Am 23. März wurde der Ex-Dumaabgeordnete Denis Woronenkow in Kiew auf offener Straße erschossen.
Der ehemalige Abgeordnete der Kommunistischen Partei war eine umstrittene Figur: Er hatte die Linie des Kreml mitgetragen, in Sozialen Netzwerken etwa die Angliederung der Krim begrüßt. Umso überraschender war es für Viele, als er Ende 2016 in die Ukraine emigrierte – nachdem er nicht mehr in die Duma gewählt worden war. Da in Russland seit 2014 wegen Korruption gegen Woronenkow ermittelt wurde, vermuteten dies manche als Beweggrund für seine Emigration. In Kiew verglich er Russland schließlich sogar mit Nazi-Deutschland. Woronenkow hinterlässt eine Ehefrau, die populäre Opernsängerin Maria Maksakowa-Igenbergs, den gemeinsamen Sohn sowie zwei Kinder aus einer früheren Ehe.
Unmittelbar nach Woronenkows Ermordung brachen heftige Spekulationen über das Motiv und die Hintermänner aus: Steckt der SBU hinter dem Mord? Der russische Geheimdienst aus „Rache am Verräter“? Oder ging es um irgendwelche schmutzigen Geschäfte?
Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko sprach von „russischem Staatsterrorismus“, die russische Außenamtssprecherin Maria Sacharowa dagegen von einem „Auftragsmord“.
Der mutmaßliche Mörder war nach der Tat schwer verletzt in ein Krankenhaus eingeliefert worden, wo er seinen Verletzungen erlag. Am Tag nach dem Mord veröffentlichte der ukrainische Obosrewatel den Namen des mutmaßlichen Täters. Andere, zumeist russische, Quellen stützen sich jedoch auf die Anwältin des Mannes, die behauptet, ihr Mandant sei noch am Leben.
In russischen Medien wird derzeit heftig spekuliert, wer hinter dem Mord steckt, unter anderem wird die in Russland typische Frage „Wem nützt es?“ aufgeworfen. Dass so viele eine schnelle Antwort darauf haben, das hat vereinzelt wiederum eine eigene Debatte ausgelöst. dekoder bringt Ausschnitte:
Novaya Gazeta: Kreml wird sich nicht herauswinden können
Julia Latynina von der unabhängigen Novaya Gazeta hat keinen Zweifel, wer hinter dem Mord steckt:
Bestenfalls wird seine Verteidigungsstrategie folgende sein: „das war Eigeninitiative“, „hat versucht, sich anzudienen“. Funktionieren wird diese Verteidigungsstrategie nur bei den Olgino-Trollen.
В лучшем случае линия защиты будет такая: «это самодеятельность», «пытались угодить». Действовать эта линия защиты будет только на ольгинских троллей.
erschienen am 24.03.2017
Republic: Komplizierter als MH17-Abschuss
Oleg Kaschin vermutet eine Rache des Kreml hinter der Ermordung – und fragt sich auf Republic, wie der es schaffen wird, damit ein Zeichen zu setzen und sich gleichzeitig nicht als Täter zu entlarven:
Diese Herausforderung ist deutlich größer als damals bei der MH17 oder bei Nemzow. Vielleicht werden die russischen Machthaber nicht dicht halten und sich schneller verplappern als die ukrainischen Ermittler den Mordfall aufdecken.
Tакая задача несопоставимо более сложна, чем то, что было с «Боингом» или Немцовым. Может случиться так, что российские власти не выдержат и проболтаются быстрее, чем украинские следователи раскроют убийство.
erschienen am 23.03.2017
Komsomolskaja Prawda: Der SBU war’s
Für das Massenblatt Komsomolskaja Prawda ist ebenfalls klar, wer die Drahtzieher sind – auch wenn es zu einem anderen Schluss kommt als Republic:
Übrigens wurde am Tatort eine Handtasche des Killers gefunden. Eine Handtasche, verstehen Sie? Wozu hat er die „zum Einsatz“ mitgenommen? Bestimmt hatte er darin einen Bart zum Ankleben, einen Kompass, einen Kiew-Stadtplan für Touristen und einen Ausweis der „Abteilung Liquidation“ des KGB. Derartiges wird der SBU wahrscheinlich bald präsentieren. [...]
Для Порошенко, из рук которого власть потихоньку утекает к радикалам, это спасительная палочка. На какое-то время. [...]
Кстати, на месте убийства была найдена борсетка киллера. Борсетка, понимаете? Зачем он брал ее «на дело»? Даже не сомневаюсь, что в ней он носил накладную бороду, компас, туристическую карту Киева и удостоверение «отдела ликвидаций» КГБ. Скоро что-то подобное наверняка обнародует СБУ.[...]
erschienen am 23.03.2017
Vedomosti: Russland und Ukraine müssen zusammenarbeiten
Die Tageszeitung Vedomosti verdächtigt weder Kreml noch SBU – und regt zur Aufklärung des Falls eine Zusammenarbeit der russischen und ukrainischen Behörden an:
Wenn man alle diese Versionen ernsthaft in Betracht zieht, dann wird der Mordfall ohne eine Zusammenarbeit der russischen und ukrainischen Rechtsschutzorgane nur schwer überzeugend aufzuklären sein. Aber nach offiziellen Verlautbarungen, dass russische Geheimdienste am Mord beteiligt gewesen sein sollen, wird es eine solche Zusammenarbeit offenbar nicht mehr geben.
erschienen am 24.03.2017
spektr: Opfer des hybriden Kriegs
Das russischsprachige Spektr, das in Lettland ansässig ist, ist der Spekulationen und schnellen Verdächtigungen müde:
Eine weitere Leiche – diesmal im Zentrum von Kiew – wird blitzartig zur Waffe im Propaganda-Krieg. Eigentlich interessiert sich auch niemand wirklich dafür, wer ihn weshalb umgebracht hat. Den Konfliktparteien ist auch so alles klar. Selbst wenn der Killer überlebt und ausgesagt hätte, würde man die Aussagen, die nicht in das einfache Weltbild der eigenen Seite passten, beiseite legen, es der feindlichen Propaganda anlasten und mit der Entlarvung des Gegners fortfahren.
Das heißt, obwohl wir das nicht wollten, sind wir auf beiden Seiten der Grenze bereits zu gemeinsamen Opfern des hybriden Kriegs geworden.
То есть все мы по обе стороны границы, сами того не желая, уже вступили в союз жертв гибридной войны.
erschienen am 23.03.2017
dekoder-Redaktion