„Wir brauchen keine starken Anführer – wir brauchen eine starke Gesellschaft.“ Dies sagte die Philosophin Olga Shparaga im August 2020 in einem Interview, kurz nachdem sich eine historische Protestwelle gegen die belarussischen Machthaber erhoben hatte. Das autoritäre System von Alexander Lukaschenko versucht bis heute diesen gesellschaftspolitischen Wandlungsprozess durch Gewalt und Repressionen aufzuhalten und zu stoppen. Viele wie Olga Shparaga, die die historischen Ereignisse in ihrem Buch Die Revolution hat ein weibliches Gesicht beschreibt, haben das Land mittlerweile verlassen und arbeiten von Vilnius, Warschau oder Berlin aus daran, die Silowiki in Belarus unter Druck zu setzen und die entstandene Oppositionsbewegung voranzutreiben.
Mit unserer Podcast-Reihe Mediamasterkaja (dt. Medienwerkstatt) wollen wir den eingeleiteten Wandlungsprozess in Bezug auf die Medien kritisch begleiten und mit unterschiedlichen Akteuren erörtern. In der ersten Folge sind es Olga Shparaga und die Gender-Forscherin Lena Ogorelyschewa, die diskutieren, inwieweit die Rolle der Frauen bei den Protesten auch die belarussische Medienwelt bereits geprägt hat – oder wie das Auftreten einer Frau wie Swetlana Tichanowskaja das klassische Rollenverständnis auch von Medien und Journalisten in Belarus herausgefordert hat. Wir bringen einige Auszüge aus dem Podcast.
Mediamasterskaja: Kann man sagen, dass Frauen eine Schlüsselrolle bei den Protesten von 2020 gespielt haben?
Olga Shparaga: Durch die Märsche, die im August zusätzlich zu den großen Sonntagsmärschen begannen, wurden die Frauen dann in dem weiteren Protest zu einem agierenden Kollektiv, das natürlich nicht homogen ist. Wie ich in meinem Buch über die Revolution in Belarus schreibe, ist dieses weibliche Subjekt durch das Patriarchat gespalten. Ein Teil der Frauen begreift sich als feministisch, ein anderer nicht. Aber das ist ein normales Phänomen, das wir in modernen Gesellschaften überall auf der Welt beobachten können. Es hängt mit der Polarisierung der Gesellschaften zusammen, mit der ungleichen sozialen, ökonomischen, politischen Position von Frauen, auf die verschiedene Frauen, die sich in verschiedenen Situationen befinden, mit unterschiedlichem Bildungsgrad und Einkommen, unterschiedlich reagieren.
Dass die Herausbildung eines kollektiven weiblichen Subjekts eine wichtige und neue Etappe war, sehen wir unter anderem daran, dass es ab dem dritten Frauenmarsch harte Repressionen und Festnahmen gab. Das führte dazu, dass die Organisatorinnen diese Form des Protests schließlich aufgeben mussten.
Dennoch waren und sind die Frauen weiterhin im öffentlichen Raum präsent. In kleinen Gruppen, ja, aber sie sind sehr kreativ und beweisen nach wie vor, dass Frauen Führung übernehmen können, dass sie der Gesellschaft neue Formen des Protests und des Widerstands anbieten können. Sie beweisen, dass Frauen Verantwortung übernehmen, Leaderinnen sein und uns verschiedene Formen der Solidarisierung anbieten können.
Hat die Aktivität der Frauen bei den Protesten das Bild von Frauen bereits verändert?
Eine wichtige Etappe war, denke ich, die Schwesterlichkeit in den Gefängnissen, der Zusammenhalt unter Frauen. Sie schreiben darüber in ihren Briefen, wie zum Beispiel Julia Sluzkaja. Wir erfahren daraus, wie wichtig diese gegenseitige Unterstützung für die Frauen ist. Eine weitere wichtige Komponente, eine wichtige Dimension der Revolution von 2020 verbinden diverse Forscher heute mit dem Begriff der gegenseitigen Fürsorge. Fürsorge lässt neue soziale und horizontale Verbindungen entstehen – etwas, das in der belarussischen Gesellschaft sehr gefehlt und sich im Verlauf der Ereignisse herausgebildet hat. Hierfür waren oft Frauen die Impulsgeberinnen, sie bestimmten die Stoßrichtung. Von diesen Verbindungen hängt in meinen Augen die demokratische Zukunft von Belarus ab.
Die Tatsache, dass ein Teil der belarussischen Gesellschaft derart überrascht war von der aktiven Position von Frauen, hängt natürlich mit den bestehenden Stereotypen zusammen. Diese Stereotype werden wiederum von den offiziellen Medien aktiv unterstützt. Denken wir nur an die Aussage von Lidija Jermoschina, dass Frauen Borschtsch kochen sollten, anstatt sich mit Politik zu beschäftigen. Leider sind solche Ansichten auch für die belarussische Zivilgesellschaft und die unabhängigen Medien charakteristisch. Wir wissen, mit welcher Art von sexistischen Äußerungen die Präsidentschaftskandidatin Tatjana Korotkewitsch 2015 konfrontiert war. Genau diese Stereotype und Vorstellungen waren der Grund dafür, dass ein Teil der belarussischen Gesellschaft die Frauenbewegung am Anfang nicht ernst genommen hat.
Aber ich glaube, die Tatsache, dass die Aktivierung der Frauenbewegung in mehreren Etappen verlief und die Frauen ihre Fähigkeit, Führung zu übernehmen, Leaderinnen zu sein und als Team zu arbeiten auf jeder Etappe von einer neuen Seite entdeckt haben, hat die Sicht auf die Frauen verändert.
Wie lässt sich die Sichtbarkeit von Frauen in Politik und im gesellschaftlichen Leben erhöhen?
Warum werden Frauen so widerwillig in Geschichte, Politik und das öffentliche Leben einbezogen, warum werden sie immer auf die zweiten Ränge verwiesen? Weil in der belarussischen Gesellschaft patriarchale Denkmuster vorherrschen, also die Vorstellung, dass Männer Führungsrollen übernehmen können und sollen und Frauen im Hintergrund zu bleiben haben. Und das sehen wir leider nicht nur im staatlichen Kontext. Leider beobachten wir das auch innerhalb der Zivilgesellschaft.
Zweitens müssen wir beachten, dass auch Kommentatoren, Redakteure von Internetportalen, Journalisten und Leiter von diversen Projekten die Hintergrundrolle der Frau mit deren individuellen Fähigkeiten in Verbindung bringen und nicht mit der sozialen Ordnung, den Stereotypen, die in der Gesellschaft vorherrschen. Daraus folgt, dass die leitenden Akteure – meist Männer, selten auch Frauen – nicht verstehen, wie wichtig es ist, dass Frauen einen würdigen Platz in der Gesellschaft einnehmen, einen Platz, den sie einnehmen können und wollen. Dass Frauen ihre Unterstützung brauchen, dass man die bestehenden Stereotype kritisieren muss.
Wie können die Medien die Rolle der Frau stärken?
Ich finde, noch vor einem oder mehreren Monaten haben wir mehr weibliche Expertinnen gesehen. Hervorzuheben wären da Walerija Kostjugowa, Katerina Schmatina oder Tatjana Tschulizkaja.
Dass die Frauen aus dem öffentlichen Raum verschwunden sind, dass sie weniger werden, beweist meiner Meinung nach, dass wir bewusst daran arbeiten müssen und uns auf die Anwesenheit von Frauen fokussieren. Wir brauchen dringend ein Verständnis davon, dass die Abwesenheit von Frauen im öffentlichen Raum gesellschaftliche Gründe hat, und nicht etwa mit angeborenen oder individuellen psychologischen Besonderheiten von Frauen zusammenhängt. Das bedeutet nämlich, dass man dieses Problem beheben kann, indem man die Rahmenbedingungen ändert. Und diese Bedingungen können von den Redakteuren, Journalisten, Projektleitern selbst geändert werden. Es muss eine Politik geben, die die Gleichberechtigung der Geschlechter anstrebt.
Aber das Wichtigste ist, glaube ich, dass das alles nicht geschehen wird, solange nicht die Projektleiter und Redakteure davon überzeugt sind, dass die Teilnahme von weiblichen Expertinnen, die Sichtbarkeit von Frauen im öffentlichen Raum sowohl für die Frauen als auch für die Gesellschaft als Ganzes wichtig ist. Die Wichtigkeit hat die Revolution von 2020 bewiesen, die Veränderungen, die in der belarussischen Gesellschaft passiert sind, ihre Aktivierung, das Entstehen von neuen sozialen Verbindungen, die Fortsetzung des Widerstands, den es natürlich nach wie vor gibt in der belarussischen Gesellschaft.
Warum hat das Image, das Swetlana Tichanowskaja um ihre Person aufgebaut hat, den Belarussen so gefallen?
Lena Ogorelyschewa: Für das moderne Belarus mit seiner zwiespältigen Wahrnehmung der Genderfrage war die Figur Swetlana Tichanowskaja und ihre Image-Kampagne deshalb so erfolgreich, weil sie einerseits eine starke Führungspersönlichkeit ist, eine Leaderin, die vor Tausenden von Menschen auftreten konnte. Ich spreche jetzt von der Swetlana Tichanowskaja, wie wir sie während des Wahlkampfs erlebt haben.
Sehr vielen Menschen hat sie als Leaderin imponiert, aber auf der anderen Seite war da auch ihre persönliche Geschichte, die ebenfalls maximal verbreitet wurde: Dass sie diese Führungsrolle quasi ungewollt übernommen hat, weil sie vor allem Ehefrau und Mutter ist. Dass sie das alles nur deshalb auf sich genommen hat, weil ihr Mann inhaftiert wurde. Das hat auch den Menschen gefallen, die sonst für traditionelle Werte einstehen, für die patriarchale Ordnung. Ein großer Teil der potentiellen Wählerschaft von [Sergej] Tichanowski hat sie unterstützt und gewählt, weil es gewissermaßen ein Kompromiss war: Ich unterstütze ja nicht eine Frau, sondern die Ehefrau von Tichanowski. Oder, ich unterstütze ja eigentlich Tichanowski, aber weil ich ihn nicht wählen kann, wähle ich seine Frau.
Wenn wir uns unsere Kultur und die Frauenfiguren ansehen, die darin gepriesen werden, dann ist genau dieses Bild – die Frau als Mutter, ihre Bereitschaft, sich für irgendwelche gesellschaftlichen Ziele zu opfern – durchaus überlebensfähig und populär. Deshalb hat diese Geschichte sehr vielen Menschen, auch solchen, die sonst unpolitisch sind, imponiert.
Die Leute sind auch der Schwäche von Swetlana Tichanowskaja gefolgt
Auch die PR-Strategie war sehr erfolgreich, wiederum nicht unbedingt nach Lehrbuch, wie man einen politischen Leader aufbaut. Bei Tichanowskaja war alles umgekehrt: Sie hat ihre Schwäche in den Vordergrund gestellt, dass sie lieber Frikadellen braten würde. Und das war erfolgreich. Die Menschen sind ihr gefolgt. Unter anderem ihrer Schwäche. Manche haben darin eine Stärke gesehen. Manche sagten sich: Alles okay, das sind keine Feministinnen, die die Macht ergreifen, wenn alles vorbei ist, geht die Frau zurück zur Familie.
Ja, jetzt ist natürlich alles anders. Sowohl ihr Image als auch die Art, wie sie sich positioniert. Sie wirkt wie eine unabhängige, starke Politikerin, deren Worte Autorität haben. Aber angefangen hat alles genau so. Leider kann man sich noch immer schwer eine Strategie vorstellen, die für eine weibliche Politikerin erfolgreicher wäre als die, die sie in dem Moment gewählt hat. Selbst in dem so fortschrittlichen Amerika sind die Leute nicht bereit, für Hillary Clinton zu stimmen. Lieber Trump als Hillary, zeigt uns die Praxis.
In der ersten Zeit hat Swetlana Interviews gemieden. Ihr Erscheinungsbild unterschied sich sehr von dem, wie es heute ist. Aber dann, nachdem sich die Wahlkampfstäbe zusammengeschlossen hatten, wurde allen klar, dass Swetlana die einzige Alternative zur herrschenden Macht ist. Ob wir das wollen oder nicht, eine andere Alternative gibt es nicht.
Auch danach wurde Tichanowskaja kritisiert, aber ich kann mich nicht an eine Flut von Artikeln erinnern, die sie immer noch ausgelacht oder kritisiert hätten für ihre, nun ja, nennen wir es Unprofessionalität. Langsam bildete sich eine Parallele heraus: Wenn du Tichanowskaja kritisierst, bist du für die Macht. Etwas dazwischen gibt es nicht.
Ich denke, am Anfang haben die Medien sie manchmal gnädiger behandelt, waren vielleicht geduldiger mit ihren Schwächen als politische Anführerin. Wenn wir analysieren, was geschrieben wurde, dann überwiegen die Artikel, die Tichanowskaja begeistert lobten. Diese Begeisterung gab auch in den folgenden sechs Monaten den Ton an, nicht nur die Begeisterung der Journalisten, sondern auch die des Publikums, das ihr überwiegend wohlgesonnen war. Nur selten kamen kritische Äußerungen in ihre Richtung.
Wie veränderte sich die Berichterstattung mit der Veränderung von Tichanowskajas Image?
Sie wird jetzt als gestandene und unabhängige Politikerin beurteilt. Deshalb gibt es mittlerweile auch Artikel wie „Hier hätte das Tichanoswkaja-Büro vielleicht das tun können, und hier hätte es vielleicht besser anders gehandelt“. Eine interessante Tendenz, finde ich. Im ersten Moment hatte man Mitleid, im nächsten begann man an sie zu glauben. Und ehe man sich versah, war sie nicht mehr die Frau in der Politik, sondern einfach nur Politikerin. Man kann jetzt nicht mehr einfach zurück zu der Situation, wo man sie vor allem als Frau oder als besonders weiblich beurteilt hat, weil sie diese Etappe schlicht hinter sich gelassen hat.
Wir haben uns damit abgefunden, dass Tichanowskaja in unserem Informationsfeld existiert, dass sie ein unabhängiges Subjekt ist und im Grunde eine der ganz wenigen Hoffnungen darauf, dass sich der Fall Belarus nach einem positiven Drehbuch entwickelt. So hat sie unter anderem auch den potentiellen Sexismus besiegt, der in ihre Richtung zielte.
Das heißt nicht, dass alles nur gut ist. Es kann alle möglichen Meinungen zu Tichanowskaja geben, aber die, die sie eher loben als kritisieren, überwiegen.
Gibt es zunehmend weibliche Expertinnen, und wovon hängt das ab?
Wir sehen zum Beispiel, dass man jetzt relativ regelmäßig Frauen als politische Beobachterinnen einlädt. Plötzlich hat sich herausgestellt, dass es in Belarus nicht nur Frauen gibt, die von Beruf Politikerinnen sind, sondern sich auch mit der Analyse von politischen und wirtschaftlichen Prozessen beschäftigen, und diese Frauen werden jetzt in die Redaktionen eingeladen.
Aber das ist in Wirklichkeit ein sehr langsamer Prozess. Und wir müssen uns klar sein, dass sich alles hier Gesagte nur auf unabhängige Medien bezieht. Ja, man sieht zum Teil mehr weibliche Expertinnen. Im März gab es zum Beispiel viele runde Tische, an denen auch Frauen teilgenommen haben, Politikwissenschaftlerinnen, Frauen, die in soziologische Forschungen involviert sind, und eine ganze Reihe von anderen Expertinnen. Aber im April war alles wieder beim Alten.
Wenn wir uns zum Beispiel heute dieselbe Situation im Westen anschauen, dann kann man sich schwer eine große Paneldiskussion vorstellen, an der keine einzige Frau teilnimmt. Das würde sofort negativ aufstoßen. Das Publikum wäre empört: „Was ist denn hier passiert? Ist irgendwas kaputt? Bringt das schnellstens in Ordnung“, weil man es nicht mehr gewohnt ist.
Ich würde gerne glauben, dass die belarussische Medienwelt irgendwann an den Punkt kommt, an dem die völlige Abwesenheit von Frauen in bestimmten Bereichen etwas Ungewohntes sein wird.
Welche Rolle spielte die Staatspropaganda bei der Beleuchtung der Ereignisse des Jahres 2020?
Das ist ein sehr wichtiger Punkt, über den ich auch gerade nachdenke: Wie Frauen in den staatlichen Medien dargestellt werden, denn auch dort können wir eine Spaltung beobachten, die es seit August gibt und die sich immer mehr vertieft. Damit meine ich, dass es aus Sicht der Staatsmedien offenbar „normale Frauen“ und die Smaharki-Frauen gibt – solche, die an Protesten teilnehmen.
Das Bild der „normalen Frau“ hat sich nicht geändert. Immer noch dieselbe Palette von patriarchalen und sonstigen Stereotypen. Aber die Smaharki werden auf jede erdenkliche Weise diskreditiert, da sind der Kreativität der Künstler und Schreiber von politischen Pamphleten keine Grenzen gesetzt.
Von einer dieser Künstlerinnen gibt es ein Bild, Der Frauenmarsch. Ziel war es, die Frauen zu diffamieren und zu zeigen, wie abnormal sie sind, weil sich „normale Frauen“ solche Emotionen nie erlauben würden, aber ich finde dieses Porträt sehr lebendig und menschlich. Seit ich es kenne, liebe ich die Frauen, die an politischen Prozessen teilnehmen, noch viel mehr. Sie sind dort so lebendig, so ungleichgültig.
Dieses Porträt will die Gesichter der Frauen entstellen, denn das weibliche Gesicht soll ja, wie wir alle wissen, schön sein. Aber für mich steckt die Schönheit genau da drin, in dem Schmerz, den man angesichts der Ereignisse empfindet, den Schmerz angesichts der menschlichen Tragödien, die Frauen und Männer hier und jetzt erleben, wo immer sie gerade sind. Und auch den Schmerz darüber, wie die Staatspropaganda versucht, das belarussische Volk zu entzweien, indem sie sich unter anderem dieser festgefahrenen Geschlechterstereotypen bedient. Sie versucht auch die Frauen zu entzweien. Ihr Ziel erreichen sie nicht. Mit diesen Versuchen und dem plumpen Spiel mit dem Patriarchat erreichen sie exakt das Gegenteil.
Warum sind die Massenmedien nicht mehr die primäre Quelle für wichtige Informationen?
Da kommen wir wieder auf die Rolle der Medien. Hier könnten wir eine ganz eigene Diskussion aufmachen, aber sie passt sehr gut zu dem, was aktuell in Belarus passiert. Wir sehen, dass die sozialen Netzwerke, die Mikroblogs, diverse Kommunikationskanäle heute eine riesige Rolle spielen. Und wenn wir uns nochmal Tichanowskaja ansehen, aber auch andere Frauen, die 2020 mit politischen Ambitionen vorgetreten sind, sehen wir, dass die Nachrichten ihr Publikum nicht mehr unmittelbar aus den Massenmedien erreichten – jeder, der wollte, konnte ihren Telegram-, Facebook-, Instagram- oder YouTube-Kanal abonnieren und die Informationen aus erster Hand bekommen. Und wenn man seine Informationen aus den Mikroblogs einer bestimmten Personen bezieht, können die Medien das Bild nicht mehr so leicht verzerren, wenn sie das wollen.
Wobei ich in dem Fall gar nicht von verzerren sprechen will, denn im Hinblick auf einen politischen Leader oder politische Leaderin muss natürlich klar sein, dass eine Swetlana Tichanowskaja in Wirklichkeit ganz anders sein kann, als das Image, das ihre PR-Abteilung von ihr zeichnet. Das ist weder gut noch schlecht – das ist einfach die Realität. Bei männlichen Politikern ist das nicht anders – ihr Bild in der Öffentlichkeit kann sich sehr stark von dem unterscheiden, wie sie in Wirklichkeit sind. Aber das Sprachrohr der PR ist so mächtig, dass die Massenmedien es manchmal schwer haben, dieses Bild zu beeinflussen.
Ich würde sagen, dass die Medien die Inspiration, die von Tichanowskaja ausging, von dem Zusammenschluss der drei Wahlkampfstäbe und den drei Gesichtern der weiblichen Revolution, natürlich befeuert haben. Aber sie haben eher das aufgegriffen, was in der Realität passierte.