. Denn das filmische Bild ist seinem Wesen nach die Beobachtung eines in der Zeit angesiedelten Phänomens.“, aus: Tarkowski, Andrej (1984): Die versiegelte Zeit, Berlin, S. 70
5.von Keitz, Ursula (2012): Andrej Tarkowskij: Andrej Rubljow (1966), in: Kiening, Chr. (Hrsg.): Mittelalter im Film, S. 298
6.Die Sowjets hatten den Film offenbar bereits (aus Versehen) an einen französischen Verleih verkauft, der ihn in Cannes bereitstellen konnte, vgl. ebd. Und: „Although screened at 4 a. m. on the festival’s last day, it was nevertheless awarded the International Critics’ Prize. Soviet authorities were infuriated; Leonid Brezhnev reportedly demanded a private screening and walked out mid-film“, in: Hoberman, James Lewis (1999): Andrei Rublev
7. Franz, Norbert P. (2016): Vorwort, in: ders. (Hrsg.): Andrej Tarkovskij – Klassiker, classic, классик, classico. Beiträge des Ersten Internationalen Tarkovskij-Symposiums in Potsdam, September 2014, 2 Bde., Potsdam, S. 16
8.vgl. Franz, Norbert  P. (2016): Vom Werden und Selbstverständnis des Klassikers, in: ebd., S. 29
9.Schlegel, Hans-Joachim (2012): Zwischen Hier und Dort, in: Tarkovskij, Andrej A./Schlegel, Hans-Joachim/Schirmer, Lothar:  Andrej Tarkovskij: Leben und Werk: Schriften, Filme, Stills, Schirmer/Mosel, S. 8
10.Notizen von Alexander Sokurov zum Tod von Tarkovskij, in: ebd., S. 27

 

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Andrej Swjaginzew

Er war ein Laie, dessen erster Film 2003 mit dem Goldenen Löwen der Filmfestspiele von Venedig ausgezeichnet wurde. Heute zählt er zu den wichtigsten Regisseuren Russlands. Sein Werk Neljubow (Loveless) war für den Oscar nominiert. Eva Binder über den ungewöhnlichen Filmemacher Andrej Swjaginzew.

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Sergej Bondartschuk (1925–1994) war ein bedeutender sowjetischer und russischer Filmregisseur, Drehbuchautor und Schauspieler. Bereits mit 32 Jahren wurde er als jüngster Schauspieler überhaupt als Volkskünstler der UdSSR ausgezeichnet. Sein Regiedebüt Ein Menschenschicksal (1959) gilt heute als Klassiker des sowjetischen Kinos. Im Westen wurde er vor allem durch die Verfilmung des Romans Krieg und Frieden (1967) von Lew Tolstoi bekannt, in der er auch eine der Hauptrollen übernahm. Der Film gehört zu den erfolgreichsten sowjetischen Filmen und hatte auch international großen Erfolg. 1969 erhielt er den Golden Globe und den Oscar als bester fremdsprachiger Film. Weitere bedeutende Regiearbeiten Bondartschuks sind unter anderem Waterloo (1970), Boris Godunow (1986) und der Mehrteiler Der stille Don (1994).

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