Dramatische Musik, effektvolle Übergänge, Fadenkreuze, die über das Bild huschen: Die Berichterstattung über die neuesten Kriegsentwicklungen auf dem Propagandasender RT sehen aus wie Trailer zu einem Videospiel. Zu sehen sind vermeintliche Heldentaten russischer Soldaten, die bei der „Spezialoperation“ Russland gegen den Westen „verteidigen“.
Fernsehen genießt laut Umfragen1 das größte Medienvertrauen in Russland, es ist auch bei weitem die zahlenmäßig wichtigste Informationsquelle der Menschen im Land … beziehungsweise Desinformationsquelle – denn alle Kanäle obliegen der direkten staatlichen Regie. Die Fäden laufen bei einem Mann zusammen: Alexej Gromow, Erster stellvertretender Leiter der Präsidialadministration, dem die volle Kontrolle über alle analogen Medien in Russland nachgesagt wird. Er gilt außerdem als der Herr über die sogenannten metoditschki: Leitfäden, die den Fokus der Berichterstattung festlegen.
Alexej Gromow (links) wird die volle Kontrolle über alle analogen Medien in Russland nachgesagt / Foto © Mikhail Metzel/ITAR-Tass/imago images
Die modernen Autokratien legitimieren sich zumeist über eine Mischung von personalisierten und meritokratischen Elementen: Im Vordergrund stehen dabei also Arbeit am Charisma und an besonderen Verdiensten des Herrschers. Mit dem Boom des Populismus im 21. Jahrhundert geht diese Legitimierungsarbeit an professionelle Polittechnologen, Ghostwriter und Spin-Doktoren über.2 Ihre Konzepte zum Machterhalt bezeichnen manche Forscher als Smart Authoritarianism. Jüngst schlug der oppositionelle russische Ökonom Sergej Gurijew auch den Begriff Spin Dictatorship vor.3
Das Konzept der Spin Dictators postuliert, dass populistische Diktaturen des 21. Jahrhunderts weniger auf Unterdrückung und Massenmobilisierung setzen, sondern auf eine Imitation demokratischer Strukturen und Prozesse, die den Logiken der Popindustrie folgt.4 Das erfordert einen gut vernetzten, effektiven, lernfähigen und vor allem loyalen bürokratischen Machtsicherungsapparat. In Russland erfüllt diese Funktion die Präsidialadministration (PA). Seinerzeit von Wladislaw Surkow maßgeblich geprägt, bildet die PA einen zentralen Grundpfeiler der sogenannten Machtvertikale. Eine Schlüsselrolle für die Sicherung des Informationsmonopols nimmt der Erste stellvertretende Leiter der Präsidialadministration Alexej Gromow ein – Putins persönlicher Spin-Doktor und oberster Imagemaker.
Der Dienstälteste
Nach seinem Studium an der historischen Fakultät der Moskauer Staatlichen Universität (MGU) begann Gromows diplomatische Karriere in der Tschechoslowakei. Als Attaché der sowjetischen Botschaft in Prag lernte er Ende der 1980er Jahre Wladimir Putin kennen. 1996 übernahm Gromow die Leitung der Pressestelle des Präsidenten Boris Jelzin. Zwei Jahre später folgte seine Ernennung zum Leiter der Presseabteilung der Präsidialadministration. Viele kamen und gingen, nach einem Vierteljahrhundert blieb einer: Unter den bekannteren Gesichtern gilt Gromow heute als der dienstälteste Mitarbeiter der Behörde.
Mit dem Rücktritt Boris Jelzins stieg Gromow zum persönlichen Pressesprecher des neuen Präsidenten auf. Seit seiner Ablösung durch Dimitri Peskow 2012 begleitet der Kommunikationsstratege Wladimir Putin weiterhin als Erster stellvertretender Stabsschef der Präsidialverwaltung. Er gilt als einer von Putins engsten Vertrauten.
Vereinheitlichung der Medienlandschaft
Am Anfang stand NTW. Die Zerschlagung des Fernsehsenders gilt heute für viele rückblickend als ein Startschuss der Gleichschaltung, für Gromow war sie die erste Bewährungsprobe auf dem neuen Posten. NTW war um die Jahrtausendwende der einflussreichste Fernsehsender des Landes und gehörte zum Medienimperium Media-Most des Oligarchen Wladimir Gussinski. Dieser gab sich Putin-kritisch und zeigte politische Ambitionen. Mit NTW hatte er ein Sprachrohr, das nicht selten als das anspruchsvollste und innovativste Medium des Landes bezeichnet wurde.
Rückblickend erscheint es kaum verwunderlich: Als die Sondereinheiten der Polizei und des FSB nur wenige Tage nach der ersten Inauguration Putins die Räumlichkeiten von Media-Most durchsuchten, war aber noch nicht klar, dass Putin tatsächlich den autoritären Kurs einschlägt, vor dem Gussinski zuvor gewarnt hatte. Kurz danach kam er in Haft und musste seinen Medienkonzern an die Holding Gazprom-Media verkaufen.5 Bald darauf ereilte das Schicksal auch den größten Konkurrenz-Fernsehsender ORT, der zum Medienimperium von Boris Beresowski gehörte. Beresowski wurde damals genauso wie Gussinski zu Oligarchen im eigentlichen Sinne gezählt: Beide sollen immensen Einfluss auf Boris Jelzin ausgeübt haben. Untereinander führten sie jedoch zeitweise einen erbitterten Konkurrenzkampf. Beresowski hatte Putin auf dem Weg zur Macht zunächst unterstützt, hatte sich im Konkurrenzkampf mit Gussinski aber verspekuliert. Auch seine politischen Ambitionen haben wohl dazu geführt, dass er seinen Anteil an ORT 2001 an Roman Abramowitsch abtreten musste – ein Putin-loyaler Oligarch. Dieser verkaufte seine Anteile später als Perwy Kanal unter anderem an die Nationale Mediengruppe. Gesteuert von Juri Kowaltschuk – den Korruptionsermittler als eine von Putins Brieftaschen bezeichnen – soll die Mediengruppe laut Hinweisen eigentlich Putin gehören.6 Propaganda ist in der russischen Kleptokratie demnach nicht nur Legitimierungsinstrument, sondern auch Business.
Aufstieg zum Propagandaminister
Alexej Gromow spielte bei der de facto Verstaatlichung (resp. Privatisierung) dieser zwei einflussreichen Fernsehsender den Unterhändler. Er steuerte die komplexen Umstrukturierungsprozesse und brachte die Medien auf Linie. Dazu engagierte er unter anderem renommierte Medienmacher und ernannte seinen Studienfreund Oleg Dobrodejew – ein Gründungsmitglied von Media-Most und NTW – zum Leiter des staatlichen Medienunternehmens WGTRK, dessen Flaggschiffsender Rossija-1 ist. Auf diese Weise hat Alexej Gromow in kürzester Zeit die größten Akteure auf dem Medienmarkt unter seine Kontrolle gebracht. Mit der vorangeschrittenen Monopolisierung der Medienlandschaft konnte er 2004 auch die anstehenden Präsidentschaftswahlen bestimmen, bei denen Putin schließlich erneut als Sieger hervorging.
Seitdem dirigiert Gromow eigenhändig die analoge (Des-)Informationsagenda sowie die Medien- bzw. Propagandapolitik Russlands. Das Digitale soll entsprechend sein Kollege Sergej Kirijenko verantworten. Zum Handwerkszeug gehören regelmäßige Treffen mit Medienmachern, Akkreditierung der zum Presse-Pool des Kreml zugelassenen Journalisten und das „Kuratieren“ der Pressestellen von staatlichen Behörden. Erstellung der Leitfäden für die Propagandaorgane gehört zum Stellenprofil, genauso wie Medientraining und Kommunikationsbegleitung von Gouverneuren, Manipulation von Umfrageergebnissen sowie direkte Interventionen bei unerwünschter Berichterstattung. Diese Instrumente tragen schon seit 2000 die Signatur des Mannes, dessen Departement galgenhumorig als Propagandaministerium bezeichnet wird.7
Image Making und Business
Mit der Kontrolle über das (Des-)Informationsmonopol ist Gromow ein zentraler Akteur des russischen Medienmarkts. Dass er auch ein Teil der Kleptokratie ist, zeigt das Beispiel RT: 2005 aus Gromows Feder entsprungen, hat sich der international agierende Fernsehsender schnell zu einer Propagandamaschine entwickelt, die staatliche Fördergelder durch ein obskures Netzwerk von Subunternehmen und kurzlebigen Projekten an Privatpersonen verteilt. Dazu gehören auch die beiden Söhne von Alexej Gromow.8 Der Ältere leitet die Internetplattform Kub – ein Ableger von RT. Schon mit 24 trat er als „Geschäftspartner“ der Putin-nahen Oligarchen Oleg Deripaska und Roman Abramowitsch in Erscheinung.9
Für das unabhängige Medium Projekt ist Gromow der „Herr der Puppen“. In der Tat kann man ihn heute wohl als den wichtigsten Puppenspieler Russlands bezeichnen, ähnlich wie seinerzeit auch seinen Vorvorgänger Wladislaw Surkow. Gromow hält die Propaganda-Fäden in der Hand, sichert das Informationsmonopol des Kreml und lenkt Geldflüsse auf dem Medienmarkt in ein weitverzweigtes kleptokratisches Netzwerk um Putin. Als einer der engsten Vertrauten des Präsidenten entscheidet Gromow, welche Informationen Putin bekommt – und wie. Als oberster Spin-Doktor ist er für Putins Imagepflege zuständig. Dies kreiert möglicherweise eine eigentümliche Tautologie: Gromow schafft mit Desinformation und Propaganda eine fiktive Realität, formt mit Versatzstücken daraus das Weltbild von Wladimir Putin, das wiederum die Grundlage seines Handelns in der wirklichen Welt bildet.