Der Angriff auf die politische Aktivistin Kateryna Handsjuk 2018 in Cherson steht in der Ukraine symbolisch für die Zeit zwischen der Revolution der Würde 2014 und der russischen Vollinvasion 2022: Ein korrupter Lokalbeamter lässt die Stadträtin mithilfe eines stadtbekannten Kriminellen und ATO-Veteranen töten. Anschließend versucht er, der Strafe zu entgegen. Doch zivilgesellschaftliche Aktivisten aus ganz unterschiedlichen Richtungen bewegen die Strafverfolgungsbehörden dazu, nicht nur die Täter, sondern auch den Organisator und schließlich den Auftraggeber des Verbrechens festzunehmen und vor Gericht zu stellen.
Maksym Kamenjew hat für das ukrainische Onlinemedium Graty die Prozessunterlagen und Urteile über die Täter, Komplizen, den Organisator und den Auftraggeber ausgewertet und rekonstruiert damit Schritt für Schritt den tödlichen Angriff auf Kateryna Handsjuk. Dekoder veröffentlicht diese komplexe und verworrene Geschichte auf Deutsch in drei Teilen im Februar 2025.
Teil 1: Das Attentat
Teil 2: Die Suche nach den Hintermännern
Teil 3: Prozesse und Urteile – 27. Februar 2025
Gedenkprotest in Kyjiw zum ersten Jahrestag des Attentats auf Kateryna Handsjuk: Aktivisten fordern Antworten auf die Frage: „Wer hat [den Mord an] Katja Handsjuk bestellt?“ / © Olena Khudiakova / IMAGO / Ukrinform
Der Anstifter
Schon am 5. November 2018 – einen Tag, nachdem Kateryna Handsjuk im Kyjiwer Krankenhaus an den Folgen der Säure-Attacke in Cherson gestorben war – erklärten Freunde und Unterstützer des Bündnisses Wer hat den Mord an Katja Handsjuk bestellt?, dass Ihor Pawlowsky, Mitarbeiter des Rada-Abgeordneten Mykola Palamartschuk vom Block Petro Poroschenko, in den Überfall verwickelt sei. Laut Angaben der Aktivisten war er bereits früher straffällig gewesen und unter dem Spitznamen „Hund“ bekannt.
Während der Präsidentschaft von Wiktor Janukowytsch hatte Pawlowsky für den Abgeordneten Jurii Samoilenko von der Partei der Regionen gearbeitet. Einem anderen Politiker der Partei, Olexii Schurawko, half er, nach dem Euromaidan im besetzten Donbas unterzutauchen.
Laut Aktivisten habe „Torbins Bande“ die letzten sechs Monate vor dem Angriff für Pawlowsky gearbeitet. Es sei Pawlowsky gewesen, der Torbin als Anführer der Truppe das „Geld für Katjas Ermordung“ gab.
Der Generalstaatsanwalt beschuldigte indes die Aktivisten, Ermittlungserkenntnisse durchzustechen
Pawlowsky selbst bestritt jede Beteiligung und betonte, er habe nicht einmal gewusst, wie das Opfer aussah. Sein Vorgesetzter Palamartschuk distanzierte sich von seinem Mitarbeiter und entließ ihn einen Tag nach den Veröffentlichungen der Aktivisten.
Generalstaatsanwalt Jurii Luzenko beschuldigte indes die Aktivisten, Ermittlungserkenntnisse an Medien durchzustechen. Doch vier Tage später, am 10. November, wurde Ihor Pawlowsky dennoch verhaftet. Am 12. November erklärte das Gericht den Verdacht auf Mittäterschaft an einem Auftragsmord mit besonderer Grausamkeit nach Artikel 115 des ukrainischen Strafgesetzbuchs.
Sechs Monate später stimmte Pawlowsky einem Deal mit den Ermittlern zu. Er verpflichtete sich, „ehrlich und wahrheitsgemäß über die ihm bekannten Umstände des Angriffs auf Handsjuk auszusagen“. Im Gegenzug stufte die Staatsanwaltschaft Pawlowskys Beteiligung von „Mittäterschaft an einem Auftragsmord“ zu „Strafvereitelung“ (Art. 396 Abs. 1 ukr. StGB) herunter. Im April 2019 entließ ihn das Prymorsky-Bezirksgericht von Odesa auf Antrag der Staatsanwaltschaft in den Hausarrest unter der Auflage, eine elektronische Fußfessel zu tragen.
Nach Fristablauf des Hausarrests stellte die Staatsanwaltschaft aufgrund von Pawlowskys Gesundheitszustand keinen Antrag auf Verlängerung. Im Juli desselben Jahres übergab die Staatsanwaltschaft den Fall ans Gericht.
Die Journalisten behaupteten, Torbin habe im Sommer 2018 130-mal mit Pawlowsky telefoniert
Pawlowskys Absprache mit den Ermittlern warf bei den Unterstützern Kateryna Handsjuks die Frage auf, ob dieser wirklich eine so geringe Rolle bei dem Angriff auf die Aktivistin gespielt habe. Im April 2019 veröffentlichten Journalisten von slidstvo.info eine Recherche auf Grundlage der Ermittlungsakten, die unter anderem Pawlowskys Telefonverbindungen in den Tagen vor und nach dem Angriff enthielt.
Die Journalisten behaupteten darin, dass Serhii Torbin im Sommer 2018 – vor seiner Verhaftung – 130-mal mit Pawlowsky telefoniert habe. Davon 40-mal nach dem 13. Juli, als Torbin laut Untersuchung den Anschlagsauftrag erhalten hatte. Auch am 18. Juli standen sie in Kontakt – dem Tag, an dem Torbin seine Komplizen nach Cherson brachte, um ihnen Handsjuk zu zeigen. Ebenfalls sprachen sie am 26. Juli, als Torbin und Horbunow die Säure kauften. Als die Polizei am 3. August Nowikow festnahm, telefonierten Torbin und Pawlowsky gar viermal miteinander.
Am 31. Juli 2019 schrieben Aktivisten von „Wer hat den Mord an Katja Handsjuk bestellt?“ bei Pawlowskys Haus „Hier lebt ein Mörder“ an den Zaun.
Ihor Pawlowsky im Januar 2020 auf der Anklagebank im Mordfall Kateryna Handsjuk vor dem Bezirksgericht Pechersky in Kyjiw / © Pavlo Bagmut / IMAGO / Ukrinform
Die Anschuldigung der Aktivisten, dass Pawlowsky Torbin das Geld für den Anschlag gegeben habe, wurden durch die Ermittlungsakten jedoch nicht bestätigt.
Erst ein Jahr später, am 1. Oktober 2020, sagte Ihor Pawlowsky vor Gericht aus – und nannte Olexii Lewin, einen Mitarbeiter eines Regionalabgeordneten von Cherson, und Wladyslaw Manher, Vorsitzender des Chersoner Regionalparlaments, als Organisator bzw. Auftraggeber des Anschlags.
Das Angebot
Die Absprache mit den Ermittlern sah vor, dass Serhii Torbin gegen Lewin und Manher aussagte. Nachdem er die beiden zunächst 2019 belastet hatte, bestätigte Torbin erneut im Juni 2022 seine Aussagen. Während des Prozesses gegen Lewin und Manher wurde er als Zeuge der Anklage vor Gericht befragt.
Torbin berichtete, dass Lewin ihm damals vorgeschlagen habe, Handsjuk zu überfallen, und ihm dafür eine Anzahlung von 500 Dollar und schließlich die Abschlusszahlung von weiteren 4500 Dollar gab.
Torbin und Lewin hatten sich im März 2018 kennengelernt. Ihre Wege kreuzten sich in einem Café, wo sie einander durch einen gemeinsamen Freund und ATO-Veteranen vorgestellt wurden. Anfang Juli 2018 bat Lewin Torbin, mit seinen Mitarbeitern zu einer Kundgebung in der Nähe des Regionalverwaltung von Cherson zu kommen. Laut Lewin würden am 6. Juli „schwere Jungs zusammenkommen und versuchen die Macht zu übernehmen“. Torbin glaubte seinem neuen Bekannten und brachte seine Leute von der Sicherheitsfirma und seiner NGO zur Kundgebung mit.
Handsjuk: „Antimaidan“, „Gauner in Uniform“ und ein „Haufen verärgerter Holzfäller“
Am vereinbarten Tag gab es in der Nähe der Regionalverwaltung zwei Kundgebungen, unter den Teilnehmern befanden sich auch ATO-Veteranen. Torbins Leute unterstützten den damaligen Gouverneur Andrii Hordejew sowie den Vorsitzenden des Regionalparlaments Wladyslaw Manher. Die Teilnehmer der Gegenkundgebung forderten indes den Rücktritt von Hordejew, Manher und weiteren Beamten. Unter anderem kritisierten sie das Verbot, privat Holz in den Wäldern zu schlagen.
Kateryna Handsjuk kritisierte damals die Regionalverwaltung und ihre Unterstützer. Auf ihrer Facebook-Seite schrieb sie, Hordejew und Manher hätten einen „Antimaidan“ versammelt und „Gauner in Uniformen gesteckt, damit sie aussähen wie ATO-Veteranen“. Dazu postete sie ein Foto von Manher am Fenster der Stadtverwaltung: „Der Feigling Manher am Fenster, wie einst Wiktor Pelych von der Partei der Regionen.“ Handsjuk hatte 2014 zu den Organisatoren des Euromaidan in Cherson gehört.
Gleichzeitig zeigte Handsjuk kaum Sympathie für die andere Seite der Demonstrationen und nannte sie „einen Haufen verärgerter Holzfäller“. Torbin las den Beitrag auf Facebook.
„Zuerst meinte ich, dass ich mich nicht beteiligen werde. Doch ich hätte da Jungs, mit denen ich darüber reden könnte“
Vor Gericht behauptete Torbin dann, Lewin habe ihn gebeten, sich privat und ohne Telefon in der Nähe des Cafés Soloty kljutschyk [deutsch: Goldschlüsselchen] am Dnipro-Park zu treffen. Zur vereinbarten Zeit kam Torbin zum Café und ließ sein Telefon im Auto liegen. Lewin wartete bereits und bot ihm an, im Park spazieren zu gehen.
Lewin erwähnte, dass er einer Person eine Lektion erteilen wolle und begann zu erklären, um wen es sich handelte. Als Torbin Lewins Worten entnahm, dass es um Kateryna Handsjuk ging, schlug dieser ihm vor, sie zu verprügeln, um ihr einen Arm oder ein Bein zu brechen oder sie mit Säure zu übergießen. Er erklärte, es sei notwendig, dass sie arbeitsunfähig werde und ins Krankenhaus komme. Ein Mord stand damals nicht zu Debatte. Torbin fragte Lewin, warum es dies tun wolle.
„Lewin sagte, dass sie allen auf die Nerven gehe, auch Mykolajowytsch. Zuerst meinte ich, dass ich mich nicht daran beteiligen werde. Doch ich hätte da Jungs, mit denen ich darüber reden könnte“, erinnert sich Torbin vor Gericht an das Gespräch. Nachdem er sich mit seinen Kameraden beraten habe, habe er am nächsten Tag zugestimmt.
Torbin behauptete weiterhin, dass Lewin ihm die Entlohnung für den Angriff genannt habe. Er übergab die Anzahlung, drängte auf Ausführung und zahlte schließlich die Restsumme. Während der gesamten Zeit korrespondierten sie über WhatsApp und trafen sich im besagten Café Soloty kljutschyk.
Fluchthilfe
Torbin bestand vor Gericht darauf, dass Lewin nicht nur den Angriff auf Handsjuk bezahlte, sondern ihm und Wolodymyr Wassjanowytsch auch finanziell aushalf, als sie Cherson verlassen wollten. Ein Treffen der beiden wurde durch Zeugen bestätigt. Vor Gericht machten sowohl Torbin, Wassjanowytsch, Pawlowsky und dessen Fahrer Walerii Odinzow detaillierte Zeugenaussagen dazu.
Am 17. August rief Wassjanowytsch Torbin an und bat um ein Treffen. Einige Stunden später kam er nach Cherson und teilte ihm mit, dass Wyschnewsky und Horbunow von der Polizei festgenommen worden seien. Daraufhin beschlossen Wassjanowytsch und Torbin, die Stadt zu verlassen, hatten jedoch weder Geld noch ein Auto. Den Jeep Cherokee, mit dem sie Handsjuk gefolgt waren, hatten sie nach dem Anschlag angezündet.
Torbin versuchte erfolglos, Lewin über WhatsApp zu erreichen. Daraufhin bat er Pawlowsky um Hilfe. Am Abend desselben Tages fuhren Torbin und Wassjanowytsch zu Pawlowskys Haus am Stadtrand von Cherson.
Dort ging Torbin zum Eingang, während Wassjanowytsch im Taxi wartete. Torbin bat Pawlowskys Frau, die ihn empfing, ihren Mann zu rufen. Als dieser schließlich herauskam, erklärte ihm Torbin, dass er in Schwierigkeiten stecke und dringend Geld brauche, um die Stadt zu verlassen.
Pawlowsky war bereit zu helfen. Da er seine Bankkarte bei seinem Fahrer Walerii Odinzow gelassen hatte, warteten sie, bis dieser eintraf. Eine halbe Stunde später kam auch Lewin und gab ihnen 2000 Dollar.
August 2018: Die Polizei erwischt Torbin und Wassjanowytsch am Busbahnhof. Lewin flieht nach Bulgarien
Pawlowsky und Torbin sagten später aus, dass Lewin Torbin angeboten habe, sich gemeinsam nach Bulgarien abzusetzen, was dieser jedoch ablehnte, da er keinen Reisepass besaß. Anstelle dessen wolle er nach Kyjiw fahren und sich dort verstecken.
Torbin fragte Pawlowskys Fahrer, ob dieser ihn und Wassjanowytsch nach Kyjiw bringen könne. Odinzow erklärte jedoch, der Wagen müsse erst repariert werden, sonst würde er es nicht bis Kyjiw schaffen. Letztlich willigte er ein, die beiden zum Busbahnhof zu bringen, von wo aus sie mit dem Bus nach Kyjiw fahren könnten.
Am Busbahnhof nahm sie jedoch die Polizei fest.
Am nächsten Morgen verließ Lewin Cherson in Richtung Bulgarien.
Ihor Pawlowsky und sein Assistent Wassyl Schtscherbinin sagten vor Gericht aus, dass Lewin am Morgen seiner Abreise in Pawlowskys Büro vorbeikam. Lewin berichtete, dass Torbin am Vorabend von den Ermittlern aufgespürt und am Busbahnhof festgenommen worden war. Lewin meinte, bald werde man auch ihn finden, weshalb er die Stadt verlassen müsse.
Moskal
Erst am 4. Dezember 2018 gab der SBU bekannt, dass man Olexii Lewin verdächtigte, den Anschlag auf Kateryna Handsjuk in Auftrag gegeben zu haben. Noch einmal anderthalb Monate später, am 24. Januar 2019, wurde Lewin in der Ukraine zur Fahndung ausgeschrieben und dann erst im September desselben Jahres auf die Interpol-Fahndungsliste gesetzt.
Erst ein Jahr später, am 24. Januar 2020, nahm die bulgarische Polizei Lewin in der Stadt Burgas fest. Drei Tage später veröffentlichte sie Einzelheiten: Im Jahr 2018 reiste Lewin zu Fuß über den Grenzübergang im Dorf Durankulak nach Bulgarien ein. Er war hier nicht offiziell registriert. Seit der Ausschreibung zur internationalen Fahndung hatte er sein Aussehen verändert und ähnelte nicht mehr dem Foto in der Datenbank. Die Polizei konnte ihn anhand seiner Fingerabdrücke identifizieren.
Im März 2020, zu Beginn der Coronavirus-Pandemie wurde Lewin an die Ukraine ausgeliefert, wo das Gericht seine Festnahme anordnete. Vier Monate später gab die Staatsanwaltschaft den Abschluss ihrer Ermittlungen gegen die Auftraggeber des Anschlags auf Handsjuk bekannt und überwies den Fall am 27. Juli an das Gericht.
Lewin lebte nach Gefängnisstrafe unter falschem Namen
Die Ermittler fanden heraus, dass Lewin unter falschem Namen lebte. Er hatte ihn 2015 angenommen, nachdem er aus dem Gefängnis entlassen wurde. Davor hatte er den Nachnamen Moskalenko geführt und war unter dem Spitznamen Moskal-Junior bekannt.
Im Februar 2008 war Moskalenko Junior als Mitglied der Spynda-Bande verhaftet worden: Sechs Jahre später, am 7. Oktober 2014, befand eine Richterin des Korabelny-Bezirksgerichts von Mykolajiw ihn und seinen Vater Olexii Moskalenko Senior sowie sechs weitere Bandenmitglieder für schuldig, mehrere Auftragsmorde begangen zu haben, darunter am Direktor des Schumensky-Marktes in Cherson, Ihor Pantala. Wie sein Vater wanderte Moskalenko Junior für 12 Jahre ins Gefängnis.
Knapp ein Jahr später, am 25. Dezember 2015, wurde Olexii Moskalenko jedoch auf der Grundlage des sogenannten Sawtschenko-Gesetzes freigelassen: Das Berufungsgericht der Oblast Mykolajiw rechnete ihm dementsprechend jeden Tag der siebeneinhalb Jahre U-Haft als zwei Hafttage im Gefängnis an.
Später vor Gericht gab Lewin an, dass er sich nach seiner Entlassung zunächst um seine Gesundheit gekümmert und Ende 2016 seine Wohnung in Spanien verkauft habe. Mit dem Erlös gründete er dann einen Agrarbetrieb in der Region Cherson und registrierte ihn unter dem Namen „Leviathan“.
„Ich hatte 2400 Hektar Land in Bewirtschaftung. Außerdem lebte ich sieben Jahre in Spanien und hatte dort eine Baufirma und zwei Wohnungen, von denen ich eine verkauft habe. Die Wohnung kostete 200.000 Euro. 240.000 Euro habe ich dann investiert und Weizen und Sonnenblumen angebaut“, so Lewin vor Gericht.
Anfang 2017 lernte er in einem Fitnessclub Mykola Stawyzky, Abgeordneter im Chersoner Regionalparlament der Radikalen Partei von Oleh Ljashko, kennen. Später bot Stawyzky, der Lewins Vergangenheit kannte, ihm eine Stelle als Mitarbeiter an.
Im Juni 2018 meldete sich Mykola Stawyzky zum Dienst in der ukrainischen Armee und überließ Lewin seinen Mercedes.
In Bulgarien erzählte Lewin Journalisten seine Version
Lewin wollte Torbin kennenlernen, weil dieser in der Stadt als einer der „Cyborgs“ des Donezker Flughafens bekannt war. Er stellte sich Torbin bei Pawlowsky vor, zollte ihm seinen Respekt und bot Unterstützung an. Torbin bat ihn dann von Zeit zu Zeit um Hilfe, als er verschiedene Hilfslieferungen für die ATO vorbereitete.
In Bulgarien erzählte Lewin im Herbst 2019 Journalisten von slidstvo.info seine Version der Ereignisse: Damals betonte er, nichts mit dem Angriff auf Handsjuk zu tun zu haben.
Lewin bestätigte dabei, dass er einige Tage nach der Kundgebung vor der Chersoner Regionalverwaltung in Pawlowskys Büro war. Der Mitarbeiter des Abgeordneten war dabei gerade dabei, sich mit Torbin und vier anderen Männern zu besprechen.
Sie sprachen darüber, was sie mit Kateryna Handsjuk tun sollten, die sie alle nervte. Bei der Kundgebung habe sie die Gegenseite unterstützt, die gegen das Abholzungsverbot protestierte. Zu deren Organisatoren gehörte Olexandr Zehelnyk, ein ATO-Veteran aus Oleschky. Lewin nannte ihn „einen Erzfeind von Pawlowsky“. Einige der Anwesenden schlugen vor, Handsjuk in eine Mülltonne zu werfen, aber dies sei schwierig zu bewerkstelligen.
„Ich meinte, wir sollten sie mit Seljonka übergießen. Denn so würden doch oft Beamte bei Kundgebungen mit grüner Farbe begossen“, sagte Lewin gegenüber den Reportern.
Doch diese Idee habe keine Unterstützung gefunden, stattdessen habe die Runde beschlossen, Handsjuk mit einem Eimer Fäkalien vor ihrem Büro zu übergießen und anschließend Fotos davon zu machen.
Lewin behauptete, dass er am Tag des Angriffs auf der Arbeit war und mit keinem der Angeklagten kommuniziert habe. Dass Handsjuk nicht mit Fäkalien, sondern mit Säure übergossen wurde, erfuhr er erst aus den Nachrichten. Lewin behauptete, Torbin habe ihn gebeten, ihn nach Kyjiw zu bringen, was er jedoch ablehnte, da er selbst Cherson am nächsten Morgen verlassen müsse.
„Wir sollten sie mit Seljonka übergießen“
Als Torbin ihn um Geld bat, habe Lewin eingewilligt und ihm 1000 Dollar gegeben. Lewin bestand darauf, dass weder Pawlowsky noch Torbin gesagt hätten, warum sie nach Kyjiw wollten. Er habe Torbin einfach als Freund geholfen, der offenbar in Schwierigkeiten steckte.
Außerdem beharrte er darauf, dass die Reise nach Bulgarien zur Behandlung von gesundheitlichen Problemen zusammen mit seiner Frau seit langem geplant gewesen sei und sie damals bereits auf gepackten Koffern gesessen hätten. Mykola Stawyzky bestätigte vor Gericht, dass Lewin bereits im Mai eine geplante Auslandsreise erwähnt habe, ohne jedoch den genauen Zeitpunkt zu nennen.
Während der Anhörung vor Gericht bestritt Lewin die Aussage Torbins, er habe den Anschlag auf Handsjuk angeordnet und ihm zunächst eine Anzahlung und danach den Rest des Geldes gegeben, nachdem Kateryna mit Säure übergossen wurde.
Lewin bestritt nicht, dass er Torbin gelegentlich mit Geld, Waren und manchmal Tankgutscheinen ausgeholfen habe, bestand aber darauf, dass er hiermit nur dessen ehrenamtliche Projekte unterstützte. Des Weiteren betonte er, dass er und Torbin über WhatsApp nie das Café Soloty kljutschyk erwähnt hätten.
Das Gericht konnten den Inhalt der Konversation zwischen Lewin und Torbin über WhatsApp nicht ermitteln.
Kaution
In einem Interview mit ihrer Anwältin Jewhenija Sakrewska sagte Kateryna Handsjuk, sie wisse nicht, wer den Angriff auf sie in Auftrag gegeben habe. Doch sie habe keine Zweifel daran, dass es einen Auftraggeber gab. Handsjuk nannte zehn Personen, die aus ihrer Sicht infrage kämen und hob zwei von ihnen hervor: den stellvertretenden Leiter der Regionalverwaltung von Cherson, Jewhen Ryschtschuk, und den Vorsitzenden des Regionalparlaments, Wladyslaw Manher.
„Sie verfügen über bestimmte Kontakte, die so etwas organisieren können: Olexii Lewin, ein Mitarbeiter von Manher, ist einer von ihnen“, sagte Handsjuk damals und fügte hinzu, dass sie einen grundsätzlichen Konflikt mit Ryschtschuk und Manher habe.
In einem Interview mit Kateryna für den slidstvo.info-Investigativfilm Handsjuk. Ein System-Mord nannte die Aktivistin noch einen weiteren möglichen Auftraggeber: den Chef der Regionalverwaltung, Andrii Hordejew.
„Eine Verbindung von Ryschtschuk und Hordejew mit dem Angriff auf Handsjuk konnten wir jedoch nicht feststellen“, sagte Staatsanwalt Andrii Synjuk gegenüber Graty.
Die Ermittler nannten schließlich Wladyslaw Manher als Anstifter des Anschlags auf Handsjuk. Am 11. Februar 2019 erklärten sie dem Vorsitzenden des Regionalparlaments von Cherson ihren Verdacht auf Anstiftung zu einem Auftragsmord mit besonderer Grausamkeit nach Artikel 27, Absatz 3 und Artikel 115, Absätze 4, 6, 11, 12, Teil 2 des ukrainischen Strafgesetzbuchs.
Wladyslaw Manher im Februar 2019 vor Gericht in Kyjiw, weil er den Säure-Anschlag auf Kateryna Handsjuk beauftragt haben soll. / © Zuma / IMAGO / Ukrinform
Die Staatsanwaltschaft hielt Manher für den Auftraggeber des Mordes an Handsjuk und Lewin und Pawlowsky für seine Mittäter. Der Wortlaut des Verdachts implizierte, dass Manher das Geld für den Angriff bezahlte habe, während Lewin und Pawlowsky die unmittelbaren Täter – Torbin und seine Komplizen – ausfindig machten und bezahlten.
Vier Tage später, am 15. Februar 2019, erließ das Petschersky-Bezirksgericht Kyjiw Haftbefehl gegen Manher. Doch gegen Zahlung einer Kaution in Höhe von 2.497.000 Hrywnja [umgerechnet damals etwa 80.620 Euro – dek], welche sein Anwalt noch am selben Tag anwies, wurde Manher aus der Untersuchungshaft entlassen.
Im April desselben Jahres stufte die Staatsanwaltschaft den Verdacht gegen ihn zurück und beschuldigte ihn anstatt des Mordes nur noch der Anstiftung zur schweren Körperverletzung (Art. 121 Abs. 2 ukr. StGB).
Die Anwälte des Parlamentsvorsitzenden beantragten infolgedessen eine 17-fache Reduzierung der Kaution. Im November 2019 gab das Kyjiwer Schewtschenko-Bezirksgericht dem Antrag teilweise statt und reduzierte die Kaution auf 1.152.000 Hrywnja [26.550 Euro – dek].
Wladyslaw Manher blieb bis zum 19. Juni 2020 auf freiem Fuß. Zu diesem Zeitpunkt wurden die Ermittlungen des Angriffs auf Handsjuk abgeschlossen, sodass ihm und Lewin Akteneinsicht gewährt wurde. Die Anklage gegen Ihor Pawlowsky war bereits in Strafvereitelung geändert worden.
Ausweitung der Ermittlungen wegen neuer Umstände: Manher wird im Krankenhaus festgenommen
Am 11. Juni 2020 aber wandte sich die Staatsanwaltschaft unerwartet an das Gericht und beantragte eine Ausweitung der Ermittlungen aufgrund neuer Umstände. Außerdem beantragte die Staatsanwaltschaft abermals Manher zu verhaften. Staatsanwalt Andrii Synjuk begründete diesen Schritt damit, der Verdächtige versuche, Druck auf Zeugen auszuüben und sie zu zwingen, ihre Aussagen zu widerrufen oder zu ändern.
Doch statt vor Gericht zu erscheinen, begab sich Manher auf die Intensivstation der Kardiologie-Abteilung des Chersoner Regionalkrankenhauses. Richterin Tetjana Iljewa vom Pertschersky-Bezirksgericht in Kyjiw veranlasste dennoch Manhers Festnahme.
Das Gericht entschied in nichtöffentlicher Sitzung über die Vorwürfe gegen Manher. Die Staatsanwaltschaft gab keine Auskunft darüber, wem genau der Parlamentsvorsitzende gedroht habe. Manher selbst bestritt, Druck auf Zeugen ausgeübt zu haben.
Fortsetzung folgt:
Wie das Gericht letztlich zu seinen Urteilen über Olexii Lewin und Wladyslaw Manher kommt, berichtet Teil 3 von „Wer hat den Mord an Katja Handsjuk bestellt?“ – Protokoll eines Verbrechens: Prozesse und Urteile – ab 27. Februar 2025