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Die Anzapf-Könige

„Alle klauen“ war eine geflügelte Redewendung zu Sowjetzeiten. Was das illegale Anzapfen oder Verlegen von Strom-, Gas- und Wasserleitungen angeht, könnte dieser Spruch noch heute gelten. Aber ganz so streng sieht das eigentlich keiner, könnte man meinen, wenn man Maria Schers Artikel auf Kommersant-Dengi liest:

Auf ihrer Recherche durch ganz Russland surft sie durch Ratgeber-Foren für Gasklau-Anfänger, staunt mit den Fachleuten über die technische Finesse der illegalen Leitungsinstallateure und Haushaltsgas-Tankstellen-Besitzer und ärgert sich mit den Versorgern am meisten über die, die ihren Anschluss legal gemeldet haben und mit den Rechnungen im Rückstand sind.

Ein lehrreicher Text, kleine Bastelanleitung inklusive.

Source Kommersant-Dengi

Illustration - Julia GukovaAm Abend des 15. März versiegte in über 700 Häusern der Ortschaft Plechanowo in der Region Tula plötzlich das Gas. Die am folgenden Morgen angerückten Handwerker stellten fest, dass das an mehreren Dutzend Stellen angezapfte Gasleitungssystem zusammengebrochen war – durch eine Leitung war Wasser in das System gelangt.

Die ortsansässigen Roma, von denen mehr als 3000 in der Ortschaft leben, sind die hauptsächlichen Urheber der illegalen Leitungen. Sie begannen daraufhin, die Gasarbeiter mit Steinen und Müll zu bewerfen, die Reparaturwerkzeuge zu zerstören und Reifen zu verbrennen. Frauen in farbigen Tüchern stürzten sich auf die angerückten Polizeibeamten, alte Roma-Frauen und Kinderhorden schlugen mit Brettern wütend auf die Spezialeinheiten ein und wollten diese daran hindern, die illegalen Leitungen zu entfernen.

Um die Gasarbeiter zu schützen und den Roma-Aufstand niederzuschlagen, brauchte es mehr als 500 Polizeibeamte. Die Gasversorgung wurde wiederhergestellt, jedoch sind 290 Häuser nach wie vor unbeheizt, für ihre Bewohner wurden Notunterkünfte organisiert.

Der halbe Ort dockt sich an illegale Leitungen an

Über die Roma beschweren sich die Einheimischen schon lange: Sie würden nicht arbeiten, hätten in Plechanowo über die letzten 50 Jahre hinter einer hohen Mauer eine Enklave errichtet, aus der heraus mit Drogen gehandelt werde. Während der Klärung des Aufruhrs fand man bei den Roma über 150 illegal selbstgebaute Häuser, die per Gesetz gar nicht an das Versorgungssystem angeschlossen werden dürfen.

Es hat allerdings den Anschein, dass in Plechanowo auch dem Nicht-Roma-Anteil der Bevölkerung die kostenlose Gasnutzung nicht fremd ist. „Die Roma klauen andauernd Gas, und dann dockt sich der halbe Ort an deren illegale Leitungen an. Als in einer Siedlung im Gebiet Uljanowsk die Roma ihr Lager aufgeschlagen und illegale Leitungen verlegt haben, hat die ganze Straße sie angezapft“, erzählt der Experte des Fonds für Sozialforschung Chamowniki Alexander Pawlow.

In Plechanowo wurden die illegalen Leitungen im Endeffekt entfernt und Blindstopfen eingebaut. Sie werden aber nicht lange halten. Von der meuternden Menge wurden gerade mal vier Personen festgenommen und kamen mit einer Strafe von 500 Rubel [circa 6 Euro] davon.

Der Fall der Plechanowo-Roma ist bloß ein Beispiel für den in Russland weitverbreiteten massiven Gasklau. Laut dem Pressedienst der Gazprom Meshregiongas wurden 2015 15.000 Fälle von Erdgasdiebstahl aufgedeckt. „97,4 Prozent der illegalen Gasanzapfungen fallen auf die Bevölkerung“, erklärt man dort. Laut Quellen von Kommersant-Dengi beträgt der Gesamtumfang der Verluste durch illegale Gasentnahmen 3,4 Milliarden Rubel [circa 44 Millionen Euro].
Um das Ausmaß zu verdeutlichen: Der Jahresertrag aus dem Gasverkauf der Gazprom-Gruppe auf dem russischen Markt betrug im Jahr 2014 789 Milliarden Rubel [circa 10 Milliarden Euro]. Davon entfallen 23 Prozent auf die privaten Haushalte, das sind knapp über 183 Milliarden Rubel [circa 2,4 Milliarden Euro]. Fast 2 Prozent der Gaslieferungen an die privaten Haushalte werden geklaut.

Viele Russen sind wahre Fachleute in der Kunst des Gasklaus

66 Prozent der aufgedeckten Diebstahls-Fälle durch Privatpersonen geschahen im Nordkaukasus. Dort hat sich unterdessen sogar die europäische Mode verbreitet, Autos auf Methangas umzurüsten. Methangas-Tankstellen sind russlandweit kaum zu finden, im Kaukasus so gut wie gar nicht. Dort aber, berichtet Alexander Pawlow, spiele die Privat-Garage mit Druckminderer und Gewebeschlauch oft die Rolle einer Tankstelle. So gelangt das Gas aus der Hausleitung in die Autogasflasche.

Das Verlegen illegaler Gasleitungen mit Schweißgerät und Bohrer, das Anzapfen von Hauptrohren und den Leitungen der Nachbarn – viele Russen sind wahre Fachleute in der Kunst des Gasklaus geworden. Und den Anfängern sind zahlreiche Foren und Ratschlagseiten im Internet stets zu Diensten: „Drehen Sie das Gas ab, indem Sie das Hauptventil schließen. Überprüfen Sie mit einem Streichholz, ob Gas ausströmt. Nachdem Sie die Verbindungsstelle geschweißt haben, tragen Sie eine dicke Schicht Bauschaum auf: Wenn Bläschen aufquellen und platzen, bedeutet das, dass Sie schlecht geschweißt haben. Drehen sie das Gas wieder ab und schweißen sie noch einmal.“

„Nicht selten endet ein solches Unterfangen mit dem Tod oder Verletzungen der Hobby-Gasarbeiter“, berichtet die Gazprom Meshregiongas. „Menschen, die sich eigenmächtig an Gasversorgungsnetze anschließen, ignorieren jegliche Unfallschutzmaßnahmen, was oft zu Explosionen, Bränden und Kohlendioxidvergiftungen führt.“

Demnach steigt jährlich die Zahl der Unfälle, die mit dem Verlegen illegaler Gasleitungen zusammenhängen. So ereigneten sich im vergangenen Jahr in den fünf nordkaukasischen Republiken (Inguschetien, Kabardino-Balkarien, Nordossetien-Alanien, Karatschai-Tscherkessien und Dagestan) 70 Unfälle, 118 Menschen erlitten Verletzungen unterschiedlicher Schwergrade, 30 kamen ums Leben.

Den Zechpreller zu finden ist nicht einmal Fachleuten möglich

Oft bieten Gasarbeiter selber an, illegal Gasleitungen anzuzapfen. Dann einigen sich die Hausbesitzer mit ihnen auf eine bestimmte Summe, bezahlen brav weiter, um Fragen und Prüfungen zu vermeiden, und irgendwann dann wird der Zähler zurückgedreht, indem man ihn für eine gewisse Zeit ausbaut. So zeigt er im Endeffekt einen viel geringeren Verbrauch an.

Auch beim Verlegen der Rohre wird versucht, die Kosten zu minimieren: Da tun sich fünf oder sechs Häuser zusammen, schließen sich aber nur über einen gemeinsamen Strang an und rechnen die Entfernung zum Anschlusspunkt klein. In den Unterlagen heißt es dann, es werden 20 Meter Rohr verlegt, faktisch sind es ein Kilometer oder sogar mehr.

Den Zechpreller zu finden ist nach der Aufdeckung des Diebstahls nicht einmal den Fachleuten möglich, wie zum Beispiel im Wohngebiet Krasny Chimik in der Stadt Gus-Chrustalny. „Die Arbeit war so filigran ausgeführt, dass die Gasfacharbeiter erst beim dritten Versuch die Anschlussstelle für die illegalen Leitungen gefunden haben. Die Öffnung und die flexible Zuleitung, die in die Erde führte, waren sorgfältig in einem Stahlständer der Niederdruckgasleitung versteckt“, berichtet der Pressedienst von Gazprom Meshregiongas des Gebietes Wladimir.

Stromklau funktioniert über Lampenfassungen im Hausflur

Noch größere Ausmaße hat in Russland der Stromklau – das Anzapfen von Strom gelingt viel einfacher als das von Gas. Das kann über Verlängerungskabel geschehen, die an Lampenfassungen im Hausflur angeschlossen werden, oder über zwei einfache sechs Meter lange Stangen, die an elektrische Fernleitungen angelegt werden.

Die einfachste Variante bestehe darin, berichtet ein erfahrener Elektriker anonym der Kommersant-Dengi, sich vom gemeinsamen Nullleiter abzukoppeln. Dafür braucht man nur die Leitungen, die vom Strommast ins Haus zum Zähler führen: Nullleiter und Phase. Den Nulleiter trennt man ab, erdet ihn neu und schließt die Verbraucher dann so an, dass der Stromkreis nicht über den Strommast, sondern über die eigene Erde geschlossen wird. So bekommt der Zähler nichts mit.

Verbreitet sind auch Manipulationen am Zähler, bei denen zunächst die Plombe entfernt und dann in eine der Zuleitungen ein kleiner Magnetschalter gelötet wird. Dieser enthält Reed-Kontakte, dünne Metallplättchen, die sich bei Magnetisierung voneinander abstoßen, aber einen Kontakt herstellen, wenn kein Magnetfeld anliegt. Direkt neben dem Zähler wird dann ein Sicherungsautomat eingebaut. Wenn der eingeschaltet ist, erzeugt er ein Magnetfeld, nur dann läuft der Strom über den Zähler. Man schaltet einfach gelegentlich den Zähler an – für den Fall einer Kontrolle –, lässt ihn aber sonst aus, um seinen eigentlichen Verbrauch zu verbergen. Fachleute, die Zähler auf diese Art manipulieren, verdienen für so eine Installation 30.000 Rubel [circa 400 Euro] – und das in ländlichen Gebieten Mittelrussland.

„Es werden auch Gesetzeslücken ausgenutzt, um den offiziell abgerechneten Stromverbrauch zu senken“, erzählt der Anwalt Alexej Gordejtschik, Geschäftsführer der Kanzlei Gordejtschik und Partner. „Dafür existieren sogar empirische Daten über die Anzahl an LED-Lampen, die am Stromkreis angeschlossen werden können, ohne dass ihr Verbrauch durch gesetzlich zugelassenen Zähler erfasst wird.“

Die universelle und am weitesten verbreitete einigermaßen ehrliche Reduzierung des abzurechnenden Stromverbrauchs besteht für der Bevölkerung darin, komplett auf Zähler zu verzichten und nach einem Durchschnittswert abzurechnen.

Ölpipelines sind Goldadern

Eine echte Goldader für Fachleute illegaler Leitungen sind Ölpipelines, mittels derer sie nicht bloß sparen, sondern sich ein ziemlich sorgenfreies Leben finanzieren können. Von der Ölpipeline Drushba im mittleren Wolgagebiet führen einige Dutzend illegaler Leitungen weg. Das geklaute Öl wird dann in sogenannten Samowaren destilliert und in seine Fraktionen getrennt. Diesel und Benzin werden dann gleich an Tankstellen verkauft. An der Fernstraße M5 zwischen Kusnezk und Toljatti sind mehrere namenlose Tankstellen zu finden, die „selbstgebranntes“ Benzin verkaufen. In den Gebieten, durch die die Pipelines führen, ernähren sich ganze Dörfer, ja Bezirke, vom Öl.

Illegale Leitungen verärgern auch die Wasserwerke, erzählt man uns im Pressedienst der Moskauer Wasserwerke: „Den größten Schaden erleiden wir durch den direkten Wasserklau. Zudem gehen die eigenmächtigen Anschlüsse an das zentrale Kaltwasser-System mit Verstößen gegen die Bauvorschriften einher, was große Wasserverluste nach sich zieht.“

In Tomsk sind im November 2015 mehr als 40 Häuser wegen eine Havarie ohne Wasser geblieben, nachdem ein selbsternannter Wasserinstallateur am Werk war.  Beim Verlegen der Leitung hatte es gröbste Verstöße gegeben: der Wasserleitungsschacht fehlte und das Absperrventil war von schlechter Qualität.

Obwohl Wasserleitungen seltener angezapft werden als andere – in Großstädten ist es technisch schwer –, geschieht das im privaten Sektor vorwiegend dort, wo die Versorgungsleitungen alt sind, aus den 1980er Jahren und der Zeit davor.

Keine wirksamen Mechanismen im Kampf gegen Zechpreller und Anzapfer

Während die Bastler aus dem Volk immer neue Arten erfinden, die Bezahlung zu umgehen, haben die kommunalen Versorgungsdienste darauf keine Antwort – es gibt in Russland einfach keine wirksamen Mechanismen im Kampf gegen Zechpreller und Anzapfer, und es ist schier unmöglich, die Urheber der meisten illegalen Leitungen aufzuspüren.

Im Nordkaukasus sind die Bedingungen für den Gasklau wie von Gott geschaffen: Es gibt  eine große Anzahl illegaler Bauten, in vielen Dörfern gibt es schlicht keine Adressen, aber die Hauptsache ist die Nähe zur Ferngasleitung, über die der Gastransit nach Europa erfolgt.

Noch viel komplizierter sei es, das illegale Anzapfen von Stromleitungen zu entdecken, und erst recht, den Schaden zu beziffern, unterstreicht Oleg Jakowitsch, Generaldirektor von Schtarkenergostroj.

Erschwerend kommt hinzu, dass Verluste durch illegale Leitungen, verglichen mit dem allgemeinen Transitvolumen, unwesentlich sind: Für Öl und Gas schwanken die Verluste zum Beispiel zwischen vier und sechs Prozent. Wären sie höher, würden sie dennoch keine reale Bedrohung für die Gasfirmen darstellen, ist Alexander Pawlow überzeugt.

„Die Gasvertriebsunternehmen bekommen das Gas nahezu kostenlos und erwirtschaften den Gewinn durch die Zahlungen der Bevölkerung. Sie sind nur an einem interessiert: das Gasverteilungsnetz auszudehnen, damit regionale und kommunale Haushalte für den Anschluss neuer Ortschaften zahlen.“

Jenseits der Klauerei macht sowohl den Gas- als auch den Stromunternehmen ein ganz anders Problem zu schaffen: Die Abnehmer zahlen nicht für legal bezogene Ressourcen.

So betrugen die Gesamtaußenstände für Wärmeenergie am 1. Februar 2016 201,4 Milliarden Rubel [circa 2,6 Milliarden Euro], berichtet die stellvertretende Direktorin der Abteilung für Außenbeziehungen und strategische Entwicklung des Verbandes der Energieerzeuger Natalja Chishnaja.

Riesige Rückstände bei zahlenden Abnehmern

Seit Jahresbeginn ist der Rückstand um 31,5 Milliarden [circa 410 Millionen Euro] gewachsen, der Schuldenabbau beträgt nur 2,9 Prozent, wobei ein Großteil der Schuldner juristische Personen, insbesondere Industrieunternehmen sind, die Geld für fast 20 Prozent der verbrauchten Wärme schulden. Laut Chishnaja, sieht es bei den Schulden für Strom nicht besser aus: Ende 2015 betrugen die Gesamtaußenstände auf dem Großhandelsmarkt 75 Milliarden Rubel  [circa 980 Millionen Euro] – unter Berücksichtigung der Schulden für Abtretungsrechte, was um 6 Milliarden Rubel  [circa 78 Millionen Euro] mehr ist, als im Vorjahr.

„Auch wenn es paradox klingt, Verluste durch illegale Leitungen und Schuldenrückstände sind oft vorteilhaft für Ressourcenerzeuger“, urteilt der Experte Sergej Belolipezki. „Ressourcenerzeuger melden den zuständigen Ausschüssen Außenstände, plus Ausgaben und Kosten, die sie zu tragen haben, berichten, wie schlecht es ihnen geht, nur um die nächste Tariferhöhung durchzudrücken.“

Die Sanktionen für Diebe sind unbedeutend, zumal es überhaupt selten soweit kommt. „Etwa 50 Prozent der Anzeigen werden gar nicht geprüft, in weniger als 1 Prozent der Fälle sind Strafverfahren eröffnet worden, meistens kommt es zu einem Ordnungswidrigkeitsverfahren, das mit einer Geldbuße endet. Dies führt keineswegs dazu, den illegalen Gasverbrauch zu mindern, denn für den Schuldigen lohnt es sich eher, die Geldbuße als das real verbrauchte Gas zu bezahlen“, berichtet der Pressedienst der Gazprom Meshregiongas.

Die Unternehmensvertretung in Orenburg bestätigt folgende Statistik: Im Zeitraum von Januar bis September 2015 hat das Gasunternehmen insgesamt 134 Anzeigen bei der Polizei gegen illegale Leitungsverleger erstattet. 121 Personen sollten ordnungsrechtlich und nur 13 strafrechtlich belangt werden. Nur eine Person konnte unmittelbar zur Verantwortung gezogen werden, und auch die kam mit einer Bewährungsstrafe von 10 Monaten davon.

„Wir brauchen keinen weiteren Verwaltungs-Trichter, der alles verschlingt, sondern einen freien Markt“

Im Strafgesetzbuch existiert gar kein Artikel über das Anzapfen von Leitungen, daher wird in allen Fällen, in denen ein großer Schaden entstanden ist, Artikel 158 (Diebstahl) angewendet. Ein entsprechender Artikel ist ebenfalls im Verwaltungsgesetzbuch zu finden, die Geldbuße beträgt 10.000 bis 15.000 Rubel [circa 130 bis circa 200 Euro], und das unter Berücksichtigung der Erhöhung seit diesem Jahr (früher betrug sie 3.000 bis 4.000 Rubel [circa 40 bis 50 Euro].

„Angesichts dieser Probleme bestehen wir darauf, dass die Rechtschutzorgane verstärkt Rechtsverletzungen in der Gasversorgung aufdecken“, fordert man bei Gazprom Meshregiongas.

„Wir brauchen keinen weiteren Verwaltungs- und Kommandotrichter, von dem wir immer weiter eingesogen werden, sondern einen freien Markt, einen selbstregulierenden Mechanismus mit Feedbackfunktion, damit es dem Erzeuger zu Ohren kommt, wenn der Verbraucher nicht mehr in der Lage ist zu zahlen und es zum Diebstahl kommt. Wir rollen immer weiter in Richtung Sozialismus, wo alles allen gehört und somit keinem“, findet Sergej Belolipezki.

Solange es weder einen normalen Markt noch Kontrolle gibt, kann man alles Mögliche verschärfen und verbieten. In den sozialen Medien hat neulich eine Erklärung der russischen Behörde für Veterinärwesen und Pflanzenschutz Rosselchoznadzor für Begeisterung gesorgt: Das Sammeln von Trockenholz sowie durch Wind und Sturm abgefallene Äste werde als Diebstahl geahndet. Schon klar, es muss erst saftige Haftstrafen für das Einsammeln von Reisig setzen, bevor die Leute auf solche Verbote hören.

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Samogon

Als Samogon bezeichnet man einen in häuslicher Eigenproduktion und für den Eigenbedarf hergestellten Schnaps. Grundlage bildet eine Maische, die in der Regel aus Kartoffeln, Früchten, Zucker oder Getreideprodukten besteht und in selbstgebauten Anlagen destilliert wird. Vor allem in den Übergangsphasen vom Zarenreich zur Sowjetunion und später während der Perestroika war der Samogon, der inzwischen fest zur russischen Alltagskultur zählt, weit verbreitet.

Herstellung von Samogon. Foto © Yuriy75 unter CC BY-SA 3.0Der Begriff Samogon für eine unter häuslichen Bedingungen und für den eigenen Bedarf hergestellten Spirituose entstand Anfang des 20. Jahrhunderts. Ursächlich für die weite Verbreitung der Schwarzbrennerei war das sogenannte suchoi sakon (wörtlich: trockenes Gesetz): Kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs erließ Zar Nikolaus II. 1914 einen Ukas, der die Herstellung und den Verkauf aller Sorten alkoholischer Produkte im Zarenreich verbot. In der Folge begannen immer mehr Menschen, selbst Schnaps zu brennen - auf Russisch sam gonju, woher sich auch der Begriff Samogon ableitet.

Die Bolschewiki schafften das suchoi sakon zunächst nicht ab. Als die Schwarzbrennerei jedoch immer größeren Umfang annahm, sahen sie sich 1923 letztlich doch gezwungen, die gewerbliche Produktion und den offiziellen Verkauf von Alkohol wieder zu gestatten. Gleichzeitig wurde dafür ein striktes Verbot zur Herstellung von Samogon eingeführt, das bis zum Ende der Sowjetunion Bestand hatte. Es konnte allerdings nicht konsequent durchgesetzt werden: So führte zum Beispiel die bekannte Anti-Alkoholkampagne unter Michail Gorbatschow von 1985 bis 1991 zum erneuten Aufblühen der Schwarzbrennerei, wobei der auf dem Schwarzmarkt erhältliche Samogon von minderer Qualität war und oft Gesundheitsprobleme hervorrief.

Bis heute bleibt die heimische Eigenherstellung von Samogon eine weitverbreitete Praxis. In der gegenwärtigen Gesetzgebung der Russischen Föderation gibt es kein Verbot der Herstellung von Samogon, wenn auch entsprechende Intitiativen mehrmals in der Duma vorgeschlagen wurden, zuletzt Anfang Juli 2015.1


1.Lenta.ru: „Wodka pachnet ukolom w sadnizu“. Potschemu w Rossii ne stoit sapreschtschat proiswodstwo samogona
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Ein kurzer Augenblick von Normalität und kindlicher Leichtigkeit im Alltag eines ukrainischen Soldaten nahe der Front im Gebiet , © Mykhaylo Palinchak (All rights reserved)