Bystro #2: Das Wichtigste zur Präsidentschaftswahl 2018 – in sechs Fragen und Antworten. Einfach durchklicken.
1. Jeder sagt, Putin wird die Wahl gewinnen. Warum ist das so klar?
Ein wichtiger Grund ist die Propaganda-Formel Putins Alternativlosigkeit: Diese ist in den staatsnahen Medien ein immer wiederkehrendes Motiv. Auch wenn Nawalny, der einzige wirkliche Konkurrent, zur Wahl zugelassen worden wäre – eine ernsthafte Chance gegen Putin hätte er genauso wenig wie die anderen sieben Kandidaten. Diese werden auch als Kandidaten von Putins Gnaden bezeichnet, wirkliche politische Konkurrenz gibt es bei dieser Wahl nicht. Auch deshalb sprechen nicht nur böse Zungen von einem Putin-Referendum statt von einer Präsidentschaftswahl.
2. Warum durfte der Oppositionspolitiker Nawalny nicht kandidieren, wenn er doch eh keine Chancen hätte?
Allein die Zulassung zur Wahl hätte Nawalny als Sieg verbuchen und viele seiner Anhänger mobilisieren können. Außerdem gliche die Zulassung einem Eingeständnis, dass Nawalny doch kein amerikanischer Spion sei – ein häufiger Vorwurf in den staatsnahen Medien. Dort hätte Nawalny als Kandidat auch noch eine ihm bislang völlig verschlossene Bühne bekommen, denn alle offiziellen Kandidaten haben ein Recht auf Sendezeit. Er hätte bestimmt auch die Korruption des Systems Putin angeprangert und damit auch Menschen erreicht, die bislang nicht mit dem Thema in Berührung kamen.
3. Warum gehen die Wähler dennoch an die Wahlurne, auch wenn der Ausgang der Wahl so klar scheint?
70/70 – so soll der stellvertretende Leiter der Präsidialadministration Putins Wahlziel definiert haben. Sprich: Putin möchte eine mindestens 70-prozentige Wahlbeteiligung und 70 Prozent der Stimmen. Um sie zu erreichen, wird ein virtueller Kriegszustand angeheizt: der Topos von Russland als belagerter Festung, die der Westen in die Knie zwingen wolle.
Laut Propaganda ist „Für Putin“ gleichzusetzen mit „Für Russland“. Aus dieser Logik heraus gleicht die Wahl für viele einem Referendum über die Frage, wer die belagerte Festung am besten verteidigen kann.
Hinzu kommt, dass auf Staatsbedienstete und Empfänger staatlicher Hilfsleistungen oft großer Druck ausgeübt wird, an den Wahlen teilzunehmen.
4. Steht nicht der Großteil der Bevölkerung hinter Putin?
Jein. Sicherlich funktioniert bei vielen die Propaganda, die Menschen haben Angst und versammeln sich hinter Putin, auch weil es sonst niemanden anderen gibt – wegen ausgeschalteter politischer Konkurrenz. Die Politikwissenschaftlerin Lilija Schewzowa meint allerdings, dass allein die Konzentration auf die Formel belagerte Festung einem Eingeständnis der Ohnmacht gleiche.
Hinzu kommt die grassierende Verarmung, die Realeinkommen sinken schon vier Jahre hintereinander. Meinungsumfragen, die Putin eine über 80-prozentige Zustimmung bescheinigen, sind nicht unbedingt besonders aussagekräftig, worauf der Soziologe Grigori Judin hinweist: Denn die wenigen Menschen, die sich überhaupt zu einer Umfrage bereit erklären, referieren dabei oft nur das, was sie am Tag zuvor in den Nachrichten gehört haben.
5. Ist die Kandidatin Xenia Sobtschak tatsächlich eine Marionette des Kreml?
Viele Beobachter meinen, dass Sobtschak ohne Putins Gnaden nicht zur Wahl zugelassen worden wäre. Sie spekulieren, dass die Kandidatin nur deshalb im liberalen Milieu um Protestwähler werben und sogar die Staatsmacht im Staatsfernsehen kritisieren darf, weil sie damit politische Konkurrenz simuliert, die Wahlbeteiligung steigert und die liberale Wählerschaft spaltet. Während Nawalny um eine neue politische Mitte wirbt, beackert Sobtschak aber nur den äußersten Rand des politischen Spektrums.
6. Nach der letzten Präsidentschaftswahl gab es massive Proteste. Könnte das diesmal wieder passieren?
Einige Wahlrechtsreformen der letzten Jahre können das Wahlprozedere selbst in einigen Punkten tatsächlich demokratischer machen. Das gilt allerdings nicht für das Prozedere vor der Wahl: unter anderem wurde die Zulassung zur Kandidatur erschwert. Auch wird die administrative Ressource verstärkt eingesetzt (siehe Punkt 3). So wird die Präsidentschaftswahl 2018 weder frei noch fair sein. Weil somit auch die politische Konkurrenz ausgeschaltet wurde, sind massive Wahlfälschungen jedoch eher unwahrscheinlich.
Derzeit setzt Oppositionspolitiker Nawalny auf einen Wählerstreik und damit auf eine niedrige Wahlbeteiligung. Es ist zu erwarten, dass Nawalny nach dem 18. März weiter an seinen Korruptionsenthüllungen arbeiten wird. Angesichts der grassierenden Verarmung kann er womöglich noch mehr Menschen für Proteste mobilisieren.
*Das französische Wort Bistro stammt angeblich vom russischen Wort bystro (dt. schnell). Während der napoleonischen Kriege sollen die hungrigen Kosaken in Paris den Kellnern zugerufen haben: „Bystro, bystro!“ (dt. „Schnell, schnell!“) Eine etymologische Herleitung, die leider nicht belegt ist. Aber eine schöne Geschichte.
Text: dekoder-Redaktion
Stand: 12.03.2018