„Willkommen in Asgardia – die allererste Weltraumnation, die allen offensteht!“ Mit diesem Grußwort ruft der russische Unternehmer Igor Aschurbejli auf seiner Website alle Erdenbürger dazu auf, sich den 170.000 Asgardianern anzuschließen. Der kosmische Staat soll die Erde vor Weltraumschrott, -strahlung und Sonnenstürmen schützen. Alle Grenzen werden überwunden, alle Konflikte beigelegt, verspricht Aschurbejli.
Alles Spinnerei? Taissija Bekbulatowa hat Aschurbejli für Meduza getroffen.
Kolonie im Kosmos ©Личный сайт И.Р. Ашурбейли
Igor Aschurbejli, 54, hat ein rundes gutmütiges Gesicht, Brille, einen grauen Schnauzer und war früher Chef eines Rüstungskonzerns. Man würde bei ihm als Letztes darauf kommen, dass er der Regierungschef eines Staates im Weltraum ist.
Während des Interviews benimmt er sich wie ein ungezogenes Kind: Unangenehme Fragen beantwortet er gar nicht erst, sondern kehrt mir den Rücken zu und fragt seine Assistentin mit gespielter Empörung: „Wen hast du mir denn da angeschleppt? Ich weiß nicht, was das hier soll?“ Dann dreht er sich wieder zu mir und sagt: „Ich habe irgendwie vergessen, was Sie gefragt haben.“ Nach einer meiner Fragen schaut er erstaunt auf die Uhr im Büro: „Die Uhr ist stehengeblieben. Irgendwas stimmt mit Ihnen nicht. Sogar die Uhr bleibt stehen.“
Ein ganzes Jahrzehnt leitete Aschurbejli Almaz-Antei, einen der wichtigsten russischen Rüstungsbetriebe. Sein Büro befindet sich bis heute in demselben Gebäude am Leningrader Prospekt wie Almaz-Antei. Dort sind auch die Räume seiner Holding Sozium, die sich ebenfalls mit Rüstungsaufträgen beschäftigt.
Wie es sich für einen respektablen Geschäftsmann gehört, ist Aschurbejlis Arbeitszimmer mit dunklem Holz getäfelt, außerdem wird der Besucher zwischen Innen- und Außentür unerwartet von einem Skelett begrüßt. Die Assistentin erklärt, dass ihr Chef seine Leichen nicht im Keller verstecke, sondern dass er Offenheit demonstriere, „den Zustand der künftigen Welt”. Aschurbejli hat das Weltraum-Königreich Asgardia kurz nach seiner Kündigung bei Almaz-Antei gegründet.
Kolonie im Kosmos
Asgardia hat schon 170.000 Bürger aus der ganzen Welt, und Aschurbejli hat die feste Absicht, eine Kolonie im Kosmos zu begründen. „Ich will zu meinen Lebzeiten eine ständige Kolonie auf dem Mond gründen und dort hinfliegen. Alles andere ist Abenteurerei.“
Igor Aschurbejli wurde in Baku geboren, wuchs dort auf und studierte am Aserbaidschanischen Institut für Erdöl und Chemie. 1990 zog er nach Moskau und fing an Geschäfte zu machen, so organisierte er einige Kooperativen, die sich mit Softwareentwicklung und Computertechnik beschäftigten. Nach seinen eigenen Worten, fing er von Null an, „ohne jegliche Unterstützung, ohne Protektion“. „Die 1990er waren eine schwere Zeit, ich habe sie in all ihren Feinheiten am eigenen Leibe erfahren: Bei Schlägereien war ich dabei und reden konnte ich, dass ich als Gauner durchging.“
„Was sollte man tun? Irgendwie musste man ja da durchkommen und den Überblick behalten“, erinnert er sich an einer anderen Stelle.
Aschurbejli gründete eine Firma, die ab 1991 mit dem Rüstungsbetrieb Almaz zusammenarbeitete, wo man ihm 1994 vorschlug, stellvertretender Generaldirektor zu werden. Sechs Jahre später wurde Aschurbejli Generaldirektor und blieb es bis 2011. Unter seiner Leitung entwickelten die Ingenieure von Almaz Flugabwehrraketensysteme, die im Ausland sehr beliebt waren und die Almaz-Antei einen stabilen Umsatz und einen Platz ganz vorne im Ranking der Rüstungsunternehmen sicherten.
2011 beschloss der Aufsichtsrat, Aschurbejli zu entlassen, verpackte die Nachricht allerdings in eine Danksagung. „Ich muss zugeben, der bittere Nachgeschmack, dass sie mich abgesägt haben, ist geblieben. Und die Staatsgeschäfte, mit denen ich mich in meinem vorherigen Lebensabschnitt erfolgreich befasst habe, war von ganz anderer Dimension als die privaten Aufgaben, denen ich mich heute widme.“
Kirchenbau als Labsal für die Seele
Laut Aschurbejli war es schwer, mit dem Stress nach der Kündigung klarzukommen: „Ich brauchte einen Ausgleich.“ Deswegen begann er „Kirchen zu bauen“ – das war eine Labsal „für die Seele“ des ehemaligen Waffenbauers.
Auch wenn er seine Kritik am aktuellen russischen Staat nicht näher benennen will, ist Aschurbejli ein politisch aktiver Mensch. Er ist Vorsitzender der Partei Wiedergeburt Russlands, die ihm 2015 nach dem Tod seines alten Freundes Gennadi Selesnjow, Parteigründer und Ex-Sprecher der Duma, zufiel.
Eine der Initiativen der Partei war beispielsweise, die öffentlichen Toiletten zur „nationalen Idee“ Moskaus zu erklären. Aschurbejli behauptet, dass er kein Anhänger Wladimir Putins sei, aber ihm pünktlich zum Geburtstag zu gratulieren hat er nicht vergessen.
Im Übrigen sind seine wahren politischen Ansichten monarchistisch. Er sagte mehrmals, dass Russland eine konstitutionelle Monarchie brauche und zwar „mit einem jungen, etwa 40-jährigen Zaren an der Spitze. Der neue Herrscher Russlands wird seine Thronbesteigung mit dem Segen des Patriarchen der ganzen Rus in der Alexander-Newski-Kirche in Jerusalem verkünden, und zwar ... hoffentlich im Jahr ... 2017, aber spätestens 2018“, so äußerte er sich im Sommer 2016.
Der Monarchist Aschurbejli wird aber auch nostalgisch, wenn es um die sozialistische Vergangenheit geht: „Ein Fläschen Wodka und eine Tafel Schokolade und, na ja, ein bisschen Kleingeld, das waren einmal die russisch-sowjetischen Kommunikationsmittel. Jetzt zählt nur noch der schnöde Dollar.“ Die heutige Gesellschaft missfällt ihm und er deutet an, dass das Volk „unprofessionellen Intriganten“, ja „Scharlatanen“, wenn nicht gar „Banditen“ zur Macht verholfen habe und erklärt, dass die gegenwärtigen Staaten „ausgelaugt und zu Vasallenburgen der räuberischen Mammonelite verkommen sind“.
Nach der Internetseite des Geschäftsmanns zu urteilen, sind es seine Überlegungen zum traurigen Zustand der heutigen Zivilisation und zur glücklosen demographischen Entwicklung Russlands, die ihn auf die Idee gebracht haben, einen eigenen, zunächst panslawischen Staat zu gründen – der dann aber auch Menschen aus der ganzen Welt aufnehmen soll.
Aufbauen will er ihn allerdings nicht auf diesem Planeten. „Auf der Erde kommt die Menschheit mit ihren Problemen nicht klar, das konnte sie noch nie und wird sie nie können“, erklärt Aschurbejli.
Auf der Erde kommt die Menschheit mit ihren Problemen nicht klar, das konnte sie noch nie und wird sie nie können
Am 12. November 2017 startete vom Weltraumbahnhof Wallops im US-amerikanischen Bundesstaat Virginia die Trägerrakete Antares. Sie brachte den Raumtransporter Cygnus auf die Umlaufbahn. Neben einer Ladung für die Internationale Raumstation transportierte sie einen äußerst kleinen, 2,8 kg schweren Satelliten von der CubeSat-Größe eines Weißbrots mit dem Namen Asgardia-1. Auf dem Satelliten waren 512 Gigabyte Daten von „Bürgern“ Asgardias gespeichert, die, wenn sie sich auf der Asgardia-Homepage registriert hatten, eine Datei, zum Beispiel ein Foto, in den Weltraum schicken konnten.
„Ich habe den Verdacht, dass das die erste Erwähnung von Rap-Musik draußen im Weltraum ist, deswegen bin ich wahrscheinlich so eine Art Gagarin des russischen Raps“, scherzt der Musiker Leonid Popow. Als er von der Asgardia erfuhr, registrierte er sich einfach so zum Spaß auf der Website und beschloss, „ein Zeichen seines Daseins“ ins All zu schicken. „Damals habe ich gerade, meine Single Interstellar fertig gemacht und dachte, es wäre doch symbolisch, den Track in den Weltraum zu schicken”, erzählt er. „So sehr ich auch versucht habe, die Datei zu komprimieren, es ist mir leider nicht gelungen, diesen Track in den Weltraum zu senden. Die erlaubte Dateigröße war einfach zu klein. Letztlich konnte ich dann doch nur das Cover der Single hochladen.“
Die eigentliche Aufgabe des Satelliten war es aber, ein wenn auch kleines, jedoch souveränes Territorium für den Staat Asgardia zu markieren. Eine Fahne, eine Hymne, ein Wappen und eine „Bevölkerung“ hatte er damals schon. Eine Mindestfläche, die ein Staat haben muss, ist nirgends festgeschrieben, sodass Asgardia jetzt formal über alle Merkmale eines Staates verfügt.
Sobald es Staatsorgane gibt, will sich Aschurbejli außerdem an die UNO wenden, damit Asgardia Mitglied der Organisation wird. „Eher wird die UNO aufgelöst, als dass sie Asgardia nicht als Staat anerkennt“, ist Aschurbejli zuversichtlich. Hauptsache sei, dass andere Staaten Asgardia durch Unterzeichnung gegenseitiger Verträge anerkennen, sagt er weiter: „Und seien es nur fünf Staaten der Erde – und die kann ich schon nennen –, die Asgardia als Staat anerkennen, dann kommen wir einfach nach New York und sagen: ,Hallo, wagen Sie es nur, uns nicht aufzunehmen!’“ Nach den Worten eines Informanten aus der Umgebung Aschurbejlis rechnet er sicher mit der Unterstützung von Monaco und Lichtenstein.
Monarchie statt Demokratie in Asgardia
Im neuen Staat haben schon öffentliche Debatten angefangen. Am meisten kränkte die Asgardianer die Art, wie die Verfassung des neuen Staats erstellt wurde. Eine Gruppe von Juristen aus verschiedenen Ländern hatte die Verfassung ohne Mitwirken der Asgardianer selbst ausgearbeitet.
Obwohl Aschurbejli mehrmals mitgeteilt hat, dass die neue Staatsordnung von den Bürgern selbst bestimmt wird, erklärt die Verfassung Asgardia zum Königreich. In der Verfassung steht, dass Aschurbejli der Gründungsvater und der erste Staatschef sei. In der ersten Variante des Dokuments wurde ihm sogar das Recht zugestanden, sich Monarch, Präsident und König zu nennen, gleichfalls garantierte es ihm lebenslange Immunität. Zwar sind diese Punkte aus der letzten Variante der Verfassung verschwunden, dennoch hat er laut Verfassung weiterhin das Recht, den höchsten Richter und den Generalstaatsanwalt einzusetzen und zu entlassen. Außerdem kann Aschurbejli gegen Premierminister, Staatsbankleiter und Richter ein Veto einlegen, das Parlament auflösen und jedes beliebige Gesetz blockieren. Aschurbejli ist nicht der Meinung, dass er zu viel verlangt: „Das ist ein lächerliches Amt. Wo ist meine Krone und wer zahlt mir meinen Lohn?“ An Demokratie glaubt der Geschäftsmann nicht: „Mein Gott! Wo haben Sie Demokratie gesehen? Hören Sie damit auf! Das gibt es nicht. Das ist einfach eine Erfindung, mit der man die Menschen hinters Licht führt.“
Die Asgardianer werden auch nur Affen im Kosmos sein
Viele Asgardianer haben keine Lust mehr, weiter an dem Projekt teilzunehmen. „Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass auch die Bürger Asgardias bei allen hehren Idealen Menschen bleiben“, schreibt ein Asgardianer. „Die Asgardianer werden auch nur Affen im Kosmos sein, die sich gegenseitig die gleiche hässliche egoistische Scheiße antun, wie wir das schon hier auf der Erde machen.“
Aschurbejli selbst behauptet, dass er sich nicht an das Amt des Staatsoberhaupts klammern werde. „Meine Amtszeit ist durch die Verfassung auf fünf Jahre beschränkt“, stellt er klar. „Ich will nämlich, wie auch Wladimir Putin, noch am Strand der französischen Riviera spazieren gehen.“
Die Mitarbeiter des Projekts, mit denen Meduza sprach, sind der Meinung, dass sich die laufenden Kosten Asgardias auf etwa 200.000 Euro pro Monat belaufen. Aschurbejli spart nicht, so richtet er beispielsweise auf der ganzen Welt die Pressekonferenzen zu Asgardia in Ritz-Hotels aus.
Der Gründer von Asgardia will, dass der Staat sich in Zukunft selbst trägt, aber es bleibt unklar, wie das funktionieren soll: Mal will er das mit Hilfe des Blockchain-Verfahrens und der eigenen Kryptowährung Solar erreichen (deren Absicherung der Mond selbst sein soll, also das Ziel zukünftiger Besiedelung), mal mit Hilfe von Startups der Bewohner Asgardias, mal mit Hilfe freiwilliger Steuern.
Laut einem Gesprächspartner von Meduza ist die größte Herausforderung für das Projekt, dass „die Anforderungen sich schnell ändern: Heute soll es auf die eine Weise gemacht werden, morgen auf eine ganz andere und was gestern gemacht wurde, ist dann plötzlich sinnlos“. „Asgardia ist ein Startup, das Leute leiten, die ihre Berufserfahrungen quasi noch in sowjetischer Zeit gemacht haben“, erklärt er.
Ein anderer ehemaliger Mitarbeiter des Projekts drückt sich gegenüber Meduza noch härter aus: „Von innen funktioniert das, als wäre es ein Spielzeug, das einem stinkreichen Kerl gehört. Totales Chaos, alles wird alle Nase lang verändert und dazu die absolute Tyrannei.“ Das Problem sei, dass „die Initiatoren des Projekts in ihrer Borniertheit überhaupt keinen Business-Plan haben. Ihre Ziele und Handlungen stimmen absolut nicht überein“.
Die Chefs hätten dem neuen Staat „so eine tyrannische Verfassung“ gegeben, dass ihnen „die Leute einfach davonlaufen“. Der ganze Weltraum-Staat ist also nichts mehr als der Zeitvertreib einer einzigen Person, so der ehemalige Mitarbeiter von Asgardia. „Obwohl sie sich das nie eingestehen werden. Selbst mit einer Sekte lässt sich das nicht vergleichen, denn da achtet man wirklich bei jedem einzelnen darauf, dass er sich nicht aus dem Staub macht“, sagt er noch. „Wenn kein Geld mehr da ist, dann ist auch das Projekt tot.“
Von solchen Kleinigkeiten lässt sich Igor Aschurbejli nicht aus der Ruhe bringen. Er hat in Asgardia einen Sinn gefunden. „Irgendwie muss ich doch bis zum Tod noch leben“, sagt er, „und muss dabei doch auch was tun. Sonst wär's doch langweilig.“