Tut.by – Zerkalo.io
Tut.by – Zerkalo.io
Marina Solotowa kennt die Repressionen des Landes. Immer wieder stand sie vor Gericht, ihre Online-Redaktion vor dem Aus. Aber sie machte immer weiter. Und selbst zuletzt, als die Repressionen in Belarus immer schlimmer wurden, blieb sie im Land. Auch dann noch, als sich die Schlinge um die unabhängigen Medien immer enger zog. Seit dem 18. Mai 2021 war die Journalistin in Untersuchungshaft. Am 17. März 2023 wurde die Chefredakteurin von Tut.by zusammen mit Ljudmila Tschekina, Geschäftsführerin von Tut.by, zu zwölf Jahren Haft verurteilt.
Tut.by war bis zuletzt das größte unabhängige Medienunternehmen in Belarus und die wichtigste Nachrichtenseite des Landes, mit vielen unterschiedlichen Rubriken wie Politik, Finanzen, Gesellschaft, Internationales. Unter Internetnutzern in Belarus hatte Tut.by im Jahr 2020 eine Reichweite von 3,6 Millionen regelmäßiger Leserinnen und Leser.
Seit den Massenprotesten gegen Machthaber Alexander Lukaschenko im August 2020 leidet aber auch Tut.by unter massiven Repressionen. Im November 2020 wurde die Tut.by-Reporterin Katerina Borisewitsch festgenommen. Sie hatte zuvor vom Tod eines jungen Mannes berichtet: Der Aktivist Roman Bondarenko starb, nachdem er in einem Minsker Hinterhof festgenommen und auf eine Polizeiwache gebracht worden war. Die Behörden behaupteten, er sei betrunken gewesen, aber Borisewitsch zitierte aus seiner Gesundheitsakte, dass das nicht der Fall war. Sie wurde wegen Verrats medizinischer Geheimnisse für sechs Monate inhaftiert – was viel Aufmerksamkeit erregte, war es doch die erste lange Haftstrafe für eine Journalistin nach der brutalen Niederschlagung der Massenproteste 2020.
Im Oktober 2020 wurde Tut.by die Registrierung als Massenmedium entzogen. Seit 18. Mai 2021, jenem Tag, an dem Chefredakteurin Solotowa festgenommen wurde, ist die Nachrichtenseite von den belarussischen Behörden auch blockiert. Mindestens 14 weitere Tut.by-Mitarbeiter kamen in Haft. Der offizielle Vorwurf: Steuerhinterziehung.
Am 8. Juli 2021 gründeten ehemalige Tut.by-Mitarbeiter die Website Zerkalo.io, die so lange berichten sollte, bis Tut.by wieder online gehen könne. Die Redaktion arbeitet größtenteils aus dem Exil; unabhängigen Journalismus aus Belarus heraus zu betreiben, ist praktisch unmöglich geworden.
Am 13. August 2021 erklärte ein Minsker Bezirksgericht die Inhalte beider Portale für extremistisch. Auch in Russland ist Zerkalo.io im Visier der Behörden und seit dem Angriffskrieg gegen die Ukraine für russische Nutzer gesperrt.
Am Beginn von Tut.by stand eigentlich der Wunsch des Internetunternehmers Jurij Sisser, einen Email-Dienst zu gründen, und zwar nach dem Vorbild des US-amerikanischen Yahoo. Im Herbst 2000 ging Tut.by online, als gratis Email-Service, aber auch mit Informationen zu Währungskursen und Wettervorhersagen. Die Seite wurde immer populärer, und entwickelte sich immer mehr zu einer Nachrichtenseite, mit rund 200 neuen Artikeln täglich, auf Russisch und Belarussisch.
2004 wurde Maryna Solotowa Chefredakteurin. Im Laufe der 2000er Jahre entwickelte sich Tut.by immer mehr zu einer unabhängigen Nachrichtenredaktion, ohne Zensur und mit hohen journalistischen Standards. 2021 wurde Tut.by mit dem Gerd Bucerius-Förderpreis Freie Presse Osteuropas ausgezeichnet.
Die Nachrichtenseite hatte immer wieder Probleme mit den Behörden, schon vor der großen Repressionswelle von 2020. Am spektakulärsten war der sogenannte „Belta-Fall“ 2018, benannt nach der staatlichen Nachrichtenagentur Belta: Chefredakteurin Solotowa und 14 Mitarbeiter wurden festgenommen. Vorwurf damals: Unautorisierter Zugang zu Informationen der staatlichen Nachrichtenagentur Belta; Solotowa wurde letztlich zu einer Geldstrafe verurteilt.
ECKDATEN
Gegründet: 2000 (als Medium 2019 registriert)
Chefredakteurin: Marina Solotowa (belaruss. Maryna Solatawa)
URL: www.zerkalo.io
Text: Simone Brunner
(Stand März 2022)