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Surkow: „Der langwährende Staat Putins“

„Es scheint nur so, als hätten wir eine Wahl“, zitiert Wladislaw Surkow, ja, wen eigentlich? Rund ein Jahr nach seinem kontroversen Artikel 100 Jahre geopolitische Einsamkeit hat der angebliche „Chefideologe“ des Kreml, einen neuen verfasst. Am Montag erschien sein Text Dolgoe gosurdastwo Putina (Der langwährende Staat Putins) in der Nesawissimaja Gaseta sowie in anderen russischen Medien. Kaum eine der unabhängigen Stimmen Russlands hat es seitdem versäumt, den Artikel zu kommentieren.

Ist es ein Manifest, das ein i-Tüpfelchen auf das angeblich von ihm erdachte Programm zur Sakralisierung Putins setzt? Oder eine Antwort auf die zunehmenden Abgesänge auf das Regime? Ist es ein Sinnangebot? Oder hat er den Text nur für Putin geschrieben?

Diese und andere Fragen beschäftigen gerade vor allem die unabhängigen Medien. In den staatsnahen kann man dagegen kaum etwas zu Surkows Artikel finden. Kremlsprecher Dimitri Peskow sagte jedenfalls, dass Putin über den Text informiert worden sei. Dass der Staatschef aber darauf reagiert, das bezweifelt Peskow – der Präsident arbeite gerade nämlich an seiner alljährlichen Botschaft an die Föderationsversammlung am 20. Februar.

dekoder hat bislang leider keine Abdruckerlaubnis für den Gesamttext bekommen. So bringen wir kontextualisierte Ausschnitte aus dem Text (Übersetzung: Anselm Bühling) und aus der Debatte russischer Liberaler.

Quelle dekoder

Deutsch
Original
„Es scheint nur so, als hätten wir eine Wahl.“ Diese Worte frappieren durch ihre Tiefe und Verwegenheit. Sie wurden vor anderthalb Jahrzehnten ausgesprochen. Heute sind sie vergessen und werden nicht mehr zitiert. Doch nach den Gesetzen der Psychologie beeinflusst uns das, was wir vergessen haben, viel stärker als das, woran wir uns erinnern. Diese Worte haben den Kontext, in dem sie ursprünglich erklangen, längst verlassen und wurden schließlich zum ersten Axiom der neuen russischen Staatlichkeit, auf dem alle Theorien und Praktiken der aktuellen Politik aufbauen.

Die Illusion der Wahl ist die wichtigste aller Illusionen. Sie ist der Paradetrick der westlichen Lebensart im Allgemeinen und der westlichen Demokratie im Besonderen [...].

«Это только кажется, что выбор у нас есть». Поразительные по глубине и дерзости слова. Сказанные полтора десятилетия назад, сегодня они забыты и не цитируются. Но по законам психологии то, что нами забыто, влияет на нас гораздо сильнее того, что мы помним. И слова эти, выйдя далеко за пределы контекста, в котором прозвучали, стали в итоге первой аксиомой новой российской государственности, на которой выстроены все теории и практики актуальной политики.  

Иллюзия выбора является важнейшей из иллюзий, коронным трюком западного образа жизни вообще и западной демократии в частности, [...].

So beginnt Surkows Text Der langwährende Staat Putins, der am 11. Februar in der Nesawissimaja Gaseta erschienen ist. Die Frage, woher der Ausspruch „Es scheint nur so als hätten wir eine Wahl” stammt, wurde anschließend vielfach diskutiert. Es sei ein Zitat aus dem Buch Schwarze Stadt des russischen Schriftstellers Boris Akunin, sagt eine Theorie, eine andere wiederum ist, dass Surkow es einfach erfunden habe. Doshd-Journalist Michael Fischman bringt es in Verbindung mit der Rede Putins nach dem Terroranschlag von Beslan 2004. Wladislaw Surkow soll sie geschrieben haben, vielerorts gilt sie als ein Startschuss der autoritären Konsolidierung Russlands. 
Darin sagt Putin: „Es scheint so, als hätten wir eine Wahl: entweder wir stellen uns [den Terroristen – dek] entgegen oder wir erfüllen ihre Ansprüche. Wir ergeben uns und lassen es zu, Russland zu zerstören und zu ,zerfleddern', in der Hoffnung, dass sie uns letztendlich in Ruhe lassen.“

Nach dieser Rede, so Fishman, habe Putin die Gouverneurswahlen ad acta gelegt und angefangen, ein personalisiertes Regime aufzubauen.

Auf sie könnte Surkow also zu Beginn seines Textes Bezug genommen haben. Die „Illusion der Wahl”, so führt er in der Nesawissimaja weiter aus, habe Russland abgelegt:

Deutsch
Original
Es taten sich Wege zu einer freien Staatsbildung auf, die nicht von importierten Hirngespinsten geleitet waren, sondern von der Logik historischer Prozesse und damit der „Kunst des Möglichen“.
Открылись пути свободного государственного строительства, направляемого не импортированными химерами, а логикой исторических процессов, тем самым «искусством возможного».

Den Umstand, dass westliche Demokratien die Vorbestimmung ablehnen, versteht Surkow als eine Art Verstoß gegen die Logiken und Gesetzmäßigkeiten der Geschichte. Der russische Staat unter Putin habe demgegenüber den „anti-historischen Zerfall Russlands“ gestoppt und den einzig wahren historischen Weg erwählt – den vorbestimmten. 

Solche teleologischen Vorstellungen entnimmt der Autor der Historiosophie. Diese Geschichtstheorie gehört für manche Historiker zu populärsten Formen der Geschichtsschreibung in Russland. Da die Historiosophie die Geschichte als ganzheitlich und unverbrüchlich versteht, werfen ihr Kritiker jedoch fehlende Wissenschaftlichkeit vor, sehen in ihr einen „Gegenstand des Glaubens“ und nicht der „kritischen Analyse“.

Eben an dieser Stelle wurde Surkow auch in der Debatte unter russischen Liberalen mehrfach kritisiert:

Novaya Gazeta: Mit dem Verstand nicht zu begreifen

„Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt“, so ungefähr kommentiert der Politikredakteur der unabhängigen Novaya Gazeta, Kirill Martynow, Surkows Traktat:

Deutsch
Original
Erstens wird hier jegliches Wissen ignoriert, das die Menschheit bis ins 21. Jahrhundert angehäuft hat, von der Geschichtswissenschaft bis hin zur Verhaltenspsychologie. Und man ist auch noch stolz darauf: Wo Russland nun einen Sonderweg geht, haben westliche Schlauköpfe uns nichts zu sagen, westliche Theorien sind auf unseren Erfahrungsschatz nicht anwendbar. In der Wissenschaftssoziologie wird ein solcher Denkstil abwertend als „endemische Wissenschaft“ bezeichnet.
Zweitens gibt es keine Methode, mit der eine derartige Historiosophie bestätigt oder entkräftet werden kann – man kann sie nur mit dem Herzen begreifen.
Во-первых, они игнорируют все социальное знание, накопленное человечеством к XXI веку, от истории экономики до поведенческой психологии. И даже гордятся этим: раз уж у России особенный путь, то и западные умники нам не указ, никакие западные теории к нашему опыту неприменимы. В социологии науки такой стиль мышления называется обидными словами «туземная наука». Во-вторых, не существует никакого способа подтвердить или опровергнуть подобную историософию, ее можно только «принять сердцем».

erschienen am 12.2.2019, Original

 

Für Surkow dagegen ist der russische Staat unter Putin ein „auf organische Weise entstandenes politisches Organisationsmodell, [das …]

Deutsch
Original
[...] ein effektives Mittel für das Überleben und Erheben der russischen Nation sein wird – und dies nicht nur auf Jahre, sondern auf Jahrzehnte hinaus, wahrscheinlich aber für das gesamte kommende Jahrhundert”.
[...] явится эффективным средством выживания и возвышения российской нации на ближайшие не только годы, но и десятилетия, а скорее всего и на весь предстоящий век.

Während manche Kritiker spotteten, weshalb Surkow nicht gleich vom „Tausendjährigen Reich“ spreche, betrachtet Politikwissenschaftler Grigori Golossow die Ausführungen Surkows distanzierter. 

Facebook/Grigori Golossow: Gefundenes Fressen

Es sei irreführend, Surkows Thesen in die Nähe des Faschismus zu rücken, schreibt Golossow auf Facebook. Außerdem sei es zu viel der Ehre, wenn man seine Gedanken gar als „russische Ideologie” auffasse.

Deutsch
Original
[...] Es gibt die Kategorie „westliche Russlandexperten“ und denen hat Surkow wahrlich ein Geschenk gemacht. Dabei geht es nicht nur um die, die sich wissenschaftlich beschäftigen mit der „russischen Ideologie“ (die es gar nicht gibt, nach Meinung der Mehrheit von Wissenschaftlern mit gesundem Menschenverstand), sondern gerade um die, die den faschistischen Charakter dieser Ideologie nachweisen wollen. Für die ist das ein gefundenes Fressen.
[...] есть категория зарубежных специалистов по России, которым Сурков сделал настоящий подарок. Это - не просто те, кто занимается изучением "российской идеологии" (по мнению здравомыслящего большинства ученых, ее нет), но именно те их них, кто обосновывает фашистский характер этой идеологии. Для них там каждое лыко в строку.

erschienen am 11.2.2019, Original

Mit seiner Kritik an der wissenschaftlichen Belastbarkeit bezieht sich Golossow vermutlich auch auf Passagen wie folgende: In der russischen Geschichte, so Surkow, habe es insgesamt vier Grundmodelle des Staates gegeben [...]

Deutsch
Original
[...] die durchaus nach ihren Schöpfern benannt werden können: Der Staat Iwans des Dritten; der Staat Peters des Großen, der Staat Lenins und der Staat Putins.

Dies sind große politische Maschinen, die, um es mit Gumiljow zu sagen, von Menschen des langen Willens erschaffen wurden. Sie haben einander abgelöst, wurden dabei immer wieder repariert und adaptiert und haben die russische Welt über die Jahrhunderte auf einen Weg gebracht, der unbeirrbar aufwärts führt.

[...]которые условно могут быть названы именами их создателей: государство Ивана Третьего (Великое княжество/Царство Московское и всей Руси, XV–XVII века); государство Петра Великого (Российская империя, XVIII–XIX века); государство Ленина (Советский Союз, ХХ век); государство Путина (Российская Федерация, XXI век). Созданные людьми, выражаясь по-гумилевски, «длинной воли», эти большие политические машины, сменяя друг друга, ремонтируясь и адаптируясь на ходу, век за веком обеспечивали русскому миру упорное движение вверх.

Neben heilsgeschichtlichen Versatzstücken bemüht der Autor hier das sogenannte Ethnogenese-Konzept des russischen Philosophen Lew Gumiljow (1912–1992). Es gilt als einer der Vorläufer des gegenwärtigen Neo-Eurasismus, dessen bekanntester Vertreter Alexander Dugin ist.
Das „stereotype Verhalten“ einer Ethnie sieht Gumiljow als „empfindungs-abhängig“ von vorherrschenden klimatisch-geographischen Faktoren. Die daraus bezogene „biochemische Energie“  sei für die Integration einer Ethnie entscheidend und dieser Integrationsprozess durch eine „kosmische Strahlung“ beeinflusst. Wenn Menschen in der Lage sind, mehr von dieser Strahlung aufzunehmen als für sie nötig ist, dann könnten sie dieses Übermaß an ihre Umwelt weitergeben. Solche Menschen sind für Gumiljow Menschen langen Willens beziehungsweise Passionare

Facebook/Grigori Judin: Immer aus der gleichen Mottenkiste

An solchen Passagen entzündete sich die Kritik mehrfach. Soziologe Grigori Judin etwa konstatiert auf Facebook, dass die ideologischen Versatzstücke, derer sich Surkow bedient, immer derselben Mottenkiste entsprängen:

Deutsch
Original
Nun, natürlich: Das existentielle Grauen vor jeglichen Veränderungen, aus dem heraus der Surkowsche Text geschrieben ist und mit dem die russische Elite das alles betrachtet, ist schon beeindruckend. Allein Putin ist ewig. Und wenn Putin das nicht versteht und dagegen ist – dann bringen wir ihn dazu, dass er es versteht.

Alle offiziellen Ideologen sind mittlerweile vollkommen voraussag- und berechenbar. Alle Schritte sind im Voraus bekannt, sie sind durchschaubar, und es ist völlig klar, wie so eine Art von Ideologie funktioniert.

Ну и, конечно, экзистенциальный ужас перед любыми переменами, из которого написан сурковский текст и из которого смотрит российская элита - он впечатляет. Только Путин навсегда. А если Путин не понимает и будет против - мы его заставим.

Вообще официальные идеологи стали полностью предсказуемы и легко просчитываемы - все шаги заранее известны, все швы видны, и хорошо понятно, как эта идеология работает.

erschienen am 11.2.2019, Original

Als würde Surkow einer solchen Kritik der Rückwärtsgewandtheit vorgreifen, erklärt er, dass Putinismus eine Ideologie der Zukunft sei:

Deutsch
Original
Das Erkennen, das Durchdenken, das Beschreiben des Regierungssystems Putin sowie des gesamten Komplexes der Ideen und Dimensionen des Putinismus als Ideologie der Zukunft, ist notwendig. „Der Zukunft“, weil der gegenwärtige Putin wohl kaum Putinist ist – ebenso, wie etwa Marx kein Marxist war und nicht unbedingt einer hätte sein wollen, wenn er erfahren hätte, was das ist. Es ist für all jene notwendig, die nicht Putin sind, aber gerne wären wie er. Um seine Methoden und Ansätze auf künftige Zeiten übertragen zu können.
Необходимо осознание, осмысление и описание путинской системы властвования и вообще всего комплекса идей и измерений путинизма как идеологии будущего. Именно будущего, поскольку настоящий Путин едва ли является путинистом, так же, как, например, Маркс не марксист и не факт, что согласился бы им быть, если бы узнал, что это такое. Но это нужно сделать для всех, кто не Путин, а хотел бы быть, как он. Для возможности трансляции его методов и подходов в предстоящие времена.

Snob: ***

Viele Beobachter sehen in Surkows Text den Versuch eines Manifests, das nur dazu da sei, den wahren Messias zu preisen. Der Journalist Ilja Milstein fragt auf Snob, wie ein solch exaltiertes Loblied mit der Realität in Einklang gebracht werden kann:

Deutsch
Original
Putin, der kein Marxist ist, genauer – kein Putinist. Putin, der Putin nicht das Wasser reichen kann. Ich preise den Putin, wie er ist, doch dreimal mehr preise ich den, der noch kommen wird. 
Was kann man da sagen, wie kommentieren? Dazu kann man gar nichts sagen, außer die höchst leidenschaftlichen russischen Worte, die man nicht drucken darf.
Путин, который не марксист, вернее, не путинист. Путин, недотягивающий до Путина. Путина славлю, который есть, но трижды — который будет. Что тут скажешь, как прокомментируешь? Ничего тут не скажешь, кроме предельно восторженных русских слов, как назло непечатных.

erschienen am 12.2.2019, Original

Surkow sieht das politische System Russlands dabei auch als ein Modell für andere Staaten:

Deutsch
Original
[...] das in Russland erschaffene politische System taugt nicht nur für die Zukunft des eigenen Landes, sondern hat offenkundig ein erhebliches Exportpotenzial. Es gibt bereits Nachfrage danach oder nach einzelnen seiner Bestandteile. Seine Erfahrungswerte werden untersucht und seine Praxis wird teilweise übernommen; Regierungs- und Oppositionskreise in vielen Ländern ahmen es nach.
[...] сделанная в России политическая система пригодна не только для домашнего будущего, она явно имеет значительный экспортный потенциал, спрос на нее или на отдельные ее компоненты уже существует, ее опыт изучают и частично перенимают, ей подражают как правящие, так и оппозиционные группы во многих странах.

Desweiteren geht er auch auf den Vorwurf ein, Russland habe sich in Wahlen eingemischt – und setzt diesem sogar noch eins drauf:

Deutsch
Original
Tatsächlich ist es noch ernster als das: Russland mischt sich in ihre Gehirne ein, und sie wissen nicht, was sie mit ihrem veränderten Bewusstsein tun sollen. [...] Aus Ratlosigkeit haben sie die Invasion des Populismus verkündet. So kann man es auch nennen, wenn einem die Worte fehlen.
Россия вмешивается в их мозг, и они не знают, что делать с собственным измененным сознанием. [...] Растерявшись, они объявили о нашествии популизма. Можно сказать и так, если нет слов.

Solche Kritik am Westen ist bei Surkow nicht neu. Bereits im November 2017 veröffentlichte er einen Artikel mit dem Titel Die Krise der Heuchelei – I hear America singing. Nach dem Zusammenbruch von Sinn-Konstruktionen im Westen, so hieß es darin, seien „soziale Energien“ freigeworden. Und es sei fraglich, ob es den westlichen Regierungen gelingen werde, diesen Werteverfall durch Sport-Shows, Konzerte oder andere Unterhaltungen zu kompensieren. Falls nicht, so prognostizierte Surkow 2017, münde das westliche System in Revolution und großen Krieg. 

Auch in seinem neuen Text schreibt der Autor über „soziale Energien“ –  die Menschen im Westen dürsteten förmlich nach Propheten wie Putin, ihre Regierungen setzten ihnen stattdessen aber den „tiefen Staat“ vor – eine Art Staat im Staate, der wider seiner demokratischen Verfassung Machenschaften triebe und Trugbilder oktroyiere: 

Deutsch
Original
Die Illusion der Wahl, das Gefühl der Freiheit, die Vorstellung von der eigenen Überlegenheit und so weiter.
[...] иллюзия выбора, ощущение свободы, чувство превосходства и пр.

Russland sei demgegenüber „ehrlicher“, es gebe hier keinen „tiefen Staat“. Dagegen lebe in Russland ein „tiefes Volk“, und dieses sei aufs engste mit dem obersten Regenten verbunden. Die Beziehung zwischen beiden regeln demnach nicht demokratische Institutionen, die eher einem Ritual glichen und allein der Außenwirkung dienten, sondern sie basiert laut Surkow auf dem Vertrauen, das das Volk diesem Regenten entgegenbringt. Darin sei das russische Modell dem westlichen schließlich auch überlegen: 

Deutsch
Original
Die Fähigkeit, das Volk zu hören und es zu verstehen, es in seiner ganzen Tiefe zu durchschauen und entsprechend zu handeln – das ist der einzigartige und wichtigste Verdienst des Putinschen Staates. Er entspricht dem Volk und geht mit ihm, deshalb ist er keiner destruktiven Überlastung durch Gegenströmungen der Geschichte ausgesetzt. Aus diesem Grund ist er effektiv und langlebig.
Умение слышать и понимать народ, видеть его насквозь, на всю глубину и действовать сообразно – уникальное и главное достоинство государства Путина. Оно адекватно народу, попутно ему, а значит, не подвержено разрушительным перегрузкам от встречных течений истории. Следовательно, оно эффективно и долговечно.

Rosbalt: Nun sei bitteschön glücklich!

Wirtschaftswissenschaftler Dimitri Trawin meint auf Rosbalt, das „tiefe Volk“, von dem Surkow philosophiert, sei ein Volk hinter Gittern:

Deutsch
Original
Welch stille freudige Welt entsteht, wenn alle Ideologen im Fernsehen immer wieder behaupten, es gäbe keine Wahl, du seiest nun mal auf Gedeih und Verderb dazu verdammt, in einem Staat zu leben, der schon lange aufgehört hat sich weiterzuentwickeln, und sollst bitteschön glücklich sein, dass dein Leben unter der wohlmeinenden Führung des unabsetzbaren Herren nicht schlechter geworden ist?
Genau diese Weltsicht vermittelt uns Surkows Philosophie. Eine Philosophie der Angst vor dem Leben. Eine Philosophie der absoluten Zerrüttung. Die Philosophie vom [Volk als einem – dek] Tier im Käfig, das schon dankbar ist, wenn man es wenigstens noch gelegentlich füttert.
Каково строить свой тихий радостный мир, когда всякие идеологи твердят тебе с телеэкрана, будто бы никакого выбора нет, будто ты обречен на убогость в государстве, давно уже переставшем развиваться, и должен радоваться тому, что при благословенном правлении бессменного государя тебе не стало хуже?

Именно такое мировоззрение предлагает нам философия Суркова. Философия страха перед жизнью. Философия полной деградации. Философия зверя в клетке, благодарного уже за то, что его еще хотя бы изредка кормят.

erschienen am 11.2.2019, Original

Dabei hat Surkow dieses Programm schon in seinen früheren Schriften angerissen: In seinem Schlüsseltext Russische politische Kultur aus dem Jahr 2007 schlug er vor, den Holismus (Ganzheit) des russischen politischen Bewusstseins als ein Axiom zu betrachten. Daraus leitete er ab, dass die russische politische Kultur anhand dreier Kriterien zu definieren sei: „Streben zur politischen Ganzheit mittels Zentralisierung von Macht-Funktionen“, „Idealisierung der Ziele von politischen Kämpfen“ und „Personifizierung von politischen Institutionen“.

So etwas wie der Kitt dieser Ganzheit, so führt er nun aus, sei das „Vertrauen“: 

Deutsch
Original
Das moderne Modell des russischen Staates beginnt mit Vertrauen und gründet auf Vertrauen. Darin unterscheidet es sich grundlegend vom westlichen Modell, das Misstrauen und Kritik kultiviert. Und eben das ist die Stärke des russischen Modells.
Современная модель русского государства начинается с доверия и на доверии держится. В этом ее коренное отличие от модели западной, культивирующей недоверие и критику. И в этом ее сила.

Facebook/Alexander Morosow: Gibts noch mehr Ideen?

Ist Surkows Text tatsächlich ein Manifest? Steckt dahinter eine Ideologie des Systems Putin? Diese Frage sei noch nicht zu beantworten, meint Alexander Morosow auf Facebook:  

Deutsch
Original
Wird es von den Putinisten ein weiteres Konzept geben, wie der Putinismus fortgesetzt werden kann? Irgendjemand von den Stakeholdern (oder den ihnen nahestehenden Publizisten) muss nach vorne treten und sagen: „Ja, Wladislaw Jurjewitsch, das sind interessante Ideen, das ist aber nicht die einzige Variante, wie es weitergehen kann. Hier, die zum Beispiel, die gefällt uns besser.“ Wenn so etwas aber nicht kommt, dann bleibt Surkows Text einfach nur ein Teil seiner unterhaltsamen Biografie. Und als einziges Ergebnis bleibt nur, dass dieser Text „von allen liberalen Hunden der ganzen Gegend angebellt“ wurde. Das aber ist ein uninteressantes Ergebnis.
будет ли альтернативная концепция "продолжения путинизма" со стороны самих путинистов. Кто-то из стейкхолдеров (или из близких им публицистов) должен выступить и сказать: "Да, Владислав Юрьевич, это интересные идеи, но это не единственный вариант продолжения. Вот нам, например, нравится - вот такой". А если этого не будет - то текст Суркова просто останется внутри его увлекательной биографии. И единственным результатом окажется только то, что его "облаяли либеральные собаки всей округи". Но - это неинтересный результат.

erschienen am 12.2.2019, Original

Vedomosti: Gibt es noch was Leckeres zu essen?

Andrej Kolesnikow, politischer Analyst beim Carnegie-Zentrum Moskau, zeigt sich von Surkows Thesen gänzlich unbeeindruckt. Er witzelt auf Vedomosti, wie unbeholfen die Machthaber ständig nach neuen (Sinn-)Angeboten für das Volk suchten:

Deutsch
Original
Die gleichgültige Mehrheit des „tiefen Volkes“ schaut sich aber auch diesen Werbespot wie in einem dunklen Kinosaal an, mit Bier und Popcorn: „Was zeigen sie uns denn noch so? Russland great again – wer will das bestreiten? Gibt es noch was Leckeres zu essen?“
Но и этот рекламный ролик равнодушное большинство «глубинного народа» смотрит как в темном зале кинотеатра – с пивом и попкорном: что там еще нам покажут. Россия great again, кто бы спорил, а что-нибудь еще вкусненькое есть?

erschienen am 12.2.2019, Original

 

Übersetzung Surkow: Anselm Bühling
Kontextualisierung und Übersetzung der Debatten-Ausschnitte: dekoder-Redaktion

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Wladislaw Surkow

Wladislaw Surkow, den man zuweilen auch als „Putins Rasputin“, „Graue Eminenz im Kreml“ oder „Chefideologen des Landes“ bezeichnet1, war von 1999 bis mindestens 2013 maßgeblich an den Public-Relations-Strategien des Kreml und der Organisation von Putins Wahlkampagnen beteiligt. Er war stellvertretender Leiter der Präsidialadministration, stellvertretender Regierungschef Russlands und persönlicher Berater des Präsidenten. Darüber hinaus fungierte Surkow für Lobbygruppen als wichtiger Ansprechpartner in der Regierung. Nachdem Putin am 15. Januar 2020 überraschend eine Reihe von Verfassungsänderungen angekündigt hatte, gab es im russischen Machtapparat gravierende Umstrukturierungen. Surkow gab bekannt, den Staatsdienst zu quittieren und kündigte an, sich zunächst einmal „der Meditation“ hinzugeben. Viele Beobachter zweifeln allerdings, dass Surkow tatsächlich von der politischen Bühne abgetreten ist.

1964 in Tschetschenien geboren, schrieb sich Surkow 1981 in Moskau für ein Studium der Metallurgie an der wichtigsten Technischen Hochschule des Landes (Moskauer Staatliches Institut für Stahl und Legierungen, heute: MISiS) ein. Nach zwei Jahren brach er das Studium ab und absolvierte von 1983 bis 1985 den Militärdienst in einer in Ungarn stationierten Artillerie-Einheit. Zurück in Moskau schrieb sich Surkow 1986 für Regie-Kurse am Moskauer Institut für Kultur und Kunst (heute: MGIK) ein, wurde allerdings ein Jahr später exmatrikuliert.

Im Jahr 1987 lernte er in einem Karateklub den jungen Unternehmer Michail Chodorkowski kennen, der ihn zunächst als Bodyguard einstellte und ihm bereits kurze Zeit später die Leitung der Werbeabteilung übertrug, in der Surkow eine rasante Karriere machte.

1996 wechselte Surkow infolge von internen Streitigkeiten mit Chodorkowskis Partner Leonid Newslin zur konkurrierenden Alpha-Bank des Oligarchen Michail Fridman. Zwei Jahre später übernahm Surkow den Posten des stellvertretenden Direktors und Leiters der PR-Abteilung im russischen Fernsehsender ORT, wo er unter anderem Boris Beresowski und Alexander Woloschin kennenlernte. Als dieser 1999 die Leitung der Präsidialadministration übernommen hatte, folgte ihm Surkow als sein Stellvertreter. Danach bekleidete Surkow hohe Positionen in der Regierung. Unter anderem war er dafür zuständig, die Partei Einiges Russland in ihrer Gründungsphase zu konsolidieren.2

Beim 5. Kongress der Naschi 2010 - Foto © GemeinfreiAuf Surkows Betreiben wurden die kremltreuen Jugendorganisationen Iduschtschije wmeste (dt. Die zusammen Gehenden, 2000) und Naschi (dt. Die Unsrigen, 2005) ins Leben gerufen. Darüber hinaus gilt Surkow als Autor der Konzeption der Souveränen Demokratie.3 Der Name Surkows tauchte auch wiederholt im Zusammenhang mit dem Krieg im Osten der Ukraine auf. So war er an den Verhandlungen im Rahmen des Minsker Friedensprozesses im Jahr 2015 beteiligt und erzwang in der Folge den Rücktritt des Verteidigungsministers der selbstproklamierten Donezker Volksrepublik (DNR), Igor Strelkow.4

Schon damals hatte Wladislaw Surkow sein Image als „Graue Eminenz“ und Drahtzieher im Hintergrund eingebüßt. Nicht etwa, weil sein Einfluss auf die informations- und polittechnologischen Kampagnen des Kreml geschwunden wäre, sondern weil er wie kaum ein anderer der hohen Regierungsbeamten im Rampenlicht der Medien stand und in gewisser Weise den Regierungsstil der russischen Machteliten personifizierte.5

Und darüber ist er sich durchaus im Klaren. 2009 publizierte er unter dem Pseudonym Natan Dubowitski den Roman Okolonolja (Nahe Null), der bereits zwei Jahre später in einer extravagenten Theaterinszenierung von Kirill Serebrennikow einem ausgewählten Publikum dargeboten wurde.6 Es bleibt unklar, ob dieser „Gangsta Fiction“-Roman einem diffusen Bekenntnisdrang oder einer Selffashioning-Strategie des Kreml-Ideologen geschuldet ist. In jedem Fall traf er als eine Art „Manifest der zynischen Vernunft“ den Nerv der Zeit.7 Erzählt wird die befremdliche Geschichte eines professionellen Lobbyisten, der als Ghostwriter und Imagemaker die politischen und kriminellen Eliten bedient und darüber hinaus als Moderator bei Interessenkonflikten auftritt. Hinter diesem Maskenspiel wird das Selbstbild Surkows erkennbar – hinter der Maske des Polittechnologen taucht die eines echten Künstlers auf, die ihrerseits unzählige weitere Masken verdeckt – politische Mythen, Halbwahrheiten, Intrigen und Gerüchte, die den Autor Wladislaw Surkow und sein öffentliches Image umgeben. Mit seinem extravaganten Sendungsbewusstsein verkörpert Surkow eine subtile Mischung aus Machtgier, Korruption, Glamour, künstlerischen Ambitionen und ruchlosem Zynismus, die als Quintessenz des politischen Stilbewusstseins im heutigen Russland gelten kann.

aktualisiert am 19.02.2020


1.Pomeranzew, Peter (2011): Putin’s Rasputin, in: London Review of Books
2.Šegulev, Ilja / Romanova, Ljudmila (2012): Operacija „Edinaja Rossija“: Neizwestnaja istorija partii vlasti, Moskau, S. 23
3.Surkov, Vladislav (2007): Russkaja političeskaja kulʼtura: Wsgljad iz utopii: Materialy obsuždenija v „Nezavisimoj gazete“,Moskau
4.The Insider: Vladislav Surkov – „Zakljatyj drug“ Ukrainy
5.The Atlantic: The Hidden Author of Putinism
6.Pomeranzew, Peter (2011): Putin’s Rasputin, in: London Review of Books
7.Lipovetsky, Mark (2011): Charms of the Cynical Reason: The Trickster’s Transformations in Soviet and Post-Soviet Culture, Boston, S. 271

 

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Wassili Jakemenko, Gründer der kremltreuen Jugendbewegung Naschi, ist Günstling und Spielball der Polit-Technologen im Kreml zugleich. Sein Erfolg mit Naschi und seine Karriere in der Regierung beruhten im Wesentlichen auf der Rückendeckung des Putin-Beraters Surkow. Jakemenkos Fall 2012 ist aber auch das Ergebnis persönlicher Fehltritte. Allerdings scheint der Kreml ihn in jüngster Zeit für seine Zwecke wiederentdeckt zu haben.  

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