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Das bis heute populärste sowjetische Kriegsplakat zeigt die entschlossen blickende Mutter Heimat im roten Gewand, die nach dem deutschen Überfall die Söhne des Landes an die Front ruft. In der rechten Hand hält sie den Text des Kriegseides, die linke Hand ist auffordernd erhoben. Hinter ihrem Rücken sieht man einen Wald aus Gewehren mit Bajonetten. Die Verteidigung der Heimat ist damit als Männersache definiert. Entsprechend häufig stellt die Bildpropaganda der Kriegsjahre Frauen (und Kinder) als verletzliche Opfer der deutschen Aggression dar und fordert Frauen auf, die eingezogenen Männer als Arbeitskräfte in Industrie und Landwirtschaft zu ersetzen. Gelegentlich würdigt die politische Ikonographie auch Frauen der Roten Armee bzw. Partisaninnen.1 In der am heroischen Großen orientierten Erinnerungskultur des Krieges finden Frauen aber nur geringen Raum.
In allen beteiligten Staaten führte der Krieg zu dramatischen Veränderungen im Leben der Bevölkerung. Allerdings reichten seine Auswirkungen in der Sowjetunion, die das Kriegsgeschehen jahrelang auf eigenem Territorium erdulden musste, weiter und tiefer als irgendwo sonst. Hier bekam auch die weibliche Bevölkerungsmehrheit die Anforderungen und Folgen des Krieges stark und unmittelbar zu spüren. Zum einen als Kriegsopfer, die mit dem Verlust von Angehörigen zurechtkommen mussten. Zum anderen als Kriegsmobilisierte für Industrie und Landwirtschaft oder als Angehörige der Roten Armee. Die populäre Propagandaformel „Männer an die Front – Frauen an die Heimatfront“ bildete die Realität nicht ganz zutreffend ab. Traditionelle Geschlechterrollen verschwammen während des Krieges durchaus.
Der Frauenanteil an der Erwerbsbevölkerung war im Zuge der Stalinschen Industrialisierungspolitik rasant angestiegen und machte 1940 bereits knapp 40 Prozent aus.2 Der Krieg führte dann zu einer weiteren deutlichen Steigerung: Im Jahr 1945 waren über die Hälfte aller Beschäftigten Frauen.3 Darin spiegelte sich nicht nur die Wirksamkeit staatlicher Propaganda. Vielmehr wurden mit den staatlichen Erlassen zur allgemeinen Arbeitspflicht von Februar/September 1942 alle Frauen im Alter von 16 bis 45 (Februar 1942) und schließlich von 14 bis 50 Jahren (September 1942) zur Arbeit in der Kriegswirtschaft mobilisiert.4
In der Tat „ersetzten“ Frauen die einberufenen Männer sowohl in der Industrie als auch, und vor allem, in der Landwirtschaft. Hier (etwa im Bergbau) wie dort bedeutete das: Schwerstarbeit ohne Rücksicht auf eigentlich geltende Arbeitsschutzgesetze. Landmaschinen und Zugtiere waren sofort zu Kriegsbeginn für den Armeebedarf konfisziert worden,5 so dass sich Frauen auf vielen Dörfern selbst vor den Pflug spannen mussten, um die Frühjahrsaussaat vorzubereiten.
In der Industrie wurde der Arbeitstag spürbar verlängert, eine Urlaubssperre verhängt und die Arbeitsgesetzgebung mehrfach verschärft: Bereits geringfügige Regelverletzungen (Verspätungen, unerlaubte Abwesenheit vom Arbeitsplatz) konnten harsche Strafen (mehrere Jahre Straflager) nach sich ziehen.
Eine Wehrpflicht für Frauen bestand nicht, aber laut Wehrgesetz vom 1. September 1939 konnten Frauen mit medizinischer oder technischer Ausbildung im Kriegsfall sofort einberufen werden. Und das geschah auch. Aber erst nach den dramatischen Anfangsniederlagen und Millionenverlusten griff der Staat ab 1942 zum Instrument der Massenmobilisierung von Frauen in die Rote Armee, überwiegend für nichtkombattante Aufgaben. Im Gegenzug sollten möglichst viele Männer in den unmittelbaren Kampfeinsatz vorrücken. Zwar wurde die Zielvorgabe von 700.000 „Freiwilligen“ deutlich unterschritten, aber über mehrere große (damals geheim gehaltene) Mobilisierungskampagnen in den Jahren 1942–43 gelangten Hunderttausende junge Mädchen und Frauen in die sowjetischen Streitkräfte. Die meisten Soldatinnen arbeiteten im Sanitätswesen oder im technischen Bereich, viele gehörten als Köchinnen und Wäscherinnen zu den rückwärtigen Diensten. Aber einige Zehntausend übten auch kombattante Funktionen aus.6
Neuere Schätzungen sprechen von rund 1 Million Frauen, die in Uniform am Krieg teilgenommen haben sollen, was einem durchschnittlichen Armeeanteil von ca. 3 Prozent entspricht.7 Es war ein sowjetisches Spezifikum, dass sich eine Minderheit aller Soldatinnen sogar bewaffnet am Kriegsgeschehen beteiligte: als Kampfpilotinnen, Scharfschützinnen („Flintenweiber“), Panzerfahrerinnen sowie bei der Infanterie. Sie kämpften in gemischten Einheiten und auch in reinen Frauenstaffeln, vor allem bei der Luftwaffe.
Überhaupt war die Grenze zwischen dem angeblich traditionell weiblich-unterstützenden Sanitätsdienst, manch anderen Hilfsdiensten und kämpfender Truppe im sowjetischen Kriegsalltag nicht starr, sondern fließend. Selbst Krankenschwestern verrichteten ihre Arbeit nicht in einem geschützten Bereich und in adrett-weiblicher Kleidung, sondern mussten, selbst bewaffnet, die Verwundeten (samt Waffe) direkt vom Schlachtfeld bergen und im Kampfgetümmel notdürftig versorgen. Sie arbeiteten also unmittelbar an der Front und bezahlten diesen gefährlichen Einsatz oft selbst mit dem Leben.8 Schwerstarbeit und Lebensgefahr kennzeichneten also selbst „zivil“ anmutende Bereiche wie das Sanitätswesen oder die Fliegerei – die Kriegspropaganda hat diesen bitteren Alltag jedoch verharmlost und die Tätigkeit von Frauen an der Front entsprechend traditioneller Vorstellungen von Geschlechterrollen in Szene gesetzt.9
Eine Frauenfigur erscheint Jahre später auch in den 85 bzw. 62 Meter hohen Kolossalstatuen der Mutter Heimat mit erhobenem Schwert, die im Zuge der offiziellen Erinnerung an den Großen Vaterländischen Krieg 1967 auf dem Mamajew-Kurgan im ehemaligen Stalingrad und 1981 im Zentrum des Kiewer Gedenkkomplexes errichtet wurden. Bei diesen Frauenfiguren handelt es sich um symbolisch-allegorische Darstellungen der wehrhaften und schließlich siegreichen Heimat, die die Befreiung bewirkt hat. Über die tatsächlichen Rollen von Frauen im Krieg sagen sie nichts.
Das Medium Film ist schon früh weiter gegangen als die Historiographie oder die offizielle Erinnerungskultur. So rückten die Partisanenfilme aus den Jahren 1943 und 1944 (Raduga; Ona zaschtschischtschajet rodinu) kämpfende Frauen in den Mittelpunkt. Die Filmheldinnen wurden im Kampf gegen die Nationalsozialisten von diesen gefoltert und getötet und damit zu Märtyrerinnen der gerechten Sache, der sie dienten.
Im Film Soja (1944) handelte es sich um die Partisanin Soja Kosmodemjanskaja. Um sie entstand in den Kriegs- und Nachkriegsjahren ein regelrechter Kult, der sie quasi als sowjetische Jeanne d’Arc verherrlichte.10 Sie zog vor allem deshalb so viel Mitgefühl auf sich, weil sie als junges Mädchen für die von ihr verübten Sabotageakte gefoltert und gehängt wurde und die Deutschen ihren Körper noch tagelang zur Abschreckung am Galgen hängen ließen. So lang und aufwändig wie das Gedenken an die Komsomolzin-Partisanin Soja in der Sowjetunion inszeniert und gepflegt wurde, so schnell und heftig kam es nach deren Ende zu Bestrebungen, den Soja-Mythos zu dekonstruieren und als Legende zu entlarven.11
Die 1972 gedrehte Verfilmung der Erzählung von Boris Wassiljew A sori sdes tichije (Im Morgengrauen ist es noch still, Regie: Stanislaw Rostozki) behandelt ernsthaft und mit großer Empathie das Thema des Einsatzes der Frauen im Krieg. Das Grauen des Krieges trifft die Frauenstaffel sehr schnell und unvorbereitet. Fünf Mitglieder des Spähtrupps kommen beim Einsatz ums Leben. Schon zu Zeiten seiner Entstehung erfreute sich der Film großer Beliebtheit beim Publikum. Bis heute hat sich daran nichts geändert und er wird jedes Jahr wieder anlässlich des Siegestages am 9. Mai im russischen Fernsehen gezeigt, 2015 entstand sogar ein Remake.
In der am heroischen Großen orientierte Erinnerungskultur hat jedoch das unbekannte weibliche Opfer nur sehr wenig Platz. Die ausführlichen Interviews, die die belarussische Schriftstellerin und spätere Nobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch in den 1980er Jahren mit Hunderten von Kriegsteilnehmerinnen führte, machten deren oft haarsträubende Erfahrungen erstmals einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich.12 Diese hatten mit den Erwartungen und Hoffnungen, die die jungen Frauen einst an die Front getrieben hatten, nur wenig gemein. Abenteuerlust, Emanzipationsbegehren, Heldentum, die Lust, mit den Männern gleichzuziehen, hatten am Anfang gestanden. Übrig blieben unendliche Müdigkeit und vielleicht noch Erleichterung darüber, wenigstens am Leben geblieben zu sein. Es gab den Stolz auf die eigene Leistung, aber auch das Wissen um die Strapazen, den Hunger, den Ekel, die Angst, das Sterben und die Unerträglichkeit des Tötens.
Während das Kriegserleben männlicher Frontkämpfer im Kontext des pompösen öffentlichen Kriegskultes umgedeutet und geglättet wurde, folgten die ehemaligen Soldatinnen nicht den üblichen heroischen Floskeln und patriotischen Stereotypen der in Massenauflage verbreiteten Kriegsbücher und -romane. So entstanden erschütternde Berichte – „vielstimmige Gegengeschichten“ – über Einsätze bis zur völligen Erschöpfung, das Gefühlschaos nach dem ersten tödlichen Schuss, schwerste Verwundungen, Verstümmelungen und psychische Störungen als Kriegsfolge.
Nach Kriegsende wurden die Frauen nicht nur schnell aus der Armee entlassen und mussten jede Aussicht auf eine militärische Laufbahn aufgeben, sondern der Staat betrog sie geradezu um ihren gerechten Anteil am Sieg, ja nahm sie nicht einmal vor pauschalen Verleumdungen in Schutz. Jedenfalls fanden weibliche Armeeangehörige keinen angemessenen Platz im sowjetischen Gedächtnis an den Großen Vaterländischen Krieg, der fortan als männliche Leistung konstruiert wurde.13 Sie nahmen nicht einmal an der großen Siegesparade vom 24. Juni 1945 auf dem Roten Platz teil. Dies unterstreicht, dass die Rekrutierung von Frauen für den Kriegsdienst nicht Ausdruck einer konsequenten Fortführung des Emanzipationsgedankens war, sondern in erster Linie der Abwehr einer existenziellen Niederlage dienen sollte. Daher brachte die Mitwirkung am Sieg den Soldatinnen auch keinen greifbaren gesellschaftlichen Gewinn. Im Gegenteil: Zur gesellschaftlichen Ablehnung der Frontkämpferinnen trug wesentlich das spießig-konservative Frauenbild bei, das die staatliche Propaganda beherrschte.
Jetzt stellte der Staat wieder ganz traditionelle Anforderungen an die Frauen: liebevolle Unterstützung der (versehrten) Kriegsheimkehrer bei deren Rückkehr ins zivile Leben und den Ausgleich der immensen Kriegsverluste durch vielfache Mutterschaft. Selbst unverheiratete Frauen sollten Kinder gebären, deren Väter anonym bleiben durften, während der Staat sich eher knauserig an den Kosten beteiligte.14 Für viele Frauen bedeutete das Kriegsende deshalb keineswegs den Beginn der langersehnten „Normalität“ mit Ruhepausen und einem verbesserten Angebot an Konsumgütern, sondern einen erneuten Kampf ums Überleben unter armseligen Wohn- und Lebensverhältnissen. Zwar glorifizierte die Propaganda den Ruhm der Mutterschaft,15 doch in der Realität ließen Väterchen Stalin und „Vater Staat“, aber auch viele leibliche Väter, die Frauen und Mütter oft im Stich.