Putin-Memes erobern das RUnet: Eine kleine Geschichte in Text und Bild von den Anfängen bis heute.
Putin in seinen ersten Amtszeiten – das war ein Leader, der als Action Man westliche Politikexperten, ja, die ganze Welt faszinierte. Er machte sich Himmel und Meerestiefen untertan, zähmte wilde Tiere und besiegte seine Gegner in sportlichen Wettkämpfen. Er flog mit Kranichen, tauchte nach antiken Amphoren, wagte sich in den Käfig des Tigers. Obwohl diese Abenteuer zu dick aufgetragen, allzu extravagant waren und eindeutig nach PR-Aktionen rochen, enthielten die Memes damals – bei allem Sarkasmus der Internet-User ihrem Helden gegenüber – einen Hauch von Begeisterung für den jungen, sportlichen Politiker.
Memes sind immer ein Produkt der Lachkultur und bedeuten im Normalfall Angriff und nicht Verteidigung, doch in diesem Fall hat das Land, das die Nase voll hatte von der Altersschwäche seiner Vorgänger, Putin angesichts seiner äußerlichen Härte scheinbar das eine oder andere No-Go verziehen.
Viele Fotos, die in Medien und Massenkultur populär wurden (etwa Putin mit nacktem Oberkörper auf dem Pferd, Putin am Steuer eines Kampfjets und so weiter) dienten als Schablonen für visuelle Memes – da saß Putin nicht mehr auf einem Pferd, sondern auf einem Bären, führte statt der Kraniche die Stinte zu den Laichplätzen oder verkörperte in mysteriösen dunklen Brillen die Rolle des Agenten 007.
Diese Memes ironisierten nicht nur die verbissene Konstruktion eines positiven Images des Politikers in der offiziellen Propaganda, sondern trugen mit dokumentarischem Bildmaterial sogar noch zusätzlich zum Vorankommen des nationalen Leaders bei – als willensstarker Mensch, der nur so strotzt vor Männlichkeit. Gleichzeitig konnte ihm das Land etliche verbale Ausrutscher, die Putins erbarmungslosen Charakter zum Vorschein brachten, nicht nachsehen. So gelangte die kurze und zynische Antwort des Präsidenten auf die Frage eines Journalisten, was mit dem U-Boot Kursk passiert sei („Es ist untergegangen“) zu trauriger Berühmtheit und wurde lange zu aggressiven verbalen Memes verarbeitet, die den Politiker charakterisierten und die Haltung der Internet-User ihm gegenüber zum Ausdruck brachten.
Mit der Zeit nahm das Putin-Bild in den Memes andere Züge an. Besonders deutlich wurde das in den vergangenen Jahren. Etwa 2017/2018 speiste sich die Aufmerksamkeit der RUnet-User für Putin nicht nur aus seiner täglichen Arbeit als Staatsoberhaupt, sondern auch aus seiner abermaligen Kandidatur bei der Präsidentschaftswahl. Das russische Publikum reagierte auf alle Etappen von Putins Wahlkampf mit Memes, aber besonders aktiv in Bezug auf zwei Themenkreise: die Alternativlosigkeit des Politikers im Präsidentenamt und seine Unabsetzbarkeit.
„Sie dürfen nicht für sich selbst stimmen“ – „Ach komm schon“
„Eine Person darf das Präsidentenamt nicht länger als zwei Amtsperioden in Folge innehaben“ – „Ach komm schon“
„Der Präsident ist der Garant der Verfassung“ – „Ach komm schon“
„Man sagt, dass Medwedew eine Datscha hat, die 30 Milliarden Rubel kostet“ – „Ach komm schon“
Die offensichtliche Verärgerung der Internet-User über den ersten Themenkreis der politischen Wirklichkeit Russlands entlud sich zum Beispiel in Form der aktiven Produktion von Memes über den Stimmzettel, den die Zentrale Wahlkomission im Februar 2018 vorlegte. Das Besondere daran war, dass im Unterschied zu den anderen Kandidaten neben dem Namen des amtierenden Präsidenten keine näheren Informationen standen (Arbeitsplatz, Biografie etc.), sondern nur ein paar äußerst lakonische Sätze. „Harte Jungs brauchen nicht viele Worte“, „Zar, einfach Zar“, „Siehst du Idiot nicht, bei wem du dein Kreuz machen sollst?“, so reagierten User sozialer Netzwerke.
Den zweiten Themenkreis betreffend (die Unabsetzbarkeit des Staatsoberhaupts, die viele zermürbte) wurde ein Bild mit dem Slogan verbreitet: „Wer die Inauguration von Wladimir Putin als Präsident Russlands verpasst hat – macht euch nichts draus, guckt einfach die nächste“ (9. Mai 2018).
Ein anderes Beispiel ist ein Demotivator von Ende März 2018, basierend auf einem berühmten Bild aus dem Film Hundeherz (eine beliebte Grundlage für Memes), wo Professor Preobrashenski in komischer Verzweiflung die Stirn in die Hand stützt und Scharikow zu ihm sagt: „Gut, dass Putin wieder gewonnen hat. [sic!] Der wird aufräumen, seit 18 Jahren Korruption und Saustall im Land …“
Und natürlich ist auch das Thema Zweifel an der Sauberkeit der Präsidentschaftswahl nicht vom Tisch – 3060 Likes erhielt gleich in der ersten Stunde nach Veröffentlichung (18.3.2018, Wahltag) auf Vkontakte ein scherzhaftes Tortendiagramm des Wahlergebnisses, das in zwei gleiche Hälften geteilt ist: Eine zeigt an, wie viele „Putin gewählt“ haben, die andere, wie viele „ohne es zu wissen Putin gewählt“ haben.
Putins Persönlichkeit erregt auch abseits von großen Ereignissen wie Präsidentschaftswahlen die Aufmerksamkeit des Internets; teils wachsen sich absolut alltägliche oder scheinbar zufällige Ereignisse seines politischen oder privaten Lebens zu Memes aus. So war Putin Held eines der berühmtesten Memes zur Fußballweltmeisterschaft 2018. Als es während der Siegerehrung in Moskau wie aus Eimern zu schütten begann, war der russische Präsident der Einzige, über den ein Schirm gespannt war (im Gegensatz zu den neben ihm stehenden Staatsoberhäuptern von Frankreich, Kroatien etc.). Virale Verbreitung fanden schon die Original-Fotos der Szene, danach wurden sie außerdem mit Photoshop zu neuen Memes verwertet; noch größerer Beliebtheit erfreuten sich dann verschiedene Messages rund um dieses Thema, die Putins mangelnde Höflichkeit beanstandeten.
Abgesehen von Ereignissen des politischen Lebens werden im RUnet auch die verbalen Äußerungen des Politikers Anlass zu Memes. Viel Netz-Verarsche zog zum Beispiel seine Behauptung nach sich, gewisse interessierte [ausländische] Dienste würden Biomaterial der Russen sammeln.
Ausgehend vom Geständnis des Präsidenten, er sei Leutnant der Artillerie (Januar 2019), entstand eine Vielzahl von Memes nach dem Muster der Fortsetzung des Satzes „Putin gestand, er sei ...“: „… ein Zauberer“, „… einer von den Jungs, die einfach das Leben lieben“, und sogar „… eine Meereskönigin“.
Na, und in den letzten Monaten haben natürlich die Verfassungsänderungen, die Nullsetzung der Amtszeiten und die Motive aus seinen Ansprachen an die Nation (zum Beispiel die „Petschenegen und Polowzer“, die als Memes buchstäblich die sozialen Netzwerke eroberten) eine Flut von enttäuschten und witzigen Posts ausgelöst (ein populärer Tweet lautet „Wegen der Quarantäne darf Putin sein Amt nicht verlassen“).
Wer ist das? Unser Zar. Bei ihnen ist Zarentum? Aber was für eins.
Das russische Publikum bildet die nichtigsten mit Putin zusammenhängenden Nachrichten, Verhaltensweisen, verbalen oder emotionalen Unachtsamkeiten in Form von visuellen und textuellen Memes (meist mit sarkastischem Unterton) nach. Das zeugt einerseits immer noch von großem Interesse für diese Figur im Netz, andererseits ist das nicht das beste Zeichen für den Präsidenten: Mangels bedeutender und ernsthafter Entscheidungen, die die Nation erwartet, triggern lokale Kinkerlitzchen die Meme-Kreativität, die ein Bild herabwürdigen, das ohnehin schon einen guten Teil seines Charismas eingebüßt hat.
Übrigens warnen Politikpsychologen schon lange, dass Putins Attraktivität für die Wähler immer mehr von der Lage im Land abhängt und immer weniger von seiner Fähigkeit, Eindruck beim Publikum zu schinden. Deutlich ernster sehen heutzutage allmählich Memes mit dem Staatspräsidenten aus, wenn sie nicht einfach von Putin als Politiker handeln, sondern von Putin als Verkörperung der russischen Staatsmacht. Das ist nicht mehr nur Ironie über unvorsichtige Äußerungen oder spontane Handlungen. Sehr viel dazu, wie die Internet-User den Präsidenten sehen, sagt ein beliebtes Meme im Stil eines sowjetischen Plakats: Putin, wie er mit ausgestreckter Hand ein dickes Buch Menschenrechte in Russland von sich weist mit den Worten „Wozu diese Formalitäten?“.
Man kann sagen, dass Memes die Situation spiegeln, die heute in „großen“, ernsthaften Analysen untersucht wird, die sowohl Putins Rhetorik als auch seine PR-Aktionen kritisiert. Wenn man uns schon so lange seine Alternativlosigkeit für Russland eingetrichtert hat, dann ist er heute auch für alles verantwortlich, nicht nur für Erfolge, auch für Rückschläge. Besondere Erfolge sind im Land derzeit nicht zu sehen (Coronavirus, Wertverlust des Rubels, wachsende Arbeitslosigkeit und so weiter), und die Memosphäre des RUnets zeigt das an wie ein Lackmus-Teststreifen.
Vor ein paar Jahren fand in Moskau anlässlich von Putins Geburtstag die kurze, aber durchaus Wellen schlagende Ausstellung Putin – ein Mem statt. Ohne ihre Namen zu nennen, zitierte das Portal RIA Nowosti die Organisatoren so: „Putin ist längst über den Status des Präsidenten hinausgewachsen und wurde zu einem international bekannten Meme – einer beliebten Figur für Titelbilder, Demotivatoren, Fotomontagen und Videos. Der Wiedererkennungswert von Russlands Leader steht dem von Superman in nichts nach“. RIA Nowosti fügte hinzu, die Ausstellung solle eine Art Brücke zwischen den Generationen schlagen.
Um eine fachkundige Wirtschaftspolitik auf die Beine zu stellen, braucht man unbedingt einen Kopf
Unserer Ansicht nach sind solche Aktionen der indirekte Beweis dafür, dass der Einfluss des Memes auf das breite Publikum bereits nicht nur von Theoretikern anerkannt wird, sondern auch von Praktikern der politischen Kommunikation. Wollte man jedoch eine derartige Geburtstags-Ausstellung in der heutigen Zeit machen, dann wäre frischer Content, der ein attraktives politisches Heldenbild schafft, gar nicht mehr leicht zu finden.