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„Die Lektüre von Adamowitschs Büchern sollte von irgendeiner Art an Atemübungen, von Gartenarbeit, Musikpraxis oder Gebet begleitet werden. Sie bieten keine Katharsis. Sie bezeugen das Scheitern der Menschheit als Projekt der Menschlichkeit“ – schreibt die Lyrikerin Valzhyna Mort.1 In der Tat gehören die Werke des belarusisch-sowjetischen Nachkriegsschriftstellers, Publizisten, Literaturwissenschaftlers, Drehbuchautors und Menschenrechtlers Ales Adamowitsch zu den erschütterndsten Werken über die Gräuel des Zweiten Weltkriegs auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion. Er schrieb über Verbrechen, menschliches Leid und Schuldfragen, aus denen es kein Entrinnen gibt. Neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit waren es auch sein Kampf um die Aufarbeitung der Tschernobyl-Katastrophe und sein Einsatz für Menschenrechte und Demokratie im unabhängigen Belarus, die seiner Stimme bis heute für viele Belarusen ein großes moralisches Gewicht verleihen.
„Furchtlosigkeit war das Grundmerkmal seiner Persönlichkeit“2. So beschrieb der Moskauer Literaturkritiker Lasar Lasarew seinen Freund und Kollegen Adamowitsch. Dabei war dessen Leben alles andere als frei von Gelegenheiten, sich zu fürchten.
Der 1927 als Sohn eines Arztes geborene Adamowitsch wuchs in der Arbeitersiedlung Gluscha auf, nahe der Stadt Bobruisk in der Region von Mogiljow (belarus. Mahiljou) im Osten des Landes – ehemals ein bedeutendes Zentrum jüdischer Kultur. Als der Ort ab 1941 unter deutsche Besatzung geriet, errichteten die Deutschen hier ein Ghetto für die jüdische Bevölkerung und verübten grausame Massaker an Tausenden von Juden und sowjetischen Kriegsgefangenen. Der junge Adamowitsch war Zeuge der Ereignisse und erinnert sich noch Jahre später an die Bilder der sterbenden und toten Menschen aus dem Lager – „wie mir schien, das Schrecklichste, was ich je im Krieg gesehen hatte (wohl, weil es meine erste Erschütterung war).“3 Der Krieg wütet weiter. Während der Vater an die Front geht, schließt sich die Mutter mit dem inzwischen 15-jährigen Ales und dessen Bruder den Partisanen an. Von 1943 bis Anfang 1944 kämpft der Jugendliche in einer Partisaneneinheit gegen die deutschen Besatzer. Das Kriegsende erlebt er schließlich im weit entfernten Altai als Student an der Leninogorsker Hochschule für Bergbau und Metallurgie.
Seine eigentliche Berufung aber waren die Literatur und der Film. Bereits 1945 kehrte er nach Minsk zurück, wo er an der Philologischen Fakultät der Belarusischen Staatlichen Universität studierte und promovierte. Anschließend arbeitete er bis 1987 am Janka-Kupala-Institut für Literatur an der Belarusischen Akademie der Wissenschaften, welches er ab 1976 leitete. Unterbrochen war seine Minsker Zeit nur durch einen Aufenthalt an der Moskauer Lomonossow-Universität, wo er von 1962 bis 1966 am Institut für Nationalliteraturen als Dozent tätig war. Parallel studierte der vielfach Begabte an der Moskauer Filmhochschule Drehbuch. Seine Zeit dort endete jedoch plötzlich und unfreiwillig, als er sich weigerte, einen Denunziationsbrief gegen die Schriftsteller Andrej Sinjwaski und Juli Daniel zu unterschreiben. Von seiner damaligen Position als Leiter der Abteilung für Belarusische Literatur wurde er postwendend suspendiert, desillusioniert kehrte er nach Minsk zurück. Adamowitschs integere Haltung gegenüber seinen Kollegen und der ideologisch motivierte Rauswurf wiesen ihn als Schestidesjatnik aus. In den Kreisen dieser freiheitlich orientierten Nachkriegsintellektuellen wurde er zu einer anerkannten Größe.
Er war zudem einer der wenigen belarusischen Intellektuellen, der sich im Belarusischen und im Russischen gleichermaßen zu Hause fühlte und damit eine Brückenfunktion zwischen Moskau und Minsk einnahm. Seine ersten, meist noch auf Belarusisch verfassten literaturkritischen Publikationen der 1950er Jahre thematisierten das Verhältnis von literarischer Stimme, verantwortungsbewusstem individuellem Handeln und Zeitgeschichte. Damit eckte er im kaderdurchtränkten sowjetischen Literaturbetrieb an. Zugleich befeuerte er bis weit in die 1980er Jahre hinein den Diskurs über die Aufgaben und Funktionen von Literatur in Zeiten historischer und gesellschaftlicher Krisen. Der belarusischen Literatur(geschichte) sprach er stets einen eigenen Stellenwert innerhalb der Sowjetliteraturen zu.
Es ist der humanistisch-ethische Blick auf den Krieg, der Adamowitsch neben Wassil Bykau zum wichtigsten belarusischen Nachkriegsautor machte – sie sind das Zweigestirn der belarusischen Erinnerungsliteratur. Während der wenig ältere Bykau über die eigenen verstörenden Fronterlebnisse schrieb, umkreiste Adamowitsch in seinen Prosatexten das Grauen des Krieges und „die Gewalt (insbesondere die Kriegsgewalt) als historisches und menschlich-psychologisches Problem“4 aus dem Blickwinkel der Generation jener, die im Krieg noch Kinder und Jugendliche gewesen waren. So legte er seinem 1948 erschienenen literarischen Debüt Partisany, das in zwei Bänden5 vom tragischen Überlebens- und Widerstandskampf unter deutscher Okkupation erzählt, seine eigenen Erfahrungen bei den Partisanen zugrunde. Auch wenn er darin den positiven sowjetischen Partisanenhelden im Blick hat, kommen dabei doch die existenziellen Erschütterungen der Kriegszeugen und moralische Verwerfungen wie Kollaboration und Verrat zur Sprache.
Insbesondere mit seinen ab den 1970er Jahren entstandenen Werken begann Adamowitsch die Grenzen des Erzählbaren auszuloten und die persönlichen Zeugenerinnerungen der belarusischen Kriegsüberlebenden in die Literatur zurückzuholen. Immer an den Rändern der Zensur, gab er darin sowohl den Opfern als auch den Tätern eine Stimme und brach damit die stereotypen Freund-Feind-Bilder der ideologisierten sowjetischen Kriegsdarstellung auf. In Chatynskaja powest (1971, Chatyner Erzählung)6 tritt in der rückblickenden Perspektive eines ehemaligen Partisanen die Spannung zwischen offizieller und individueller Erinnerung in den Vordergrund. Er erzählt von den Massakern im Dorf Chatyn, das im März 1943 durch das berüchtigte „SS-Sonderkommando Dirlewanger“ mitsamt seinen Bewohnern niedergebrannt worden war. Die Gedenkstätte Chatyn ist bis heute offizielles belarusisches Mahnmal für die Opfer des verheerenden deutschen Vernichtungskriegs in Belarus und steht stellvertretend für Tausende verbrannter Dörfer. Die Bilder des Tötens und Szenerien alptraumhafter Todeslandschaften sind vom Buch in Elem Klimows Idi i smotri (1985, Komm und sieh) eingegangen, den erschütterndsten aller Anti-Kriegsfilme.
Auch zahlreiche Szenen aus dem Roman Karateli (1980, Henkersknechte)7 finden sich in dem von Adamowitsch mitverfassten Drehbuch wieder. In einer dichten Mischung aus dokumentarischem Material, Zeugenaussagen und fiktiven Passagen entwirft dieser Roman eine Chronologie des Tötens und entfaltet dabei die Denk-, Wahrnehmungs- und Handlungsperspektiven der Täter und ihrer Henkersknechte.8
Aus den Psychogrammen der Protagonisten entstehen so „Bilder von Menschen, die nur noch als belebter Teil ihrer Tötungsinstrumente zu verstehen sind.“10 Mit der radikalen Fokussierung auf die Täterperspektive war Adamowitsch seiner Zeit weit voraus.11
Swetlana Alexijewitsch wurde weltberühmt durch ihre Literatur der „chorischen Zeugenschaft“. Vorbild dafür war Ales Adamowitsch, der auch während der gemeinsamen Arbeit in der Redaktion der Zeitschrift Njoman ihr Mentor gewesen war. Seine Form der vielstimmigen Dokumentarprosa hatte er zwischen 1970 und 1973 entwickelt, als er mit seinen Schriftstellerkollegen Janka Bryl und Wladimir Kolesnik durch die versengten Landschaften der belarusischen Provinz reiste und über 300 Gespräche mit Überlebenden der Kriegsereignisse protokollierte. Behutsam in einen kommentierenden Erzählrahmen gegossen, entstand so in dem Buch Ja z vohnennaj vëski... (1975, Ich bin aus einem Feuerdorf)12 eine verdichtete Erzählung der Zeugenerinnerungen in chorischer Vielstimmigkeit, die auch Vorbild für das weitaus berühmtere Blokadnaja kniga (1977–1981, Blockadebuch) sein sollte. Dafür suchte Adamowitsch mit seinem russischen Kollegen Daniil Granin über einen mehrjährigen Zeitraum Überlebende der Blockade Leningrads auf. In vorsichtiger Annäherung brachte er sie dazu, über ihre persönlichen, teils lang verschwiegenen Erinnerungen zu sprechen und zu erzählen, was sie noch nie erzählt hatten. Beide Bücher sind Meilensteine der literarisch-dokumentarischen Erinnerungsliteratur: Es gelang ihnen wie keinen anderen Werken, kollektive Kriegstraumata in lebendig erzählten Einzelschicksalen sichtbar zu machen.
Adamowitsch tat sich auch in der Endphase der Sowjetunion und in den ersten Jahren der unabhängigen Republik Belarus durch sein politisches und humanistisches Engagement hervor. Ein Initialereignis war das Reaktorunglück von Tschernobyl 1986 und die Verhinderung einer transparenten Aufklärung seitens der sowjetischen Regierung. Dabei hatte er schon Jahre zuvor vehement vor der atomaren Gefahr gewarnt. „Auf keiner Tür der Welt steht die Inschrift: ‚Notausgang'. Im Falle einer nuklearen Feuersbrunst kann man nirgendwohin fliehen“ – schrieb er bereits 1981.13 Adamowitsch gehörte damit zu jenem kleinen Kreis an Intellektuellen und Wissenschaftlern, die vorausahnend einer nuklearen Katastrophe und ihren dramatischen Folgen entgegenzuwirken versuchten. Für die Aufklärung der Katastrophe von Tschernobyl forderte er schließlich einen „ökologischen Nürnberger Prozess“.14
Es war wohl sein Glück, dass er den Machtantritt Alexander Lukaschenkos nicht mehr erleben musste. Denn in seinen letzten Lebensjahren war Adamowitschs ganze Kraft in die Menschenrechtsarbeit und den Einsatz für die Unabhängigkeit von Belarus geflossen: 1988 gehörte er zu den Gründungsmitgliedern der Menschenrechtsorganisation Memorial und der Partei Belaruski Narodny Front „Adradshenne“, die sich für die demokratische Unabhängigkeit des Landes, für die belarusische Sprache und Kultur und für die Aufarbeitung der Stalinschen Verbrechen stark machte. Adamowitsch starb am 26. Januar 1994 an einem Herzinfarkt, kurz nachdem er vor Gericht eine Rede zur Verteidigung der Rechtelage der Schriftsteller der ehemaligen UdSSR gehalten hatte. Seine pazifistisch-humanistische Stimme gilt es über sein umfangreiches Werk, das sich über die Aufarbeitung der traumatischen Kriegserfahrungen des Zweiten Weltkriegs hinaus den universellen Fragen der Verantwortung individuellen Handelns widmet, noch weiter zu entdecken.
Weißrussland oder Belarus? Belarussisch oder belarusisch? Die Belarus oder das Belarus? Nicht ganz leicht zu beantworten. Da es im Deutschen keine einheitlich kodifizierten Schreibweisen für diese Bezeichnungen und deren Adjektive gibt, überlassen wir es den Autorinnen und Autoren der Gnosen, welche Schreibweise sie verwenden. Die Schreibweise in redaktionellen Inhalten (wie Titel und Erklärtexte) wird von der dekoder-Redaktion verantwortet.
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