Die meisten Journalisten haben Belarus seit Beginn der Repressionen im Jahr 2020 verlassen. Aber bis heute werden Medienschaffende verfolgt und festgenommen – erst kürzlich wurde die Journalistin Wolha Radsiwonawa zu vier Jahren Haft verurteilt. Die offizielle Anschuldigung: Beleidigung des Präsidenten und Diskreditierung des Landes.
Seit ihrer Flucht nach Litauen, Polen oder Georgien arbeiten viele Medien aus dem Exil heraus. Sie sorgen dafür, dass es weiterhin Informationen darüber gibt, was in Belarus passiert. Wie prekär ist die Lage dieser Medien? Erreichen sie weiterhin ihr Publikum in Belarus? Welche Folgen hat die Verdrängung unabhängiger Medien für die belarussische Gesellschaft? Mit diesen Fragen befasst sich eine neue Studie, Wjatschelslaw Korosten fasst die wichtigsten Antworten für das Online-Medium Pozirk zusammen.
Zum 1. Dezember 2024 waren in Belarus 1143 Medien registriert, so steht es auf der offiziellen Webseite des Informationsministeriums. 601 davon sind nichtstaatlich. Private Besitzverhältnisse bedeuten heute nicht automatisch einen kritischen Blick auf die Politik der Machthaber – man übt sich in Selbstzensur. Dennoch schrumpft dieser Bereich des Mediensystems im Land am schnellsten. Im September 2020 meldete das Belarusian Investigative Center mit Verweis auf das Informationsministerium noch 1927 Massenmedien, also 40,1 Prozent mehr als heute. Nichtstaatliche Medien gab es damals 1285 – innerhalb von vier Jahren ist diese Zahl also um 53,2 Prozent gesunken, auf weniger als die Hälfte.
Es liegt auf der Hand, dass hinter diesen Zahlen die repressive Ausmerzungspolitik der Staatsmacht gegen unabhängige, gesellschaftspolitische Medienformate steckt. Sie wurden als „extremistisch“ eingestuft, was die Fortführung der Arbeit im Land auf einen Schlag unmöglich machte und in vielen Fällen zum Umzug ganzer Redaktionen ins Ausland führte. Journalisten wurden verhaftet und zu Freiheitsstrafen verurteilt, aktuell sitzen 35 hinter Gittern. Personen, die diesen Medien Interviews geben, werden strafrechtlich verfolgt, für das Abonnement nichtstaatlicher Medien (de facto genügt es, sie zu lesen) werden Administrativstrafen verhängt, die in der Regel auch zum Verlust der Arbeitsstelle führen.
Die Zahl der Medienvertreter, die das Land verlassen haben, geht in die Hunderte. Daten des Belarussischen Journalistenverbandes (BAJ) zufolge gibt es aktuell 450-500 Emigranten mit diesem Hintergrund, mehr als 30 Redaktionen setzen ihre Arbeit im Ausland fort. Wie geht es ihnen in der Fremde? Vor welchen Herausforderungen stehen sie und wie gehen sie damit um? Welche Perspektiven hat die belarussische Medienbranche unter diesen Bedingungen?
BAJ: Ernsthafte professionelle und existenzielle Krise
Die Ergebnisse einer BAJ-Studie für 2024 bestätigen den Ernst der Lage. Die Befragung von 211 belarussischen Medienschaffenden in verschiedenen Ländern (Polen, Georgien, Litauen, ein geringer Anteil in Belarus) macht zwei Schmerzpunkte der Berufsgruppe deutlich:
Erstens wird die Arbeit durch das Risiko der politischen Verfolgung sowie durch die Wahrscheinlichkeit, dass Angehörige Repressionen ausgesetzt werden, behindert. Zweitens generiert die journalistische Tätigkeit kein ausreichendes Einkommen, um im Ausland normal leben zu können. Diese Antworten gaben 67,3 Prozent beziehungsweise 62 Prozent der Befragten. 40 Prozent beklagten zudem eine sehr hohe Arbeitsbelastung.
Diese Statistik bestätigen auch die wiederkehrenden Meldungen über die desaströse Lage ganzer Redaktionen. Ende November schlugen Nowy Tschas und Malanka Media Alarm. Beide wählten den üblichen Weg – sie starteten eine Spendensammlung auf der Plattform des Solidaritätsfonds Bysol.
Die Belarussen reagierten zwar auf den Hilferuf, Spenden gehen bisher aber nur langsam ein. Auf diesem Weg wird man die großen Förderer, die mit jedem Jahr weniger werden, wohl kaum völlig ersetzen können. Im Laufe des Jahres machten bereits andere Medien auf ihre finanzielle Notlage aufmerksam: Reform, Plan B, Ex-press. Einige haben aus diesem Grund bereits ihre Arbeit eingestellt: KYKY, die belarussische Redaktion des polnischen Radio Wnet (Радыё Ўнэт), The Village Belarus. Schmerzhaft und nicht ohne Konflikte verläuft auch die Reformierung des Fernsehsenders Belsat, des größten belarussischsprachigen Medienoutlets im Ausland.
Zu den professionellen Herausforderungen kommen automatisch auch persönliche hinzu. 49,3 Prozent der Teilnehmenden der BAJ-Umfrage gaben an, psychische Probleme zu haben, 34,6 Prozent andere gesundheitliche Probleme, 33,2 Prozent Schwierigkeiten mit der Legalisierung im Ausland. Für 39,3 Prozent der Befragten erschwert die Sprachbarriere das Leben in der Emigration. „Die Umfrage zeigt, dass Journalistinnen und Journalisten eine ernsthafte professionelle und existenzielle Krise durchmachen“, erklären die Autoren der Studie. „Das liegt nicht nur an den politisch motivierten Repressionen und Risiken der Berufsausübung, der erzwungenen Emigration und der Trennung von Angehörigen und Arbeitskollegen, sondern in vielen Fällen auch am Fehlen einer stabilen Arbeit und Gesundheitsversorgung.“
Die Machthaber nahmen den Medien die Möglichkeit zum Geldverdienen
Alexander Lukaschenkos Regime führt seinen Krieg gegen die unabhängigen Medien auf breiter Front. Neben der Stigmatisierung durch den „Extremismus“-Status und Repressionen gegen Mitarbeiter werden die Informationsplattformen auch weitestgehend von ihrem Publikum abgeschnitten.
Die Webseiten sind seit Langem blockiert, für das Abonnieren von Social-Media-Kanälen wird man in Belarus verhaftet, dazu werden unablässig Handys kontrolliert. Für finanzielle Unterstützung gibt es im Strafgesetzbuch gleich mehrere Artikel mit schweren, langjährigen Haftstrafen. All das führte dazu, dass man mit journalistischen Medieninhalten kein Geld mehr verdienen kann.
Bis 2020 verdienten die unabhängigen Medien nicht schlecht mit Werbung und steckten die konservativen Staatsmedien dabei locker in die Tasche. Werbekunden gingen viel lieber zu den privaten Anbietern, die ein breiteres Publikum hatten und qualitativ hochwertige, kommerziell erfolgreiche Spezialprojekte anbieten konnten. Deshalb konnten die nichtstaatlichen Redaktionen ohne einen Cent aus dem Staatsbudget und trotz Steuerlast finanziell auf eigenen Beinen stehen.
Dieser Boden wurde den Medien nun unter den Füßen weggezogen, von Eigeneinnahmen kann keine Rede mehr sein. Der belarussische Werbekunde kann nicht zu einer „extremistischen“ Plattform gehen – das wäre der direkte Weg in den Knast. Durch die Verbote sinkt die Zahl der Lesenden. Der Zugang zu den Informationsquellen ist nur eingeschränkt möglich. Deshalb stützt man sich nun hauptsächlich auf Spenden und Fördergelder.
In der demokratischen Welt mit ihren starken horizontalen Beziehungen ist diese Unterstützung gut ausgeprägt. Die Vertreter der Demokratiebewegung kämpfen bei internationalen Treffen ständig um ihren Erhalt.
Aber die Zeiten sind schwierig: In der Ukraine herrscht Krieg, in der EU sind auch russische Medienschaffende unterwegs, die vor Putins Repressionen geflüchtet sind. Sie sind auf Unterstützung aus denselben Quellen angewiesen. Auch georgische Journalisten werden womöglich demnächst Hilfe benötigen, wenn die herrschende prorussische Partei die Daumenschrauben weiter anzieht. Eine Kürzung der Unterstützung für belarussische Medien ist in dieser Situation und im fünften Jahr der Emigration also keine Sensation. Aus geopolitischer, strategischer Sicht begehen die internationalen Förderinstitutionen damit jedoch einen großen Fehler.
Die belarussische Propaganda übernimmt russische Praxis
Der grundlegende Unterschied in der Mediennutzung zwischen Belarus und Russland liegt in der Anfälligkeit der Bevölkerung für Staatspropaganda. In der belarussischen Medienwelt dominierten bis zu den Wahlen 2020 de facto unabhängige Ressourcen (die Auflagen der staatlichen Printmedien wurden durch Zwangsabonnements aufgeblasen, dem Staatsfernsehen glaubten viele nicht). Das erkannten die Machthaber später an, indem sie die Medien zum Sündenbock für die Massenproteste machten. Das Vertrauen in die Propagandisten war gering, da die Belarussen in den Jahrzehnten der Lukaschenko-Herrschaft gelernt hatten, nur dem zu trauen, was sie mit eigenen Augen gesehen hatten, und nicht der agitprop-artigen Fernsehberichterstattung.
In Russland arbeitete die Propaganda derweil raffinierter und mit größeren finanziellen Mitteln. Im Bereich der oppositionellen Medien entstanden keine wirklichen Flaggschiffe mit einem Publikum, das mit dem Fernsehpublikum vergleichbar wäre. Es war nicht zuletzt diese Gehirnwäsche der Bevölkerung, die Präsident Wladimir Putin die stabilen Wahlergebnisse brachte, die den Angriffskrieg gegen die Ukraine möglich machten.
Nach 2020 bewaffneten sich die belarussischen Machthaber mit der russischen Praxis, das Publikum zu Zombies zu machen. Indem es die unabhängigen Medien zerschlägt und die propagandistischen Medien stärkt, versucht Lukaschenkos Regime, die Bevölkerung zu seiner primitiven Lehre zu bekehren. Wird das gelingen? Bislang sieht es nicht danach aus, aber hier spielt die Zeit eine wichtige Rolle.
Ungeachtet aller Bemühungen des Regimes kämpfen die unabhängigen Medien gegen deren Agitprop an. Die Publikumszahlen bleiben beachtlich, die Redaktionen verbreiten ihre Inhalte in verschiedenen Formaten, es entstehen immer neue Youtube-Kanäle, TikTok wird aktiv genutzt. Insgesamt zeigen die Medien im Exil gute Überlebensstrategien in Extremsituationen. Wenn sich aber die Trends fortsetzen, die sich in der BAJ-Umfrage abzeichnen, wird in der Informationsarena über kurz oder lang die Propaganda den Sieg davontragen. Damit würde die belarussische Gesellschaft, die vor vier Jahren den Willen zu demokratischen Veränderungen zeigte, der russischen immer ähnlicher – mit ihrer dominierenden Mentalität von Untergebenen anstelle von Staatsbürgern.
Den Medienmanagern sind Grenzen gesetzt
Am 30. November behauptete der Chef des staatlichen Rundfunkunternehmens Belteleradiokompanija, Iwan Eismont, das Vertrauen der Bevölkerung in die staatlichen Medien nehme zu. Die Zahlen, die er nannte, verdienen im Prinzip nicht mehr Vertrauen als jeder andere Propagandainhalt, dennoch haben sie Unterhaltungswert.
„Diesen Daten der Soziologen zufolge vertrauen bereits mehr als 50 Prozent der Bevölkerung den staatlichen Medien. Ich ziehe diese gut 50 Prozent nicht in Zweifel, weil wir das schwarz auf weiß auf feindlich gesinnten Plattformen sehen, wir sehen über die letzten Jahre ein großes Vertrauenswachstum“, sagte der Beamte.
Damit bestätigt er zumindest zwei Dinge: Erstens gibt er zu, dass bis vor Kurzem die Belarussen den offiziellen Medien nicht vertrauten. Zweitens erklärte er faktisch, dass nach vier Jahren vernichtender Repressionen, trotz Zerschlagung und Verboten, die unabhängigen Medien weiterhin gefragt sind und einen ernsthaften Einfluss auf die öffentliche Meinung in Belarus haben. Wäre es auch nur geringfügig anders, hätte Eismont bereitwillig 70 oder 80 Prozent Unterstützung vermeldet. Man kann es ja doch nicht überprüfen. Aber aus irgendeinem Grund spricht er von „gut die Hälfte”.
Aus dieser Perspektive stellt sich die Lage der Medienbranche überhaupt nicht kritisch dar. Eine andere Sache ist, dass es für die unabhängigen Journalisten in ihrer fragilen Lage immer schwieriger wird, mit der privilegierten Staatspropaganda zu konkurrieren. „Die belarussische Medienbranche erlebt eine kritische Zeit und bedarf infrastruktureller Veränderungen, neuer Herangehensweisen und Ressourcen zur Solidarisierung der Berufsgemeinschaften, technologischer und finanzieller Unterstützung“, heißt es in der erwähnten Studie des BAJ. Von so weit unten ist es schwer, positiv in die Zukunft zu blicken.
Der Vorsitzende des BAJ, Andrej Bastunez, sagte bei der Präsentation der Studie auf eine Frage von Pozirk, derzeit könne in Bezug auf den belarussischen Journalismus im Exil niemand Prognosen anstellen. Mit Verweis auf Experten meinte er, dass 2025 die Situation etwa auf dem heutigen Niveau bleiben werde, dabei aber eine Kürzung der Mittel um zehn Prozent möglich sei. „Was dann im Jahr 2026 sein wird, weiß man nicht“, sagte Bastunez.
Der stellvertretende Vorsitzende des BAJ, Boris Gorezki (belaruss. Barys Harecki), findet Zukunftsprognosen über die unabhängigen Medien ebenfalls schwierig: „Ausgehend von den vorliegenden Daten ist die Prognose unerfreulich. Die Probleme sind groß und bislang gibt es, sagen wir mal, keinen Grund zu der Annahme, dass da plötzlich irgendein Faktor ins Spiel kommt, der das Ruder herumreißt. Positiv betrachtet kann man sagen, dass es immerhin Medienorganisationen wie den BAJ gibt, die diese Probleme wahrnehmen. Und die Programme, die wir aufbauen, setzen direkt bei diesen Problemen an“, unterstrich der Medienmanager.