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Margarita Simonjan

Ihre steile Karriere begann mit einer Lüge im staatlichen Auftrag. Heute kokettiert die Chefin des Propaganda-Senders RT und der staatlichen Medienholding Rossija Sewodnja offen mit ihrer Rolle als Gesicht der russischen Desinformation. Der Kreml belohnt sie großzügig dafür. 

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Jedinaja Rossija

Vieles hat sich gewandelt im Russland der 2000er Jahre. Eine der wichtigsten Veränderungen war dabei zweifellos die kontrollierte Umgestaltung des Parteiensystems. Von einem chaotisch fluktuierenden Pool kurzlebiger politischer Kräfte wandelte es sich zu einem stabilen Gerüst aus drei bis vier Parteien, unangefochten angeführt von der Partei der Macht, der Regierungspartei Einiges Russland. Von ihren Kritikern als „Partei der Gauner und Diebe“ diffamiert, sorgt sie seit 2003 zuverlässig für Regierungsmehrheiten im Parlament und leistet gute Dienste bei der Integration der regionalen Eliten. Bei der Dumawahl 2016 sicherte sie sich eine verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit. Trotz ihrer Dominanz im politischen System unterscheidet sich ihre Rolle stark von derjenigen der Kommunistischen Partei der Sowjetunion: Einiges Russland ist kein Selbstzweck, sondern ein Instrument der politischen Führung.

Entstehung aus einem politischen Vakuum

Die Erosion der Kommunistischen Partei und der Zerfall des Staates zu Beginn der 1990er eröffneten ein politisches Vakuum, von dem sich die Parteienlandschaft in Russland lange nicht erholte. Die Bedeutung von Parteien im extrem personalisierten politischen Geschehen war marginal, zumal Jelzin es vorzog, als überparteilicher Staatsmann zu gelten, und seine Mitstreiter nicht nach Parteizugehörigkeit, sondern nach persönlicher Loyalität auszuwählen.1

Auch die Entstehung von Einiges Russland ist nicht die Geschichte der Repräsentation von Bürgerinteressen, sondern die eines institutionell ausgefochtenen Elitenkonflikts im Vorfeld der Wahlen von 1999. Jelzin geriet durch Vaterland-Ganz Russland, eine Gruppe regionaler Politiker um den Moskauer Bürgermeister Juri Lushkow, unter Druck. Jelzins Team gründete mit Einheit eine Gegenpartei und lancierte einen neuen Ministerpräsidenten. Nach den Bombenanschlägen auf Wohnblocks in Moskau, die das Land in einen kollektiven Schock versetzten, ordnete der Neue einen entschlossenen Militärschlag der russischen Armee gegen tschetschenische Separatisten an. Dies brachte ihm enorme Popularität ein. Staatliche Medien diskreditierten außerdem die Herausforderer um Lushkow und Jewgeni Primakow. Beides zusammen zeigte Wirkung: Einheit schlug Vaterland-Ganz Russland deutlich an der Wahlurne (23 Prozent versus 13 Prozent), und der Stern des Ministerpräsidenten stieg unaufhaltsam. Sein Name, natürlich: Wladimir Putin.

Partei der Macht

Obwohl Einheit anfangs nur als zeitlich limitiertes Gegenprojekt konzipiert war, baute der Kreml die Partei nach und nach zu einer stabilen politischen Kraft aus. Im Jahr 2001 fusionierte die Partei mit Vaterland-Ganz Russland und versammelte nach und nach die meisten einflussreichen Politiker unter ihrem neuen Label Einiges Russland. Sie erfüllt dabei alle Merkmale einer Partei der Macht nach dem Politikwissenschaftler Wladimir Gelman2.

Erstens wird sie von der Staatsführung kontrolliert, um die Gesetzgebung zu bestimmen: Stand Jelzin noch in stetem Kampf mit der Duma, konnten Putin und später Medwedew sich mit Einiges Russland auf eine treue Regierungspartei im Parlament verlassen.

Zweitens präsentierte sie sich weitgehend ideologiefrei und setzte stattdessen auf Stabilität. Damit bediente sie zum einen die Sehnsucht vieler Russen nach Ordnung Ende der 1990er Jahre und erschwert zum anderen einen glaubwürdigen Zusammenschluss der Opposition rechts und links von ihr. Drittens kann sie aufgrund ihrer privilegierten Position als Ziehkind des Kreml auf enorme Ressourcen zurückgreifen: Finanzierung, Sendezeit, die Unterstützung durch beliebte Politiker und Personen des öffentlichen Lebens. Im Gegenzug liefert sie zuverlässig Mehrheiten und sorgt für einen Interessenausgleich zwischen rivalisierenden Eliten, indem sie einen relativ breiten Zugang zu Staatseinnahmen, Aufstiegschancen und auch zu Schmiergeldzahlungen ermöglicht.3

Wählerschaft

Obgleich nicht aus einer eigenen gesellschaftlichen Strömung heraus entstanden, hat die Partei  über die Zeit doch so etwas wie eine Stammwählerschaft entwickelt. Diese setzt sich aus mehreren Segmenten der Bevölkerung zusammen. Ihre marktfreundliche Politik zu Beginn der 2000er brachte ihr die Unterstützung jüngerer, pragmatischer Wählergruppen ein. Der programmatische Schwenk zur Stabilisierung des Staates und zu höheren Sozialausgaben Mitte der 2000er Jahre sicherte ihr sodann auch die Unterstützung von Rentnern, Bewohnern ländlicher Regionen und Staatsangestellten, die zurzeit das Hauptklientel der Partei ausmachen.4 Gleichwohl führen Experten den Erfolg der Partei vor allem auf die Unterstützung durch regionale Politiker, den ökonomischen Aufschwung der 2000er Jahre und vor allem auf Putins persönliche Beliebtheit zurück.5

Dabei ist Putin stets das Kunststück gelungen, sich in ausreichender Distanz zur Partei zu halten. Er selbst war nie Parteimitglied – obwohl er ihr von 2008 bis 2012 vorstand. Die politische Führung hat aus dem Zusammenbruch der Sowjetunion gelernt: Eine Partei der Macht hat viele Vorteile, sie darf aber nicht zur „Partei an der Macht“ werden, um die Vormachtstellung des Präsidenten und des Zirkels seiner engen Vertrauten nicht zu gefährden.6

Umgekehrt profitiert der Präsident in schwierigen Zeiten von seiner Überparteilichkeit – wie 2011 geschehen, als sich der Unmut frustrierter Wähler vor allem gegen die dominante Partei richtete: Im Frühjahr prägte Alexej Nawalny für Einiges Russland in Anspielung auf die verbreitete Korruption im Verwaltungsapparat den Begriff „Partei der Gauner und Diebe“. Der Slogan fand sich auf zahllosen Bannern und Reden während der Proteste von 2011/12 wieder7, und noch im Jahr 2013 stimmten etwa 40 Prozent der Befragten diesem Label zumindest teilweise zu.8 Trotz signifikanter Verluste der Partei bei den Parlamentswahlen von 2011 überstand Putin selbst diese Krise leidlich unbeschadet, während sich die Umfragewerte von Einiges Russland erst mit  Ausbruch der Ukraine-Krise Anfang 2014 wieder erholten.

Die Geschichte von Einiges Russland ist eng mit Putins politischer Karriere verknüpft, Partei und Präsident existieren in einer Zweckgemeinschaft. Dabei ist jedoch immer klar, wer die zentralen Entscheidungen trifft. Sollte sich das Projekt Einiges Russland einmal als überholt erweisen, so wird der Kreml wohl nicht zögern, es durch eine effektivere Plattform zu ersetzen.9

 

Grafik 1: Umfragewerte der größten russischen Parteien ab 2003

 


 

1.Rose, Richard (2001): How floating parties frustrate democratic accountability – a supply-side view of Russia’s elections, in: Brown, Archi (Hrsg.): Contemporary Russian politics – a reader, Oxford, S. 215-223, hier S. 216
2.Gelman, Wladimir (2006): From ‘feckless pluralism’ to ‘dominant power politics’? The transformation of Russia's party system, in: Democratization, 13(4), S. 545-561
3.Siehe Reuter, Ora John (2011): United Russia and the 2011 elections, Russian Analytical Digest Nr. 102, S. 3
4.Reuter 2011, S. 4
5.ebd.
6.Sakwa, Richard (2012): Party and power: between representation and mobilisation in contemporary Russia, in: East European Politics, 28:3, S. 310-327, hier S. 318f.
7.Gabowitsch, Mischa (2013): Putin kaputt!? Berlin
8.Siehe die Umfrage des Lewada-Zentrums: Sčitajut li rossijane „Edinuju Rossiju“ partiej žulikov i vorov?
9.Erste Anzeichen dazu gab es im Jahr 2011, als Putin die Gründung einer neuen politischen Gruppierung, der All-Russischen Volksfront, verkündete. Siehe Reuter (2011) und Graeme, Gill (2015): The Stabilization of Authoritarian Rule in Russia? In: Journal of Elections, Public Opinion and Parties, 25(1), S. 62-77, hier S. 75
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Ein kurzer Augenblick von Normalität und kindlicher Leichtigkeit im Alltag eines ukrainischen Soldaten nahe der Front im Gebiet , © Mykhaylo Palinchak (All rights reserved)