Die Cyberpartisanen haben die offizielle Webseite des belarussischen KGB gehackt und konnten dabei Datenbanken erobern, darunter auch rund 40.000 Nachrichten, die von 2014 bis 2023 über die Website an den Geheimdienst gesendet wurden. Belarussische Medien haben diese Nachrichten durchforstet und dabei Denunziationen ausfindig gemacht, in denen Menschen andere beim KGB anschwärzen. Es sind nicht nur Belarussen, die ihre Landsleute denunzieren, sondern auch Russen oder sogar EU-Bürger, die sich mit Vorwürfen, Verdächtigungen und Handlungsaufforderungen an die Geheimdienstler wenden.
Der Historiker Aljaxandr Paschkewitsch meint, dass „das Ganze zunächst systematisiert“ werden müsse, um allgemeine Schlussfolgerungen aus den Funden ziehen zu können. Es sei jedoch klar, dass es sich bei der Mehrheit nicht um eindeutige Denunziationen handeln würde, sagt Paschkewitsch. Die Redaktion der Online-Plattform Nasha Niva hat recherchiert, dass es sich beim weitaus großen Teil der Nachrichten um Spam handelt, dazu kommen Meldungen von Menschen, die offensichtlich psychisch krank sind, und zahlreiche Anfragen von Menschen zu Verwandten und Bekannten, die in der Zeit des Großen Terrors verschwunden sind, oder zu Menschen, die nach den Protesten von 2020 festgenommen wurden. „Es ist schwierig, eine konkrete Zahl der tatsächlichen Denunziationen von Belarussen zu nennen, eine manuelle Zählung wäre erforderlich.“ Höchstwahrscheinlich übersteige ihre Zahl, schätzt Nasha Niva, nicht 1000 bis 2000 Nachrichten.
Igor Lenkewitsch vom Online-Medium Reform hat sich eine Auswahl an Denunziationen genauer angeschaut. Darunter viele Hinweise auf Menschen, die während und nach den Ereignissen von 2020 die weiß-rot-weiße Protestsymbolik verwendeten, die mittlerweile verboten ist, aber vor allem auch Nachrichten von Leuten, die Kollegen oder Nachbarn offensichtlich eins auswischen wollten, und sogar ein Angebot von einer Initiative, die sich mit einem absurden Plan dem KGB andienen wollte.
Nachbarn, Kollegen, Mitbewohner
„Ich möchte der Organisation zur Terrorismusbekämpfung mitteilen, dass *** im staatsnahen Einkaufszentrum Korona im Restaurant Amsterdam arbeitet, die die weiß-rot-weiße Bewegung vorbehaltlos unterstützt, ihr Profil auf Facebook heißt ***, solche Menschen sollten nicht in Unternehmen der Republik Belarus arbeiten.“
Diese Anzeige wurde eindeutig von einem oder einer Bekannten erstattet. Oder einem Kollegen, einer Kollegin. Vielleicht sind sie aneinandergeraten, waren sich uneinig über das Speisenangebot oder darüber, wie die Kunden zu bedienen seien? Wir können nur raten. Aber hier ist sie, die Anzeige, und zwar nicht irgendeine, sondern bei der Organisation zur Terrorismusbekämpfung. Wenn schon, denn schon.
Hier das Schreiben einer Dame aus Baranowitschi: „In unserem Büro arbeiten unter anderem *** und ***, die seit Juli/August 2020 bis heute während der Arbeitszeit Nachrichten aus extremistischen, staatsfeindlichen Quellen besprechen, sich aggressiv gegen den Präsidenten und die Regierung äußern, auf widerliche und zynische Weise die Staatssymbolik beleidigen und gehässig und boshaft die staatlichen Sicherheitsstrukturen und Strafverfolgungsbehörden durch den Dreck ziehen. Im Herbst letzten Jahres brüsteten sie sich unverhohlen mit ihrer Teilnahme an nicht genehmigten Weiß-Rot-Weiß-Demonstrationen.“
Und hier noch die Denunziation einer Staatsbürgerin, die sich nicht als „Petze“ empfindet: „Ich möchte Ihnen mitteilen, dass ich einen Mann kenne, der die Situation in Lida destabilisieren will. Er ist weiß-rot-weiß gesinnt und vor ein paar Tagen, soweit mir bekannt, aus dem Ausland eingereist. Was er dort macht, weiß ich nicht, aber er hat eine Summe von über 15.000 Euro mitgebracht. Ich weiß, er hat Geldkarten von europäischen Banken. Ich bin mir sicher, so provokativ wie er eingestellt ist, dass dieses Geld den smahary zugute kommen wird. Ich bitte Sie sehr, diesen Mann zu überprüfen, weil das zu Unruhe führt. Ich weiß, dass er zu Demonstrationen geht, in seinem Mobiltelefon werden Sie genügend Informationen finden. Ich habe mich nie für eine, entschuldigen Sie die Wortwahl, Petze gehalten, aber ich mache mir große Sorgen um die Zukunft meines Landes und der Kinder.“ Es folgen die Daten der Person, gegen die sich die Anzeige richtet. Natürlich ausschließlich aus Sorge „um die Zukunft“.
Weiter geht’s. Der Direktor der *** GmbH namens – vollständiger Name – „beschäftigt Anhänger der weiß-rot-weißen Bewegung, die aus dem Belarussischen Metallurgiewerk BMS entlassen wurden. Normale Leute nimmt er nicht. Wir bitten, Maßnahmen zu ergreifen und das zu klären.“ Man kann davon ausgehen, dass diese Anzeige von so einem „Normalen“ stammt, der sich beworben hatte und der, aus welchen Gründen auch immer, abgeblitzt ist. Woraufhin er das einfach so hingeschmiert hat.
Sie führt ein Doppelleben, und ich halte das für Verrat
Auch Nachbarn lassen sich zu Denunziationen hinreißen. Zum Beispiel ein Minsker aus der Prityzki-Straße: „Guten Abend. An der Adresse *** wird eine Wohnung an verdächtige Leute vermietet. Immer wieder hängen sie weiß-rot-weiße Fahnen auf und laden Gäste ein, die laut sind. Ich bitte, diese Wohnung und ihre Mieter zu überwachen. Und den Vermieter zur Rede zu stellen.“ So sind die Methoden im Kampf gegen lärmende Nachbarn.
Und auch das kommt aus Minsk, von wachsamen Nachbarn in der Rafijew-Straße: „Wir melden Ihnen, dass die beiden in der Wohnung Nr. *** wohnenden Frauen, von der die eine *** heißt und die jüngere ihre Tochter *** ist, Verachtung für die vom Präsidenten der RB [Republik Belarus – dek] durchgeführte Politik äußern, andere dazu anstiften, Unzufriedenheit kundzutun und abends zu Protestaktionen im Hof einladen.“
Nein, wir haben natürlich nicht das Jahr 1937. Die Nachbarn denunzieren nicht, um das Zimmer in der Kommunalka zu bekommen, das nach der Verhaftung der Beschuldigten frei wird. Die Wohnung Nr. *** wird ihnen keiner zusprechen, und das wissen sie. Ist ihr Motiv also der gute alte Klassenhass?
Hier geht es um beinah verwandtschaftliche Beziehungen: „Guten Tag! Meine Aufgabe ist, Folgendes mitzuteilen, was Sie mit der Info machen, ist Ihre Sache. Die Schwester meines Mitbewohners *** ist Staatsbürgerin der RB und arbeitet seit zehn Jahren in Belgien. Sie ist Programmiererin. Sie lebt jetzt mit ihrem Chef zusammen. Meinem Mitbewohner zufolge ist es ihr gemeinsamer Job, Informationen zu sammeln und zu verkaufen. Sie kommen immer einmal im Jahr hierher, dieses Jahr zweimal. Wir unterhielten uns, und offenbar ist sie eine glühende Russophobin, Anhängerin der weiß-rot-weißen Sekte und aller faschistischen Führungsmethoden, die in der Ukraine zur Anwendung kommen. Das letzte Mal waren sie ungefähr vom 7. bis 11. Dezember da.“ Diese Bürgerin verdächtigt also die Schwester ihres Mitbewohners, Spionage zu betreiben. Was sie eilig den Behörden meldet.
Und hier eine sehr traurige Geschichte: eine Denunzierung der Ex-Freundin. Die Anzeige ist lang, daher fasse ich sie zusammen und füge Zitate ein. „Guten Tag. Ich halte es für meine Pflicht, Sie über eine gewisse Person zu informieren“, eröffnet der Verfasser sein Opus. Er erzählt von einer Journalistin der staatlichen Medien, die „seit dem 18. August 2020, wie auch ihre Verwandten, an Demonstrationen teilnahm. Aus Gründen lebten wir zusammen, und nach den Wahlen am 9. August, als alles begann, verbat ich ihr, etwas auf die Straße zu gehen. Aber sie hat nicht auf mich gehört.“
„Bald sprach sie nach der Arbeit immer öfter davon, dass alles schlecht sei und man etwas unternehmen müsse. Am 12. Dezember 2020 fing sie sehr schnell und nervös davon an, dass wir dringend nach Piter müssen, weil alles ganz schlimm sei und keiner wisse, wie das weitergehe. Ich beschloss, mit ihr auszureisen. Immerhin war sie meine Freundin. Wir holten ihre Tochter, und am 26. Dezember brachte ich uns alle auf illegalem Weg nach Piter. Im Nachhinein ist mir klar, dass das ein riesiger Fehler war. So lebten wir bis April. Der Umzug nach Piter kostete mich enorm viel Geld, das ich mir geliehen habe und immer noch schulde. Doch im April fingen wir an zu streiten, sie ging zurück nach Belarus, und Ende Juni sah ich sie wieder im Fernsehen. Das fand ich sehr unangebracht, weil sie ja für die Opposition eintritt. Und mir wurde natürlich klar, dass sie mich einfach vorübergehend für ihre Zwecke benutzt hat. Sie führt ein Doppelleben und ich halte das für Verrat.“
Dann fügt der Verfasser hinzu, dass er bereit sei, „als Zeuge auszusagen, wenn nötig, unter Anwendung eines Lügendetektors.“ Er mache das nicht „aus Rache, weil wir getrennt sind, sondern weil ein Mensch für seine Taten zur Verantwortung gezogen werden und dafür einstehen muss“. „Außerdem habe ich ihretwegen gesundheitlichen und finanziellen Schaden erlitten (hohe Schulden) und meine psychische Stabilität eingebüßt. Ich bitte, in dieser Angelegenheit für Gerechtigkeit zu sorgen. Danke.“
Die Leute, die diese Anzeigen schrieben, gingen wahrscheinlich davon aus, dass die Schriftstücke geheim bleiben würden. Aber dann kam es anders. Die Lustrationen von Seiten der Hacker begannen unerwartet früh. Das ist aber alles nur die Spitze des Eisbergs: Obige Denunziationen wurden allein anhand des Suchbegriffs „weiß-rot-weiß“ in der Datenbank gefunden. Mit anderen Suchbegriffen kann man bestimmt noch viel Aufschlussreiches ausheben. Aber das Grundmotiv ist klar. In diesen konkreten Fällen braucht man nicht anzufangen, über den Grad der ideologischen Spaltung der Gesellschaft nachzudenken – in meinen Augen ist das ganz banale Rache.
Ich hasse diese smahary, die für irgendeinen Mist kämpfen
In anderen Fällen darf man ideologische Motive jedoch nicht ausschließen. Manchmal wenden sich idealistische Bürger sogar mit konkreten Anregungen und Empfehlungen an den KGB. So schlägt hier ein Genosse noch härtere Maßnahmen vor: „Wenn im Gefängnis kein Platz mehr ist, bringt sie doch in Militärkasernen und lasst sie die Drecksarbeit machen, Minderjährige eingeschlossen.“
„Die Verletzten sollten am besten einzeln weggesperrt werden, denn gerade für Fotos mit Zusammengeschlagenen gibt es gutes Geld. Außerdem braucht es Höchststrafen für bezahlte Demonstranten und finanzielle Anreize für Leute, die aktiv jede Aktivität der Weiß-Rot-Weiß-Bewegung unterwandern“, raten andere. Wieder andere bieten schlicht ihre Dienste als Spitzel an: „Ich hasse diese smahary, die für irgendeinen Mist kämpfen, mit ihrer weiß-rot-weißen Fascho-Symbolik. Deshalb bin ich bereit, bei Bedarf Informationen weiterzugeben, die Ihnen, den Wächtern des Vaterlands, dabei helfen, das Land vor dem Verfall zu retten, damit es nicht wird wie … in der Ukraine zum Beispiel … Ich stehe für jede Art von Zusammenarbeit zur Verfügung. Bitte geben Sie meine Adresse nicht weiter. Ich befürchte Konspiration. Danke Ihnen für alles! Allein schon dafür, dass ich mich mitteilen konnte.“
Mit Kuhmist gegen Proteste
Eine Bürgerinitiative hat dem KGB sogar einen detaillierten Plan „zur endgültigen Unterbindung bezahlter Demonstrationen“ vorgelegt. Sie nennen das Projekt Operation Pastuschok (dt. kleiner Hirte) und behaupten, es sei „bestens auf die Mentalität unserer Landsleute zugeschnitten, überaus einfach und rentabel“. Diese Initiative verdient eine eingehendere Betrachtung. Für die Umsetzung ihres Vorhabens benötigen die Verfasser 50 Kühe, eine zwanzigköpfige Menschengruppe und Tierfutter. Die Menschen sollen „die Zunge im Zaum halten können und dabei freundlich sein, insbesondere gegenüber Journalisten. So sollen dann eines schönen Morgens in der Nähe des Unabhängigkeitsplatzes 50 Kühe unter Aufsicht von fünf bis acht Menschen auftauchen, „die die Rolle der Landwirte übernehmen". Sobald sich die bezahlten Demonstranten auf dem Platz versammeln, soll sich die Herde in deren Richtung bewegen.
Ein Wort an die Planer: „Die Bauern sollen mit polnischen weiß-rot-weißen Flaggen laufen und höhere Löhne, den Bau eines großen landwirtschaftlichen Betriebs sowie einer Molkerei fordern. In regelmäßigen Abständen sollen vier bis fünf Personen Futter für die Kühe bringen. Die wütenden Bauern sollen die Demonstranten so weit wie möglich einbeziehen, um beim Verteilen von Heu und Füttern der Kühe zu helfen. Danach ist es an der Zeit, die Kühe zu melken, woran sich die Demonstranten ebenfalls beteiligen sollen. Für ihre Mitarbeit bekommen sie kostenlos leckere, noch warme Milch. Nach einer Weile werden die Kühe anfangen, auf den Platz zu scheißen. Wenn die Demonstranten sich nicht daran stören, bleibt der Kuhmist einfach liegen und wenn doch, dann sollen die Bauern den Demonstranten Schneeschaufeln geben und sie der Reihe nach die Fäkalien auf einen Haufen schaufeln lassen. Die Polizei soll davon KEINE Notiz nehmen.
Die wütenden Bauern sollen darauf hinweisen, dass sie keine Zeit zum Putzen haben. Eine der Kühe könnte man im Laufe der Aktion zusammen mit den Demonstranten weiß-rot anmalen und die Demonstranten dazu ermuntern, sich mit ihr fotografieren zu lassen. Diese Kuh wird so für ein paar Tage zum Symbol der Demonstranten.
Der Überraschungseffekt: Die gemeinsame Arbeit bewirkt einen Schulterschluss der wütenden Bauern mit den Passanten. Zunächst werden die Demonstranten das Geschehen mit Interesse verfolgen, bis sie irgendwann durch Kuhmist laufen müssen in typisch würziger Landluft. Dann ist der Moment gekommen, den Demonstranten seitens der Stadtverwaltung vorzuwerfen, dass sie sich nicht nur wie Schafe benehmen, sondern wie eine ganze Viehherde. Man kann sie zum Beispiel beschuldigen, dass sie die Hauptstadt zuscheißen oder spontan andere Vorwürfe gegenüber den Demonstranten und ihren Organisatoren erfinden. Das Ergebnis: Die bezahlten Demonstranten werden sich weigern, weiterhin für 30 Dollar Honorar durch Scheiße zu laufen und sich die Kleidung dreckig zu machen. Entweder werden sie Geld von den Organisatoren fordern oder weggehen. Oder man könnte mit Hilfe der Kühe ganz aus Versehen die aktivsten Demonstranten von den Plätzen wegdrängen.
Denkbar ist, dass die Organisatoren den Demonstranten dann ein höheres Honorar zahlen oder sie an einen anderen Ort schicken. Die ‚wütenden Bauern‘ sollen dann ebenfalls den Ort wechseln und den bezahlten Demonstranten folgen – und hier kommen nun die anderen Leute aus der Gruppe ins Spiel, die diskret als Informanten fungieren und vorgeben, wohin sie die Herde treiben sollen. Die Kundgebung der Opposition wird mit dem Geruch von Scheiße assoziiert in Erinnerung bleiben. Fazit: Mit Ihrer Erlaubnis wird die Pastuschok-Methode zum ersten Mal in der Geschichte der Farbrevolutionen dazu beitragen, die Pläne der Übeltäter und Landesverräter endgültig unschädlich zu machen.“
Weiterhin bekunden die Autoren des Konzepts ihre Bereitschaft, „zum Wohle unseres Staatsoberhaupts und unseres Belarus persönlich und unentgeltlich an dieser Aktion teilzunehmen.“
Kaum auszudenken, was aus Minsk geworden wäre. Was soll man von diesem Vorschlag halten? Ist das eine ernstgemeinte Initiative „von unten“ oder ein erstklassiger Fake? Mit solchen Verbündeten braucht man jedenfalls keine Feinde. Man muss ihnen nur die Initiative überlassen. Und nein, ich weiß nicht, warum so viele Denunzianten nicht ordentlich schreiben können. Wobei das viel aussagt.
Das Ganze wäre zum Lachen, wenn es nicht so traurig wäre. Dabei ist es nicht einmal so wichtig, ob die Denunziationen aus Liebe zum Regime oder aus persönlichen Rachegelüsten heraus erfolgen. Fest steht, dass sie unter den Bedingungen der anhaltenden Repressionen immer zahlreicher werden. Wahrscheinlich haben die Optimisten recht, und wir befinden uns noch nicht im Jahr 1937. Aber wo dann? Anfang der 1930er?