70/70 – das, so munkelte man bereits Monate vor der Wahl, sei die Zielvorgabe aus der russischen Präsidialadministration gewesen: 70 Prozent für den Amtsinhaber bei 70 Prozent Wahlbeteiligung. Und so kam es (fast) auch: Nach dem offiziellen Ergebnis wurde Wladimir Putin für weitere sechs Jahre im Amt bestätigt (s. auch unsere Debattenschau zum Thema). Wir haben uns die Zahlen genauer angeschaut und in drei interaktiven Infografiken aufbereitet.
Offizielles Ergebnis
Mit einem vorläufigen Stimmenanteil von rund 77 Prozent konnte Putin sein bislang bestes Ergebnis aus dem Jahr 2004 überbieten, rund 56 Millionen Menschen stimmten diesmal für ihn:
Quelle: ZIK (Falls die Grafiken nicht laden, bitte hier aktualisieren)
Unterschiede in der Wahlbeteiligung
Bei der Dumawahl 2016 gab es je nach Region große Unterschiede in der Wahlbeteiligung, was vielfach als Indiz für Wahlfälschungen gewertet wurde. Die endgültigen Zahlen für 2018 stehen zwar noch nicht fest, der Wahlanalytiker Sergej Schpilkin sieht aber bei manchen Regionen eine ähnliche Tendenz, wenngleich in einem offensichtlich kleineren Ausmaß.
* Um die offiziellen Wahldaten vollständig abzubilden, sind auf der Karte auch die Krim und Sewastopol verzeichnet, die Russland seit 2014 als eigene Föderationssubjekte betrachtet. Gemäß dem Völkerrecht gehören diese Gebiete jedoch zur Ukraine. Mehr dazu in unserer Gnose: Krim-Annexion / Quelle: ZIK, Sergej Schpilkin (Falls die Grafiken nicht laden, bitte hier aktualisieren)
Die Wahlbeteiligung beträgt nach vorläufigen Angaben (Stand: 19. März, 14:45 Uhr Moskauer Zeit) rund 67,5 Prozent. Damit ist sie höher als bei der Präsidentschaftswahl 2012, allerdings etwas niedriger als 2008. Die 70 Prozent-Vorgabe ist fast erfüllt – doch was sagen diese Zahlen aus?
Die Stimmverteilung gleicht diesmal mehr einer Gaußschen Glockenkurve (Normalverteilung) als bei der Dumawahl 2016, auch der berüchtigte Zacken-Bart fällt diesmal insgesamt kleiner aus. Für den Physiker Sergej Schpilkin bleiben nach vorläufigen Berechnungen rund 10 Millionen Stimmen verdächtig, insgesamt verortet er die Anzahl der Wahlfälschungen bei dieser Präsidentschaftswahl aber zwischen der Anzahl der Fälschungen bei den Wahlen 2004 und 2012. Das Wahlprozedere selbst verlief also dem erstem Anschein nach mit weniger Manipulationen als 2012.
Das gilt allerdings nicht für das Prozedere vor der Wahl: Die Zulassung zur Kandidatur wurde erschwert, kandidiert haben vor allem Systemoppositionelle. Es war also eine Wahl ohne wirkliche politische Konkurrenz.
Zwar vermeldeten Wahlbeobachter vereinzelt das Auffüllen von Wahlurnen, einige Beobachter durften Wahllokale sogar nicht betreten. Einen großen Anteil der Manipulationen machte aber nach vorläufigen Schätzungen die sogenannte Administrative Ressource aus: So wurden vermehrt Gruppen von Bjudshetniki gesichtet, die offensichtlich dazu angehalten wurden, an der Wahl teilzunehmen. Eine gesetzliche Wahlpflicht gibt es in Russland nicht, vielfach wird jetzt aber von einer Wählernötigung gesprochen.
Die Staatsführung strebte eine hohe Wahlbeteiligung an, dazu wurde im ganzen Land wochenlang getrommelt. Angesichts einer derart massiven Mobilisierungskampagne, sei die Wahlbeteiligung allerdings doch recht dürftig, meint beispielsweise der Politologe Gleb Pawlowski in einem Interview mit dem unabhängigen Fernsehsender Doshd.
Während in Moskau und Sankt Petersburg rund 60 beziehungsweise 64 Prozent der Wahlberechtigten zur Urne gingen, weisen etwa die Republiken des Nordkaukasus eine Wahlbeteiligung von über 90 Prozent auf – unter anderem in diesen Regionen konnte Putin auch die höchsten Stimmerfolge für sich erzielen.
Keine Normalverteilung
Der Physiker Sergej Schpilkin hat sich diese regionalen Unterschiede noch ein wenig genauer angeschaut und mit mathematischer Methode untersucht. Dazu hat er die Ergebnisse aller Wahlbezirke nach Wahlbeteiligung sortiert und in ein sogenanntes Histogramm eingetragen (s. Infografik oben).
Dabei fällt auf, dass Putin – anders als seine Konkurrenten – überdurchschnittlich viele Stimmen vor allem dort geholt hat, wo die Wahlbeteiligung am oberen Ende der Skala lag. Bei Putin gleicht die Stimmverteilung keiner Gaußschen Glockenkurve (Normalverteilung), sondern einem Zacken-Bart. Schpilkin sieht darin ein starkes Indiz für Wahlfälschung.
Um das Ausmaß der Anomalie einzuschätzen, hat Schpilkin die Stimmen aller Gegenkandidaten, die eher nach einer Normalverteilung aussehen, addiert und auf ein Vergleichsniveau skaliert (gestrichelte Linie), sodass sich die Spitzenwerte mit denen von Putin decken. Die Differenz zwischen Putins Ergebnis und der Vergleichskurve (grüner Bereich) markiert für Schpilkin den Anteil der verdächtigen Stimmen, etwa 10 Millionen Stimmen von rund 73 Millionen gezählten. Diese könnten durch Wahlmanipulationen zustande gekommen sein.
Derartige Befunde sind für Wahlen in Russland keine Überraschung: Bei den Bolotnaja-Protesten nach der Dumawahl 2011 forderten Demonstranten auf ihren Plakaten „Gebt uns Gauß zurück!“, und auch bei der Dumawahl 2016 wurden ähnliche Unregelmäßigkeiten festgestellt. Die Novaya Gazeta hatte dazu damals Sergej Schpilkin nach seiner Methodik befragt.
Text: Anton Himmelspach
Datenvisualisierung: Daniel Marcus
erschienen am 19.03.2018