Am 3. April, um 14.40 Uhr Ortszeit explodierte in der St. Petersburger Metro eine Bombe. In der Station Ploschtschad Wosstanija soll ein weiterer Sprengsatz gefunden worden sein, der entschärft wurde. Nach offiziellen Angaben kamen dabei 14 Menschen ums Leben, über 50 wurden verletzt.
Unmittelbar nach der Tat häuften sich in Sozialen Netzwerken Mutmaßungen und Schuldzuweisungen – der IS stünde hinter dem Anschlag, Terroristen aus dem Kaukasus, oder gar das russische Regime selbst.
REN TV veröffentlichte das Foto eines Verdächtigen im Kaftan und mit Bart – der Mann ging schließlich selbst zur Polizei, um klarzustellen, dass er an der Tat nicht beteiligt war.
Präsident Putin, der sich zu Gesprächen mit dem belarussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko in St. Petersburg aufhielt, wollte unmittelbar nach der Tat noch nicht von einem Terroranschlag sprechen und trat zunächst nicht an die Öffentlichkeit. Erst spätabends besuchte er den Tatort und legte Blumen nieder.
Was man am Morgen nach der Katastrophe weiß, ist nicht viel. Die Generalstaatsanwaltschaft spricht von einem Terroranschlag. Laut Interfax stammt der mutmaßliche Attentäter ursprünglich aus Kirgisistan und habe Verbindungen zu radikalen Islamisten. Fontanka veröffentlichte den Namen des Verdächtigen, er soll Akbarshon Dshalilow heißen und aus dem kirgisischen Osch stammen. Die kirgisischen Behörden bestätigten unterdessen die Information, dass es sich dabei um den mutmaßlichen Attentäter handele.
Kommersant veröffentlichte einen Bericht, in dem es heißt, die russischen Geheimdienste seien über den drohenden Anschlag informiert gewesen. Ein Syrienheimkehrer mit Verbindungen zum IS habe sie darüber informiert, sogar Nummern übergeben. Nach dem ersten Anschlag hätten die Geheimdienste die Telefone der Terroristen blockiert und so die zweite Explosion verhindert.
In russischen Medien und Sozialen Netzwerken wird diskutiert: Wer steckt dahinter – der IS oder das Regime selbst? Haben die Geheimdienste versagt? Und welche innenpolitischen Folgen hat der Anschlag?
Vedomosti: Schrauben werden angezogen
Für das liberale Wirtschaftsblatt Vedomosti ist ziemlich klar, wer versagt hat – und es fürchtet vor allem innenpolitische Folgen:
Теоретически в повестке сейчас нет таких радикальных инициатив, для поддержки и объяснения которых власти нужна была бы жесткая антитеррористическая риторика. Практически она может быть использована для развития уже имеющихся заделов – угнетения гражданской активности под предлогом борьбы с экстремизмом, усиления спецслужб, усложнения механизмов контроля за интернетом, но конкретное направление действий будет зависеть от хода расследования теракта в метро.
erschienen am 04.04.2017
Facebook Ivan Yakovina: Perfekt für Putin
Ivan Yakovina ist Ex-Lenta.ru-Redakteur, der jetzt in der Ukraine lebt und arbeitet. Unmittelbar nach dem Anschlag postete er auf facebook:
erschienen am 03.04.2017
Komsomolskaja Prawda: Wo ist das Beileid?
KP-Korrespondent Alexander Koz wendet sich am Abend nach dem Anschlag gegen Spekulationen, dass es sich um eine Geheimdienstaktion handle. Und spart nicht mit Kritik an der Opposition:
„Zum Kotzen. Das erinnert an die Ereignisse in Moskau zu ‚Beginn des Zarenreichs‘“, giftet Michail Chodorkowski.
Das kommt bei denen anstelle von Beileid. Hunderte Likes, Shares und Kommentare, nach derselben Masche: „Jetzt werden sie die Schrauben anziehen.“ „Ein Machwerk des FSB, die wollen besondere Vollmachten und mehr Geld und die Staatsmacht will weiter die Schrauben anziehen.“ „Nun geht es los … Jetzt werden Terroranschläge des FSB in allen Städten folgen, wo am 26. März protestiert wurde.“
Ist euch klar, dass wir schon seit anderthalb Jahren im Wortsinne gegen den weltweiten Terrorismus Krieg führen? Wisst ihr, dass die russischsprachige „Diaspora“ im IS [...] die größte unter den Gruppen ausländischer Islamisten ist? Werdet ihr euch entschuldigen, wenn der IS sich zu dieser Gräueltat bekennt? Ich bezweifle das.
Это у них вместо соболезнований. Сотни лайков, перепостов и комментариев, как под копирку:
«Теперь под эту тему начнут гайки закручивать». «Дело рук ФСБ, хотят особых полномочий и больше денег, а власть дальше желает закручивать гайки».
[...] Вы в курсе, что мы уже полтора года в прямом смысле слова воюем с мировым терроризмом? Вы знаете, что русскоязычная «диаспора» в ИГИЛе [...] - самая многочисленная из иностранных группировок исламистов? Вы будете извиняться, когда «Исламское государство» возьмет ответственность за это зверство на себя? Сомневаюсь.
erschienen am 03.04.2017
Moskowski Komsomolez: Illusion von Sorge
Das Massenblatt Moskowski Komsomolez zweifelt am Sicherheitskonzept:
In Moskau stehen mittlerweile an jedem Metro-Eingang neben der Aufseherin im Glasbüdchen merkwürdige Personen in Westen mit der Aufschrift „Sicherheit“. Ihre Gesichter flößen einem absolute Überzeugung ein, dass sie keinerlei Sicherheit garantieren können. Außer ihnen findet sich in jeder Station noch eine Polizei-Einheit – sie schlendern auf und ab und unterhalten sich über dies und das. [...]
All diese Metalldetektoren und Wachmänner demonstrieren Sorge um unsere Sicherheit. Die Illusion von Sorge. Und diese Illusion ist am 3. April in der Petersburger Metro wieder einmal zerplatzt.
На каждом входе в московское метро кроме дежурной в стеклянной будке теперь стоят непонятные люди в жилетках с надписью «Безопасность». Их лица внушают полную уверенность, что никакую безопасность они обеспечить не могут. Кроме них на каждой станции ещё и наряд полиции — бродят взад-вперёд, разговаривая о чём-то своём…
[...] Все эти рамки и охранники изображают заботу о нашей безопасности. Иллюзорную заботу. Эта иллюзия ещё раз взорвалась 3 апреля в метро Петербурга.
erschienen am 03.04.2017
Echo Moskvy Blog Denis Dragunsky: Es geht um alte Probleme
Denis Dragunsky, Politologe, Schriftsteller und Journalist, vermutet in seinem Blog auf Echo Moskvy die Regierung nicht als Drahtzieher – dennoch trage diese die Schuld:
Schuld an den Ereignissen ist jedoch selbstverständlich die russische Staatsmacht. Aber diese Schuld betrifft nicht den gestrigen Tag, ja nicht mal das letzte Vierteljahrhundert. Wer auch immer den Anschlag verübt hat – es geht hier um sehr alte Probleme, die im Endeffekt auf der ethnosozialen Konstruktion der Russischen Föderation beruhen, die wir von der Sowjetunion und dem Russischen Reich geerbt haben. [...]
Auf der Tagesordung steht eine vorsichtige, aber konsequente Strukturveränderung des russischen Föderalismus. [...] Mir scheint, die Föderation muss unbedingt symmetrischer werden, ausgeglichener, einheitlich – selbstverständlich unter voller Berücksichtigung aller Interessengruppen der Bevölkerung Russlands.
[...]
Однако в происшедшем, разумеется, виновата российская власть. Но вина эта — не вчерашняя и даже не четвертьвековой давности. Кто бы ни был террористом — речь идет об очень старых проблемах, которые в конечном итоге упираются в этносоциальную конструкцию РФ, унаследованную от СССР и Российской Империи. [...]
На повестке дня — осторожное, но последовательное изменение структур российского федерализма. [...] Мне кажется, необходимо делать федерацию более симметричной, более равновесной, единообразной — разумеется, при полном учете интересов всех заинтересованных групп российского населения.
erschienen am 03.04.2017
actualcomment.ru: Terror macht Wahlkampf
Der Politikwissenschaftler Gleb Pawlowski glaubt nicht an das bevorstehende Anziehen der Schrauben. Auf der Analyse-Plattform Aktualnyje Kommentarii fragt er, wie der Kreml sonst reagieren kann:
Es sind noch zwölf Monate bis zu den Wahlen. Die Wahlkampagne darf nicht auf dem Kampf gegen Terrorismus aufbauen, die Menschen wollen etwas Positives.
До выборов – двенадцать месяцев, и на борьбе с террористами ст[р]оить повестку нельзя, люди хотят чего-то позитивного.
erschienen am 03.04.2017
dekoder-Redaktion