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Olga Skabejewa

Zweimal täglich erklärt die Moderatorin im Staatsfernsehen die Welt aus Moskauer Sicht. An manchen Tagen ist sie bis zu fünf Stunden mit Desinformation und Kriegshetze nach Vorgaben des Kreml auf Sendung. Skabejewas Spezialgebiet ist der Vollkontakt: Je nach Bedarf werden Gegner provoziert oder niedergebrüllt. 

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Margarita Simonjan

Ihre steile Karriere begann mit einer Lüge im staatlichen Auftrag. Heute kokettiert die Chefin des Propaganda-Senders RT und der staatlichen Medienholding Rossija Sewodnja offen mit ihrer Rolle als Gesicht der russischen Desinformation. Der Kreml belohnt sie großzügig dafür. 

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Sowjetische Eiscreme

Glaubt man der russischen Werbung, vermögen Russen große Kälte und außerordentliche Hitze zu ertragen. Beweise dafür sind Polarexpeditionen, das winterliche Baden in Eislöchern und die Banja.1 Neuerdings häufen sich ernsthafte Klagen, dass der sowjetische Winter besser gewesen sei als die Winter heutzutage: mehr Schnee, mehr Platz, kälter, feierlicher, insgesamt „winterlicher“ und für Kinder viel interessanter.2 Dieses privilegierte Verhältnis zur Kälte dürfte ein Grund dafür sein, dass Eiscreme als russische Nationalspeise gilt. Sie gilt sogar als der „Heilige Gral der Sowjetnostalgie“,3 als das russische Pendant zur Madeleine, deren Duft Marcel Proust schlagartig in seine Kindheit zurückversetzte.

 

Foto © Kommersant Archiv

Wohl kaum irgendwo sonst nimmt Eiscreme einen vergleichbar prominenten Ort im kollektiven Gedächtnis ein wie sowjetisches Eis in Russland. Im Eis materialisiert sich die Erinnerung an geteilte Erlebnisse und an eine gemeinsame Lieblingsspeise. Nicht Großmacht-Nostalgie kommt hier zum Vorschein, sondern auf der sinnlichen Ebene des Alltags ein heimeliges Gefühl der Zusammengehörigkeit – trotz der Größe des Landes.

Sowjetisches Eis war legendär

„In die UdSSR musste man aus drei Gründen reisen: Um das Ballett zu sehen, in den Zirkus zu gehen und um das dortige Eis zu probieren“,  schrieb Diana Kaminskaja im Jahr 2009 in der ukrainischen Online-Zeitung Nowaja unter dem Titel Die leuchtende Vergangenheit: Der Leckerbissen in der Hand oder warum das sowjetische Speiseeis als das beste der Welt galt.4 Ihr Artikel wurde anschließend von zahlreichen Nostalgie-Seiten übernommen, reich bebildert, auf Russland bezogen und erweitert.5  Die Nostalgieseiten Wir aus der Sowjetunion und Leben in der UdSSR führen etwa aus, vor der Perestroika seien 2000 Tonnen des sowjetischen Speiseeises jährlich exportiert worden und im Ausland „ausschließlich in teuren Restaurants zu ganz unsowjetischen Preisen“ erhältlich gewesen.6 Die Beiträge zeigen Bilder vermummter Männer mit Pelzmützen, die im Schneegestöber Eis im Waffelbecher genießen und betonen eine nationale Besonderheit, nämlich dass Sowjetbürger zum Erstaunen ausländischer Beobachter Eis auch im Winter bei Minusgraden auf der Straße aßen.7 „Der Niedergang des sowjetischen Eises kam mit der Perestroika. Von 1990 an wurde das Land von Importeis voller chemischer Streckmittel geflutet“ heißt es bei Kaminskaja und ihren Epigonen im Netz.

Vom Kapitalismus enttäuscht

Die anfängliche Begeisterung für die lang ersehnten Produkte aus dem Westen wich angesichts der schlechten Qualität von Billigstwaren sehr bald der Ernüchterung. Die Rubelkrisen von 1992 und 1998 förderten ebenfalls die Rückbesinnung auf russische Güter. Angesichts des Raubtierkapitalismus erschien die Gesellschaft vor der Perestroika als verlorenes Paradies, das trotz einiger Mängel doch grundsätzlich von Solidarität und der Gleichheit aller geprägt war. Beliebte sowjetische Lebensmittel wie der Schmelzkäse Drushba (dt. Freundschaft), die Schokolade Alenka und Doktorskaja-Wurst erlebten eine Renaissance, weil sie eng mit den Biographien ganzer Generationen verwoben und fester Bestandteil sowjetischer Kochrezepte waren. Sie verkörperten in unsicheren Zeiten die Vision überschaubarer, gerechter „sowjetischer“ Verhältnisse.

Paradoxerweise waren viele dieser beliebten sowjetischen Nostalgiespeisen zu Sowjetzeiten schwer erhältliche Güter und somit Teil einer Kultur der Ungleichheit. Auch das Eis blieb für viele eine Verheißung: Da Eis auf Kühlanlagen angewiesen ist und diese in der Sowjetunion rar waren, war es außerhalb größerer Städte schwer zu bekommen. Die Delikatesse Lakomka (dt. Leckermaul), eine Rolle gefrorener Schokoladencreme mit Vanilleeisfüllung, wurde sogar ausschließlich in Moskau verkauft. Kein Wunder, dass sich um solche raren Belohnungen Legenden rankten!

Eine Errungenschaft des Stalinismus

Anastas Mikojan, Minister für Lebensmittelindustrie und Herausgeber des 1939 erschienenen Buches der schmackhaften und gesunden Speisen, sorgte dafür, dass Eiscreme ab 1938 in die Massenproduktion kam. Es war die Zeit des Großen Terrors. Sowjetisches Eis wurde, so heißt es, ganz ohne Konservierungsmittel aus reiner Milch hergestellt und hatte daher einen einzigartigen, unvergesslichen Geschmack. Die von der Prüfstelle GOST8 garantierten Qualitätsstandards sorgten dafür, dass die kalte Delikatesse überall im riesigen Land gleich schmeckte.

Angesichts entbehrungsreicher Industrialisierungskampagnen und durch die Zwangskollektivierung verursachter Hungersnöte jagte die sowjetische Führung „Saboteure“ und warb für die lichte Zukunft. Einige kleine, sofort erhältliche Luxusgüter wie sowjetischer Champagner, Schokoladenkonfekt und das Speiseeis schafften den Sprung vom Plakat in die Hand. Endgültig gelang dies durch die Konsumoffensive Chruschtschows in den späten 1950er Jahren.

Einen wichtigen Beitrag dazu leistete eine sowjetische Besonderheit, nämlich die Verwendung des Trockeneises, das während des Großen Vaterländischen Kriegs zur Unterstützung der störanfälligen Kühlanlagen genutzt wurde. Ende der 1950er Jahre entstand eine Flotte isolierter, Trockeneis-gekühlter Eiswägelchen, die von älteren Frauen in hygienischen weißen Kitteln und Kopftüchern durch die Straßen geschoben wurden und in den 1960er Jahren zum Straßenbild größerer Städte gehörten.9

In einem Land, in dem die regelmäßige Versorgung mit frischen Milchprodukten unsicher blieb und sogar Zucker nur sporadisch in die Läden kam, bedeutete das frische Milchspeiseeis aus dem Kühlwägelchen eine günstige und regelmäßig verfügbare Delikatesse. Eiscreme wurde Teil der glücklichen sowjetischen Kindheit.

Retro-Linien als Stützen identitärer Politik

In den Erinnerungen daran vereint das Eis Alte und Junge, Große und Kleine. Mittlerweile hat jeder größere Eiscremehersteller mindestens eine Retro-Linie im Programm, um am Trend mitzuverdienen. Nicht nur die Rezeptur, auch die Verpackungen sind an Stil und Motive aus der Sowjetzeit angelehnt. Die raue Haptik des Papiers, vertraute Formen und Symbole wie Eisbären wecken nostalgische Erinnerungen. Rote und blaue Rauten auf weißem Grund zitieren sowjetische Milchpackungen. Einfache Kartonschachteln knüpfen an Familienpackungen der 1960er Jahre an. Die Retro-Linien heißen wie früher, Pure Linie, SSSR oder wie zu Sowjetzeiten Plombir, Eskimo, Moroshenoje. Der Trend dauert an.

Die Qualität der „volkseigenen“, reinen Lebensmittel hat durchaus politisches Potential: Beliebte sowjetische Marken und Produktgruppen wie das Eis gehören zum nationalen kulturellen Erbe und haben einen deutlich identitären Charakter. Die Werbung setzt gerne auf nationales Pathos. Eine große Rolle dabei spielen das alte Misstrauen gegen die westlichen Waren, die von Anfang an als von Emulgatoren und Stabilisatoren verseucht galten, und die Überzeugung, dass die einheimischen Lebensmittel gesünder seien.


1. Im Sommer 2014 ließ die Biermarke Sibirskaja Korona einen Werbespot für Youtube drehen, da Alkoholwerbung im russischen Fernsehen verboten ist. Held des Films ist der amerikanische Schauspieler David Duchovny (X-Files, Californication), dessen Großeltern aus seinerzeit zum Russischen Reich gehörenden polnischen beziehungsweise ukrainischen Gebieten auswanderten. In dem Clip durchlebt Duchovny vor dem inneren Auge eine alternative, typisch „russische“ Biografie in der Sowjetunion mit Winterschwimmen, Banja, Polarexpedition und als Eishockeyspieler. Das Kvass Nikola warb 2007 mit einem Spot, in dem Michael Jackson in der Banja von Coca-Cola auf Kvass umstieg und daraufhin die Hitze ertragen konnte, vgl. Privorotskiy, Andrey (2014): Kvass “Nikola” is a commercial that appeals to patriotism and positioning through denial
2.vgl. die Folie Russischer Winter der mit staatlicher Unterstützung gedrehten Doku-Serie Hergestellt in der UdSSR (russ. Sdelano v SSSR)
3.Raspopina, Sasha (o.D.): Sweet Nostalgia: Why the ice cream brands of communist Russia are still a hot favourite, in: The Calvert Journal: A guide to the new East
4.Kaminskaja, Diana (2009): Svetloe prošloe: Vkusnjatina na paločke ili počemu sovetskoe moroženoe sčitalos‘ lučem v mire, in: Novaja. Letzter Zugriff am 30.11.2016, diese Seite ist zurzeit nicht zugänglich und nur durch WebArchive abrufbar.
5.z. B. auf: ussrlife.blogspot , bigpicture.ru oder sovsojuz.mirtesen.ru
6.vgl. den Artikel über Eiscreme auf der Seite Wir aus der Sowjetunion, der über weite Strecken identisch ist mit dem auf der Webseite Žizn v SSSR (dt. Leben in der UdSSR), auch hier gibt es einen größeren Artikel über Die Geheimnisse der sowjetischen Eiscrreme. Beide haben große Teile von Kaminskaja übernommen.
7.Šarikov, Vladimir (2013): Sovetskoe Moroženoe: Lakomye sekrety cholodnogo proizvodstva (Die Seite heißt übersetzt: „Made in USSR. Die UdSSR im Zeichen der Qualität“)
8.Zum Kult um die GOST-Nummern vgl. Kravets, Olga/Örge,Örsan (2010): Iconic Brands A Socio-Material Story, in: Journal of Material Culture 15 (2010) Nr. 2, S. 205-232 und Suchova, Svetlana )2006): GOSTom budete: V Rossii gosudarstvo zaščitit provo každogo s’est’ nevkusnuju, no bezvrednuju kotletu, in: Itogi Nr. 14, 03.04.2006
9.Smith, Jenny Leigh (2009): “Empire of Ice Cream: How Life Became Sweeter in the Postwar Soviet Union.” , in: Belasco, Warren/Horowitz, Roger (Hrsg.): Food Chains: From Farmyard to Shopping Cart, University of Pennsylvania Press, S. 142-157
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