Zum Internationalen Frauentag bringt dekoder eine internationale Frauengeschichte aus Russland – über weiblichen Sex. Denn jedes kleine oder junge Mädchen und jede Frau erlebt ihre Geschichte des Sex.
Das Besondere am Erleben der Protagonistin Aljona in der Graphic Novel Aljona Kamyschewskaja. Mein Sex ist davon geprägt, welchen Stellenwert das Thema Sex über die letzten Jahrzehnte in Russland hatte.
Zu Sowjetzeiten war Sex ein Tabu, war verwerflich und versteckt, meint die Autorin Lena Uzhinowa. Erst durch die Perestroika wurde Sex offen besprechbar – nicht nur der Geschlechtsakt, auch sexuelle Identität und Geschlechterrollen. „Ich war wohl mutig, nicht verschreckt und habe genug gelesen, habe auch etwas für Erotikzeitschriften gemacht und eben alles so gezeichnet“, erklärt Lena Uzhinowa ihren Weg zur kraftvollen Bild- und Textsprache ihres Comic, das sie unter Pseudonym veröffentlichte.
Seit ein paar Jahren laufe nun wieder ein Kampf um die Moral. Sex und Erotik werden unanständig. „Womöglich hängt das mit Russlands Kurs in die Isolation zusammen, dem Verschließen und der Orientierung nach Asien, wo man über diese Themen nicht spricht“, so die Autorin. Sie sagt, sie hätte Glück gehabt und das Comic rechtzeitig geschrieben. Während sie an Moi Sex arbeitete, wurde die Verwendung von Mat in Medien verboten, der Paragraph über Propaganda nicht-traditioneller sexueller Beziehungen eingeführt wie auch der Ausdruck „Beleidigung der Gefühle von Gläubigen“. Auf Büchern steht jetzt eine Altersgrenze.
Unterdessen verschwindet der Sex ins Internet – und dort versucht man ihn einzugrenzen. Die Staatsbeamten würden Erotik und Pornographie, Pädophilie und Homosexualität, Kontaktseiten und Prostitution, Kunst und Verbrechen verwechseln, meint Uzhinowa. „Prostitution gibt es bei uns heutzutage nicht, genau wie den Sex zu Sowjetzeiten“, fasst sie die Situation zusammen. Auch Uzhinowa selbst hat Restriktionen zu spüren bekommen: Als das russische Zentrum für Visuelle Kunst seinerzeit eine Buchpräsentation für Moi Sex organisieren wollte, konnte keine Präsentation stattfinden, da die Räume im Keller einer Jugendbibliothek liegen.
Dabei ist Moi Sex ein Buch über Sex, in dem es keine einzige Sexszene zu sehen gibt: Vielmehr erzählt die Protagonistin Aljona von ihrer Suche nach dem Frausein – nach Sexualität, nach Liebe, nach Männern.
Als Kind sind ihr dabei Papa-Diplomat und Mama-Diplomatengattin keine Hilfe, auch Vaters Freund, der es lustig findet, kleine Mädchen zu kitzeln, ist eher kontraproduktiv. Die ersten, die Aljona unverblümt mit dem Geschlechtsakt konfrontieren, sind sich massenweise paarende Frösche im Teich. Aljonas erste Periode kommt ausgerechnet während der Badefreuden im Ferienlager auf der Krim – und das in einer Zeit, zu der es in der Sowjetunion weder Binden noch Tampons gibt.
Die Lust auf Männer erwacht spät und verläuft kompliziert. Dass Verliebtheit auf Gegenseitigkeit beruht, dass sie Seele und Körper gleichermaßen ergreift und vor allem nicht an diversen Hindernissen wie zum Beispiel Ehefrauen scheitert, ist gar nicht selbstverständlich. Aljona durchlebt auf ihrer Suche Höhenflüge und Katastrophen, erkenntnisreiche Momente und Ernüchterung, aber vor allem lässt sie nicht locker.
Источник
Die Blase
Jungspund Aljona
Ohne Titel
Autor: Aljona Kamyschewskaja/Lena Uzhinowa Übersetzung: Ruth Altenhofer Erschienen am 08.03.2018
Der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine hat Freundschaften zerstört und Familien auseinandergerissen. Oksana Yushko zeigt Paare, die dem Geist der Feindschaft keinen Platz geben.
Prostitution oder Sexarbeit ist in Russland ein verbotenes Gewerbe. Trotzdem sind immer mehr Menschen in diesem Bereich tätig, unterschiedlichen Einschätzungen zufolge ein bis drei Millionen. Das hängt zum einen damit zusammen, dass viele sexuelle Tabus keine Tabus mehr sind, aber auch mit zunehmender Armut und Migration nach dem Zerfall der UdSSR.
Eine Gesetzesnovelle soll dafür sorgen, dass häusliche Gewalt künftig weniger hart bestraft wird. Vor allem konservative und orthodoxe Kräfte unterstützen das Vorhaben. Ljubow Borussjak fragt sich auf Republic, warum. Es ist kompliziert.
Das Konzept der Russischen Welt (russ. russki mir) wurde in den Jahren 2006/07 entwickelt und hat seitdem an Popularität gewonnen. War es zunächst eher ein kulturelles Konzept, das die soziale Bindungskraft russischer Sprache und Literatur betonte (es existiert eine gleichnamige kulturpolitische Stiftung), so dient es heute auch zur Legitimierung außenpolitischer Aktionen, die den Einfluss Russlands im postsowjetischen Raum stärken sollten.
Gesellschaft – Jekaterina Aljabjewa , Anastasija Syrjanowa
Große Meldung in der russischen Presse: In Jekaterinburg sei bei der HIV-Infektionsrate das Niveau einer Epidemie erreicht. Ist das so? Und ist die Stadt wirklich stärker betroffen als der Rest des Landes? Ein engagierter Bürgermeister und ein HIV-Berater im Interview bei slon.ru über den Umgang mit AIDS und Drogen in der russischen Provinz.
„Die bestialischen Comics sind eine tödliche Gefahr für die geistige und physische Gesundheit der Nation“ – diese Meinung stammt nicht aus der Zeit der UdSSR, in der die westliche Kultur oft per se gebrandmarkt wurde. Sie wurde 2002 von einer Teilnehmerin der Gesprächsrunde über das Thema Comics im Schulunterricht geäußert, die von der Zeitschrift Narodnoje obrasowanije organisiert wurde. Comics führen zu kriminellem Verhalten, sexueller Perversion, Diskreditierung klassischer Literatur und zur Ersetzung realer Fakten durch gefälschte, argumentierte eine Teilnehmerin.1 Auch wenn diese Stimme in der zeitgenössischen russischen Kultur eher eine Nebenrolle spielt, spiegelt sie doch Vorurteile gegenüber der westlichen Comic-Kultur wider, die in der Sowjetunion weit verbreitet waren. Auch heute erschweren diese Vorurteile eine Entwicklung der Comicszene in Russland.
Nur wegen Tim und Struppi, so besagt die Legende, sei in der Sowjetunion ein totales Comic-Verbot erlassen worden – nachdem der belgische Zeichner Hergé in seinem Comic-Heft Tim im Lande der Sowjets (1930) den Kommunismus und die sowjetische Realität humoristisch kritisiert hatte. Einer anderen weit verbreiteten Theorie nach wurden Comics in der Sowjetunion allgemein als feindliches, staatszersetzendes, vor allem aber als US-amerikanisches Phänomen diskreditiert. Sie seien Pseudo-Literatur für den hohlen kapitalistischen Verstand, der Bilder brauche, um Inhalten zu folgen, so der Tenor.2
Propaganda und Kinderliteratur
Desungeachtet war die sowjetische Kultur voll mit Bildern, Karikaturen und Comicstrips. Sie erzählten auch Geschichten: in der frühen Sowjetzeit zu Propagandazwecken für die kaum alphabetisierte Bevölkerung, später dann zu erzieherischen Zwecken für Kinder. Diese beiden Pole – Propaganda und Kinderliteratur – bestimmten auch über das Ende der Sowjetunion hinaus die Wahrnehmung von Comics im heutigen Russland.
Durch die Perestroika wurden auch Comics aus ihrem Nischendasein in die Öffentlichkeit geholt. Das in der UdSSR herrschende Verlagsmonopol wurde aufgehoben, wodurch jeder ungehindert publizieren durfte. Nun konnte nach Herzenslust mit der Kadrierung der einzelnen Bilder gearbeitet werden, mit Sprechblasen und ihren verschiedenen inhaltsvermittelnden Formen, mit lautmalerischen Effekten wie „Zack! Uff! Bam!“ und mit der Verschmelzung von Text und Bild zu einer ästhetischen Einheit.
Mursilka vs. Spiderman
Die sowjetische Direktive für Kinderbücher und -zeitschriften, die eine positive Grundstimmung, Partei-Werte, Kollektivismus, Optimismus und Heimatliebe propagierte, war hinfällig geworden.3 Die stets hilfsbereiten und freundlichen Helden aus Zeitschriften wie Mursilka (seit 1924) oder Wesjolyje kartinki (dt. Lustige Bilder, seit 1956) wichen Ende der 1980er Jahre ersten Reprints von Mickey Mouse, Spiderman oder Batman. Sowjetische Bildergeschichten für Kinder, wurden weitgehend abgelöst von westlichen und asiatischen Comics für alle Altersgruppen.4
Eine eigenständige russische Comic-Industrie entwickelte sich jedoch nur schleppend. Einige wenige Verlage und Studios, darunter das Moskauer Comic-Studio KOM, Mucha in Ufa und Tema in Nowosibirsk, widmeten sich ausschließlich russischen Comics. Sie konnten sich jedoch wegen der mangelnden Nachfrage nicht lange halten. Spätestens die Finanzkrise 1998 setzte ihren Aktivitäten ein Ende. Bis dahin waren Comics hauptsächlich als Ein- bis Vierseiter in Zeitschriften oder im Samisdat erschienen. Künstlerisch orientierte Comics fanden sich im Moscow Art Magazine, das sich wie viele andere Zeitungen und Zeitschriften nach westlichem Vorbild eine Comic-Rubrik zugelegt hatte. Einige Künstler wie Ilja Kitup nutzten Mitte der 1990er Jahre den bis dahin ungekannten freien Zugang zu Kopiergeräten, um eine Do-it-yourself-Ästhetik zu erzeugen. Kitup kommentierte treffend, dass sein im Eigenverlag erschienenes Kitup’s Own Propeller Comic Monthly anderswo als Underground gelten würde, nur nicht in Russland, wo der Mainstream fehlt.5
Zufluchtsort Internet
Um die Jahrtausendwende waren Comics in Russland vor allem im Internet zu finden. Für viele russische Comiczeichner war (und ist) dies oftmals die einzige Publikationsmöglichkeit überhaupt. Der ehemalige KOM-Künstler Andrej Ajoschin (aka Tzratzk) begründete 1999 die Website Komiksoljot – ein umfangreicher Internet-Fundus russischer Comics seit der Perestroika. Seit 2009 existieren die Chroniki Tschedrika, die sich eher als comic-theoretisches Web-Journal verstehen. Weit verbreitet ist die sogenannte Scanlation: Scannen und Übersetzen (engl. translation) von Comics. Ungeachtet der Urheberrechtsverletzungen war dies lange Zeit die einzige Möglichkeit, um Zugang zu seltenen oder älteren Comics zu bekommen.6
Comics als allgemein anerkannte Kunstform
Erste Plattformen für Austausch, Geschäftsanbahnung und auch Aus- und Weiterbildung tauchten erst Anfang der 2000er Jahre auf. 2002 gründete Pawel Suchich (aka HeeHoos) – eine der Gallionsfiguren der russischen Comicszene – in Moskau das erste russische Comic-Festival KomMissija. 2007 folgte das Festival Boomfest in Sankt Petersburg, das Mitglieder der Gruppe Spb. Nouvelles Graphiques initiierten. HeeHoos, der als Jugendlicher nach Dänemark emigrierte und dort mit Comics in Kontakt kam, ging es vor allem darum, Comiczeichner aus den GUS-Ländern zusammenzubringen, um überhaupt eine Comicszene ins Leben zu rufen.7 Auch die 2001 gegründete Gilde der Comic-Verleger (GIK) hatte ein ähnliches Ziel. So konnten größere Netzwerke entstehen. Mit Dimitri Jakowlews Verlag Boomkniga, hervorgegangen aus dem Boomfest, wurde schließlich eine Institution begründet, die russische Graphic Novels verlegt und auch Werke internationaler Autoren wie Mawil, Uli Lust oder Joe Sacco auf Russisch herausbringt. Sie alle haben sich auf die Fahnen geschrieben, Comics als allgemein anerkannte Kunstform in Russland zu etablieren.
Doch das Vorurteil, dass Comics lediglich etwas für Kinder seien, hält sich hartnäckig. In der Gesprächsrunde Comics im Schulunterricht8 attestierten Lehrer, Kinderpsychologen, Literaturkritiker und Verleger den Comics einen positiven Einfluss auf die Lerngeschwindigkeit. Sie hoben hervor, dass Schüler sich Lerninhalte deutlich besser merken können, wenn sie über Bild und Text gleichermaßen vermittelt werden. Sie versuchten zudem, Schluss mit den sowjetischen Stereotypen zu machen, Comics seien lediglich ein Propagandamittel für Gewalt und Sex. Doch der Einsatz eines solch bekannten Werks wie Art Spiegelmans Maus über die traumatischen Erlebnisse seiner Eltern während der Shoah in Polen wäre in Russland nach wie vor undenkbar, obwohl das Werk in zahlreichen Ländern Schullektüre ist. Stattdessen konnte Maus 2015 wegen des Hakenkreuzes auf dem Cover nur unter dem Ladentisch verkauft werden.9
Zwischen Professionalisierung und staatlicher Angst
In den letzten Jahren hat sich die Ausbildungssituation für angehende Comic-Künstler deutlich verbessert. Mittlerweile gibt es an der privaten Moskauer Universität für Industrie und Finanzen Synergy einen Comic-Studiengang, und die Russische Staatliche Jugendbibliothek hat ein Comic-Zentrum eingerichtet. Auch einige Buchhandlungen, beispielsweise Chook and Geek in Moskau, haben sich ausschließlich auf Comics spezialisiert.
Mit dem Aufkommen von Comics für ein explizit nicht kindliches Publikum haben sich sowohl die Comics als auch die Leserschaft verändert. Neben klassischen Romanen wie zum Beispiel Anna Karenina von Leo Tolstoi erscheinen mittlerweile auch reflexive autobiographische Sujets als Comics. Zu den bekanntesten Beispielen zählen die künstlerische und persönliche Selbstfindung von HeeHoos sowie der Künstlerinnen Anna Sutschowka (aka Lumbricus Terrestris), Jelena Ushinowa/Aljona Kamyschewskaja.
Zudem haben sich neue, spezifisch russische Genres entwickelt, wie zum Beispiel die dokumentarisch-journalistische Graphic Reportage. Deren Hauptvertreterin Victoria Lomasko macht in ihren gesellschaftskritischen Arbeiten Anleihen bei den frühsowjetischen Foto-Essays. Dies sind zwar nicht mehr Comics im klassischen Sinn, doch es zeigt sich, wie alte sowjetische Formate eigenständige grafisch-erzählerische Formen hervorbringen können. Diese reportageartigen Arbeiten finden sich allerdings vornehmlich im Internet oder werden im Ausland publiziert – nicht zuletzt aus Angst der Verleger vor Repressionen.
1.Zit. nach Alaniz, José (2010): Komiks. Comic Art in Russia, Jackson, MS, S. 110. Der Beitrag von Natalia Markowa wurde wegen seiner radikalen und aggressiven Position nicht veröffentlicht. Diese Rhetorik lässt vermuten, dass Markova eine der Gutachterinnen der Anklage im Prozess gegen die Organisatoren der Ausstellung Achtung, Religion! von 2003–2005 war, in dem eine Gutachterin gleichen Namens mit einer deckungsgleichen Rhetorik die Gegenwartskunst als der russischen Kultur fremdes Phänomen bezeichnete.
Aljona Kamyschewskaja. Moi Sex ist eine Sex-Autobiografie, in der nicht eine explizite Sexszene vorkommt, vor allem ist es eine Suche nach dem Frausein. Ja, alles geht vorüber – Liebe und keine Liebe, die Jugend, ein Kuss.
Derbe Saufkultur, exzessiver Gebrauch tabuisierter Kraftausdrücke und souverän gespielte Mischung aus Ska, Punk-Rock und Chanson – das macht Sergej Schnurow und seine Band Leningrad aus. Eva Binder über den legendären Sänger und Song-Autor, der den Russen beibrachte, über sich selbst zu lachen.
Er hat ein Bubigesicht wie Justin Bieber und eine Schwermut wie Kurt Cobain, kifft, säuft und schimpft gegen jedes System. Dank Youtube ist er ein Star, dessen Musikclips Millionen sehen: der Rapper Pharaoh.
In Totma im Norden Russlands gibt es sechs Museen, zwei Volkstheater, zwei Kulturpaläste, einen Schachklub, ein Kinder-Kreativhaus, eine Musik- und eine Kunstschule. Und das alles für 10.000 Einwohner. Ein Phänomen? Und ob! Ein Fotoessay von Sergey Maximishin.
Tanzen, trinken, rauchen, küssen. Fröhlichkeit oder Frustration, Selbstsuche oder Selbstvergessen? Ein junger Fotograf dokumentiert die Moskauer Nacht (Archiv-Text).
Nach europäischem Vorbild wurde 1757 in St. Petersburg die Kaiserliche Akademie der Künste gegründet. Die langjährige Ausbildung der Maler, Bildhauer, Graphiker und Bildhauer folgte strengen formalen und thematischen Vorgaben. Der Akademie war die wichtigste Instanz für Geschmack und ästhetisches Empfinden. Erst zur Mitte des 19. Jahrhunderts wurde ihre Monopolstellung in künstlerischen Belangen aufgebrochen.
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