Der Schauspieler Iwan Ochlobystin spielt sehr unterschiedliche Rollen – und er spielt sie alle mit Überzeugung. Im TV-Porträt, das ihm vom ersten russischen Programm Erster Kanal 2011 gewidmet wurde,1 erscheint er vor allem als Familienmensch – als liebender, treuer Ehemann und Vater von sechs Kindern. In den Interviewpassagen wirkt er unprätentiös und gibt sich natürlich – einfach ein russischer Mann: kurzgeschnittenes Haar, ärmelloses rotes T-Shirt, beide Arme stark tätowiert, Sonnenbrille. Als Persönlichkeit des öffentlichen Lebens spielt er seit Anfang der 1990er Jahre jedoch noch ganz andere Rollen: Er ist Filmschauspieler, Drehbuchautor, Filmregisseur, orthodoxer Priester, Manager. Seit 2011 artikuliert er sich verstärkt auch politisch. Dabei vertritt er nationalkonservative, antiliberale Positionen und provoziert mit aggressiven Aussagen gegen Homosexuelle, Liberale oder die Ukraine.
Geboren 1966 unweit von Moskau erfuhr Ochlobystin seine künstlerische Sozialisation als Regiestudent an der Moskauer Filmhochschule, die er 1992 abschloss. Erstmals in Erscheinung trat er jedoch als Schauspieler und zwar in der Rolle eines Afghanistan-Heimkehrers in dem surrealistischen Drama Noga (dt. Der Fuß, 1991). In der Folge sicherte sich Ochlobystin einen festen Platz in der Moskauer Filmszene der 1990er Jahre, indem er Drehbücher verfasste und Filmrollen übernahm.
Ochlobystin gehörte damals einer neuen Generation an, die sich den ideologiefreien Raum nach dem Zerfall der Sowjetunion zunutze machte und Tabubruch und Provokation zu ihren ästhetischen Prinzipien erhob. Den Höhepunkt und gleichzeitig auch den Abschluss dieser Phase seines Künstlerlebens bildet der Film Daun Chaus (2001). An dieser Entweihung von Fjodor Dostojewskis Roman Idiot, die die Handlung in das kriminelle Moskau der 1990er Jahre verlegt, waren auch die wichtigsten Weggefährten Ochlobystins beteiligt: Roman Katschanow führte Regie und verfasste gemeinsam mit Ochlobystin das Drehbuch. In den Hauptrollen waren Ochlobystin selbst sowie Fjodor Bondartschuk, der Sohn des berühmten und regimetreuen sowjetischen Regisseurs Sergej Bondartschuk, zu sehen.
Auf die Jahre als Enfant terrible folgten Jahre des Rückzugs aus dem öffentlichen Leben. 2001 übersiedelte Ochlobystin mit seiner Familie nach Taschkent, wo er zum orthodoxen Priester geweiht wurde. Nach sieben Monaten kehrte er mit Frau und Kindern nach Moskau zurück und stand bis 2010 als Vater Ioann im Dienst der Orthodoxen Kirche. Ab 2007 übernahm er jedoch wieder Filmrollen. Er spielte unter anderem den blasphemischen Narren des Zaren Iwan der Schreckliche in Pawel Lungins Historienfilm Car (2009). Die Rolle provozierte seine vorübergehende Suspendierung durch den Moskauer Patriarchen Kirill. Seither ist Ochlobystin als Schauspieler äußerst aktiv, vor allem in Fernsehserien.
Im September 2011 trat Ochlobystin außerdem erstmals lautstark als politische Figur in Erscheinung. So präsentierte er in einer Polit-Performance im Moskauer Sportpalast Luzhniki, die ihresgleichen sucht, eine Art politisches Manifest.2 Diese Doktrin-77 hat jedoch wenig mit einem ernstzunehmenden politischen Programm gemeinsam. Als Auftaktveranstaltung zur angekündigten Kandidatur für die Präsidentschaftswahlen 2012 lanciert, präsentierte Ochlobystin ein Konglomerat aus imperialen, nationalrussischen und religiösen Ideen, das mit Fantasy-Elementen angereichert war. So ist darin beispielsweise vom Weltenende und einem apokalyptischen Endkampf die Rede sowie davon, dass die Russen für den Krieg geschaffen seien.
Kritische Beobachter fühlten sich durch die Präsentationsform – mit einer weißen Pyramide als Bühnenbild, Rauch, Musik und dem an Schlüsselstellen seines Textes die Pauke schlagenden Ochlobystin – an die Praktiken totalitärer Sekten erinnert.3 Gleichzeitig wurde darüber spekuliert, wer diese Show denn finanziert habe und wessen Werbestrategie das sei. Denn Ochlobystin hatte zu diesem Zeitpunkt den Posten eines Kreativdirektors beim Mobilfunkanbieter Evroset inne.
Ochlobystins politisches Engagement als Präsidentschaftskandidat, dann als Gründer einer Partei namens Koalition Himmel und schließlich als Ideologe der Partei Rechte Sache (Pravoje delo), löste sich schnell in nichts auf. Weit nachhaltiger wirken dagegen seine auf Provokation ausgerichteten politischen Aussagen über Liberale, Oppositionelle und Andersdenkende, die als Bestandteile eines nationalkonservativen Populismus in den russischen Medien kursieren. Dazu gehören insbesondere seine Aussagen über Homosexuelle, die man am besten „bei lebendigem Leibe in den Ofen stecken sollte“4, oder seine Unterstützung für die Separatisten im Donbass, für die er 2014 mit einem Einreiseverbot in die Ukraine belegt wurde.
Iwan Ochlobystin ist eine prominente Figur der russischen Medienwelt. Durch seine provokanten politischen Aussagen trägt er wesentlich zur medialen Mobilisierung gegen Andersdenkende im heutigen Russland sowie zu einer Verrohung des gesellschaftlichen Diskurses bei. Dabei ist Ochlobystin als mediales Phänomen höchst komplex. So kann längst nicht mehr zwischen den Rollen, die er spielt, und den politischen Meinungen, die er vertritt, unterschieden werden. Eine Strategie, die Ochlobystin einsetzt, um genau diese Grenze zu verwischen, ist die Rolle des Jurodiwy, der russisch-orthodoxen Variante des Narren in Christo. Dass dieses Spiel aufgeht, zeigt die Einschätzung des Schriftstellers Dimitri Bykow, der die Meinung vertritt, Ochlobystin würde die Losungen der orthodoxen Kirche wie auch der Politik extrem überzeichnen und damit als absurd entlarven.5 Dabei wird allerdings übersehen, dass die traditionelle Funktion des Jurodiwy darin bestand, die Macht bzw. die Mächtigen mit Verachtung zu strafen. Ochlobystin dagegen geht mit dem derzeitigen politischen Mainstream konform.