„Wir brauchen eine neue Verfassung, dazu müssen wir aber ein Referendum abhalten.“ Das sagteAlexander LukaschenkoAlexander Lukaschenko, 1954 geboren, wurde nach der Unabhängigkeit von Belarus 1994 zum ersten Präsidenten des jungen Landes gewählt. Mit seinem Talent, Menschen zu erreichen, und seinen populistischen Losungen, die versprachen, die Korruption und die Wirtschaftskrise zu bekämpfen, konnte er die Wahl für sich entscheiden. Danach begann er, die demokratischen Freiheiten sukzessive abzuschaffen, das Parlament zu entmachten und die Opposition zu verfolgen. Er errichtete eine Diktatur, die sich bis heute als äußerst zäh erweist. Waleri Karbalewitsch über die Entwicklung des Systems Lukaschenko und die Gründe für dessen Langlebigkeit. Mehr dazu in unserer Gnose Mitte August 2020. Die Proteste nach der gefälschten Präsidentschaftswahl in Belarus befanden sich damals„Rundherum lagen Menschen in Blutlachen“ Überall Schläge, Schreie, Wimmern: Znak-Journalist Nikita Telishenko über seine Erfahrung von Folter und Gewaltexzessen bei der belarussischen Polizei. auf dem Höhepunkt. Den autoritären Machthabern schien die Kontrolle zu entgleiten, die Lukaschenko anderthalb Jahre nach den Protesten nun wieder in der Hand hält. Dennoch soll das Referendum zur damals angekündigten Verfassungsreform nun tatsächlich stattfinden, am 27. Februar 2022.
Welchen Plan verfolgt Lukaschenko mit einer Verfassungsreform? Wird diese tatsächlich die Macht des nahezu allmächtigen Präsidenten beschränken? Wird die Opposition diese Gelegenheit nutzen, um wieder zu Protesten aufzurufen? In einem Bystro gibt Jan Matti Dollbaum, der zusammen mit Fabian Burkhardt eine Umfrage zur bevorstehenden Verfassungsreform durchgeführt hat, Antworten auf sieben Fragen.
1. Warum braucht es im Sinne von Lukaschenko überhaupt eine Verfassungsreform, der doch – so könnte man meinen – wieder fest im Sattel sitzt?
Lukaschenko hat seit einigen Jahren immer wieder Änderungen angekündigt. So sagte er schon 2014 zur 20-Jahr-Feier der Verfassung, dass Belarus sich „als souveräner Staat“ etabliert habe und die Verfassung, die aus einer Zeit der Transformation stamme, nun geändert werden müsse. Zum Inhalt möglicher Änderungen schwieg er sich allerdings aus. Auch hatte Lukaschenko auf diese Ankündigungen bisher nichts folgen lassen, die Verfassung blieb seit 2004Durch das Verfassungsreferendum im Oktober 2004 wurde de facto die auf zwei Legislaturperioden begrenzte Amtszeit des Präsidenten aufgehoben und damit die Verfassung von 1994 verändert. Bei dem Referendum wurde der Eingriff in die Verfassung nicht direkt formuliert. Die Frage auf dem Wahlzettel lautete: „Erlauben Sie dem ersten Präsidenten der Republik Belarus A. Lukaschenko als Kandidat für das Amt des Präsidenten der Republik Belarus bei den Präsidentschaftswahlen zu kandidieren und akzeptieren Sie den ersten Teil des Artikels 81 der Verfassung der Republik Belarus mit folgendem Wortlaut: ,Der Präsident wird direkt vom Volk der Republik Belarus für eine Amtszeit von fünf Jahren in allgemeiner, freier, gleicher und direkter Wahl in geheimer Abstimmung gewählt´?“ Laut des offiziellen Ergebnisses beantworteten 87,97 %der Wahlberechtigten diese Frage mit „ja“. unverändert. Die Vermutung liegt daher nahe, dass Lukaschenko mit seinen Äußerungen vor allem klarmachen wollte, dass mögliche Veränderungsimpulse allein von ihm ausgehen werden.
Die aktuelle Verfassungsreform ist jedoch hinsichtlich ihres Timings maßgeblich von der ProtestbewegungHier kommt Belarus! Im Sommer 2020 protestierten die Belarussen für Neuwahlen und für ihre Grundrechte – friedlich, kreativ und äußerst wandlungsfähig. Wir lassen die Vielfalt und Höhepunkte der Protestkultur in diesem visuellen Rückblick Revue passieren. gegen die Fälschungen bei der Präsidentschaftswahl im August 2020 beeinflusst. Teile der Bewegung hatten eine Rückkehr zur Verfassung von 1994 gefordert, die dem Präsidenten weit weniger Macht gibt. Ganz allgemein gibt es in der Bevölkerung den Wunsch nach einer Reduktion der präsidentiellen Vormachtstellung im politischen System. Obwohl das autoritäre Regime die Protestbewegung niedergeschlagenBystro #30: Warum ist Lukaschenkos Machtapparat derart stabil? Die Repressionsmaschinerie in Belarus rattert unaufhörlich, ohne dass Polizisten, Richter oder Regierungsbeamte im großen Stil ihre Loyalität aufkündigen. Warum das so ist, erklärt der Politologe Waleri Karbalewitsch in einem Bystro mit neun Fragen und Antworten. hat, weiß man um diese Forderungen. Insofern bot eine Verfassungsreform die Möglichkeit, Veränderungen von oben anzubietenUnter dem Druck der Proteste vom Sommer 2020 kündigte Alexander Lukaschenko eine potentielle Neuordnung der Machtverhältnisse in Belarus an. Mögliche Vorschläge zu einer entsprechenden Verfassungsreform sollten zunächst bei einer Allbelarussischen Volksversammlung erörtert werden. Seit März 2021 ist eine Verfassungskommission mit Vorschlägen für eine Verfassungsreform befasst, ohne Beteiligung der Oppositionsbewegung. Für die Abstimmung zu den etwaigen Änderungen hat Lukaschenko für den 27. Februar 2022 ein Referendum angekündigt., um damit zumindest formal einen Schritt auf die Enttäuschten und Aufgebrachten zuzugehen. Die Verfassungsreform ist auch deshalb ein wichtiges Instrument, weil das Regime die zentrale Forderung der Protestierenden nach freien und fairen Neuwahlen ausgeschlossen hat.
2. Am 27. Dezember 2021 wurden die Vorschläge für eine Verfassungsreform veröffentlicht. Wie sehen diese im Wesentlichen aus?
Die Vorschläge betreffen viele Bereiche der Verfassung. Zum einen sollen sie auf die Forderungen nach Machtbeschränkung des Präsidenten eingehen. Dazu wird zum Beispiel das Limit von maximal zwei Amtszeiten wieder eingeführt (dieses war 2004 per Referendum aus der Verfassung gestrichen worden). Der Präsident hat außerdem künftig nicht mehr das Recht, per Dekret am Parlament vorbei zu regieren.
Es gibt aber auch noch zahlreiche andere Änderungen. So können künftig Bürger Verfassungsbeschwerde einlegen, die außenpolitische Neutralität wird aus der Verfassung gestrichen und durch einen Passus ersetzt, der besagt, dass Belarus keine Angriffskriege führt, und dass dem Staat die Rolle des Garanten der Ehe als „Verbindung zwischen Mann und Frau“ zufällt. Der Staat wird außerdem verpflichtet, für „die Bewahrung der historischen Wahrheit und der Erinnerung an die Heldentaten des belarussischen Volkes während des Großen Vaterländischen KriegesDer Große Vaterländische Krieg 1941 bis 1945“ zu sorgen. Doch auch die Bürger werden in die Verantwortung genommen. In Artikel 54 besagt eine Ergänzung etwa: „Patriotismus zu zeigen und die historische Erinnerung an die heldenhafte Vergangenheit des belarussischen Volkes zu bewahren, ist die Pflicht eines jeden Bürgers der Republik Belarus.“
Eine weitere wichtige Neuerung ist die Erhebung der Allbelarussischen VolksversammlungBystro #21: Volksversammlung in Belarus – Demokratie oder Maskerade? Ab Donnerstag, 11. Februar, tagt das Gremium in der belarussischen Hauptstadt Minsk. In einem Bystro bringt Ingo Petz Licht in die umstrittene Veranstaltung. in Verfassungsrang, ein Organ, das sich aus nationalen und regionalen Abgeordneten, aber auch Vertretern der Exekutive, der Judikative und der Zivilgesellschaft zusammensetzt. Auch der jeweils aktuelle und ehemalige Präsident sind Mitglieder.
Insgesamt handelt es sich also um die weitreichendsten Veränderungen an der Verfassung seit 1996Als Minsker Frühling werden eine Reihe von Protesten im Frühjahr 1996 und 1997 bezeichnet, an denen zehntausende Belarussen teilnahmen. Auslöser waren die Unterzeichnung der ersten Integrationsabkommen zwischen Belarus und Russland im April 1996, der zehnte Jahrestag der Tschernobyl-Katastrophe sowie ein Referendum vom November 1996, welches eine Verfassungsänderung zugunsten des Präsidenten nach sich zog und das Parlament entmachtete. Bei den Protesten kam es zu blutigen Zusammenstößen zwischen der Staatsgewalt und den Demonstranten., insbesondere weil sie die Machtverteilung und direkt das Amt des Präsidenten betreffen.
3. Sehen die Vorschläge tatsächlich eine Beschränkung der Macht Lukaschenkos beziehungsweise einen Umbau des politischen Systems vor? Oder ist das alles Symbolpolitik?
Die Abschaffung der Dekretgewalt und die Wiedereinführung begrenzter Amtszeiten sind durchaus echte Machtbeschränkungen, die ein Zugeständnis an Lukaschenkos Gegner darstellen sollen und die bei seinen eigenen Unterstützern eher unpopulär sind. Dazu passt auch, dass Lukaschenko im Oktober 2021 erklärte, die neue Verfassung werde „demokratischer“ als die alte sein. Man sollte bei der Beurteilung dieser Maßnahmen aber unbedingt berücksichtigen, dass dem Präsidenten nach der geltenden Verfassung eine enorme Machtfülle zukommt, die sogar den russischen Superpräsidentialismus übertrifft. Diese Macht ist, selbst wenn sie nun etwas eingeschränkt wird, weiterhin erheblich. Auch wenn einzelne Kompetenzen an andere Institutionen wie die Regierung oder das Parlament abgegeben werden, sind diese zumeist direkt vom Präsidenten abhängig. Der Präsident bleibt zudem zentraler Akteur, der über den Gewalten steht und die „Einheit des Belarussischen Volkes“ verkörpern soll. Insofern ist die Reform insgesamt als Versuch zu verstehen, Veränderung zu suggerieren, ohne viel Macht abzugeben.
4. Unter anderem soll auch das Alter für Präsidentschaftskandidaten angehoben werden. Ist dies eine direkte Reaktion auf die Rolle von Swetlana TichanowskajaSwetlana Tichanowskaja (geb. 1982, belarussisch: Swjatlana Zichanouskaja) ist eine parteilose belarussische Politikerin. Bei der Präsidentschaftswahl im August 2020 ist sie als Kandidatin gegen den amtierenden Präsidenten Alexander Lukaschenko angetreten. Die Wahl war offensichtlich manipuliert, das offizielle Wahlergebnis von rund 80 Prozent für Lukaschenko war teils nachweislich gefälscht. Tichanowskaja, die den Wahlsieg zunächst für sich reklamiert hat, musste Belarus offenbar unfreiwillig in Richtung Litauen verlassen. Seither ist sie aus dem Exil heraus die wichtigste Leitfigur der organisierten belarussischen demokratischen Opposition. Mehr dazu in unserer Gnose bei den Wahlen im Jahr 2020?
Es ist möglich, dass in dieser Änderung auch eine Reserviertheit gegenüber der „Jugend“ als politischer Akteur zum Ausdruck kommt, die bei den Protesten im Jahr 2020 eine starke Kraft darstellte. Symbolisch und substantiell sehr viel wichtiger aber ist eine andere Ergänzung: Personen, die eine andere Staatsbürgerschaft oder eine Aufenthaltserlaubnis eines anderen Staates hatten oder haben, können künftig nicht mehr bei den Präsidentschaftswahlen als Kandidaten antreten. Damit sind auf einen Streich zahlreiche oppositionelle Exilbelarussen und Exilbelarussinnen ihres passiven Wahlrechts beraubt – was sicherlich die Absicht hinter dieser Änderung ist.
5. Der russische Außenminister Lawrow hat mehrmals auf die Bedeutung einer Verfassungsreform hingewiesen. Auch soll sie Thema in den Verhandlungen zwischen Lukaschenko und Putin gewesen sein. Warum hat der Kreml Interesse an solch einer innerbelarussischen Angelegenheit?
Nicht nur LawrowSergej Lawrow (geb. 1950) ist seit mehr als einem halben Jahrhundert im diplomatischen Dienst. Seit zwei Jahrzehnten vertritt er als Außenminister Wladimir Putins Politik in der Welt mit Fachwissen und Verhandlungsgeschick – und immer öfter auch mit Drohungen und Lügen. Mehr dazu in unserer Gnose, auch Putin hat sich öffentlich zum Reformvorschlag geäußert und nannte ihn „folgerichtig, zur richtigen Zeit kommend und angemessen“. Der Kreml hat aus verschiedener Perspektive ein Interesse daran, dass der Reformprozess so abläuft, wie Lukaschenko ihn sich vorstellt. Zum einen soll von diesem Prozess nicht das Signal an die russische BevölkerungBelarus 2020 – Russland 2024? Belarus nach der Wahl – eine Blaupause für Russland 2024? In Russland kommentieren zahlreiche Oppositionelle und Liberale das Geschehen im Nachbarland. ausgehen, dass mit Protest eine demokratische Veränderung durchgesetzt werden kann. Zum anderen ist es für Russland von Vorteil, wenn es mit Lukaschenko weiterhin über einen Ansprechpartner verfügt, der weitgehend im Alleingang über die großen politischen Entscheidungen bestimmen kann. Das macht Absprachen weit weniger kompliziert, als wenn verschiedene Akteure mitreden oder sogar Vetos einlegen könnten.
Gleichwohl ist Russland aber auch daran gelegen, den politischen Konflikt möglichst nicht weiter eskalieren zu lassen, denn auch das bringt Unsicherheit ins VerhältnisSeit ihrer Unabhängigkeit 1991 unterhält die Republik Belarus enge politische, wirtschaftliche und militärische Beziehungen zu Russland. Und auch für den großen östlichen Nachbarn ist Belarus der zentrale regionale Verbündete. Seit der Niederschlagung der Proteste von 2020 und seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine haben sich die Abhängigkeiten von Belarus deutlich zu Gunsten Russlands verschoben. Mehr dazu in unserer Gnose zu Belarus – und gerade das kann Russland momentan nicht gebrauchen. Insofern ist es plausibel, dass Russland Lukaschenkos Zugeständnisse mitträgt, wenn sie seine Macht sichern.
6. Könnte die Opposition das Zeitfenster des Referendums auch für sich nutzen, um neuerliche Proteste in Belarus anzustoßen?
Ein Präsidialerlass vom 20. Januar sieht vor, das Referendum am 27. Februar abzuhalten. Dass man solange wie möglich die konkrete Planung geheim gehalten hat, ist höchstwahrscheinlich Teil der Strategie, anderen Akteuren so wenig Planungsspielraum wie möglich zu geben. Verschiedene Oppositionsgruppen haben sich gleichwohl schon vor Wochen auf eine Strategie geeinigt. Sie gehen davon aus, dass es auch diesmal erhebliche Fälschungen geben wird. Sie rufen die Belarussen trotzdem auf, zur Wahl zu gehen und dort die Stimme ungültig zu machen. Auf diese Weise soll bei hoher Wahlbeteiligung zum Ausdruck gebracht werden, dass das Referendum illegitim sei – da es ohne vorhergehende Diskussion, in repressiver Atmosphäre und im Paketwahlverfahren (nur „ja“ oder „nein“ möglich) sowie ohne echte oppositionelle Beteiligung abgehalten wird. Proteste sind aufgrund der hohen zu erwartenden Repressionen nicht geplant – obwohl UmfragenBystro #29: Wurde der Protestwille der Belarussen gebrochen? Auf den Straßen zeigen die Belarussen ihren Unmut nicht mehr. Bedeutet dies, dass Alexander Lukaschenko wieder die Oberhand gewonnen hat? Ein Bystro mit Félix Krawatzek (ZOiS) zur gesellschaftlichen Stimmung in Belarus in sechs Fragen und Antworten, einfach durchklicken. zeigen, dass die Gegner des autoritären Regimes durchaus weiterhin dazu bereit wären.
7. Wie sehen die Belarussen diese angekündigte Verfassungsreform?
In einer Online-Umfrage vom September 2021, die ich zusammen mit Fabian Burkhardt durchgeführt habe, gibt eine stabile Mehrheit von zwei Dritteln an, dass die Verfassung geändert oder ganz erneuert werden müsse. Auch für die nun anvisierten Machtbeschränkungen des Präsidentenamtes gibt es deutliche Mehrheiten. Insofern liegt Lukaschenko mit seinen Zugeständnissen strategisch richtig. Es ist allerdings mehr als fraglich, ob diese ausreichen werden, den weit verbreiteten Wunsch nach echter Veränderung zu stillen.
*Das französische Wort Bistro stammt angeblich vom russischen Wort bystro (dt. schnell). Während der napoleonischen Kriege sollen die hungrigen Kosaken in Paris den Kellnern zugerufen haben: „Bystro, bystro!“ (dt. „Schnell, schnell!“) Eine etymologische Herleitung, die leider nicht belegt ist. Aber eine schöne Geschichte.
Alexander Lukaschenko hat es bisher stets vermieden, dem Kreml in der Krim-Frage den Rücken zu stärken. Nun, da der belarussische Machthaber vom Westen isoliert ist, nennt er die ukrainische Halbinsel erstmals „russisch“. Damit stellt er sich außenpolitisch neu auf – sagt der politische Analyst Artyom Shraibmann auf Carnegie.
Auch ein neuerlicher Versuch aus Oppositionsreihen, Alexander Lukaschenko mit einem Streik unter Druck zu setzen, scheitert in Belarus. Alexander Klaskwoski bringt Licht in die Hintergründe.
Lukaschenko betreibt auf allen Ebenen eine Verstärkung seiner Macht. Währenddessen gibt es zwischen dem Kreml und dem belarussischen Autokraten eine Reihe neuer Konflikte, im Vorfeld des Integrationspaketes, das in Minsk unterschrieben werden soll. Waleri Karbalewitsch analysiert die aktuellen Entwicklungen.
Zum fünften Mal treffen sich Putin und Lukaschenko innerhalb eines Jahres. Was hat der Kreml mit dem zuweilen unkalkulierbaren belarussischen Autokraten vor? Darauf versucht der Journalist Alexander Klaskowski eine Antwort zu finden.
Gesellschaft – von Swetlana Alexijewitsch , Ekaterina Schulmann , Iwan Krastew , Artyom Shraibman , Irina Michno
Wo stehen Belarus und Russland 30 Jahre nach Fall des Eisernen Vorhangs? Welche Zukunft gibt es für sie? Und hat der Westen als Vorbild ausgedient? Ausschnitt aus einer Debatte mit Swetlana Alexijewitsch, Ekaterina Schulmann und Iwan Krastew.
„Eine Besonderheit von Alexander Lukaschenko ist: Wenn er von einer Bühne spricht, dann fängt er selber an zu glauben, was er da sagt.“ Im Parlament sprach er von Terrorismus, vom Neid des Westens und vom Weltkrieg – eine Analyse der Novaya Gazeta.
Im Jahr 2024 feiert Alexander Lukaschenko zwei runde Jubiläen: Seinen 70. Geburtstag und 30 Jahre im Amt. Er wurde 1954 geboren. Über seinen Vater ist nichts bekannt, seine Mutter, Melkerin in einer KolchoseDas Wort bezeichnete in der Sowjetunion eine landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft. Es setzt sich zusammen aus den Anfängen der Wörter „kollektiv“ (kollektiwny) und „Wirtschaft/Haushalt“ (chosjaistwo). Seit 1929 wurde die Landwirtschaft mit Zwangskollektivierungen in Kolchosen organisiert. Die Betriebe waren formal selbstverwaltet, die Produktionsmittel gehörten dem Kollektiv. Die Leiter der Kolchosen wurden allerdings von der Partei eingesetzt, und der Boden gehörte dem Staat., hat ihn allein aufgezogen. Sie lebten in Armut. Auf die Frage eines Journalisten: „Wie lebten Sie als Kind?“ sagte Lukaschenko, damals bereits Präsident: „Bettelarm war ich!“1 Allem Anschein nach wurde die alleinstehende Mutter von den Dorfleuten gepiesackt. Uneheliche Kinder waren damals gesellschaftlich nicht akzeptiert. Der Publizist Alexander FedutaAlexander Feduta (geb. 1964, belarussisch: Aljaxandr Fjaduta) ist ein belarussischer Philologe, Publizist und Politiker. Sowohl in der Sowjetunion als auch in der Republik Belarus hatte er leitende Funktionen in staatlichen Jugendorganisationen inne. Feduta war 1994 Teil von Lukaschenkos Wahlkampfteam und später in der Präsidialadministration tätig. Ab 1995 arbeitete er als freier Journalist und Publizist. Nach den Präsidentschaftswahlen 2010 wurde er als Mitarbeiter des Kandidaten Wladimir Nekljajew verhaftet und 2011 schließlich zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Nach einem erneuten Prozess wegen eines angeblich von ihm geplanten Staatsstreichs wurde er am 5. September 2022 zu zehn Jahren Straflager verurteilt. Seit April 2021 war er in Untersuchungshaft, nachdem er in Moskau festgenommen worden war. Beim Prozess erklärte er sich teils für schuldig. Das Urteil gilt als politisch motiviert., nunmehr aus politischen Gründen inhaftiert, beschreibt Lukaschenko folgendermaßen: „Wir haben es mit einem typischen komplexbehafteten Dorfjungen zu tun, vaterlos oder, wie es auf dem belarussischen Land heißt, ein bajstrukAls bajstruk wird im Belarussischen jemand bezeichnet, dessen Vaterschaft nicht geklärt ist. In den Statuten des Großfürstentum Litauens wurden bajstruki dem Stand der Leibeigenen zugeordnet, die in den Städten beispielsweise als Mülllwerker, Henker oder Krankenpfleger arbeiteten..“2
Wie schaffte es dieser Dorfjunge aus dem Osten von Belarus an die Spitze der Macht in seinem Land, die er als Diktator schließlich an sich riss? Wie gelang es Lukaschenko, ein System zu errichten, das die belarussische Gesellschaft bis heute unter Kontrolle hat? Waleri Karbalewitsch, Autor einer Lukaschenko-Biographie, über das autoritäre Machtgefüge in Belarus.
Der Weg zur Macht
Anhand der Bruchstücke, die Lukaschenko über seine ersten Lebensjahre preisgibt, gewinnt man keineswegs den Eindruck einer glücklichen Kindheit, ganz im Gegenteil. Wir sehen Neid auf andere Kinder, die mit mehr Wohlstand gesegnet waren, den Komplex eines zu kurz gekommenen Menschen. „Die 1950er Jahre waren eine schwere Zeit, eine furchtbare Not. Ich weiß noch, was für ein Kampf bei uns im Dorf herrschte. Wer stärker war, überlebte, Familien mit kräftigen Männern und Vätern hatten es leichter. Ich hab meinen Teil wegbekommen …“, sagte Lukaschenko.3
Nach der Wahl zum Präsidenten im Jahr 1994 nahm Lukaschenko seine Frau bekanntlich nicht mit nach Minsk. Nach ein paar Monaten machte ein Witz die Runde, von dem böse Zungen behaupten, er sei die reine Wahrheit: Frau Lukaschenko habe auf die Frage von Nachbarn, warum sie ihm nicht hinterherfahre, geantwortet: „Ach, mein Saschka bleibt doch nie irgendwo länger als zwei Jahre.“
Tatsächlich beeindruckt sein Lebenslauf, bevor er Präsident wurde, durch häufige Arbeitsplatzwechsel. Paradoxerweise ist der einzige Posten, den er jemals länger innehatte, das Präsidentenamt.
Die häufigen Jobwechsel zeugen von Lukaschenkos Unverträglichkeit. Fast überall war seine Tätigkeit von Konflikten begleitet. Seine Frau erinnerte sich: „Wo auch immer er war, immer und überall schlug er sich mit seiner Sturheit und Direktheit die Nase an. Natürlich war das störend. Misserfolge und Kränkungen vertrug er ganz schlecht.“4 Der psychologische Begriff hierfür ist Fehlanpassung, also, die Unfähigkeit, sich an soziale Normen anzupassen, die es in jeder Gesellschaft gibt. Das hinderte ihn daran, Karriere zu machen und im sowjetischen System ein hohes Amt zu ergattern. Er wirkte eher wie ein Außenseiter, ein Loser.
Doch mit Beginn der PerestroikaIm engeren Sinne bezeichnet Perestroika die politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Umgestaltung, die auf Initiative von Michail Gorbatschow ab 1987 in der Sowjetunion durchgeführt wurde. Politische Öffnung und größere Medienfreiheit führten bald dazu, dass sich die Forderungen nach Veränderung verselbständigten – obwohl die Reformen neben viel Hoffnung auch viel Enttäuschung brachten. Die Perestroika läutete einen unaufhaltsamen Prozess des Wandels ein und mündete im Ende der Sowjetunion. Mehr dazu in unserer Gnose, mit GlasnostGlasnost ist ein politisches Schlagwort, das Transparenz, Informationsfreiheit und das Fehlen von Zensur bezeichnet. Michail Gorbatschow (geb. 1931) führte den Begriff 1986 ein und stellte damit die Weichen für mehr Meinungs- und Redefreiheit. und Demokratisierung, waren diese Charakterzüge, die ihm früher so im Weg gestanden hatten (weil sie zu Konflikten mit der Obrigkeit führten), plötzlich von Vorteil. In dieser Zeit des Kampfes gegen die Parteinomenklatur, die sich mit Händen und Füßen gegen Reformen sträubte, erfreuten sich mutige Akteure, die sich entschlossen zeigten, immer größerer Beliebtheit. Und Lukaschenko passte reibungslos ins Bild eines Kämpfers für Gerechtigkeit, eines Siegers über das System. Außerdem entdeckte er sein Talent zum Politiker, der in der Öffentlichkeit steht, vor Publikum spricht, dessen Aufmerksamkeit er bannt. Also stürzte er sich Hals über Kopf in die Politik, eine für ihn ganz neue Sphäre, in der er sich bald zu Hause fühlte. 1990 machte er den Schritt vom Direktor einer Provinz-SowchoseSchklou (russ. Schklow) ist eine Kleinstadt im Nordosten von Belarus. Berühmtheit erlangte die Gemeinde, die urkundlich erstmals im Jahr 1535 erwähnt wurde und die heute mehr als 20.000 Einwohner hat, weil der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko in den 1980ern die im Rajon Schklou ansässige Sowchose Udarnik als stellvertretender Vorsitzender mit leitete. zum Abgeordneten des Obersten Sowjets der BSSRDie Belarussische Sozialistische Sowjetrepublik (BSSR) war eine Unionsrepublik der Sowjetunion. Sie wurde erstmals am 1. Januar 1919 im russischen Smolensk ausgerufen und bestand bis August 1991. Nach dem Polnisch-Sowjetischen Krieg und dem Friedensvertrag von Riga wurde die BSSR 1920 neu gegründet, ohne die westlichen Territorien, welche an Polen abgetreten wurden. Durch den Hitler-Stalin-Pakt wurden diese Gebiete 1939 jedoch wieder Teil der BSSR und blieben es auch nach 1945. Die rund 70 Jahre BSSR haben Belarus stark verändert und prägen das Land bis heute. Mehr dazu in unserer Gnose. Die Sitzungen dieses Machtorgans wurden damals live im Fernsehen übertragen. Lukaschenko trat häufig auf, hatte zu allen Themen etwas zu sagen. Bald kannte ihn das ganze Volk.
Wie so oft in der Geschichte ging es auch hier nicht ohne Zufall. Um einen politischen Höhenflug zu schaffen, muss einer auch zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein. Nach dem Zerfall der SowjetunionDer Zerfallsprozess der Sowjetunion begann Mitte der 1980er Jahre und dauerte mehrere Jahre an. Die Ursachen sind umstritten. Während einige hauptsächlich Gorbatschows Reformen für den Zerfall verantwortlich machen, sehen andere die Gründe vor allem in globalen Dynamiken. Eine zentrale Rolle spielte in jedem Fall die Politik der russischen Teilrepublik. Mehr dazu in unserer Gnose wurde der Oberste Sowjet zum Parlament des unabhängigen BelarusBystro #26: Ist die belarussische Unabhängigkeit in Gefahr? Seit 30 Jahren gibt es die Republik Belarus: In einem Bystro beleuchtet David R. Marples die wechselvolle Geschichte des Landes – und seine Gegenwart., und Lukaschenko wurde zum Vorsitzenden einer parlamentarischen Kommission zur Bekämpfung der Korruption gewählt. Diesen Posten wusste er höchst effektiv für sich zu nutzen, nannte sich gar den obersten Korruptionsbekämpfer des Landes. Unter anderem deswegen konnte er bei den Präsidentschaftswahlen 1994 einen triumphalen Sieg einfahren. Lukaschenko war der Inbegriff des „Volkskandidaten“. Seine ganze Erscheinung, seine Kultur, seine Sprache und seine Art zu sprechen, das war dem Volk alles sehr nah und vertraut. Viele Menschen konnten sich mit ihm identifizieren.
Natürlich war er nicht sofort ein Diktator. Anfangs waren seine Reden von Enthusiasmus und dem aufrichtigen Wunsch geprägt, dem Volk zu dienen und das Land so schnell wie möglich aus der Krise zu führen. Er sagte: „Schweißausbrüche bereitet mir nur der Gedanke, die Versprechen nicht einlösen zu können, die ich den Menschen bei den Wahlen gegeben habe.“5 Für den Fall seines Scheiterns zog er sogar einen freiwilligen Rücktritt in Betracht.
Lukaschenko bei seiner Inauguration am 20. Juli 1994 im Obersten Sowjet, noch neben der weiß-rot-weißen Fahne, der damaligen Staatsflagge, die heute verboten istWeiß-Rot-Weiß ist der Protest Die Flagge des belarussischen Protests ist weiß-rot-weiß. Warum? Woher kommt sie?.
Machthunger und Gewaltenteilung
Bald nach seinem Amtsantritt stieß Lukaschenko auf das, was man Gewaltenteilung nennt. Völlig überraschend für ihn: Es gab ein Parlament und ein Verfassungsgericht, die ebenfalls einen Teil der Macht für sich beanspruchten. Für Lukaschenko war das inakzeptabel. In seiner Vorstellung ist wahre Macht nur absolute Macht. Der neue Präsident wies also ein allgemein anerkanntes Element der Demokratie wie die Gewaltenteilung, die Checks and Balances einer Regierung, entschieden von sich. 1996Als Minsker Frühling werden eine Reihe von Protesten im Frühjahr 1996 und 1997 bezeichnet, an denen zehntausende Belarussen teilnahmen. Auslöser waren die Unterzeichnung der ersten Integrationsabkommen zwischen Belarus und Russland im April 1996, der zehnte Jahrestag der Tschernobyl-Katastrophe sowie ein Referendum vom November 1996, welches eine Verfassungsänderung zugunsten des Präsidenten nach sich zog und das Parlament entmachtete. Bei den Protesten kam es zu blutigen Zusammenstößen zwischen der Staatsgewalt und den Demonstranten. verkündete er, das Prinzip der Gewaltenteilung sei „eine Bedrohung für unseren Staat“6 geworden. „Werft dieses Gleichgewicht, diese Balance und Kontrolle aus euren Köpfen!“; „Ich will, dass der Staat ein Monolith ist“7, sagte Lukaschenko.
Ganze zwei Jahre war er damit beschäftigt, andere Zentren der Macht zu beseitigen und zu zerstören. Das geschah unter anderem mithilfe eines gefälschten Referendums über eine neue Verfassung, das Politiker und Juristen einen Staatsstreich nannten. Ende 1996 hatte er ein personalistisches autoritäres Regime installiert, in dem nur eine einzige staatliche Institution tatsächlich Einfluss hat: Alexander Lukaschenko. Wahlen wurden zur Fiktion, die Opposition wurde aus allen staatlichen Einrichtungen geworfen, und der Staat erhielt das Monopol auf alle TV- und Rundfunksender.
Lukaschenkos dominanter Charakterzug, die Kernidee seiner Weltanschauung ist ein grenzenloser Machthunger, der vor nichts haltmacht. Allem Anschein nach ist dieses Streben nach Allmacht der Grund dafür, dass Lukaschenko sich strikt weigert, die Todesstrafe abzuschaffen oder ein Moratorium darüber zu verhängen. Denn das Recht, einen Menschen bis hin zur Tötung zu bestrafen oder auch zu begnadigen, galt schon in alten Zeiten als einer der wichtigsten Faktoren der Macht. Deswegen ist Belarus das einzige Land Europas, in dem die TodesstrafeWarum das System Lukaschenko abermals die Todesstrafe verschärft Die belarussischen Machthaber verschärfen zum zweiten Mal in diesem Jahr die Todesstrafe. Sie kann nun auch gegen Funktionäre des Staatsapparates und Militärangehörige verhängt werden. Warum? Wir bringen eine Auswahl an Expertenstimmen. zur Anwendung kommt.
An Lukaschenkos Äußerungen sieht man, dass für ihn die Frage nach der Macht eine Frage von Leben und Tod ist. Wenn er seinen Opponenten vorwirft, ihn seines Amtes entheben zu wollen, so ist das für ihn dasselbe wie ein Mordanschlag. Der FührerIm Original: woshd (dt. Führer). Der Autor benutzt den Begriff offenbar polemisch zur Zuspitzung. Als woshdism wird im Russischen oft eine absolute und personalisierte Herrschaftsform bezeichnet. Die sowjetische Propaganda der 1920er bis 1940er Jahre nannte Stalin nicht selten woshd. hat keinen Zweifel: Verliert er die Macht, rechnet er mit einem schrecklichen Gericht für sich. Ein Leben ohne Macht kann Lukaschenko sich nicht vorstellen: Es verliert seinen Sinn. Als er 2020 dem ukrainischen Talkmaster Dmytro Gordon ein Interview gab, sagte Lukaschenko auf die Frage, ob er nicht zurücktreten wolle: „Ich kenne ja nur diese Lebensart … Ich kann mir das gar nicht vorstellen. Gut, also schön, ich bin nicht mehr Präsident – und was mach ich dann morgens nach dem Aufstehen?“8 An den kritischen Tagen der Massenproteste 2020Bystro #38: Proteste in Belarus 2020. Was ist vom Widerstand geblieben? Ist der belarussische Protest tot? Hat Alexander Lukaschenko immer noch Angst vor Protesten? Welchen Einfluss hat die neue Diaspora? Waleri Karbalewitsch beleuchtete im August die aktuelle Lage zwei Jahre nach dem Beginn der historischen Proteste in Belarus – seine Analyse ist 2022 einer der meistgelesenen Texte im Belarus-dekoder (Platz 3). wiederholte Lukaschenko immer wieder, er werde an der Macht bleiben, solange er lebe. Bei einem Auftritt in der Radschlepperfabrik am 17. August 2020 verkündete er: „Solang ihr mich nicht umbringt, wird es keine anderen Wahlen geben.“9
Das Lukaschenko-Regime ist auf dem Gebiet der ehemaligen UdSSR das prosowjetischste. Lukaschenko betont immer wieder, dass seine Vorlage für den Aufbau eines Staats die sowjetische Gesellschaftsordnung sei, und LeninNach der Februarrevolution fixierte sich Lenin auf den gewaltsamen Sturz der Provisorischen Regierung. Die bolschewistische Partei wurde zum Anziehungspunkt für alle unzufriedenen, radikalen und anarchistischen Elemente. Nach dem misslungenen Juliaufstand nutzte Lenin das Machtvakuum aus, um seine Strategie des bewaffneten Aufstandes im Oktober 1917 zu verwirklichen. Mehr dazu in unserer Gnose und Stalin nennt er „Symbole unseres Volkes“10. Als Wappen und FahneDie rot-grüne Flagge, die zudem ein belarussisches Ornament ziert, ist seit 1995 die Staatsflagge der Republik Belarus. Die aktuelle Version stammt aus dem Jahr 2012. Die Flagge, eingeführt durch ein umstrittenes Referendum unter Alexander Lukaschenko, ist weitgehend identisch mit der Flagge der Belarussischen Sozialistischen Sowjetrepublik (BSSR), die im Jahr 1951 eingeführt wurde. Bis dahin war die Flagge rot wie die der Sowjetunion. der Republik Belarus bestimmte er die Symbolik der zur Sowjetunion gehörigen BSSRDie Belarussische Sozialistische Sowjetrepublik (BSSR) war eine Unionsrepublik der Sowjetunion. Sie wurde erstmals am 1. Januar 1919 im russischen Smolensk ausgerufen und bestand bis August 1991. Nach dem Polnisch-Sowjetischen Krieg und dem Friedensvertrag von Riga wurde die BSSR 1920 neu gegründet, ohne die westlichen Territorien, welche an Polen abgetreten wurden. Durch den Hitler-Stalin-Pakt wurden diese Gebiete 1939 jedoch wieder Teil der BSSR und blieben es auch nach 1945. Die rund 70 Jahre BSSR haben Belarus stark verändert und prägen das Land bis heute. Mehr dazu in unserer Gnose in leicht abgeänderter Form. Die Namen von Straßen und Plätzen sowie die Denkmäler sind seit der Sowjetzeit unverändert geblieben. Belarus ist das einzige postkommunistische Land, in dem der KGBDas Komitee für Staatssicherheit der Republik Belarus (russ. Komitet gosudarstwennoi besopasnosti, kurz KGB) ist der belarussische Geheimdienst. Er ging 1991 aus dem gleichnamigen Geheimdienst der Sowjetunion hervor. Formell untersteht der KGB Präsident Lukaschenko, geleitet wird er seit dem 3. September 2020 von Iwan Tertel. Die Behörde spielt im System Lukaschenko eine zentrale Rolle für die politische Machterhaltung und für die Verfolgung von politischen Gegnern. Beobachter werfen dem belarussischen KGB wiederholte Verstöße gegen die Menschenrechte vor. Seit 2006 befanden sich seine Vorsitzenden sowie leitende Offiziere jeweils auf Sanktionslisten der EU. noch immer KGB heißt.
Lukaschenko lehnte von Anfang an die Ideologie des belarussischen ethnokulturellen NationalismusDie Paradoxien des belarussischen Nationalismus Yury Drakakhrust, Mitgründer der Belarussischen Volksfront (BNF) Ende der 1980er Jahre, beschreibt in seiner Analyse Aufstieg und Fall der Bewegung. ab. Mit Hilfe eines Referendums drängte er die belarussische SpracheIn den vergangenen 200 Jahren hinderten unterschiedliche Herrschaftsbereiche und politische Systeme die moderne belarussische Sprache daran, sich durchzusetzen. Sie wurde unterdrückt und an den Rand gedrängt. Heute ist sie eine der beiden Amtssprachen der Republik Belarus und hat einen hohen Symbolwert. Mehr dazu in unserer Gnose an den Rand und tauschte die weiß-rot-weiße FlaggeWeiß-Rot-Weiß ist der Protest Die Flagge des belarussischen Protests ist weiß-rot-weiß. Warum? Woher kommt sie? und das WappenDas Wappen PahonjaDas Wappen Pahonja ist ein bedeutendes Wappen aus Belarus. Der Ursprung des Reiters auf Pferd, der ein Schild mit einem Doppelkreuz trägt, geht bis in das 14. Jahrhundert zurück. Es ist fast identisch mit dem heutigen Staatswappen von Litauen, was auf die gemeinsame Geschichte der beiden Länder zurückzuführen ist. Das Pahonja, was sich als Verfolgung übersetzen lässt, wurde nach dem Ende der Sowjetunion 1991 zum Staatswappen der Republik Belarus bestimmt. Nach einem umstrittenen Referendum im Jahr 1995 wurde es von Alexander Lukaschenko durch das heutige Wappen ersetzt, das sich an dem der Belarussischen Sowjetrepublik orientiert. Seitdem ist das Wappen, wie auch die weiß-rot-weiße Fahne, zum Symbol der Oppositionsbewegung avanciert. ist ein bedeutendes Wappen aus Belarus. Der Ursprung des Reiters auf Pferd, der ein Schild mit einem Doppelkreuz trägt, geht bis in das 14. Jahrhundert zurück. Es ist fast identisch mit dem heutigen Staatswappen von Litauen, was auf die gemeinsame Geschichte der beiden Länder zurückzuführen ist. Das Pahonja, was sich als Verfolgung übersetzen lässt, wurde nach dem Ende der Sowjetunion 1991 zum Staatswappen der Republik Belarus bestimmt. Nach einem umstrittenen Referendum im Jahr 1995 wurde es von Alexander Lukaschenko durch das heutige Wappen ersetzt, das sich an dem der Belarussischen Sowjetrepublik orientiert. Seitdem ist das Wappen, wie auch die weiß-rot-weiße Fahne, zum Symbol der Oppositionsbewegung avanciert. in Folge eines weiteren umstrittenen ReferendumsAm 14. Mai 1995 fand in Belarus parallel zu den Parlamentswahlen ein Referendum statt, bei dem die wahlberechtigten Belarus über vier Fragen abstimmten. Letztlich entschied das Referendum, das Russische neben dem Belarussischen zur Staatssprache zu erheben, weiterhin wurde das 1991 eingeführte Wappen und die Nationalflagge durch neue Staatssymbole ersetzt, die sich an denen der Belarussischen Sozialistischen Sowjetrepublik (BSSR) orientierten, und Alexander Lukaschenko erhielt den Auftrag, die wirtschaftliche Integration mit Russland voranzutreiben, sowie die Macht, das Parlament vorzeitig auflösen zu können. Das Referendum wurde von der Opposition scharf kritisiert. Es löste massive Proteste, vor allem in Minsk, aus. aus. Die staatliche Propaganda setzt belarussischen Nationalismus mit Nazismus gleich. Und das nicht nur, weil Lukaschenko Moskau nicht reizen will, dem jeglicher Nationalismus in seinen Nachbarländern ein Dorn im Auge ist. Lukaschenkos traditionelle Wählerschaft ist russischsprachig, für sie existiert ohnehin keine belarussische Identität. Sein wichtigster politischer Gegner war lange die Partei BNFWegbereiter der Unabhängigkeit Die belarussischen Machthaber haben mittlerweile alle Oppositionsparteien verboten. Darunter auch die Belarussische Volksfront (BNF), eine der ältesten Parteien des Landes, die für die Geschichte des Landes eine wichtige Rolle gespielt hat. Das belarussische Medium Zerkalo hat die Geschichte der Bewegung und Partei aufgeschrieben. mit ihren nationalistischen Losungen.
Der Hauptgrund für Lukaschenkos Aversion gegen Nationalismus ist aber, dass man damit eine Gesellschaft mobilisieren kann. Er formt eine Zivilgesellschaft, fördert horizontale Verbindungen, stimuliert die Solidarität. Lukaschenko aber braucht eine atomisierte Bevölkerung, die nur durch staatliche Institutionen zusammengehalten wird. Er braucht keine Gesellschaft als selbständiges Subjekt, das Verantwortung für das Schicksal ihres Landes übernimmt.
Insgesamt kann man wohl sagen, dass dieses System keine greifbare Ideologie zu bieten hat. Die Narrative der Propaganda sind eklektisch, da mischen sich Elemente der sowjetischen Vergangenheit mit Ideologemen von Russki MirDas Konzept der Russischen Welt (russ. russki mir) wurde in den Jahren 2006/07 entwickelt und hat seitdem an Popularität gewonnen. War es zunächst eher ein kulturelles Konzept, das die soziale Bindungskraft russischer Sprache und Literatur betonte (es existiert eine gleichnamige kulturpolitische Stiftung), so dient es heute auch zur Legitimierung außenpolitischer Aktionen, die den Einfluss Russlands im postsowjetischen Raum stärken sollten. Mehr dazu in unserer Gnose, mit der Ablehnung von Liberalismus und westlichen Werten und so weiter. In gewissem Sinne ist dieser Mangel an Ideologie dem Regime sogar zuträglich, denn so kann es seine politische Linie je nach Konjunktur verändern. In Belarus gibt es keine Regierungspartei, die eine faktische Macht ausübt. Denn Lukaschenko hatte immer die Sorge, sie könnte eine von ihm unabhängige Elite konsolidieren.
Gründe für die lange Herrschaft
Wie ist es Lukaschenko gelungen, so lange an der Macht zu bleiben? Hier sind mehrere Faktoren zu bedenken. Erstens entsprach das belarussische Gesellschaftsmodell lange Zeit den Bedürfnissen und Vorstellungen, die die Mehrheit der Bevölkerung in Bezug auf Politik hatte. Es basierte auf staatlicher Dominanz in Wirtschaft und Sozialwesen – ein wirksames Instrument zur Kontrolle über die Gesellschaft, zur Umgehung der Gewaltenteilung und zur Herrschaft eines Einzelnen –, auf einer Partnerschaft mit RusslandSeit ihrer Unabhängigkeit 1991 unterhält die Republik Belarus enge politische, wirtschaftliche und militärische Beziehungen zu Russland. Und auch für den großen östlichen Nachbarn ist Belarus der zentrale regionale Verbündete. Seit der Niederschlagung der Proteste von 2020 und seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine haben sich die Abhängigkeiten von Belarus deutlich zu Gunsten Russlands verschoben. Mehr dazu in unserer Gnose und einem Konflikt mit dem Westen. Der Großteil der Bevölkerung (Staatsbedienstete, Angestellte staatlicher Betriebe, Rentner) war finanziell vom Staat abhängig. Die Hemmung marktwirtschaftlicher Reformen führte zur Konservierung sozialer Strukturen.
Zweitens spielte Lukaschenkos ausgeprägte politische Intuition eine Rolle, sein angeborenes Gespür, mit dem er das richtige Vorgehen oder eine Bedrohung erkennt, sein Charisma und auch sein Populismus, sein Talent, zum Volk in einer für sie verständlichen Sprache zu sprechen. Dem politischen Triumph des Diktators liegt in hohem Maße seine erstaunliche Fähigkeit, ja geradezu Kunstfertigkeit zugrunde, die Menschen zu manipulieren. Er ist ein begabter Schauspieler mit vielen Rollen im Repertoire, ein faszinierender Verwandlungskünstler. Je nachdem, wem er gerade gefallen will, kann er äußerst liebenswürdig sein. Seinen hauseigenen Stil macht aus, dass er bei ein und derselben Gelegenheit, oft sogar im selben Satz, widersprüchliche, manchmal sogar einander ausschließende Thesen formuliert. Und jeder Zuhörende hört das heraus, was ihm lieber ist, was ihm besser gefällt.
Drittens hat Lukaschenko alle Mechanismen zum Machtwechsel komplett ausgeschaltet. Die Wahlen sind zum reinen Dekor geworden, sie beeinflussen nichts, und ihr Ergebnis ist im Voraus bekannt. Auf legalem Weg kann es in Belarus keinen Machtwechsel mehr geben. Und zu einer Revolution war die belarussische Gesellschaft vor 2020 nicht bereit. Außerdem hat Lukaschenko jede politische Konkurrenz in den Machtorganen verunmöglicht. Sobald irgendein Beamter an politischer Bedeutung gewann, wurde er seines Amtes enthoben.
Lukaschenkos politische Stütze ist der Staatsapparat. Während der akuten politischen Krise im Jahr 2020 kam es nicht zu einer Spaltung der Eliten, was eine wichtige Bedingung für den Sieg der Revolution gewesen wäre. Und zwar deswegen, weil es in Belarus keine einzige staatliche Institution gibt, die vom Volk gewählt wird, dem Volk Rechenschaft schuldet, vom Volk kontrolliert wird.
Und natürlich verlässt sich Lukaschenko auf seine SilowikiÄhnlich wie in Russland, bezeichnet der Sammelbegriff Silowiki auch in Belarus Amtspersonen aus Sicherheitsorganen des Staates. . Daraus macht er auch keinen Hehl: „Die Vertikale ist stabil. Sie stützt sich auf den KGB und das MWDDie Inneren Truppen (russ. Wnutrennije woiska MWD Respubliki Belarus) sind paramilitärische Einheiten des belarussischen Innenministeriums. Sie kommen zum Einsatz, um lokale Miliz- und Polizeieinheiten zu unterstützen, so vor allem bei Massenveranstaltungen wie bei den Protesten gegen Alexander Lukaschenko im Jahr 2020, aber auch wenn es zu bewaffneten internen Konflikten kommt. Es dienen 12.000 Mann bei den Inneren Truppen in Belarus.“11. „Der KGB ist die Basis für eine starke Präsidialmacht.“12
Viertens kann das wirtschaftlich ineffiziente belarussische GesellschaftsmodellAls belarussischer Sonderweg wird die spezifische Verbindung von planwirtschaftlichen Methoden der Wirtschaftslenkung und dem neopatrimonialen politischen System von Präsident Alexander Lukaschenko bezeichnet. Mehr dazu in unserer Gnose nur dank der Unterstützung aus Russland überleben. In manchen Jahren betrug die russische Wirtschaftshilfe rund 15 bis 20 Prozent des belarussischen BIP.
Der Ego-Kult
Lukaschenko hat ein Selbstbild, als verfügte er über übernatürliche Fähigkeiten. Er suhlt sich in Größenwahn und Überlegenheitsgefühl. Immer wieder erzählt er bei öffentlichen Auftritten Geschichten davon, wie jahrelang bettlägerige Kranke dank ihm, dem Führer, wieder gesund wurden. So erzählt er über Boris JelzinBoris Jelzin (1931–2007) war der erste demokratisch gewählte Präsident Russlands. Er regierte von 1991 bis 1999, seine Amtszeit war durch tiefgreifende politische und ökonomische Krisen geprägt. Jelzin setzte massive Reformen in Gang: unter anderem ein Programm zur Privatisierung von Staatseigentum und ein folgenschweres Programm zur Umgestaltung der politischen Kultur. Letzteres bezeichnen viele Wissenschaftler als „Entsowjetisierungs-Programm”., den ehemaligen Präsidenten Russlands: „In Jelzins Umfeld hieß es immer: Boris Nikolajewitsch fehlt irgendwie der Elan, wir sollten wieder mal den belarussischen Präsidenten einladen. Der verleiht dem russischen Präsidenten dann wieder für drei, vier Monate Flügel. Es hieß, Jelzin würde von mir eine ordentliche Ladung Energie bekommen.“13 Lukaschenko begann von sich zu sprechen wie von einem Heiligen: „Ich bin makellos“14; „Ich bin der (seelen)reinste Präsident der Welt!“15
Die bizarrsten Formen nimmt Lukaschenkos Drang zum Größenwahn an, wenn er an Sportwettkämpfen und Eishockeyspielen teilnimmt und immer den Sieg davonträgt. Sein Kindheitstraum, Sportstar zu werden, ein Idol für Tausende Fans, die ihn von den Tribünen herunter bejubeln, wird nun auf groteske Weise wahr. Dank der staatlichen Behörden sind diese Wettkämpfe Ereignisse von nationaler Bedeutung. Es werden Unsummen ausgegeben, um berühmte Sportler einzuladen. Und um den Präsidenten mit vollbesetzten Tribünen zu erfreuen, werden Schüler und Studenten vom Unterricht befreit und reihenweise unter Aufsicht ihrer Lehrer ins Stadion oder in die Eishalle gekarrt. Die ganze Führungsriege des Landes wohnt solchen Events bei. Und die staatlichen Medien berichten darüber mit einer Ernsthaftigkeit, als ginge es um wichtige politische Nachrichten.
Lukaschenkos Hang zum Populismus und der Wunsch, seiner anspruchslosen Wählerschaft zu gefallen, führen dazu, dass er nie ein Blatt vor den Mund nimmt und Sachen sagt, die so gar nicht zu einem Staatsoberhaupt passen. Sein politischer Stil lässt sich nicht ins Konzept von Political Correctness zwängen.
Zu Beginn seiner Präsidentschaft wurde Lukaschenko tatsächlich von der Mehrheit der Bevölkerung unterstützt. Doch während seiner 30-jährigen Amtszeit ist eine neue Generation herangewachsen. Die Massenproteste 2020Hier kommt Belarus! Im Sommer 2020 protestierten die Belarussen für Neuwahlen und für ihre Grundrechte – friedlich, kreativ und äußerst wandlungsfähig. Wir lassen die Vielfalt und Höhepunkte der Protestkultur in diesem visuellen Rückblick Revue passieren. zeigten, dass das archaische sozioökonomische und politische System sowie die autoritären Regierungsmethoden bei den meisten Leuten Abscheu erregen. In Belarus haben wir heute auf der einen Seite eine immer moderner werdende Gesellschaft, die auf Veränderungen abzielt und sich vom staatlichen Paternalismus befreien will, und auf der anderen Seite die Staatsmacht, die am Status quo festhält. Die Gesellschaft wächst über den Staat hinaus, in dessen Rahmen es ihr zu eng geworden ist. Doch Lukaschenko merkt nicht einmal, dass er und sein Land in unterschiedlichen historischen Epochen leben.
Und auch hier ist passiert, was praktisch allen Diktatoren passiert, die zu lange an der Macht sind: Die Staatsmacht hat den Draht zur Gesellschaft verloren. Im Laufe dieser 30 Jahre hat Lukaschenko es nicht geschafft, mit seinem Volk und dessen Problemen wirklich in Berührung zu kommen. Begegnungen mit der Bevölkerung werden gründlich vorbereitet und durchinszeniert, die Teilnehmer sorgfältig ausgewählt. So verliert selbst ein talentierter Politiker das Gefühl für das Volk. Seine Wahrnehmung der Welt wird inadäquat. Und dann sind ihm in Krisenzeiten, sei es aufgrund der Covid-Pandemie„Als wäre es ein Horrorfilm“ Belarus und Corona: überfüllte Krankenhäuser, steigende Infektionszahlen, eine extrem niedrige Impfrate. Nachdem der autoritäre Staat die Pandemie weitgehend ignorierte und damit auch selbst die Proteste anheizte, entfaltet die vierte Welle ihre volle Wucht. oder im Wahlkampf für die Präsidentschaftswahlen, ein Fehler nach dem anderen unterlaufen. In jenem denkwürdigen Jahr 2020 traf er die schlechtesten aller möglichen Entscheidungen. Zum Beispiel ließ er alle Präsidentschaftsanwärter, die ihm gefährlich werden konnten, verhaften, die vermeintlich „schwache“ Swetlana TichanowskajaSwetlana Tichanowskaja (geb. 1982, belarussisch: Swjatlana Zichanouskaja) ist eine parteilose belarussische Politikerin. Bei der Präsidentschaftswahl im August 2020 ist sie als Kandidatin gegen den amtierenden Präsidenten Alexander Lukaschenko angetreten. Die Wahl war offensichtlich manipuliert, das offizielle Wahlergebnis von rund 80 Prozent für Lukaschenko war teils nachweislich gefälscht. Tichanowskaja, die den Wahlsieg zunächst für sich reklamiert hat, musste Belarus offenbar unfreiwillig in Richtung Litauen verlassen. Seither ist sie aus dem Exil heraus die wichtigste Leitfigur der organisierten belarussischen demokratischen Opposition. Mehr dazu in unserer Gnose jedoch kandidieren, in der festen Überzeugung, es würde sowieso keiner eine Frau wählen, schon gar nicht eine Hausfrau. Der Protest wurde mit roher Gewalt niedergeschlagen. Lukaschenko erlitt selbst wohl ein psychisches Trauma: Zerstört war sein Image als „Volkspräsident“, das er jahrzehntelang so gepflegt hatte. Dabei hatte er ernsthaft an seine Mission geglaubt, das Volk zu vertreten. „Ich glaube, dass nichts und niemand in der Lage ist, einen Keil zwischen den Präsidenten und das Volk zu treiben, das ihn gewählt hat“16, sagte er mal zu Beginn einer neuen Amtszeit.
Wahrscheinlich dachte er, sein Volk hätte sich von ihm abgewandt. Hatte er doch in den letzten Jahrzehnten immer wieder seine enge Beziehung zum belarussischen Volk betont. Als die Proteste gegen ihn begannen, hatte Lukaschenko ein paar Wochen lang Angst, im Auto durchs Land zu fahren, und flog mit dem Hubschrauber. Als sich seiner Residenz eine Menschenmenge näherte, zog er sich eine kugelsichere Weste an, nahm ein Maschinengewehr, stieg mit Sohn Kolja in einen Hubschrauber und flog von dannen. Die Bilder des flüchtenden Präsidenten sah ganz Belarus.
Die erlittene seelische Verletzung drängte auf Revanche. Diese entlud sich in politischem TerrorDer Abgrund ist bodenlos Die Repressionen in Belarus werden immer wieder mit denen unter Putin in Russland verglichen. Artyom Shraibman erklärt detailliert, mit welchen Mitteln das System Lukaschenko gegen Opposition, Medien und Zivilgesellschaft vorgeht und was der russischen Gesellschaft noch bevorstehen könnte.. In Belarus gibt es heute rund eineinhalb tausend politische Gefangene. Es gibt Folter. Im ganzen Land gibt es weiterhin Razzien, Verhaftungen und Strafverfahren. Die Menschen werden nicht wegen oppositioneller Tätigkeiten festgenommen, sondern weil sie eine andere Meinung haben und entsprechende Kommentare oder auch nur Likes in sozialen Netzwerken hinterlassen. Viele Oppositionelle werden zu Haftstrafen von über zehn Jahren verurteilt, wie es unter Stalin üblich warNächster Halt: BSSR 2.0 Verleiht Alexander Lukaschenko seinem autoritären System immer mehr ein sowjetisches und totalitäres Antlitz? Darauf deutet vor allem die Radikalisierung des Machtapparats seit 2020 hin. Igor Lenkewitsch analysiert die machtstrukturelle Verpuppung. . Lukaschenko gibt offen zu, dass auf seinen Befehl hin Verwandte von Oppositionellen oder politischen Häftlingen verfolgt werden. Die Evolution eines autoritären hin zu einem totalitären SystemLukaschenko auf dem Weg zum Totalitarismus: Was kann ihn stoppen? Alle totalitären Tendenzen, die seit 2022 in Belarus auftraten, haben sich noch verstärkt, schreibt der Politologe Artyom Shraibman in seiner Analyse. Er rechnet nicht mit einem schnellen Abbau der neuen Machtstrukturen, schließt aber einen Rückgang der Repressionen nicht aus. läuft. Um an der Macht zu bleiben, unterstützt Lukaschenko in vollem Umfang Russland im Krieg gegen die UkraineFAQ #5: Welche Rolle spielt eigentlich Belarus im Ukraine-Krieg? Im Krieg gegen die Ukraine steht der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko an der Seite des russischen Präsidenten Putin. Doch bislang sind keine seiner Truppen beteiligt. Warum hilft er Putin? Was hat er zu gewinnen, was zu verlieren? Und was bedeutet das für seinen eigenen Machterhalt? und macht Belarus damit zum Beteiligten der Aggression. Für die Präsidentschaftswahlen 2025 hat Lukaschenko seine abermalige Kandidatur bereits angekündigt.
Im Sommer 2020 protestierten die Belarussen für Neuwahlen und für ihre Grundrechte – friedlich, kreativ und äußerst wandlungsfähig. Wir lassen die Vielfalt und Höhepunkte der Protestkultur in diesem visuellen Rückblick Revue passieren.
Die belarussischen Machthaber haben mittlerweile alle Oppositionsparteien verboten. Darunter auch die Belarussische Volksfront (BNF), eine der ältesten Parteien des Landes, die für die Geschichte des Landes eine wichtige Rolle gespielt hat. Das belarussische Medium Zerkalo hat die Geschichte der Bewegung und Partei aufgeschrieben.
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Ist der belarussische Protest tot? Hat Alexander Lukaschenko immer noch Angst vor Protesten? Welchen Einfluss hat die neue Diaspora? Waleri Karbalewitsch beleuchtete im August die aktuelle Lage zwei Jahre nach dem Beginn der historischen Proteste in Belarus – seine Analyse ist 2022 einer der meistgelesenen Texte im Belarus-dekoder (Platz 3).
Im Krieg gegen die Ukraine steht der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko an der Seite des russischen Präsidenten Putin. Doch bislang sind keine seiner Truppen beteiligt. Warum hilft er Putin? Was hat er zu gewinnen, was zu verlieren? Und was bedeutet das für seinen eigenen Machterhalt?
Nach 600 Tagen gab es das erste Lebenszeichen von Maria Kolesnikowa. Ihr Vater durfte sie besuchen. Sie war eines der Gesichter der Proteste in Belarus im Jahr 2020, sie wurde verschleppt, festgenommen und schließlich zu elf Jahren Haft verurteilt. Wer ist diese scheinbar unerschrockene Frau, und wie wurde sie zur Oppositionspolitikerin? Zerkalo zeichnet ihren Lebensweg nach.
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