Sorge um Maria Kolesnikowa: Eine Augenzeugin hatte am Montagmorgen im Zentrum von Minsk beobachtet, wie die letzte im Land verbliebene Mitstreiterin aus dem Frauentrio um Swetlana Tichanowskaja von maskierten Männern in Zivil in einen dunklen Kleinbus gezerrt wurde. Im Lauf des Tages waren auch zwei weitere Mitglieder des Koordinationsrates – Anton Rodnenkow und Iwan Krawzow – nicht mehr erreichbar und galten als vermisst. Von letzteren beiden gibt es nun ein Lebenszeichen aus der Ukraine – sie wurden aller Wahrscheinlichkeit nach gegen ihren Willen außer Landes gebracht. Der Staatssender Belarus 1 hatte berichtet, die beiden Männer seien ins Ausland geflohen. Kolesnikowa sei verhaftet worden – beim illegalen Versuch, die Grenze zu überqueren. Dem widersprechen nicht nur frühere Aussagen Kolesnikowas, sondern auch eine Meldung von Interfax-Ukraine: Demnach hat Kolesnikowa an der Grenze ihren Pass zerrissen, um nicht gegen eigenen Willen außer Landes gebracht zu werden. Über ihren Verbleib herrscht derzeit Unklarheit. Das unabhängige belarussische Medium tut.by veröffentlichte ein Interview mit einem belarussischen Grenzbeamten, der darin aussagt, Kolesnikowa sei an der belarussisch-ukrainischen Grenze festgenommen worden. Alexander Lukaschenko hatte in den 1990er Jahren mehrfach politische Gegner gewaltsam verschwinden und höchstwahrscheinlich ermorden lassen. Der freie Osteuropa-Korrespondent Stefan Schocher weist auf seinem Facebook-Account darauf hin, dass die Taten damals „wenn es denn Zeugen gab, von Personen in Zivil“ ausgeführt wurden. Es waren häufig auch Männer in Zivilkleidung und mit Masken, die in den vergangenen Tagen gewaltsam gegen Demonstrierende vorgegangen sind.
Die Gewalt der letzten Tage und Wochen, aber auch die Hoffnung der Demonstrierenden – all das hat Eingang in die belarussische Sprache gefunden. Mikita Ilintschik hat ein Wörterbuch zu Belarus im Wandel auf Republic zusammengestellt.
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„Lukaschenko, ab in den Awtosak!“ (russ. Lukaschenko w awtosak!) In Belarus, genau wie in Russland, ist der Awtosak (der Gefangenentransporter) eines der Symbole staatlicher Gewalt. Er dient als Angstmacher und ist häufig anzutreffen: Oft stehen mehrere davon im Stadtzentrum oder fahren durch die Straßen von Minsk. Andererseits finden sie auch Anwendung im Marketing, auf Magneten und T-Shirts, und in der modernen Kunst. Die obige Losung des Sommers 2020 fordert unmissverständlich, dass das Objekt seinem Zweck gemäß zum Einsatz kommt: Verbrecher gehören in den Awtosak, nicht Bürger, die friedlich ihre Meinung kundtun oder einfach zufällig vorbeikommen.
Chapun (böser Geist der slawischen Mythologie, der vornehmlich Juden und Kinder entführt): bezeichnet eine Taktik der belarussischen Slabowiki (siehe unten), die sich durch einen überraschenden und aggressiven Verhaftungsstil auszeichnet. Chapun ist eine Massenerscheinung und geschieht unerwartet. Das Prinzip ist folgendes: Ein Awtosak (siehe oben) kommt aus dem Nichts, aus dem Nichts stürmen die OMON-Kräfte auf die Straße und nehmen die Menschen mit ins Nirgendwo. Die Sicherheitskräfte nennen keinen Grund für die Verhaftung und tragen keine Erkennungsmarken. Die Bürger werden in Autos ohne Nummernschilder oder in den Awtosak gesteckt.
„Es lebe Belarus!“ (belaruss. Shiwe Belarus!) ist die mittlerweile weltweit bekannte Losung der belarussischen Opposition von 2020. Genau so hieß übrigens auch die offizielle Hymne des unabhängigen Belarus bis 1995. 1995 hielt Lukaschenko ein Referendum zur Wiedereinführung sowjetischer Staatssymbole ab. Flagge, Wappen und Hymne wurden mit geringen Änderungen wiedereingeführt. Auch deswegen ruft Shiwe Belarus! Assoziationen an ein Belarus ohne Lukaschenko wach, an die Geburt eines belarussischen Staates – sowohl 1918 als auch 1991.
Lustig ist, dass die Losung zwei gegensätzliche Bedeutungen gleichzeitig hat: Einerseits gibt es sie im offiziellen Sprachgebrauch (zum Beispiel erscheint das Organ des Belarussischen Parlaments, die Narodnaja Gazeta, mit dem Slogan Shiwe Belarus! im Logotyp). Andererseits wurde sie zur Losung der Opposition. Die Situation geriet zur Farce, als der Slogan de facto verboten wurde: Es kam zu Verhaftungen, Verurteilungen und Gefängnisstrafen, in den Protokollen hieß es: „Die Person hat die staatsfeindliche Losung Shiwe Belarus! gerufen.“
Genügsamkeit (belaruss. pamjarkoŭnasz). Psychophysischer Massenzustand der Bürgerinnen und Bürger der Republik Belarus von 1994 bis 2020. Umfasst Gedanken über Demokratie und Freiheit genauso wie chronische Depressionen, Lustlosigkeit oder Unfähigkeit zu entschiedenen Handlungen, Angst vor Veränderungen, Wandel ist unmöglich, mein Name ist Hase, ich weiß von nichts. Kurz, das Wort beschreibt den Geisteszustand der Nation, der durch die Politik Lukaschenkos die letzten 26 Jahre geschaffen wurde.
„Glauben! Können! Siegen!“ (belaruss. Werym! Mosham! Peramosham!) ist eine der wichtigsten Losungen des belаrussischen Protests im Jahr 2020. Woher sie stammt, ist unbekannt. Es gibt auch schon eine neue Version: „Glauben! Lieben! Siegen!“ [sic. Geläufiger ist allerdings Ljubim! Mosham! Peramosham!, „Lieben! Können! Siegen!“ – dek]. Hier steht der friedliche Charakter der Proteste im Mittelpunkt.
Henkersknechte (russ. karateli) sind Angehörige bewaffneter Einheiten (gewöhnlich von Besatzern), die für die Repressionen gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen des besetzten oder unterworfenen Gebiets zuständig sind. In der Nacht vom 9. auf den 10. August 2020, gleich nach dem Ende der Wahl, haben die belarussischen OMON-Kräfte Grausamkeit walten lassen, nicht nur bei Festnahmen, sondern auch bei Verhören. Ungeheuerlich waren auch die Haftbedingungen der Festgenommenen. Für viele kam diese Grausamkeit völlig unerwartet. So hielt karateli, ein seit dem Großen Vaterländischen Krieg vergessener Begriff, wieder Einzug in das belarussische Wörterbuch. Und sollte das Wort „Faschisten“ es geschafft haben, in der ehemaligen Sowjetunion zu einem Sprachklischee zu werden, das sowohl Demonstranten nutzen als auch die offizielle Propaganda, so klingt das Wort „Henkersknecht“ im Jahr 2020 einfach nur hart und grausam. Ganz zu schweigen von all dem, was bewiesen ist: Das Internet ist voll von Dokumenten und Belegen der Gräueltaten des Lukaschenko-Regimes. Festgenommenen Männern wurden die Hoden abgequetscht, Rippen gebrochen, Frauen Haare ausgerissen. Sowohl Männer als auch Frauen waren sexueller Gewalt und brutalen Schlägen ausgesetzt. Gegen friedliche Demonstranten kamen Gummigeschosse und Wasserwerfer zum Einsatz. Verhaftete bekamen Elektroschocks, wurden entkleidet, mit Wasser übergossen, 50 Leute wurden in eine kleine Zelle gepfercht, mit Spraydosen farblich markiert: Die unterschiedlichen Farben standen für die unterschiedlichen Grausamkeitsstufen, denen die Festgenommenen ausgesetzt wurden. Die Assoziation zu den faschistischen Besatzern kam ganz von selbst auf, und damit auch das Wort. Ich möchte daran erinnern, dass Karateli (dt.: Henkersknechte) ein Werk des berühmten belarussischen Schriftstellers Ales Adamowitsch ist.
Okrestina. Dorthin werden die Aufständischen im Awtosak (siehe oben) kutschiert. Okrestina ist das Zentrum zur Isolierung von Gesetzesbrechern (ZIP), eine Einrichtung der Hauptverwaltung des Inneren von Minsk. Adresse: Perwy Pereulok Okrestina 36. Während der Massenverhaftungen, in der Nacht auf den 10. August, wurden die Menschen im Awtosak ins ZIP gebracht. In Sechser-Zellen fanden sich mehrere Dutzend zusammengeschlagener Leute – bis zu 60 Festgenommene saßen in einer Zelle. Entsprechend wurde die Okrestina ein Synonym für „Folterkammer“. Schrecklich ist auch das Schicksal des Namensgebers: Boris Okrestin, nach dem die Straße, in der sich das Gefängnis befindet, benannt ist, war ein sowjetischer Pilot, der in der Nähe von Minsk umkam, als er sein brennendes Flugzeug in Flieger der Faschisten hineinsteuerte.
Sascha 3 %. Im Mai 2020 wurden auf vielen Internetplattformen Wahlumfragen durchgeführt, bei denen die Nutzer für unterschiedliche belarussische Präsidentschaftskandidaten abstimmen konnten. Alexander Lukaschenko bekam in der Regel um die 3 Prozent. Daraufhin verbot der Staat derartige Internet-Umfragen. Nachwahlbefragungen an Wahllokalen im Ausland kamen zu denselben Ergebnissen, um die 3 Prozent. An keinem Wahlbüro in Ländern, in denen Nachwahlbefragungen erlaubt sind, erzielte Lukaschenko mehr als 10 Prozent. Insofern etablierte sich das Meme Sascha 3 % als wichtigster Indikator der tatsächlichen Popularität von Lukaschenko.
Schmarotzer (belaruss. darmajed abgeleitet von darma, einfach so, und jest, essen). Im sowjetischen Gesetz war „Parasitentum“ von 1961 bis 1991 ein Verbrechen, das darin bestand, dass „eine volljährige, arbeitsfähige Person langfristig keine gesellschaftlich sinnvolle Arbeit erfüllt und von anderweitig erworbenen Einkünften lebt“. Lukaschenko hat als Fan des sowjetischen Systems 2015 eine Steuer auf Parasitentum eingeführt: Sie muss von Bürgerinnen und Bürgern der Republik Belarus gezahlt werden, die offiziell nicht in der belarussischen Wirtschaft beschäftigt sind. Außerdem wurden für diese Menschen höhere Tarife für kommunale Dienstleistungen eingeführt. Einerseits hat man so die Arbeitslosigkeit bekämpft, andererseits bedeutete es eine erzwungene Anwerbung von Bürgern zur Arbeit in den unprofitablen Staatsbetrieben – und außerdem ein weiteres Steuermanöver, von dem der Staat profitierte. Auch aktuell geht die Welle von Unruhen laut Lukaschenko von „Junkies, Prostituierten und Schmarotzern“ aus. Deswegen hört man von den Protestierenden regelmäßig ironische Verdrehungen: „Schmarotzer?“ „Hier.“ „Junkies?“ „Hier.“ „Prostituierte?“ „Hier.“
Slabowiki (von russ. slabo, schwach) ist ein von dem sehr beliebten Telegram-Kanal Nexta eingeführter und auch sonst schon seit langem immer häufiger verwendeter Terminus. Die bis an die Zähne bewaffneten und ausgerüsteten Diener des Regimes, die friedliche Bürger schlagen, kann man nicht als Silo-wiki bezeichnen (von russ. sila Kraft, Gewalt), das wäre zu ehrenvoll. Der neue Terminus zeigt den Lakaien ihren Platz.
Strafgerichtshof/Tribunal (von lat. tribunal, Richterstuhl, Gerichtshof) ist ein außerordentliches Gericht, häufig (aber nicht unbedingt) ein Kriegsgericht und auf jeden Fall abgesetzt vom ordentlichen Gericht der allgemeinen Jurisprudenz. Nach dem Muster des Internationalen Kriegstribunals in Nürnberg, das über die Verbrechen des Hitlerregimes urteilte, wurden auch der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien und der Internationale Strafgerichtshof für Ruanda so genannt. Belarus ist heute wahrscheinlich weltweit führend, was die Menge an Gesetzesbrüchen in den unterschiedlichsten Bereichen betrifft: Von Wahlfälschungen über unbegründete barbarische Gesetze bis hin zur Gewaltanwendung gegenüber Menschen. Wenn die Zentrale Wahlkommission ZIK ganz offensichtlich lügt, die Gerichte lügen, der Präsident lügt (und unterstützt das Lügen gewaltsam), dann bleibt den Bürgern nur, eine höhere Instanz der Gerechtigkeit zu fordern: Einen Strafgerichtshof.
Tichari (von russ. ticho, still, leise) sind Miliz-Angehörige in Zivil (ja, in Belarus gibt es immer noch die Miliz). Es gibt eine ganze Armee von Tichari, ihre genaue Funktion ist jedoch nicht bekannt. Am häufigsten beobachten sie Demonstranten. Einen Tichar zeichnet sein unauffälliges Erscheinungsbild aus. Unerlässlich ist die Herrenhandtasche, die über der Schulter hängt, klassisches Schuhwerk und Trainingshose. Die stillen Genossen schleichen nicht nur im Zentrum herum, sondern auch in Wohngebieten. Manche Tichari haben Kameras, mit denen sie die Proteste aufzeichnen. Tichari können Menschen verhaften und sie in Awtosaks stecken. Sie sind wortkarg. Außerdem kann man sie an ihrer Maske erkennen: Obwohl es in Belarus keine Corona-Maßnahmen gab, halten sich dieTichari an die Hygienestandards.
Überall Schläge, Schreie, Wimmern: Znak-Journalist Nikita Telishenko über seine Erfahrung von Folter und Gewaltexzessen bei der belarussischen Polizei.
Stell dir vor, es ist Schule und keiner geht hin: Minsk-Korrespondent Denis Lawnikewitsch über den offiziellen und den inoffiziellen Umgang mit Corona in Belarus.
Am 15. August vor 32 Jahren kam Viktor Zoi bei einem Autounfall ums Leben. Schon damals war er ein Idol der sowjetischen Jugend in der Zeit der großen Veränderungen. Der Erinnerungskult um ihn hält aber bis heute an. Seine Lieder, in denen er die Wende in der Sowjetunion anstrebte, sind noch immer Hymnen der Veränderungen in vielen postsowjetischen Ländern, nicht zuletzt in Belarus 2020. Ingo Grabowsky über den mythenumwobenen Rockstar, den sein Tod gleichsam unsterblich machte.
Egal wer – Hauptsache, nicht Lukaschenko: Derzeit erwacht eine kritische Wählerstimmung in Belarus. Warum ausgerechnet jetzt? Eine Analyse von Dimitri Nawoscha. (Archiv-Text)
Im Jahr 2024 feiert Alexander Lukaschenko zwei runde Jubiläen: Seinen 70. Geburtstag und 30 Jahre im Amt. Er wurde 1954 geboren. Über seinen Vater ist nichts bekannt, seine Mutter, Melkerin in einer Kolchose, hat ihn allein aufgezogen. Sie lebten in Armut. Auf die Frage eines Journalisten: „Wie lebten Sie als Kind?“ sagte Lukaschenko, damals bereits Präsident: „Bettelarm war ich!“1 Allem Anschein nach wurde die alleinstehende Mutter von den Dorfleuten gepiesackt. Uneheliche Kinder waren damals gesellschaftlich nicht akzeptiert. Der Publizist Alexander Feduta, nunmehr aus politischen Gründen inhaftiert, beschreibt Lukaschenko folgendermaßen: „Wir haben es mit einem typischen komplexbehafteten Dorfjungen zu tun, vaterlos oder, wie es auf dem belarussischen Land heißt, ein bajstruk.“2
Wie schaffte es dieser Dorfjunge aus dem Osten von Belarus an die Spitze der Macht in seinem Land, die er als Diktator schließlich an sich riss? Wie gelang es Lukaschenko, ein System zu errichten, das die belarussische Gesellschaft bis heute unter Kontrolle hat? Waleri Karbalewitsch, Autor einer Lukaschenko-Biographie, über das autoritäre Machtgefüge in Belarus.
Der Weg zur Macht
Anhand der Bruchstücke, die Lukaschenko über seine ersten Lebensjahre preisgibt, gewinnt man keineswegs den Eindruck einer glücklichen Kindheit, ganz im Gegenteil. Wir sehen Neid auf andere Kinder, die mit mehr Wohlstand gesegnet waren, den Komplex eines zu kurz gekommenen Menschen. „Die 1950er Jahre waren eine schwere Zeit, eine furchtbare Not. Ich weiß noch, was für ein Kampf bei uns im Dorf herrschte. Wer stärker war, überlebte, Familien mit kräftigen Männern und Vätern hatten es leichter. Ich hab meinen Teil wegbekommen …“, sagte Lukaschenko.3
Nach der Wahl zum Präsidenten im Jahr 1994 nahm Lukaschenko seine Frau bekanntlich nicht mit nach Minsk. Nach ein paar Monaten machte ein Witz die Runde, von dem böse Zungen behaupten, er sei die reine Wahrheit: Frau Lukaschenko habe auf die Frage von Nachbarn, warum sie ihm nicht hinterherfahre, geantwortet: „Ach, mein Saschka bleibt doch nie irgendwo länger als zwei Jahre.“
Tatsächlich beeindruckt sein Lebenslauf, bevor er Präsident wurde, durch häufige Arbeitsplatzwechsel. Paradoxerweise ist der einzige Posten, den er jemals länger innehatte, das Präsidentenamt.
Die häufigen Jobwechsel zeugen von Lukaschenkos Unverträglichkeit. Fast überall war seine Tätigkeit von Konflikten begleitet. Seine Frau erinnerte sich: „Wo auch immer er war, immer und überall schlug er sich mit seiner Sturheit und Direktheit die Nase an. Natürlich war das störend. Misserfolge und Kränkungen vertrug er ganz schlecht.“4 Der psychologische Begriff hierfür ist Fehlanpassung, also, die Unfähigkeit, sich an soziale Normen anzupassen, die es in jeder Gesellschaft gibt. Das hinderte ihn daran, Karriere zu machen und im sowjetischen System ein hohes Amt zu ergattern. Er wirkte eher wie ein Außenseiter, ein Loser.
Doch mit Beginn der Perestroika, mit Glasnost und Demokratisierung, waren diese Charakterzüge, die ihm früher so im Weg gestanden hatten (weil sie zu Konflikten mit der Obrigkeit führten), plötzlich von Vorteil. In dieser Zeit des Kampfes gegen die Parteinomenklatur, die sich mit Händen und Füßen gegen Reformen sträubte, erfreuten sich mutige Akteure, die sich entschlossen zeigten, immer größerer Beliebtheit. Und Lukaschenko passte reibungslos ins Bild eines Kämpfers für Gerechtigkeit, eines Siegers über das System. Außerdem entdeckte er sein Talent zum Politiker, der in der Öffentlichkeit steht, vor Publikum spricht, dessen Aufmerksamkeit er bannt. Also stürzte er sich Hals über Kopf in die Politik, eine für ihn ganz neue Sphäre, in der er sich bald zu Hause fühlte. 1990 machte er den Schritt vom Direktor einer Provinz-Sowchose zum Abgeordneten des Obersten Sowjets der BSSR. Die Sitzungen dieses Machtorgans wurden damals live im Fernsehen übertragen. Lukaschenko trat häufig auf, hatte zu allen Themen etwas zu sagen. Bald kannte ihn das ganze Volk.
Wie so oft in der Geschichte ging es auch hier nicht ohne Zufall. Um einen politischen Höhenflug zu schaffen, muss einer auch zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein. Nach dem Zerfall der Sowjetunion wurde der Oberste Sowjet zum Parlament des unabhängigen Belarus, und Lukaschenko wurde zum Vorsitzenden einer parlamentarischen Kommission zur Bekämpfung der Korruption gewählt. Diesen Posten wusste er höchst effektiv für sich zu nutzen, nannte sich gar den obersten Korruptionsbekämpfer des Landes. Unter anderem deswegen konnte er bei den Präsidentschaftswahlen 1994 einen triumphalen Sieg einfahren. Lukaschenko war der Inbegriff des „Volkskandidaten“. Seine ganze Erscheinung, seine Kultur, seine Sprache und seine Art zu sprechen, das war dem Volk alles sehr nah und vertraut. Viele Menschen konnten sich mit ihm identifizieren.
Natürlich war er nicht sofort ein Diktator. Anfangs waren seine Reden von Enthusiasmus und dem aufrichtigen Wunsch geprägt, dem Volk zu dienen und das Land so schnell wie möglich aus der Krise zu führen. Er sagte: „Schweißausbrüche bereitet mir nur der Gedanke, die Versprechen nicht einlösen zu können, die ich den Menschen bei den Wahlen gegeben habe.“5 Für den Fall seines Scheiterns zog er sogar einen freiwilligen Rücktritt in Betracht.
Lukaschenko bei seiner Inauguration am 20. Juli 1994 im Obersten Sowjet, noch neben der weiß-rot-weißen Fahne, der damaligen Staatsflagge, die heute verboten ist.
Machthunger und Gewaltenteilung
Bald nach seinem Amtsantritt stieß Lukaschenko auf das, was man Gewaltenteilung nennt. Völlig überraschend für ihn: Es gab ein Parlament und ein Verfassungsgericht, die ebenfalls einen Teil der Macht für sich beanspruchten. Für Lukaschenko war das inakzeptabel. In seiner Vorstellung ist wahre Macht nur absolute Macht. Der neue Präsident wies also ein allgemein anerkanntes Element der Demokratie wie die Gewaltenteilung, die Checks and Balances einer Regierung, entschieden von sich. 1996 verkündete er, das Prinzip der Gewaltenteilung sei „eine Bedrohung für unseren Staat“6 geworden. „Werft dieses Gleichgewicht, diese Balance und Kontrolle aus euren Köpfen!“; „Ich will, dass der Staat ein Monolith ist“7, sagte Lukaschenko.
Ganze zwei Jahre war er damit beschäftigt, andere Zentren der Macht zu beseitigen und zu zerstören. Das geschah unter anderem mithilfe eines gefälschten Referendums über eine neue Verfassung, das Politiker und Juristen einen Staatsstreich nannten. Ende 1996 hatte er ein personalistisches autoritäres Regime installiert, in dem nur eine einzige staatliche Institution tatsächlich Einfluss hat: Alexander Lukaschenko. Wahlen wurden zur Fiktion, die Opposition wurde aus allen staatlichen Einrichtungen geworfen, und der Staat erhielt das Monopol auf alle TV- und Rundfunksender.
Lukaschenkos dominanter Charakterzug, die Kernidee seiner Weltanschauung ist ein grenzenloser Machthunger, der vor nichts haltmacht. Allem Anschein nach ist dieses Streben nach Allmacht der Grund dafür, dass Lukaschenko sich strikt weigert, die Todesstrafe abzuschaffen oder ein Moratorium darüber zu verhängen. Denn das Recht, einen Menschen bis hin zur Tötung zu bestrafen oder auch zu begnadigen, galt schon in alten Zeiten als einer der wichtigsten Faktoren der Macht. Deswegen ist Belarus das einzige Land Europas, in dem die Todesstrafe zur Anwendung kommt.
An Lukaschenkos Äußerungen sieht man, dass für ihn die Frage nach der Macht eine Frage von Leben und Tod ist. Wenn er seinen Opponenten vorwirft, ihn seines Amtes entheben zu wollen, so ist das für ihn dasselbe wie ein Mordanschlag. Der Führer hat keinen Zweifel: Verliert er die Macht, rechnet er mit einem schrecklichen Gericht für sich. Ein Leben ohne Macht kann Lukaschenko sich nicht vorstellen: Es verliert seinen Sinn. Als er 2020 dem ukrainischen Talkmaster Dmytro Gordon ein Interview gab, sagte Lukaschenko auf die Frage, ob er nicht zurücktreten wolle: „Ich kenne ja nur diese Lebensart … Ich kann mir das gar nicht vorstellen. Gut, also schön, ich bin nicht mehr Präsident – und was mach ich dann morgens nach dem Aufstehen?“8 An den kritischen Tagen der Massenproteste 2020 wiederholte Lukaschenko immer wieder, er werde an der Macht bleiben, solange er lebe. Bei einem Auftritt in der Radschlepperfabrik am 17. August 2020 verkündete er: „Solang ihr mich nicht umbringt, wird es keine anderen Wahlen geben.“9
Das Lukaschenko-Regime ist auf dem Gebiet der ehemaligen UdSSR das prosowjetischste. Lukaschenko betont immer wieder, dass seine Vorlage für den Aufbau eines Staats die sowjetische Gesellschaftsordnung sei, und Lenin und Stalin nennt er „Symbole unseres Volkes“10. Als Wappen und Fahne der Republik Belarus bestimmte er die Symbolik der zur Sowjetunion gehörigen BSSR in leicht abgeänderter Form. Die Namen von Straßen und Plätzen sowie die Denkmäler sind seit der Sowjetzeit unverändert geblieben. Belarus ist das einzige postkommunistische Land, in dem der KGB noch immer KGB heißt.
Lukaschenko lehnte von Anfang an die Ideologie des belarussischen ethnokulturellen Nationalismus ab. Mit Hilfe eines Referendums drängte er die belarussische Sprache an den Rand und tauschte die weiß-rot-weiße Flagge und das Wappen in Folge eines weiteren umstrittenen Referendums aus. Die staatliche Propaganda setzt belarussischen Nationalismus mit Nazismus gleich. Und das nicht nur, weil Lukaschenko Moskau nicht reizen will, dem jeglicher Nationalismus in seinen Nachbarländern ein Dorn im Auge ist. Lukaschenkos traditionelle Wählerschaft ist russischsprachig, für sie existiert ohnehin keine belarussische Identität. Sein wichtigster politischer Gegner war lange die Partei BNF mit ihren nationalistischen Losungen.
Der Hauptgrund für Lukaschenkos Aversion gegen Nationalismus ist aber, dass man damit eine Gesellschaft mobilisieren kann. Er formt eine Zivilgesellschaft, fördert horizontale Verbindungen, stimuliert die Solidarität. Lukaschenko aber braucht eine atomisierte Bevölkerung, die nur durch staatliche Institutionen zusammengehalten wird. Er braucht keine Gesellschaft als selbständiges Subjekt, das Verantwortung für das Schicksal ihres Landes übernimmt.
Insgesamt kann man wohl sagen, dass dieses System keine greifbare Ideologie zu bieten hat. Die Narrative der Propaganda sind eklektisch, da mischen sich Elemente der sowjetischen Vergangenheit mit Ideologemen von Russki Mir, mit der Ablehnung von Liberalismus und westlichen Werten und so weiter. In gewissem Sinne ist dieser Mangel an Ideologie dem Regime sogar zuträglich, denn so kann es seine politische Linie je nach Konjunktur verändern. In Belarus gibt es keine Regierungspartei, die eine faktische Macht ausübt. Denn Lukaschenko hatte immer die Sorge, sie könnte eine von ihm unabhängige Elite konsolidieren.
Gründe für die lange Herrschaft
Wie ist es Lukaschenko gelungen, so lange an der Macht zu bleiben? Hier sind mehrere Faktoren zu bedenken. Erstens entsprach das belarussische Gesellschaftsmodell lange Zeit den Bedürfnissen und Vorstellungen, die die Mehrheit der Bevölkerung in Bezug auf Politik hatte. Es basierte auf staatlicher Dominanz in Wirtschaft und Sozialwesen – ein wirksames Instrument zur Kontrolle über die Gesellschaft, zur Umgehung der Gewaltenteilung und zur Herrschaft eines Einzelnen –, auf einer Partnerschaft mit Russland und einem Konflikt mit dem Westen. Der Großteil der Bevölkerung (Staatsbedienstete, Angestellte staatlicher Betriebe, Rentner) war finanziell vom Staat abhängig. Die Hemmung marktwirtschaftlicher Reformen führte zur Konservierung sozialer Strukturen.
Zweitens spielte Lukaschenkos ausgeprägte politische Intuition eine Rolle, sein angeborenes Gespür, mit dem er das richtige Vorgehen oder eine Bedrohung erkennt, sein Charisma und auch sein Populismus, sein Talent, zum Volk in einer für sie verständlichen Sprache zu sprechen. Dem politischen Triumph des Diktators liegt in hohem Maße seine erstaunliche Fähigkeit, ja geradezu Kunstfertigkeit zugrunde, die Menschen zu manipulieren. Er ist ein begabter Schauspieler mit vielen Rollen im Repertoire, ein faszinierender Verwandlungskünstler. Je nachdem, wem er gerade gefallen will, kann er äußerst liebenswürdig sein. Seinen hauseigenen Stil macht aus, dass er bei ein und derselben Gelegenheit, oft sogar im selben Satz, widersprüchliche, manchmal sogar einander ausschließende Thesen formuliert. Und jeder Zuhörende hört das heraus, was ihm lieber ist, was ihm besser gefällt.
Drittens hat Lukaschenko alle Mechanismen zum Machtwechsel komplett ausgeschaltet. Die Wahlen sind zum reinen Dekor geworden, sie beeinflussen nichts, und ihr Ergebnis ist im Voraus bekannt. Auf legalem Weg kann es in Belarus keinen Machtwechsel mehr geben. Und zu einer Revolution war die belarussische Gesellschaft vor 2020 nicht bereit. Außerdem hat Lukaschenko jede politische Konkurrenz in den Machtorganen verunmöglicht. Sobald irgendein Beamter an politischer Bedeutung gewann, wurde er seines Amtes enthoben.
Lukaschenkos politische Stütze ist der Staatsapparat. Während der akuten politischen Krise im Jahr 2020 kam es nicht zu einer Spaltung der Eliten, was eine wichtige Bedingung für den Sieg der Revolution gewesen wäre. Und zwar deswegen, weil es in Belarus keine einzige staatliche Institution gibt, die vom Volk gewählt wird, dem Volk Rechenschaft schuldet, vom Volk kontrolliert wird.
Und natürlich verlässt sich Lukaschenko auf seine Silowiki. Daraus macht er auch keinen Hehl: „Die Vertikale ist stabil. Sie stützt sich auf den KGB und das MWD“11. „Der KGB ist die Basis für eine starke Präsidialmacht.“12
Viertens kann das wirtschaftlich ineffiziente belarussische Gesellschaftsmodell nur dank der Unterstützung aus Russland überleben. In manchen Jahren betrug die russische Wirtschaftshilfe rund 15 bis 20 Prozent des belarussischen BIP.
Der Ego-Kult
Lukaschenko hat ein Selbstbild, als verfügte er über übernatürliche Fähigkeiten. Er suhlt sich in Größenwahn und Überlegenheitsgefühl. Immer wieder erzählt er bei öffentlichen Auftritten Geschichten davon, wie jahrelang bettlägerige Kranke dank ihm, dem Führer, wieder gesund wurden. So erzählt er über Boris Jelzin, den ehemaligen Präsidenten Russlands: „In Jelzins Umfeld hieß es immer: Boris Nikolajewitsch fehlt irgendwie der Elan, wir sollten wieder mal den belarussischen Präsidenten einladen. Der verleiht dem russischen Präsidenten dann wieder für drei, vier Monate Flügel. Es hieß, Jelzin würde von mir eine ordentliche Ladung Energie bekommen.“13 Lukaschenko begann von sich zu sprechen wie von einem Heiligen: „Ich bin makellos“14; „Ich bin der (seelen)reinste Präsident der Welt!“15
Die bizarrsten Formen nimmt Lukaschenkos Drang zum Größenwahn an, wenn er an Sportwettkämpfen und Eishockeyspielen teilnimmt und immer den Sieg davonträgt. Sein Kindheitstraum, Sportstar zu werden, ein Idol für Tausende Fans, die ihn von den Tribünen herunter bejubeln, wird nun auf groteske Weise wahr. Dank der staatlichen Behörden sind diese Wettkämpfe Ereignisse von nationaler Bedeutung. Es werden Unsummen ausgegeben, um berühmte Sportler einzuladen. Und um den Präsidenten mit vollbesetzten Tribünen zu erfreuen, werden Schüler und Studenten vom Unterricht befreit und reihenweise unter Aufsicht ihrer Lehrer ins Stadion oder in die Eishalle gekarrt. Die ganze Führungsriege des Landes wohnt solchen Events bei. Und die staatlichen Medien berichten darüber mit einer Ernsthaftigkeit, als ginge es um wichtige politische Nachrichten.
Lukaschenkos Hang zum Populismus und der Wunsch, seiner anspruchslosen Wählerschaft zu gefallen, führen dazu, dass er nie ein Blatt vor den Mund nimmt und Sachen sagt, die so gar nicht zu einem Staatsoberhaupt passen. Sein politischer Stil lässt sich nicht ins Konzept von Political Correctness zwängen.
Zu Beginn seiner Präsidentschaft wurde Lukaschenko tatsächlich von der Mehrheit der Bevölkerung unterstützt. Doch während seiner 30-jährigen Amtszeit ist eine neue Generation herangewachsen. Die Massenproteste 2020 zeigten, dass das archaische sozioökonomische und politische System sowie die autoritären Regierungsmethoden bei den meisten Leuten Abscheu erregen. In Belarus haben wir heute auf der einen Seite eine immer moderner werdende Gesellschaft, die auf Veränderungen abzielt und sich vom staatlichen Paternalismus befreien will, und auf der anderen Seite die Staatsmacht, die am Status quo festhält. Die Gesellschaft wächst über den Staat hinaus, in dessen Rahmen es ihr zu eng geworden ist. Doch Lukaschenko merkt nicht einmal, dass er und sein Land in unterschiedlichen historischen Epochen leben.
Und auch hier ist passiert, was praktisch allen Diktatoren passiert, die zu lange an der Macht sind: Die Staatsmacht hat den Draht zur Gesellschaft verloren. Im Laufe dieser 30 Jahre hat Lukaschenko es nicht geschafft, mit seinem Volk und dessen Problemen wirklich in Berührung zu kommen. Begegnungen mit der Bevölkerung werden gründlich vorbereitet und durchinszeniert, die Teilnehmer sorgfältig ausgewählt. So verliert selbst ein talentierter Politiker das Gefühl für das Volk. Seine Wahrnehmung der Welt wird inadäquat. Und dann sind ihm in Krisenzeiten, sei es aufgrund der Covid-Pandemie oder im Wahlkampf für die Präsidentschaftswahlen, ein Fehler nach dem anderen unterlaufen. In jenem denkwürdigen Jahr 2020 traf er die schlechtesten aller möglichen Entscheidungen. Zum Beispiel ließ er alle Präsidentschaftsanwärter, die ihm gefährlich werden konnten, verhaften, die vermeintlich „schwache“ Swetlana Tichanowskaja jedoch kandidieren, in der festen Überzeugung, es würde sowieso keiner eine Frau wählen, schon gar nicht eine Hausfrau. Der Protest wurde mit roher Gewalt niedergeschlagen. Lukaschenko erlitt selbst wohl ein psychisches Trauma: Zerstört war sein Image als „Volkspräsident“, das er jahrzehntelang so gepflegt hatte. Dabei hatte er ernsthaft an seine Mission geglaubt, das Volk zu vertreten. „Ich glaube, dass nichts und niemand in der Lage ist, einen Keil zwischen den Präsidenten und das Volk zu treiben, das ihn gewählt hat“16, sagte er mal zu Beginn einer neuen Amtszeit.
Wahrscheinlich dachte er, sein Volk hätte sich von ihm abgewandt. Hatte er doch in den letzten Jahrzehnten immer wieder seine enge Beziehung zum belarussischen Volk betont. Als die Proteste gegen ihn begannen, hatte Lukaschenko ein paar Wochen lang Angst, im Auto durchs Land zu fahren, und flog mit dem Hubschrauber. Als sich seiner Residenz eine Menschenmenge näherte, zog er sich eine kugelsichere Weste an, nahm ein Maschinengewehr, stieg mit Sohn Kolja in einen Hubschrauber und flog von dannen. Die Bilder des flüchtenden Präsidenten sah ganz Belarus.
Die erlittene seelische Verletzung drängte auf Revanche. Diese entlud sich in politischem Terror. In Belarus gibt es heute rund eineinhalb tausend politische Gefangene. Es gibt Folter. Im ganzen Land gibt es weiterhin Razzien, Verhaftungen und Strafverfahren. Die Menschen werden nicht wegen oppositioneller Tätigkeiten festgenommen, sondern weil sie eine andere Meinung haben und entsprechende Kommentare oder auch nur Likes in sozialen Netzwerken hinterlassen. Viele Oppositionelle werden zu Haftstrafen von über zehn Jahren verurteilt, wie es unter Stalin üblich war. Lukaschenko gibt offen zu, dass auf seinen Befehl hin Verwandte von Oppositionellen oder politischen Häftlingen verfolgt werden. Die Evolution eines autoritären hin zu einem totalitären System läuft. Um an der Macht zu bleiben, unterstützt Lukaschenko in vollem Umfang Russland im Krieg gegen die Ukraine und macht Belarus damit zum Beteiligten der Aggression. Für die Präsidentschaftswahlen 2025 hat Lukaschenko seine abermalige Kandidatur bereits angekündigt.
Im Sommer 2020 protestierten die Belarussen für Neuwahlen und für ihre Grundrechte – friedlich, kreativ und äußerst wandlungsfähig. Wir lassen die Vielfalt und Höhepunkte der Protestkultur in diesem visuellen Rückblick Revue passieren.
Die belarussischen Machthaber haben mittlerweile alle Oppositionsparteien verboten. Darunter auch die Belarussische Volksfront (BNF), eine der ältesten Parteien des Landes, die für die Geschichte des Landes eine wichtige Rolle gespielt hat. Das belarussische Medium Zerkalo hat die Geschichte der Bewegung und Partei aufgeschrieben.
Verleiht Alexander Lukaschenko seinem autoritären System immer mehr ein sowjetisches und totalitäres Antlitz? Darauf deutet vor allem die Radikalisierung des Machtapparats seit 2020 hin. Igor Lenkewitsch analysiert die machtstrukturelle Verpuppung.
Die Repressionen in Belarus werden immer wieder mit denen unter Putin in Russland verglichen. Artyom Shraibman erklärt detailliert, mit welchen Mitteln das System Lukaschenko gegen Opposition, Medien und Zivilgesellschaft vorgeht und was der russischen Gesellschaft noch bevorstehen könnte.
Ist der belarussische Protest tot? Hat Alexander Lukaschenko immer noch Angst vor Protesten? Welchen Einfluss hat die neue Diaspora? Waleri Karbalewitsch beleuchtete im August die aktuelle Lage zwei Jahre nach dem Beginn der historischen Proteste in Belarus – seine Analyse ist 2022 einer der meistgelesenen Texte im Belarus-dekoder (Platz 3).
Im Krieg gegen die Ukraine steht der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko an der Seite des russischen Präsidenten Putin. Doch bislang sind keine seiner Truppen beteiligt. Warum hilft er Putin? Was hat er zu gewinnen, was zu verlieren? Und was bedeutet das für seinen eigenen Machterhalt?
Nach 600 Tagen gab es das erste Lebenszeichen von Maria Kolesnikowa. Ihr Vater durfte sie besuchen. Sie war eines der Gesichter der Proteste in Belarus im Jahr 2020, sie wurde verschleppt, festgenommen und schließlich zu elf Jahren Haft verurteilt. Wer ist diese scheinbar unerschrockene Frau, und wie wurde sie zur Oppositionspolitikerin? Zerkalo zeichnet ihren Lebensweg nach.
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