In der russischen Duma haben unerwartet zwei Parteien Gesetzesentwürfe zur Bekämpfung häuslicher Gewalt eingebracht. Womöglich um Aktivistinnen das brisante Thema zu entreißen und es für eigene Regierungs-PR zu benutzen. Vorgesehen sind: höhere Strafen für Gewaltverbrechen, aber auch für Verleumdung. Und geschützt werden sollen besonders auch Männer. Das russische Onlineportal Glasnaja analysiert Chancen und Schwachpunkte der Entwürfe.
Verliert Belarus seine Unabhängigkeit? Was passiert, wenn Lukaschenko stirbt? Gibt es noch eine Chance für einen demokratischen Wandel? Der belarussische Journalist Alexander Klaskowski gibt Antworten auf schwierige Fragen.
Zwei kürzlich erschienene Bücher offenbaren, wie weit sich das Oberhaupt der Russisch-Orthodoxen Kirche inzwischen von den Lehren des Christentums entfernt hat – zugunsten einer Staatsideologie.
Ihre Prognosen werden oft als pessimistisch kritisiert, doch von Militärs geschätzt: Marija Berlinska ist eine scharfsinnige Analytikerin und setzt sich für die Technologisierung der ukrainischen Armee durch Drohnen ein. Im Interview mit der Ukrajinska Prawda spricht sie über dringend notwendige militärpolitische Entscheidungen, das Worst-Case-Szenario und realistische Auswege daraus.
Zweimal täglich erklärt die Moderatorin im Staatsfernsehen die Welt aus Moskauer Sicht. An manchen Tagen ist sie bis zu fünf Stunden mit Desinformation und Kriegshetze nach Vorgaben des Kreml auf Sendung. Skabejewas Spezialgebiet ist der Vollkontakt: Je nach Bedarf werden Gegner provoziert oder niedergebrüllt.
Politik – von Anastassija Bahalika , Olena Rebryk , Olha Stepanjuk
Kurz nach seiner Befreiung spricht der ukrainische Menschenrechtler und Journalist Maxym Butkewytsch mit seinen Kolleginnen von Hromadske Radio erstmals über Luhansker Gefängnisse, russische Gewalt und seine persönlichen Perspektiven.
Mitte 2021 setzte Lukaschenko an der östlichen EU-Außengrenze eine Migrationskrise in Gang. Bis heute gelangen Flüchtlinge über die belarussische Grenze in die EU. Warum gibt es so wenig Interesse der westlichen Staaten, mit Minsk darüber zu verhandeln? Waleri Karbalewitsch analysiert.
Der belarussische Schriftsteller Alhierd Bacharevič erhält den Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung 2025. Warum gibt es im Westen so wenig Interesse für Belarus und welche Folgen hat dies für die belarussische Literatur? In diesem Essay gibt er Antworten und macht sich Luft.
Wie eine jüdische Ukrainerin die sexuelle Gewalt unter deutscher Besatzung öffentlich macht. Die siebte Folge der dekoder-Doku Der Krieg und seine Opfer.
Täglich erhalten russische Medien Leitfäden, wie Nachrichten präsentiert werden und welche Emotionen sie wecken sollen. Für diese Vorgaben sind zwei Männer aus der Präsidialadministration zuständig: Sergej Kirijenko und Alexej Gromow.
Mit viel Empathie hat der Potsdamer Fotograf Frank Gaudlitz die gesellschaftlichen Umbrüche seit dem Ende der Sowjetunion begleitet. Sein letztes Projekt hat er nach dem Überfall auf die Ukraine vorzeitig beendet. Nach Russland will Gaudlitz vorerst nicht mehr fahren. Ein Gespräch über Annäherung und Entfremdung.
Viele Kulturschaffende mussten aus Belarus fliehen, andere sind im Gefängnis. Bücher, Lieder und Kunstwerke wurden verboten. Wie kann die belarussische Kultur in solch einer Lage überhaupt bestehen? Ein Gespräch mit Sjarhei Budkin vom Belarusian Council for Culture.
Wie erinnert man sich in Deutschland an den Zweiten Weltkrieg – und wie in anderen europäischen Ländern? Welche Rolle spielt der Zweite Weltkrieg in Russlands Krieg gegen die Ukraine heute – wie wird Erinnerungspolitik hier und da diskutiert? Und wie kann man das Kriegsgedenken heute neu denken?
„Hier liegen solche Typen, schrecklich“, sagen die Krankenschwestern. Und behaupten: „Dass einer vom Krieg nicht mehr alle Tassen im Schrank hat, gibt es hier nicht.“ Die Patienten sehen das anders. Eine Reportage aus der russischen Militärpsychiatrie, wo Soldaten behandelt werden, die in der Ukraine gekämpft haben.
Ein Kapitel des deutschen Vernichtungsfeldzugs gegen die Sowjetunion, das oft übersehen wird, ist die Politik der „verbrannten Dörfer“ in Belarus. Die NS-Besatzer zerstörten im ganzen Land über 9.000 Dörfer – viele davon wurden für immer ausgelöscht.
Eine Reporterin des Portals Verstka hat die Bewerber an einer Rekrutierungsstelle in Moskau gefragt, warum sie in den Krieg ziehen. Die meisten sind arm, viele verzweifelt – einige nennen auch Patriotismus als Grund.
Die ukrainischen und belarussischen Staatsführungen pflegen weiterhin ein pragmatisches Verhältnis. Obwohl Alexander Lukaschenko in den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine verstrickt ist. Eine Analyse von Olga Loiko.
Suche nach Identität - darum dreht sich das Fotoprojekt des belarussischen Fotografen Pavel Kritchko. Er war im Osten Polens unterwegs, wo eine belarussische Minderheit zuhause ist. Wir haben mit ihm gesprochen und zeigen eine Auswahl seiner Bilder.
Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag hat Haftbefehle gegen eine Handvoll Vertreter der russischen Führung ausgestellt. Welche Hoffnung gibt es, dass die Kriegsverbrechen in der Ukraine je gesühnt werden?
1000 Tage führt Russland großen Krieg gegen die Ukraine. 1000 Tage kämpfen die Menschen in der Ukraine gegen den Riesen-Nachbarn – und ihre eigene Angst. Von ihr erzählt das gar nicht so sehr fiktive Märchen des Dramaturgen Oleg Michajlow und der Illustratorin Julja Piljulja aus Charkiw.
Nach 50 Jahren erscheint Feuerdörfer erstmals auf Deutsch. Das Buch über die Wehrmachtsverbrechen in Belarus erschütterte die sowjetische Gesellschaft – ein Special, unter anderem mit der Literaturnobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch.
Nach 600 Tagen gab es das erste Lebenszeichen von Maria Kolesnikowa. Ihr Vater durfte sie besuchen. Sie war eines der Gesichter der Proteste in Belarus im Jahr 2020, sie wurde verschleppt, festgenommen und schließlich zu elf Jahren Haft verurteilt. Wer ist diese scheinbar unerschrockene Frau, und wie wurde sie zur Oppositionspolitikerin? Zerkalo zeichnet ihren Lebensweg nach.
Das Lukaschenko-Regime übt auf unterschiedlichste Weise Druck auf Menschen aus, die sich dem Staat widersetzen. Mediazona Belarus erzählt die Geschichte einer Familie nach der Verurteilung des Ehemanns und Vaters zu 15 Jahren Haft.
Ihre steile Karriere begann mit einer Lüge im staatlichen Auftrag. Heute kokettiert die Chefin des Propaganda-Senders RT und der staatlichen Medienholding Rossija Sewodnja offen mit ihrer Rolle als Gesicht der russischen Desinformation. Der Kreml belohnt sie großzügig dafür.
Das Lukaschenko-Regime modelliert an einer eigenen Erinnerungskultur. Wie diese aussehen soll, erklärt der Politikwissenschaftler Waleri Karbalewitsch.
Politik – von Jewa Belizkaja , Olessja Gerassimenko
Einer der reichsten Menschen Sibiriens äußert sich gegen den Krieg und unterstützt Oppositionelle. Dabei lebt und arbeitet er weiter in Russland. Wie kann das sein?
Wer ins Visier der russischen Justiz gerät, hat künftig die Wahl: entweder ein geregelter Strafprozess, oder freiwillig an die Front. Fast jeder Dritte wählt den Schützengraben.
Am 26. Januar 2025 sollen in Belarus die nächsten sogenannten Präsidentschaftswahlen über die Bühne gehen – in einer Atmosphäre der Angst und Unterdrückung. Alexander Klaskowski erklärt, warum der Machthaber das Ereignis so schnell wie möglich hinter sich bringen will.
In den vergangenen Jahren ist in Belarus rund um die Nacht der erschossenen Dichter eine neue Erinnerungskultur entstanden. Wie sieht diese aus? Was geschah in jener Oktobernacht im Jahr 1937 und warum? In einem Bystro gibt die Historikerin Iryna Kashtalian Antworten auf diese und andere Fragen.
Belarus holt immer wieder ukrainische Kinder aus den von Russland besetzten Gebieten zu sich ins Land – angeblich, um ihnen eine erholsame Auszeit vom Krieg zu ermöglichen. Staatsmedien instrumentalisieren diese Kinder für Propagandasendungen. Die ukrainische Menschenrechtsplattform Zmina hat sich diese Sendungen angeschaut und fasst die häufigsten Erzählstränge zusammen.
Den Familien gefallener russischer Soldaten steht ein „Sarggeld“ von umgerechnet rund 150.000 Euro zu. Den betreffenden Einheiten – Truppennachschub. Aus Kosten- und Statistik-Gründen drückt sich der Staat um diese Ersatzleistungen. Um zu beweisen, dass ein Gefallener der russischen Armee wirklich tot ist, ziehen darum Verwandte wie Kommandeure vor Gericht. Verstka hat sich diese Verfahren genauer angeschaut.
In der Republik Sacha im russischen Norden werden besonders viele Straftaten unter Alkoholeinfluss begangen. Einige Ortschaften haben nun den Verkauf von Alkohol verboten. Eine Fotoreportage von Takie Dela.
Der revolutionäre Geist von 2020 soll den Belarussen ausgetrieben werden. Dazu gehört auch die Erzeugung einer neuen Wirklichkeit. Das Online-Medium Pozirk erklärt die wesentlichen Pfeiler der ideologischen Baumaßnahmen.
Der russische Aktivist Ildar Dadin war ein ähnlich kompromissloser Gegner des Putin-Regimes wie Alexej Nawalny. Aber er wählte einen anderen Weg: den bewaffneten Kampf. Anfang Oktober ist er in der Ukraine gefallen.
Seit Ende der 1990er Jahre haben Belarus und China ihre Beziehungen deutlich intensiviert. Was verspricht sich die chinesische Staatsführung von dem belarussischen Partner? Und welche Ziele verfolgt Lukaschenko, indem er Projekte mit der Volksrepublik im eigenen Land umsetzt?
Die russische Duma hat in erster Lesung ein Gesetz gegen eine imaginäre „Childfree“-Bewegung verabschiedet. Werbung für Verhütungsmittel oder Beratung vor dem Schwangerschaftsabbruch stehen damit unter Strafe. In der Novaya Gazeta kommentiert der Journalist Anton Orech: „Der Staat verbietet der Bevölkerung, nach eigenem Ermessen über den eigenen Körper zu verfügen.“
Meinungsumfragen in repressiven Autokratien haben nur eine begrenzte Aussagekraft. Lässt sich die öffentliche Meinung anders ermitteln? Der belarussische Soziologe Andrei Wardomazki erklärt die Tücken seiner Arbeit und stereotype Meinungen von Belarussen.
Das ukrainische Onlinemedium Graty erläutert anhand von Fallbeispielen, wie Menschen auf der besetzten Krym für ihre pro-ukrainische oder Antikriegs-Haltung durch doppelte Bestrafung unterdrückt werden.
Im Hinterland der ukrainischen Kursk-Offensive treiben tonnenweise Fische bäuchlings in verschmutzen Flüssen. Frontliner-Reporter sind die Desna vom Norden der Ukraine nach Kyjiw abgefahren und haben sich ein Bild von der Umweltkatastrophe gemacht.
In der belarussischen Küche zeigt sich, wie viele kulturelle Einflüsse das Land in seiner Geschichte geprägt haben. Wer beispielsweise den Chaladnik erfunden hat, lässt sich nur schwer klarstellen. Der Historiker Ales Bely erklärt die kulturhistorischen Untiefen belarussischer Leckereien.
In Butscha hat sich die ukraineweit erste Freiwilligen-Luftabwehreinheit für Frauen gegründet. Reporter des ukrainischen Onlinemediums Frontliner stellen die Kämpferinnen vor.
Zu Beginn seiner Präsidentschaft war Putin Gast in zahlreichen Ländern. In den vergangenen vier Jahren ist seine Welt geschrumpft. Unsere Daten zeigen wie.
Eine Storytelling-Doku in zehn Folgen über den Deutsch-Sowjetischen Krieg 1941–1945. Zehn Geschichten − stellvertretend für etwa 27 Millionen Kriegsopfer in der Sowjetunion.
Wie es der staatlichen Propaganda gelang, Millionen Russinnen und Russen davon zu überzeugen, dass ein Krieg der sicherste Weg zum Frieden ist. Data-Recherche von dekoder und der Novaya Gazeta Europe.
Russland zwingt den ukrainischen Schulen in den annektierten Gebieten eigene Lehrpläne auf. Trotz aller Risiken gibt es aber immer noch Eltern, die ihre Kinder in ukrainische Online-Schulen schicken.
Viktor Gontschar und Anatoli Krassowski waren die ersten beiden von insgesamt vier Oppositionellen, die vor 25 Jahren spurlos in Belarus verschwanden. Das Online-Portal Pozirk erinnert an eine Zeit, in der Lukaschenko begann, mit aller Brutalität eine Diktatur zu errichten.
Die Fotografin Irina Unruh erzählt in einem Bildband von Kirgistan, der Heimat ihrer Kindheit, von der Odyssee ihrer Familie – und von Kirgisen, die fließend Plautdietsch sprachen.
Nicht alle Menschen fliehen aus zerschossenen Frontstädten. Wie funktioniert ihr Alltag zwischen Ruinen? Der belarussische Fotograf Alexander Vasukovich war viele Male in Städten an der Front. Wir haben mit ihm über seine Arbeit im Krieg gesprochen und zeigen eine Auswahl seiner Bilder aus der Ukraine.
Als Staatsduma wird das 450 Abgeordnete umfassende Unterhaus der Föderalen Versammlung Russlands bezeichnet. Im Verhältnis zu Präsident und Regierung nimmt die Duma verfassungsmäßig im internationalen Vergleich eine schwache Stellung ein. Insbesondere das Aufkommen der pro-präsidentiellen Partei Einiges Russland führte dazu, dass die parlamentarische Tätigkeit zunehmend von Präsident und Regierung bestimmt wurde.
Russlands Parlament, die Föderale Versammlung, ist in zwei Kammern organisiert. Als Oberhaus vertritt der Föderationsrat die Regionen. Das Unterhaus wird als Staatsduma (Gosudarstwennaja Duma) bezeichnet. Die Namensgebung weist auf die historische Vorgängerin hin, die von 1905 bis zur Oktoberrevolution 1917 als Staatsduma des Russischen Imperiums tagte.
In drei Schritten zur Dominanz der Exekutive
Am 12. Dezember 1993 fanden die Wahlen zur ersten postsowjetischen Duma und gleichzeitig das Referendum über die Verfassung der Russischen Föderation statt. Dies war die endgültige Abkehr vom Obersten Rat und damit vom Sowjetparlamentarismus, der keine Gewaltenteilung kannte.
Die Beziehungen im Dreieck zwischen Präsident, Regierung und Duma lassen sich in drei Phasen einteilen. Sie unterscheiden sich im Hinblick darauf, inwieweit der Präsident durch parlamentarische Fraktionen und Gruppen unterstützt wird: 1994 bis 1999 waren die pro-präsidentiellen Parteien in der Minderheit, 2000 bis 2003 konnte Putin eine Koalition aus vier Fraktionen schmieden, seit 2004 dominiert Einiges Russland die Duma.1
Grafik 1: Fraktionen und Gruppen in den Legislaturperioden I bis VI (1994-2016)2
Die gesamte erste Phase, und auch Teile der zweiten, waren durch ein schwach institutionalisiertes Parteiensystem3 gekennzeichnet: Den pro-präsidentiellen Parteien der Macht standen eine Vielzahl anderer Fraktionen und Gruppen gegenüber. In der zweiten Duma stellten die Kommunisten gar die meisten Abgeordneten (s. Grafik 1). Dennoch regierte Jelzin nicht einfach mit Präsidialerlassen am Parlament vorbei, sondern handelte Unterstützung für Gesetzesvorhaben aus, in dem er beispielsweise im Gegenzug bestimmten Interessensgruppen bei der Haushaltsplanung entgegenkam4.
Mit den Parlamentswahlen von 1999 änderte sich das Bild. Die neu kreierte Regierungspartei Einheit erlangte zwar nur knapp 17 Prozent der Mandate, zusammen mit drei weiteren Fraktionen setzte sie jedoch die von Präsident und Regierung eingebrachten Gesetze weitgehend um. Mit den Wahlerfolgen der Einheit-Nachfolgerin Einiges Russland in den Jahren 2003 und 2007 wurde in Phase drei der Übergang zu einem dominanten Parteiensystem mit einem Parlament, das weitgehend von der Exekutive bestimmt wird, vollzogen. Die Politikwissenschaftlerin Petra Stykow spricht daher bei der Staatsduma von einer „institutionalisierten, autoritären Legislative“.5
Auswirkungen auf die Funktionen des Parlaments
Die Ausübung der verfassungsmäßig garantierten Kernfunktionen fällt in den drei Phasen entsprechend unterschiedlich aus.
Erstens: Die Ernennung des Regierungschefs. Im Unterschied zu vergleichbaren politischen Systemen werden in Russland Regierungsposten nicht an parlamentarische Parteien vergeben6, sondern Präsidenten bestellen Technokratenregierungen. Allerdings muss die Duma zustimmen, wenn der neugewählte Präsident den Regierungschef ernennt. Während Jelzin noch zu Eingeständnissen gezwungen war (zur Auflösung der Duma nach der dritten Ablehnung kam es allerdings nie), wurden Putins Ministerpräsidenten ausnahmslos mit deutlichen Mehrheiten bestätigt.
Zweitens: Misstrauensvoten gegen die Regierung. Abstimmungen wurden 1994, 1995, 2001, 2003 und 2005 lanciert. Lediglich 1995 nach der Geiselnahme in Budjonnowsk kam eine Mehrheit von 241 Stimmen zustande – allerdings gestattet es die Verfassung auch hier dem Präsidenten, das Misstrauensvotum zu ignorieren. Die Duma kann außerdem ein komplexes Verfahren zur Amtsenthebung des Präsidenten einleiten, sollte der Verdacht bestehen, dass sich der Präsident einer schweren Straftat schuldig gemacht hat. 1998 lancierte die Fraktion der Kommunisten ein solches Verfahren gegen Jelzin, jedoch fand keiner der fünf zur Abstimmung gebrachten Anklagepunkte die nötige Zweidrittel-Mehrheit für die Weiterleitung an den Föderationsrat und das Verfassungsgericht.
Drittens: Die Gesetzgebung, das Hoheitsrecht der Duma. Grafik 2 veranschaulicht, dass zwischen 1994 und 1999 die Hälfte bis ein Drittel der von Präsident und Regierung initiierten Gesetzesentwürfe nicht die Unterstützung der Duma fanden. Mit dem Siegeszug von Einiges Russland ändert sich das Bild: Exekutive Gesetzesentwürfe scheitern nur noch in Ausnahmefällen. Umgekehrt verhält es sich mit präsidentiellen Vetos: In den 1990er Jahren legte Jelzin durchschnittlich gegen 15 bis 25 Prozent der Gesetze, die von der Staatsduma verabschiedet wurden, Widerspruch ein. Unter Putin starb das Veto im Laufe der Zeit aus.
Grafik 2: Erfolgsrate von Präsident und Regierung in der Duma, Quelle: Autor
Grafik 3: Veto russischer Präsidenten, Quelle: Autor
Allgemein lässt sich festhalten, dass sich mit dem Übergang in die Putin-Ära die Abwesenheit von Abgeordneten bei Abstimmungen verringert und die Fraktionsdisziplin erhöht hat. Auch die Anzahl der Gesetze und die Geschwindigkeit, mit der diese verabschiedet werden, hat sich gesteigert.
Die Duma als Faktor der Regimestabilität
In den Medien kursiert der angebliche Ausspruch des ehemaligen Vorsitzenden Boris Gryzlov, dass die Duma „kein Ort für Diskussionen“7 sei. Der Volksmund sieht in ihr gar einen „durchgedrehten Drucker“, der Gesetze am laufenden Band ausspuckt. Als „autoritäre, institutionalisierte Legislative“ kann die Duma nicht mehr ihrer horizontalen Kontrollfunktion8 gegenüber Präsident und Regierung nachkommen. Dies macht die Kammer jedoch nicht bedeutungslos, denn bürokratische Verteilungskämpfe um Ressourcen innerhalb der Exekutive werden auch in und mit der Duma ausgetragen9. Wenn Ministerien etwa um Ressourcen konkurrieren, können diesen loyal gesinnte Abgeordnete Gesetze verzögern oder Änderungen beantragen.
Nach den Protesten 2011/2012 wies die Gesetzgebung vor allem in den Bereichen Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit einen zunehmend repressiven Charakter auf. Ein Beispiel dafür ist das Gesetz über ausländische Agenten10. Mit anhaltender Wirtschaftskrise nehmen außerdem Gesetze überhand, die über Steuern und andere Abgaben Eigentum von Bürgern und Unternehmern „konfiszieren“. Die Politologin Ekaterina Schulmann11 argumentiert, dass es immerhin besser sei, etwas tiefer in die Tasche zu greifen, als ins Gefängnis zu wandern. Sicher ist jedenfalls, dass die Duma auch nach den Wahlen 2016 eine wichtige Rolle dabei spielt, Repression und Konfiskation ins Gleichgewicht zu bringen und somit über Regimestabilität und -wandel mitentscheiden wird.
1.Chaisty, P. (2014): Presidential dynamics and legislative velocity in Russia, 1994–2007, in: East European Politics, 30(4), S. 588-601
3.Stykow, P. (2008): Die Transformation des russischen Parteiensystems: Regimestabilisierung durch personalisierte Institutionalisierung, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen, S. 772-794
4.Remington, T. F. (2007): The Russian Federal Assembly, 1994–2004, in: The Journal of Legislative Studies, 13(1), S. 121-141 und: Troxel, T. A. (2003): Parliamentary Power in Russia, 1994-2001
5.Stykow, P. (2015): Parlamente und Legislativen unter den Bedingungen „patronaler Politik“: Die eurasischen Fälle im Vergleich, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen, S. 396 - 425
7.Gryzlov wurde von den Medien nicht korrekt zitiert, allerdings ist die plakative Phrase fester Bestandteil des öffentlichen Diskurses über die Duma geworden. Hier das Originalzitat von Gryzlov
8.Whitmore, S. (2010): Parliamentary oversight in Putin's neo-patrimonial state: Watchdogs or show-dogs?, in: Europe-Asia Studies, 62(6), S. 999-1025
10.Inzwischen existiert eine Liste mit Gesetzen, die aufgrund ihrer Verfassungswidrigkeit nach Meinung eines Expertenkomitees rückgängig zu machen sind.
Die Präsidialadministration(PA) ist ein Staatsorgan, das die Tätigkeit des Präsidenten sicherstellt und die Implementierung seiner Anweisungen kontrolliert. Sie ist mit beträchtlichen Ressourcen ausgestattet und macht ihren Steuerungs- und Kontrollanspruch in der politischen Praxis geltend.
Von Paulus zu Saulus? Die Wandlung der liberalen Politikerin Irina Jarowaja zur bekanntesten Hardlinerin der Duma wurde von Vorwürfen der Prinzipienlosigkeit begleitet. Mit dem Beschluss des von ihr initiierten Anti-Terror-Pakets im Juni 2016 wurde die Eiserne Lady der Volkskammer für viele zum Symbol des autoritären politischen Kurses.
Polittechnologija bezeichnet in Russland und anderen postsowjetischen Staaten ein Menü von Strategien und Techniken zur Manipulation des politischen Prozesses. Politik – als Theater verstanden – wird dabei als virtuelle Welt nach einer bestimmten Dramaturgie erschaffen. Politische Opponenten werden mit kompromittierenden Materialien in den Medien bekämpft, falsche Parteien oder Kandidaten lanciert oder ganze Bedrohungsszenarien eigens kreiert.
Nachdem Putin im September 2011 angekündigt hatte, wieder Präsident werden zu wollen, und im Dezember zahllose Wahlbeobachter über massive Wahlfälschungen berichteten, bildete sich in Russland die größte Protestbewegung seit dem Ende der Sowjetunion. Sie bewies erstaunliches Durchhaltevermögen, versiegte jedoch im Jahr 2013 aufgrund von inneren Streitigkeiten und der repressiven Reaktion des Staates.
Russland hat gewählt. Aber wer hat da gewählt? Und warum ist die Machtpartei Einiges Russland so stark? Grigori Golossow auf slon über eine Abstimmung mit Zwängen und darüber, wie schwer Desinteresse wiegen kann.
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