Alla Pugatschowa positioniert sich gegen den Krieg – Reaktionen
Written on 19.09.2022
Mit nur einem Post auf Instagram löste sie ein kleines Erdbeben aus: Alla Pugatschowa, die Grande Dame der sowjetisch-russischen Popmusik, verurteilt darin erstmals öffentlich den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine und bittet das Justizministerium, sie in die Liste der sogenannten „ausländischen Agenten“ aufzunehmen – aus Solidarität mit ihrem Ehemann, dem berühmten Comedian Maxim Galkin, der seit Freitag in dem Register geführt wird. Galkin hatte sich schon früher gegen den Krieg geäußert und daraufhin seine Sendung im staatlichen Ersten Kanal verloren. Nun beschuldigt ihn das Justizministerium, angeblich von der Ukraine finanziert zu werden.
„Er ist ein ehrlicher, ordentlicher und aufrichtiger Mensch, ein wahrer und unbestechlicher Patriot Russlands, der seiner Heimat ein Aufblühen und ein friedliches Leben wünscht, Meinungsfreiheit und ein Ende des Sterbens unserer Jungs für illusorische Ziele, die unser Land zu einem Geächteten machen und das Leben der Bürger erschweren“, schreibt Pugatschowa über ihren Mann. Der Post wurde hunderttausendfach gelikt und geteilt.
In russischen Staatsmedien wurde meist nur der vordere Teil zitiert – und die Distanzierung vom Krieg ignoriert. In den Sozialen Medien und unter den Kommentatoren unabhängiger Medien erhielt Pugatschowa dagegen viel Beifall mit ihrer öffentlichen Positionierung. dekoder zeigt ausgewählte Reaktionen.
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Kirill Martynow: „Der Selensky für das patriarchale Russland“
Pugatschowa wird in breiten Teilen der Gesellschaft geschätzt – für Kirill Martynow, Chefredakteur der Novaya Gazeta Europe, wäre sie daher eine geeignete Kandidatin für die nächste Präsidentschaftswahl:
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Die Präsidentschaftskampagne „Pugatschowa 2024” mit dem Symbol der roten Rose und dem Slogan „Eine Million rote Rosen für den Frieden” ist so einfach, dass Sie sich nichts anderes mehr ausdenken müssen. Alla Borissowna, Sie sind der Selensky für das patriarchale Russland.
Президентская кампания Пугачевой-2024 с символикой алой розы и слоганом "миллион алых роз за мир" это так просто, что даже придумывать ничего не нужно. Алла Борисовна, вы Зеленский патриархальной России.
The New Times: Putin ist eine unbedeutende politische Figur aus der Ära von Alla Pugatschowa
Alla Pugatschowa ist unbezweifelt eine Autorität von epochaler Bedeutsamkeit. Dazu gibt es sogar einen Witz aus Sowjetzeiten, an den Andrej Kolesnikow in seiner Kolumne für The New Times erinnert:
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Einer der bekanntesten Witze aus der Zeit der Stagnation: „Frage: Wer ist Leonid Iljitsch Breshnew?“ Antwort: „Eine unbedeutende politische Figur aus der Ära von Alla Borissowna Pugatschowa.“ Alla Borissowna hat als Frau der Epoche sowohl Breshnew als auch Andropow, als auch Tschernenko überlebt. [...] Und nun gibt es einen Neuzugang in der Truppe der unbedeutenden politischen Figuren aus der Ära von Alla Borissowna Pugatschowa – diesen hohen Status hat sich Wladimir Wladimirowitsch Putin verdient.
Один из самых известных анекдотов времен застоя: «Вопрос: Кто такой Леонид Ильич Брежнев. Ответ: Мелкий политический деятель эпохи Аллы Борисовны Пугачевой». Алла Борисовна в статусе женщины-эпохи пережила и Брежнева, и Андропова, и Черненко, [...] И вот отряду мелких политических деятелей эпохи А.Б. Пугачевой прибыло — этого высокого статуса удостоился Путин В.В.
Sergej Medwedew: Warum kann sie nicht die Ukraine nennen?
Bei aller Zustimmung ist der Politologe Sergej Medwedew über den Wortlaut gestolpert – und glaubt, dass sich Pugatschowa hätte noch mehr erlauben können:
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Wie alle freue ich mich über die Geste der Primadonna, doch wundere ich mich über ihre Motivation. Besteht das Problem etwa im „Tod unserer Jungs” und in der „Erschwerung des Lebens der russischen Bürger”? Sie kann sich ja alles Mögliche erlauben, auch den Gebrauch der Wörter „Krieg” und „Ukraine”. Tja, wahrscheinlich reicht das für das Publikum. Politisch ist das eine wichtige Äußerung, staatsbürgerlich eine wahrhafte Tat, und menschlich bin ich nicht ihr Richter und Redakteur, es stieß mir bloß auf.
Я, как и все, рад жесту примадонны, но ее мотивация меня удивляет. Разве проблема в "гибели наших ребят" и в "утяжелении жизни российских граждан"? Уж она-то может позволить себе, что угодно, включая слова "война" и "Украина". Впрочем, наверное, для аудитории хватит и этого. Политически это важное высказывание, граждански это поступок, а человечески я ей не судья и не редактор, просто резануло слух.
Alla Pugatschowa mit ihrem Song Primadonna im Finale des Eurovision-Songcontest 1997
Ekaterina Schulmann: Wer nicht alles für die Ukraine arbeitet …
Die nach Deutschland emigrierte Politologin Ekaterina Schulmann witzelt auf Telegram über den Vorwurf des Justizministeriums, dass Pugatschowas Mann Galkin und andere „ausländische Agenten“ angeblich von der Ukraine finanziert werden:
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Wo hat die Ukraine denn das Geld her, um all diese Einzelpersonen zu finanzieren, die zu ausländischen Agenten erklärt wurden? Das ist ja kein Land, das ist ein Eldorado. Gordejewa arbeitet für sie, Galkin, Morgenshtern, Chodorkowski, Tschitschwarkin, Makarewitsch, Simin und sogar Belonika – die alle werden von der Ukraine bezahlt. Und das auch noch in Kriegszeiten, wo es ja noch so viele andere Ausgaben gibt. Wäre jetzt Frieden, dann könnte die Ukraine da wohl den ganzen Kreml aufkaufen.
Слушайте, а откуда у Украины денег столько на финансирование всех этих физлиц-иностранных агентов? Не страна, а какое-то Эльдорадо. И Гордеева на них работает, и Галкин, и Моргенштерн, и Ходорковского с Чичваркиным, и Макаревича, и Зимина и целую Белонику - всех Украина содержит. И это в военное-то время, когда других расходов полно. В мирное, наверное, вообще Кремль целиком скупит.
Alexander Baunow: „Heimat sind nicht die Mitglieder des Politbüros“
„Heimat ist nicht der Arsch des Präsidenten, den man ständig bespeicheln und küssen muss“, rief Rocklegende Juri Schewtschuk bei einem Konzert im Mai. Alexander Baunow, ehemals Chefredakteur von Carnegie.ru, beschreibt auf seiner Facebook-Seite, was für ihn Heimat bedeutet:
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In den 1980er Jahren stellte ich mir nicht die Frage, was Heimat war: Pugatschowa, Grebenschtschikow, Makarewitsch, Zoi oder die Mitglieder des Politbüros? Warum sollte es jetzt eine Frage sein? Verwundert sehe ich, wie bei einigen, darunter ganz jungen Menschen, diese Frage aufkommt. Quält euch nicht, die Antwort ist längst da, obwohl man sie natürlich noch einmal geben kann, wenn man sich nicht das Vergnügen nehmen lassen will, die Frage selbst zu beantworten. Die Heimat sind nicht die Mitglieder des Politbüros.
В 80-е у меня же не было вопроса родина - это Пугачева, Гребенщиков, Макаревич, Цой, или это члены политбюро? А сейчас почему он должен быть? С удивлением вижу, как у некоторых, в том числе младше годом рождения, этот вопрос возникает. Не надо мучиться, ответ давно дан, хотя можно дать его еще раз, не отказывая себе в удовольствии отвечать на этот вопрос самостоятельно. Родина это не члены политбюро.
Mit einfachen Worten und einer Entschuldigung gegenüber der Ukraine sorgte Oleg Anissimow, ein russischer Delegierter der UN-Klimakonferenz, für Aufsehen – weil ein westlicher Journalist Anissimows Worte aus einem geschlossenen Online-Meeting öffentlich machte. Mit Meduza spricht er über die Geschichte hinter der Nachricht, Schuld, Angst und Verantwortung.
Die ukrainische Armee verbucht wichtige militärische Erfolge. Der Druck auf den Kreml steigt. Der russische Journalist Andrej Loschak erklärt, warum er sich eine Niederlage für seine Heimat und die russische Armee wünscht.
Gesellschaft – by Andrej Loschak , Anna Filimonowa
Wer in Russland den Krieg gegen die Ukraine ablehnt, stößt selbst auf Ablehnung – sogar in der eigenen Familie. Sobald es um den brutalen Überfall auf das Nachbarland geht, verstehen sich engste Verwandte nicht mehr. Der bekannte russische Journalist Andrej Loschak hat eine Doku dazu gedreht und mit Holod über den Film (hier auch mit englischen Untertiteln verlinkt!) gesprochen.
Rock war in der Sowjetunion verfemt. Olga Caspers erzählt, wie die „ideologisch untragbare“ Musik den Lebensstil der Gegenkultur in die Massenkultur transportierte – und damit zu einem Motor der Perestroika wurde.
Warum Putin den Krieg als Selbstverteidigung sieht, die „Russische Welt“ eine leere Idee ist und wie es nun mit der Ukraine weitergeht: Der Soziologie Grigori Judin im Interview mit Katerina Gordejewa – Teil 2.
Am 15. August vor 32 Jahren kam Viktor Zoi bei einem Autounfall ums Leben. Schon damals war er ein Idol der sowjetischen Jugend in der Zeit der großen Veränderungen. Der Erinnerungskult um ihn hält aber bis heute an. Seine Lieder, in denen er die Wende in der Sowjetunion anstrebte, sind noch immer Hymnen der Veränderungen in vielen postsowjetischen Ländern, nicht zuletzt in Belarus 2020. Ingo Grabowsky über den mythenumwobenen Rockstar, den sein Tod gleichsam unsterblich machte.
„In der Enzyklopädie des dritten Jahrtausends wird zu lesen sein: Breshnew, Leonid – unwichtiger Politiker der Epoche von Alla Pugatschowa.“1 Treffend bringt dieser russische Witz die Bedeutung der Sängerin für den sowjetischen Schlager auf den Punkt. Unbestritten ist Alla Pugatschowa bis heute der größte Star der russischen Popmusik. Die New York Times nannte die Sängerin einmal „the Goddess of Russian Pop“.2 In der ehemaligen Sowjetunion ist die heutige Patronin der Estrada eine Symbolfigur der 1970er und frühen 1980er Jahre. Pugatschowa verkörpert hier den Typus der neuen sowjetischen Frau, die nach Freiheit, Eigenständigkeit und Glück strebt.
Ihre seit 1976 veröffentlichten Solo-Alben sollen sich über 250 Millionen Mal verkauft haben – damit spielt die sowjetische Sängerin in einer Liga mit der US-Amerikanerin Madonna. In einer Umfrage der Zeitung Kommersant nach den beliebtesten Russen landete sie 2006 auf dem zweiten Platz hinter Präsident Putin. Dem deutschen Musikfreund ist Alla Pugatschowa vermutlich in erster Linie ein Begriff, weil sie während der Perestroika gemeinsam mit Udo Lindenberg auftrat. Vielleicht ist auch ihre recht erfolglose Teilnahme am Eurovision Song Contest 1997 dem einen oder anderen in Erinnerung.
Eine Sängerin, die auf der Bühne weint
Alla Pugatschowa wurde am 15. April 1949 als Kind musikbegeisterter Eltern in Moskau geboren. Bereits ihre Anfänge machen deutlich, dass sie eine ungewöhnliche und keineswegs stromlinienförmige Künstlerin ist. Ihren ersten Auftritt als Sängerin hatte sie mit dem Lied Robot (dt. „Roboter“) in der Radiosendung Guten Morgen – zu diesem Zeitpunkt ging die Sechzehnjährige noch zur Schule. Bei den Hörern kam die Sängerin dem Vernehmen nach gut an. Weniger gut gefiel Pugatschowa den kommunistischen Funktionären: Eine Sängerin, die auf der Bühne weinte, entsprach keineswegs dem sowjetischen Ideal, das eine zurückhaltende, korrekte Haltung von Schlagersängern verlangte.
Für den Fernsehfilm Ironie des Schicksals von Eldar Rjasanow sang Alla Pugatschowa Lieder des Komponisten Mikael Tariwerdijew: Der Film wird bis heute jedes Jahr von Millionen Menschen vor allem zu Neujahr gesehen. Tatsächlich ist es seine musikalische Stimmung mit Vertonungen von Werken berühmter Dichter, die den Zuschauer in einen karnevalesken Illusionsraum versetzt, in dem das Werden der Liebe eines Moskauers zu einer Leningraderin erzählt wird. Zweifelsohne zählen die von Pugatschowa für Ironie des Schicksals gesungenen Lieder zum kulturellen Gedächtnis in den Nachfolgestaaten der UdSSR.
Pugatschowa füllte das Lied „Arlekino“ mit unterschiedlichsten Emotionen, mit Schmerz und Trauer, aber auch mit Spott und Ironie an
Von Estrada-Sängerin zu Primadonna
Den entscheidenden Schritt zum Ruhm tat sie mit einem Auftritt bei dem internationalen Wettbewerb Goldener Orpheus 1975, bei dem sie das von Pawel Slobodkin für sie arrangierte Lied Arlekino (dt. „Harlekin“) sang. Das Stück begann mit der Melodie eines alten Zirkusmarsches, Pugatschowa füllte es mit unterschiedlichsten Emotionen, mit Schmerz und Trauer, aber auch mit Spott und Ironie an. Gerade in dieser Zweideutigkeit wuchs ihre Interpretation über die Eindeutigkeit verlangende Welt des sowjetischen Schlagers hinaus. Publikum und Jury werteten Pugatschowas Darbietung als Sensation. Ihr Auftritt veränderte, wie eine sowjetische Zeitung vielleicht etwas übertrieben meinte, „die ungeschriebenen Regeln dessen, was man auf einer Bühne tun kann“. Eine sowjetische Autorin meint, sie habe die Rolle der Frau in der Gesellschaft neu besetzt: Während andere ihrer Funktion als „sowjetische Frau“ nachkamen, habe Pugatschowa einfach „gelebt“.3
Von einer „Pugatschowa-Explosion“ sprach bereits am 14. Juli 1975 eine sowjetische Zeitung.4 Die „maska“ des Clowns setzte sie erneut für das Festival in Sopot 1978 auf. Dort gewann sie mit Wsjo mogut Koroli (dt. „Könige vermögen alles“) den ersten Preis – ein Erfolg, der ihren Status als neuer sowjetischer Star bestätigte. Auch dieses Lied interpretierte sie mit der ihr eigenen Freiheitlichkeit.
In Sopot machte sich bereits der Einfluss des Filmregisseurs Alexander Stefanowitsch bemerkbar, den sie 1976 kennengelernt und noch im selben Jahr geheiratet hatte. Diese Zeit wird nicht zu Unrecht von der Kritik als ihr „Goldenes Zeitalter“ gewertet. Der medienerfahrene Stefanowitsch betätigte sich als Image-Maker für seine Frau. Er stellte angeblich fünf Regeln auf, um Pugatschowa von einer einfachen Estrada-Sängerin in eine „Primadonna“ zu verwandeln: „Beicht“-Charakter der Lieder, Bild der einsamen Frau, keine Nachahmung westlicher Künstler, theatralisierte Auftritte und Skandalhaftigkeit, eine Qualität, ohne die das Show-Business vermutlich nicht funktioniert.5
Dem deutschen Musikfreund ist Alla Pugatschowa vermutlich in erster Linie ein Begriff, weil sie während der Perestroika gemeinsam mit Udo Lindenberg auftrat
Pugatschowa-Manie
Im Einzelnen lässt sich über diese Punkte durchaus streiten. Zweifelsohne aber bot Pugatschowa dem Publikum etwas an, das es begierig aufnahm – vor allem waren es Frauen, die in der Sängerin nicht unbedingt ein Vorbild, aber doch ein Muster für das Abschweifen in Illusionswelten sahen. Der hohe Anteil alleinstehender Frauen in der sowjetischen Gesellschaft begünstigte wohl ihre Karriere.
Im 1979 veröffentlichten Film Shenschtschina, kotoraja pojot (dt. „Die Frau, die singt“) sang sie Lieder, die sie unter dem Pseudonym Boris Gorbonos selbst komponiert hatte. Dazu erklärte sie, sie wolle Lieder über sich selbst singen – das werde die Menschen mehr interessieren als ein für viele abstraktes Thema. Bei diesem von Alexander Stefanowitsch gesteuerten Schachzug ging es weniger um die Präsentation der musikalisch nicht sonderlich originellen Lieder, sondern vielmehr darum, Pugatschowa als Autorin und Repräsentantin ihres eigenen Ichs zu inszenieren. Die Reklame zum Film behauptete wider besseres Wissen, er basiere zum Teil auf Episoden aus dem Leben der Sängerin: Das Publikum strömte in Scharen in die Lichtspielhäuser. Auch wenn die Kritik den Film, der vor dem Hintergrund des anscheinend grauen sowjetischen Alltags das Leben einer Sängerin als Star entfaltet, verriss: Er markiert den Beginn einer Pugatschowa-Manie.
Ein neues Frauenbild
Ohne Zweifel entwickelte sich Pugatschowa Ende der 1970er Jahre zu einer polarisierenden Figur: Die einen sahen in ihr eine vulgäre, die Leidenschaft nach außen tragende Unperson, die anderen (Verehrerinnen) organisierten sich in Klubs und verfolgten sie mit ihrer Zuneigung. Sowjetische Zeitschriften und Zeitungen erhielten viele tausend Zuschriften zu Pugatschowa. Viele glaubten, der Star könne ihnen auch Hilfe in persönlichen Fragen geben. Ihre Fans identifizierten offenkundig tatsächlich die Heldinnen ihrer Lieder mit der Sängerin und fanden ihre eigenen Schicksale darin wieder.
Alla Pugatschowa baute gleichsam eine Brücke zwischen der traditionellen Estrada und dem sowjetischen Underground. Ihr Erfolg beruht zum einen auf ihrem außergewöhnlichen Talent einer schauspielerischen Umsetzung von Liedinhalten. Zum anderen und vor allem aber war Pugatschowa anders. Auf der Bühne transportierte sie einen Begriff von Privatheit und „Freiheit“. Sie nahm vollends Abschied vom steifen, „korrekten“ Betragen eines Sowjetsängers. Wo in den 1960er Jahren Interpreten noch mit angedeuteten Tanzbewegungen für Aufsehen sorgten, fegte Alla wie ein Irrwisch über die Bühne. Ihre Werke vermitteln das Bild einer Frau, die ihr Leben nicht dem Dienst an der Gemeinschaft widmet. Die Heldinnen in Pugatschowas Liedern verfolgen ihre Ziele, neigen dabei zu Zweifeln und bemühen sich, ihren Lebenstraum zu verwirklichen. Gerüchte wie die von einem Selbstmord der Sängerin fügen sich in das System, mit Hilfe von Skandalen Aufmerksamkeit zu erzielen – eine Methode, die Pugatschowa bis heute nicht verworfen zu haben scheint. Progressiv war sie auch noch in den 1980er Jahren, als sie ganzheitliche Showprogramme auf die Bühne brachte.
Ihre Werke vermitteln das Bild einer Frau, die ihr Leben nicht dem Dienst an der Gemeinschaft widmet
Alla Borissowna
Die Grande Dame der russischen Estrada, die in letzter Zeit auch mit ihrem Vatersnamen als Alla Borissowna bezeichnet wird, bekam unzählige Auszeichnungen sowohl in Russland als auch in anderen Ländern. Sie trägt die Ehrentitel Volkskünstlerin der UdSSR, Volkskünstlerin der RSFSR sowie Volkskünstlerin Russlands und ist Trägerin des Staatspreises der Russischen Föderation. Goldene Schallplatten erhielt sie in Schweden und Finnland, in der Bundesrepublik wurde sie mit dem Goldenen Mikrophon ausgezeichnet. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wurde sie auch als Unternehmerin zur bestimmenden Figur der Estrada. Sie gab eine Zeitschrift (Alla) heraus, rief eigene Rundfunksender ins Leben und inszenierte gemeinsam mit ihrem (damaligen) Mann Filipp Kirkorow ein Musical. Als Expertin nimmt sie regelmäßig an vielen Musikshows im russischen Fernsehen teil. Ihr privates Leben und vor allem die Beziehung mit ihrem dritten Ehemann, dem Komiker Maxim Galkin, fesselt immer noch die Aufmerksamkeit der TV-Zuschauer und Leser der Boulevardzeitungen. Als Galkin wegen seiner Kritik am russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine im September 2022 zu einem sogenannten „ausländischen Agenten“ erklärt wurde, löste Pugatschowa mit ihrem Solidaritäts-Post auf Instagram ein kleines Erdbeben aus: „Er ist ein ehrlicher, ordentlicher und aufrichtiger Mensch, ein wahrer und unbestechlicher Patriot Russlands, der seiner Heimat ein Aufblühen und ein friedliches Leben wünscht, Meinungsfreiheit und ein Ende des Sterbens unserer Jungs für illusorische Ziele, die unser Land zu einem Geächteten machen und das Leben der Bürger erschweren.“
Aktualisiert am 19.09.2022
1.Čeredničenko, Tat‘jana Vasil‘evna (1994): Tipologija sovetskoj massovoj kul‘tury: Meždu „Brežnevym“ i „Pugačevoj“, Moskva, S. 8
3.Serebrennikova, B. (1976): Pesennyj mir Ally Pugačevoj, in: Sovetskaja ėstrada i cirk, 1976/11, S. 20-21, S. 21
4.Beljakov, Aleksej (1997): Alka, Alločka, Alla Borisovna: Roman-biografija ili kniga o žizni, ljubvi i pesnjach Ally Borisovny Pugačevoj, Moskva, S. 142
Die Ereignisse rund um den ESC 2017 in Kiew lassen die Frage wieder aufkommen: Wie politisch ist der ESC? Yvonne Pörzgen über die Geschichte des Wettbewerbs in Russland, postsowjetisches Nation Branding und das angespannte Verhältnis Russlands zur Ukraine, das sich auch auf den ESC auswirkt.
Das „Yeah, yeah, yeah“ ertönte als Ruf einer Generation, der auch auf der östlichen Seite des Eisernen Vorhangs zu hören war. Als Gegenentwurf zur offiziellen sowjetischen Musikkultur eröffnete die russische Rockmusik eine emotionale Gegenwelt, die systemverändernd wirkte und den Soundtrack einer neuen Zeit bildete.
Er hat ein Bubigesicht wie Justin Bieber und eine Schwermut wie Kurt Cobain, kifft, säuft und schimpft gegen jedes System. Dank Youtube ist er ein Star, dessen Musikclips Millionen sehen: der Rapper Pharaoh.
Street-photography made in the USSR: Drei Fotografen eines Metallkombinats lassen den Werkskittel im Spind und dokumentieren den Alltag. Die Breshnew-Zeit, hautnah.
Am 19. Dezember vor 115 Jahren ist Leonid Breshnew (1906-1982) als Sohn eines Metallarbeiters geboren. Von 1964 bis 1982 prägte er als erster Mann im Staat fast zwei Jahrzehnte lang das Geschehen der Sowjetunion. Seine Herrschaft wird einerseits mit einem bescheidenen gesellschaftlichen Wohlstand assoziiert, gleichzeitig jedoch auch als Ära der Stagnation bezeichnet.
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