„Genosse, dort sagt ein Mensch, er sei ein Außerirdischer: Da muss man doch etwas tun!“ Doch, was der Genosse dann macht, führt schnurstracks nach Pljuk in die Galaxie des gleichnamigen Films Kin-dsa-dsa!, wo eine hochentwickelte Zivilisation lebt. Deren Einwohner sehen zwar wie Menschen aus, besitzen jedoch telepathische Fähigkeiten und können sich durch Raum und Zeit beamen. Trotzdem ist das, was Regisseur Giorgi Danelia da im Jahr 1987 auf die Leinwand brachte, keine schöne, neue Welt. Hier offenbart sich eine vom Fortschritt völlig ausgelaugte Gesellschaft mit Bewohnern in zerlumpter Kleidung und einer absurden sozialen Ordnung, wo die einen mit gelben Hosen etwas gelten und die anderen mit Nasen-Glöckchen ausstaffiert werden.
Vor Kin-dsa-dsa! hatte Danelia vor allem mit leicht gesellschaftskritisch angewürzten Komödien landesweite Publikumserfolge erzielt. Doch Kin-dsa-dsa! ist anders. Mit zwei Sowjetbürgern inmitten einer Wüstenlandschaft, die von einer verstörenden Begegnung zur nächsten stolpern, ist der wohl seltsamste Film sowjetischer Kinogeschichte gelungen: eine Art kunstvolle Zeitverschwendung als satirische Sci-fi-Persiflage.
Hier finden Sie den Film beim Filmstudio Mosfilm mit englischen Untertiteln
Als Kin-dsa-dsa! in die Kinos kam, war mit Glasnost und Perestroika die Hochzeit politischer Hoffnung und gesellschaftlicher Unsicherheit. Erste, bis dahin verbotene, Filme durften gezeigt werden, und die westliche Massenkultur sickerte in den Alltag ein, während dissidente Grundsatzkritik am sowjetischen Gesellschaftsprojekt immer häufiger erklang. Der meistgesehene Kinofilm des Jahres 1987 war die Western-Komödie Tschelowek s Bulwara Kapuzinow ( dt. Der Mann vom Kapuziner-Boulevard), die von Liebe, Eifersucht und dem Traum vom goldenen Westen handelt.
Solche Wildwestromantik und Signale des Umbruchs bedient Giorgi Danelia nicht. Vielmehr versetzt er seine beiden Haupthelden in die öde Fremde des Wüstenplaneten Pljuk in der Galaxis Kin-dsa-dsa und erzählt eine Geschichte, die sowohl als sozialkritische Parabel auf den westlichen Kapitalismus wie auch als politische Allegorie auf die korrupte sowjetische Bürokratie gedeutet werden könnte. Keine Szene, kein Detail, das nicht eine Anspielung auf sowjetische kulturelle und politische Realien beinhaltet.
Sowjetische Realien in der Pljuk-Wüste
Schon die Ankunft auf Pljuk ist ganz von Alltagsklischees geprägt: Die beiden Protagonisten wähnen sich zunächst in einer Kapstrana der Dritten Welt, in der die verarmten Einheimischen betteln und schnorren. Gleichzeitig tragen die beiden selbstgemachten Weinessig mit sich herum, was auf die blühende Schattenökonomie ihrer heimischen Mangelwirtschaft verweist.1 Ausgerechnet Streichhölzer, die zwar noch en Masse, dafür aber qualitativ so schlecht hergestellt werden, dass sie ständig abbrechen, erweisen sich auf Pljuk als begehrtes Luxusgut. So wie dieses billige Alltagsutensil hier gewissermaßen zum Symbol sowjetischer Misswirtschaft wird, gräbt Danelia auf 130 Minuten Spielzeit die allzu vertraute Vorstellungswelt des Sowjetbürgers um.
Die Handlung ist schnell erzählt: Der biedere Vorarbeiter Wladimir Maschkow (gespielt von Stanislaw Ljubschin), genannt Onkel Wowa, den seine Ehefrau nach Feierabend noch schnell für Makkaroni losschickt, und der schüchterne Student Gedewan Alexidse aus Batumi (gespielt von Lewan Gabriadse), genannt der Geiger, begegnen sich zufällig am Kalinin-Prospekt im Zentrum von Moskau, wo sie sich um einen vermeintlichen Obdachlosen kümmern wollen. Der stellt sich als Außerirdischer vor und fragt sie nach den Koordinaten ihres Planeten. Ehe sie sich versehen, bringt sie eine falsche Bewegung per Teletransporter nach Pljuk. Dort begeben sie sich auf die Suche nach dem knappen und teuren Treibstoff, den sie für die Rückkehr zur Erde benötigen.
Abweichler als Norm
Ihre ersten Bekannten sind Uef und Bi, zwei Einheimische, die mit den strebsamen Sowjetbürgern so gar nichts gemeinsam haben. Letztlich erweisen sie sich als Begleiter, die den Gästen von der Erde andere Lebenswege und -formen nahebringen wollen. Das deutet Uef bereits bei seinem ersten Auftritt an, als er ihnen mit tänzelndem Schritt und leicht die Hüften schwingend entgegenkommt – nachdem Uef und Bi beinahe wie aus dem Nichts einem quietschenden Raumgleiter entstiegen und ein schräges Hupkonzert angestimmt hatten.
Dieser tänzelnd-verführerische Gestus ist es, der sich durch den Film zieht und ihn einzigartig macht. Die Besetzung mit Jewgeni Leonow in der Rolle des Uef und Juri Jakowlew2 in der Rolle des Bi ist dabei entscheidend: Mit ihnen erscheinen zwei der populärsten Schauspieler der Sowjetunion in dieser flimmernden Wüstenhitze. Diesmal kommen sie als kosmische Wiedergänger von Fy und Bi (dt. Pat und Patachon) daher, tollpatschig, kindlich-betrügerisch und mit Hang zum Egoismus. In ihrer Komik geht es aber nicht so sehr darum – wie bei Pat und Patachon – die Automatismen des irdischen Alltagslebens zu entblößen. Stattdessen vermögen es die liebgewonnenen Filmschauspieler in der Rolle schräger Vögel, ein für den Zuschauer verstörendes Setting zu etablieren: Darin erscheinen die nonkonformistischen Lebensweisen als Norm.
Kulturkritik und Fortschrittspessimismus?
Diese zerlumpten Figuren Uef und Bi haben zugleich einen solch verschmitzten Gleichmut an sich, dass die Filmkritiker bis heute ratlos sind, ob es sich bei dem Film eher um eine dystopische Komödie, philosophische Fabel, satirische Gesellschaftskritik oder doch eine absurde Groteske handele.3
Das rührt auch daher, dass alle eingewebten gesellschaftspolitischen und filmhistorischen Anspielungen weder für die Pljuk-Bewohner noch die beiden Erdlinge von Relevanz zu sein scheinen. So lässt sich Kin-dsa-dsa! zum Beispiel auch als Parodie von Andrej Tarkowskis apokalyptischer Filmästhetik lesen.4 Die Tatsache, dass es auf dem Planeten keine Vegetation oder andere Lebewesen mehr gibt und einzig verrostete Raumgleiter, brüchige Blechbuden und unterirdische Bunkerkatakomben als Behausungen geblieben sind, deutet auf eine subtile Ökokritik hin. Doch scheint die zerstörte Umwelt die Helden keineswegs zu betrüben, im Gegenteil: Für ihre skurrilen Fortbewegungsmaschinen opfern sie lustvoll noch den letzten Rohstoff.
Gleichzeitig werden bei der Darstellung dieser hochintelligenten Zivilisation sämtliche kolonialen Klischees über primitive Kulturen in abgelegenen Weltgegenden aufgerufen, die durch hierarchische Strukturen und diskriminierende Ausgrenzungen gekennzeichnet sind. Entsprechend werden Verstöße mit drakonischen Strafen belegt, und Onkel Wowa und der Geiger müssen als Migranten kleine, silberne Glöckchen in der Nase tragen. Die Begrüßungsrituale wirken zudem lächerlich, und es existieren gerade einmal ein paar Worte im Sprachgebrauch: Neben Ku als Universalwort und Kju als einzig zugelassenem Schimpfwort sind das noch einige technische Bezeichnungen, wie Pepelaz für Raumgleiter, Katse für Streichholz oder Grawizappa für ein zentrales Motorenteil in den Raumgleitern.
Zelebrierte Desillusion
So verlegt Danelias Film zwar viele aktuelle politische Themen und gesellschaftliche Konflikte in grotesk-verzerrter Form auf den Planeten Pljuk, doch von dem Reformwillen von Glasnost und Perestroika ist hier nichts zu spüren. Die Dialoge und Konflikte sind meist belanglos, eine tiefere Figurenpsychologie oder kompliziertere Intrige gibt es nicht. Stattdessen bewegt sich der Film von einer trivialen Wüstenepisode zur nächsten, nur zum Ende gibt es etwas mehr Tempo. „Warum ist zum Beispiel den beiden einsamen Repräsentanten der dortigen ‚Fauna‘ – Bi und Uef – so viel Zeit gewidmet“, fragte seinerzeit der prominente Kritiker und Literaturhistoriker Wsewolod Rewitsch entrüstet: „Die Hauptcharakterzüge dieser kleinen Judasse werden bei ihrem ersten Auftritt deutlich und es kommen keinerlei weitere Schwierigkeiten oder Seelenwinkel hinzu. Ein Kunstwerk lässt sich nicht aus nichts bauen.“5
Doch genau von dieser kunstlosen Zeitverschwendung handelt der Film, und sie lässt ihn nicht erst aus heutiger Sicht so irritierend wirken. Er appelliert an nichts, sondern bringt einfach die desillusionierte Welt des Moskauer und Leningrader Undergrounds auf die fantastisch verfremdete Bühne des Wüstenplaneten. Jener Subkultur, für die das große Säuferepos Die Reise nach Petuschki aus dem Jahr 1969 genauso steht wie das legendäre Café Saigon der 1980er Jahre auf dem Leningrader Newski-Prospekt, in dem die junge Bohème und Untergrund-Künstler wie die Jugend-Ikone Boris Grebenschtschikow ein- und ausgingen.
„Mama, was werde ich tun? Ku“
In Danelias Film sind den stilsicher verwahrlost gekleideten Bewohnern von Pljuk die großen Versprechungen der Politik schlicht völlig egal. Schon bald sehen sich die unbedarften Weltraumreisenden Onkel Wowa und der Geiger genötigt, sich auf die Weltauffassung der Pljukschen Bewohner einzulassen. Begegnen sie den chaotisch-egoistischen Einheimischen Uef und Bi anfangs noch mit sowjetischem Hochmut, süffisantem Spott und auffahrender Geste, lässt Danelia sie schließlich gemeinsam hupend und fiedelnd mit ihren Begleitern auftreten. Der Inbegriff dieses Lebensstils findet sich in jenen Liedzeilen, die die beiden gleich mehrmals zum Besten geben und die ihnen gewissermaßen das Sesam-Öffne-Dich zum Verständnis dieser anderen Welt sind. „Mama, Mama, was werde ich tun? Ku./ Mama, Mama, wie werde ich leben? Yyyyy! Y-ku, y-ku, y-ku, y-ku, y-ku, yyyyy.“
In durchgeschwitzten, dreckigen Hemden krächzen die beiden Männer ihr schrulliges Liedchen und begleiten es mit einer quietschenden Geige und einer Rassel in monotoner Tonlage ohne jede Harmonie. Das Infantile und Stupide wird in diesen Zeilen lustvoll zur Schau gestellt, die sich in ihrer Verknüpfung von kindlichen Grundsatzfragen („wie werde ich leben?“) an die Mutter mit banalem Nonsens („… y-ku, y-ku ...“) um keinen Sinn, keine Moral, keine Gesellschaftskritik scheren. Und gerade dadurch begeistern sie jene Wüstenbewohner, die eine Art subkulturelle Gemeinschaft der Aussteiger im extraterrestrischen Sand darstellen und in einer Welt leben, deren gesellschaftspolitisches System sogar noch öder und diktatorischer ist als die sowjetische Gegenwart der 1980er Jahre.
Kult und Refugium
Fast wie in einem Road Movie entdecken Onkel Wowa und der Geiger zum Ende des Films in der amoralischen und spielerischen Unbedarftheit ihrer Pljuk-Gefährten ein eigenes Ideal von nonkonformer Freiheit für sich9: Dass diese Lust am Anderssein damals nicht dem Mainstream entsprach und mit 15,7 Millionen Kinozuschauern eher mager besucht war, verwundert nicht, dürstete man doch eher nach politischen Visionen, skandalösen Enthüllungen oder den verbotenen Früchten aus dem Westen. Die befremdliche Albernheit von Kin-dsa-dsa! ließ den Film vor allem unter alternativen Subkulturen zum Kult werden – und mit seinen Zitaten und Gesten als Refugium für abweichendes Verhalten bis heute weiterleben.
Text: Matthias Schwartz
Veröffentlicht am 03.08.2017