Am 20. Mai wurde bekannt, dass zwei Journalisten der Tageszeitung Kommersant ihren Arbeitgeber verlassen. Daraufhin haben alle Mitglieder der Politikredaktion geschlossen ihre Kündigung eingereicht.
Der Sprecher des Verlagseigentümers Alischer Usmanow legt den zwei Journalisten zur Last, einen „bestellten“ Artikel geschrieben und damit gegen die redaktionellen Standards verstoßen zu haben. Beweise dafür bleiben bislang aus, sowohl die Journalisten als auch der stellvertretende Chefredakteur von Kommersant bestreiten den Vorwurf.
Viele unabhängige Journalisten sind bestürzt über den Vorgang, sie sehen darin einen weiteren Schlag gegen die Pressefreiheit in Russland. Sie erinnern sich an das Schicksal des Onlinemediums Lenta.ru und des Investigativ-Portals RBC. Tenor damals: Diese beiden Medien hätten die „Verkehrsregeln“ des russischen Journalismus verletzt und dabei eine gewisse „durchgezogene Linie“ überschritten. Gemeint ist vor allem Selbstzensur. Russland nimmt auf der Rangliste der Pressefreiheit Platz 149 ein – von insgesamt 180.
Die Redaktion von Meduza äußerte ihr Mitgefühl gegenüber den 13 Kollegen vom Kommersant.
Der Unternehmer und Eigentümer der Zeitung Kommersant Alischer Usmanow hat die Kündigung zweier Journalisten der Zeitung erzwungen: Iwan Safronow und Maxim Iwanow. Dem Aktionär gefiel ein Artikel nicht, in dem es darum ging, dass Valentina Matwijenko womöglich den Posten als Sprecherin des Föderationsrates aufgibt und der Chef des Auslandsgeheimdienstes Sergej Naryschkin ihren Platz einnimmt.
Der Chefredakteur und Generaldirektor von Kommersant Wladimir Shelonkin sagte gegenüber Vedomosti: „Wir haben uns von den Journalisten getrennt, da beim Erstellen des Artikels die redaktionellen Standards des Kommersant verletzt wurden.“ Unter anderen Umständen – sprich zu anderen Zeiten oder außerhalb von Russland – hätte Shelonkin wahrscheinlich erklären müssen, gegen welche redaktionellen Standards genau verstoßen wurde. Denn unmittelbar nach Safronow und Iwanow hat die gesamte Belegschaft der Politikredaktion von Kommersant ihre Kündigung eingereicht – als Zeichen, dass sie mit der „Entscheidung des Aktionärs“ nicht einverstanden sei.
Es ist erstaunlich, dass sich Shelonkin ausgerechnet auf redaktionelle Standards beruft: Denn seitdem Usmanow die Zeitung gekauft hat, mischt er sich regelmäßig und, allem Anschein nach, durchaus effektiv in ihre Arbeit ein – will sagen, ein Verstoß gegen redaktionelle Standards ist eher dem Eigentümer und Chef vorzuwerfen. Aber der Kommersant hat eine phänomenale Anziehungskraft. So arbeiten trotz allem dort immer noch dutzende hochprofessionelle Mitarbeiter, für die, davon sind wir überzeugt, Zensur inakzeptabel ist. Von außen zuzusehen, wie es mit einer Zeitung schrittweise den Bach runtergeht, tut ziemlich weh; mit denen, die Teil davon sind, nicht mitzufühlen, ist unmöglich. In all den Jahren haben sowohl Mitarbeiter des Kommersant als auch ihre Leser und Konkurrenten gehofft, dass die Krise auf magische Weise enden wird – doch das ist, oh weh, nicht passiert.
Von Quellen aus dem Verlagshaus Kommersant wissen wir, dass die Veröffentlichung über Matwijenko einen solch starken Unmut eines Aktionärs ausgelöst hat, dass sogar die Kündigung des Chefs diskutiert wurde. Stattdessen hat man jedoch den Autoren des Artikels nahegelegt zu gehen und ihnen zudem die Verletzung von Standards angelastet. Allein der Gedanke daran, wie so etwas abgelaufen sein mag, ist beschämend.
In der Meduza-Redaktion arbeiten ehemalige Kommersant-Mitarbeiter, doch nicht nur ihnen ist es schwer ums Herz. Der russische Journalismus verliert seine Profis mit erschreckender Geschwindigkeit: Die Leute gehen nicht, um bei anderen angesagten Medien anzuheuern, sondern sie gehen in den meisten Fällen in angrenzende Berufszweige, das heißt ins Nirgendwo. Und doch trauern wir heute nicht um unseren Beruf, sondern um eine konkrete Redaktion in einer konkreten Zeitung. Wir wissen, der Kommersant ist eine Familie. Und in dieser Familie ist ein Unglück geschehen. Haltet durch, Freunde!
Die Redaktion von Meduza