Medien

Debattenschau № 81: Tumult in Washington

Die Reaktionen auf die Eskalation im Kapitol sind in Westeuropa nahezu einhellig: Allenthalben ist hier die Feststellung „Angriff auf Demokratie“ zu vernehmen. Viele wähnen sich in einem schlechten Film, wenn sie die Bilder der von Trump angefeuerten Menge sehen, die das US-Parlament stürmt und die Abgeordneten in die Flucht treibt. 

In Russland sind die Reaktionen anders: Das Land befindet sich kollektiv in den traditionell langen Neujahrsferien, heute feiern zahlreiche orthodoxe Kirchen außerdem Weihnachten. Während der Feierlichkeiten dringen nur wenige Kommentare zu den Unruhen im Kapitol an die Öffentlichkeit. Für Kommentatoren in staatsnahen Medien scheinen sie aber ein gefundenes Fressen zu sein. dekoder bringt Ausschnitte aus der Debatte in russischen Medien. 

Quelle dekoder

Rosbalt: Wie in Kirgistan?

Bei den Bildern aus dem Kapitol fühlen sich viele Kommentatoren in Russland an Ereignisse aus Nachbarländern erinnert – hier Jewgeni Jewdokimow auf dem unabhängigen Nachrichtenportal Rosbalt

Deutsch
Original
Der Ablauf der Ereignisse erinnert an das klassische Szenario einer Farbrevolution in einem Dritte-Welt-Land. Aggressive Anhänger des unterlegenen Kandidaten sind unzufrieden mit dem Wahlausgang und ziehen zum Sturm auf das Parlament – etwas sehr Ähnliches ist Anfang Oktober in Kirgistan passiert.

Doch nun geht es um eine führende Weltmacht in militärisch-politischer wie auch wirtschaftlicher Hinsicht.

Такой ход событий напоминает стандартный сценарий «цветной революции» в странах третьего мира. Агрессивные сторонники проигравшего кандидата, недовольные исходом выборов, идут на штурм парламента — что-то очень похожее в начале октября происходило в Киргизии.

Однако на этот раз речь идет о ведущей державе мира, как в военно-политической, так и в экономической сферах.

erschienen am 07.01.2021, Original

RIA Nowosti: Wer Wind sät ...

Farbrevolutionen sind nach Kreml-Lesart meist aus dem Ausland – allen voran von den USA – gesteuert. Nach Ansicht von Leonid Sluzki, Vorsitzender des Duma-Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten, rächt sich das nun.

Deutsch
Original
Der Bumerang der Farbrevolutionen fliegt offensichtlich zurück in die USA. Das alles droht zu einer Jahrhundertkrise des amerikanischen Regierungssystems zu werden.
Бумеранг "цветных революций", как мы видим, возвращается в США. Все это грозит обернуться кризисом американской системы власти в новом столетии.

erschienen am 07.01.2021, Original

Rossiskaja Gaseta: Kekse für Krawallmacher

In der offiziellen Regierungszeitung Rossijskaja Gaseta, kommentiert Konstantin Kossatschow, Vorsitzender des auswärtigen Ausschusses im russischen Föderationsrat, und zieht einen Vergleich zum Maidan in der Ukraine.

Deutsch
Original
Das Fest der Demokratie ist vorbei.

O weh, das ist wirklich ein Tiefpunkt, und das sage ich ohne Schadenfreude. Amerika gibt nicht mehr den Kurs vor – und hat mithin auch jegliches Recht dazu verloren, den Kurs vorzugeben oder ihn gar anderen aufzuzwingen.

Zu guter Letzt kann ich mir eine Frage an Frau Nuland nicht verkneifen, die nun wieder ins Außenministerium einzieht, und ihre damaligen Kuratoren des Maidan-Projekts, die jetzt wieder an die Macht kommen. Was würden sie Leuten sagen, die Kekse verteilen an die Krawallmacher auf den Stufen des nationalen Parlaments? „Das Volk hat immer Recht“? „Es lebe die Demokratie“? „Weg mit den Usurpatoren“? Tja ...

Праздник демократии закончился.

Это, увы, на самом деле дно, говорю это без тени злорадства. Америка более не прокладывает курс, а следовательно - утратила все права его задавать. И тем более навязывать другим.

А напоследок, не удержусь - вопрос госпоже Нуланд, возвращающейся в Госдеп США, и ее тогдашним кураторам майданного проекта, возвращающимся в президентскую власть. Что бы они сказали сейчас тем, кто собрался бы раздавать печеньки толпам бузотеров на подступах к национальному парламенту? "Народ всегда прав"? "Да здравствует демократия"? "Долой узурпаторов?" Ну-ну.

erschienen am 07.01.2021, Original

Facebook/Sergej Medwedew: Geschenk für die Propaganda

Der Politologe Sergej Medwedew zeigt sich auf seiner Facebook-Seite betroffen – und sieht in den Ereignissen ein Geschenk für die Kreml-Medien.

Deutsch
Original
Keep America Great? Diese Präsidentschaft konnte nicht einfach so enden, mit einer friedlichen Regierungsübergabe. Das, was als böse Clownerie begann, endet mit dem Versuch eines Umsturzes – eigentlich müssten Trump, der den Mob zum Kapitol geschickt hat, Impeachment und Gerichtsverfahren erwarten. Ich kann mir jedoch kaum vorstellen, wie seine 70 Millionen Wähler damit zurechtkommen werden, die durch Propaganda, Soziale Medien und Verschwörungstheorien angeheizt sind – das alles in einem ausgeprägten Föderalismus und mit zig Millionen Waffen, die im Umlauf sind. Für den 20. Januar ist schon ein Marsch auf Washington angekündigt – der Tag der Vereidigung des neuen Präsidenten wird ein wahrer Test für die Regierung. Voller Schmerz schaue ich auf Amerika am Rande eines Bürgerkriegs. Und die Kreml-Propaganda frohlockt – was für ein schönes Weihnachtsgeschenk. Hat jemand gedacht, das alles würde mit dem Jahr 2020 enden? Herzlich willkommen im Jahr 2021! 
Keep America Great? Это президентство не могло закончиться просто так, мирной передачей власти. То, что началось, как злая клоунада, заканчивается попыткой государственного переворота -- по-хорошему, Трампа, пославшего толпу на Капитолий, должен ждать импичмент и суд. Но мне сложно представить, как с этим смирятся 70 миллионов его избирателей, воспаленных пропагандой, соцсетями, теориями заговора -- при наличии сильного федерализма и десятков миллионов единиц оружия. Уже объявлен марш на Вашингтон 20 января -- и реальном тестом для власти может стать день инаугурации. С болью смотрю на Америку на грани гражданской войны. А кремлевская пропаганда ликует -- такой подарок на рождество.
Кто-то думал, что все это закончится в 2020 году? Добро пожаловать в 2021й.

erschienen am 07.01.2021, Original

Twitter/Margarita Simonjan: Frohe Weihnachten!

Ganz nüchtern klingt auf den ersten Blick der Kommentar von Margarita Simonjan. Doch in dem Tweet der Chefredakteurin von Russia Today – ihre erste Reaktion zum Thema überhaupt – erkennen andere Nutzer auch Spott und Hohn.

Deutsch
Original
Ich möchte die Gelegenheit nutzen und den Bürgern der USA zum orthodoxen Weihnachtsfest gratulieren.
Пользуясь случаем, поздравляю граждан США с православным Рождеством.

erschienen am 07.01.2021, Original

Facebook/Dimitri Trawin: Bloß eine Clownerie

Dimitri Trawin warnt vor einer Überbewertung der Ereignisse: Das was in den USA passiert, ist halb so wild, glaubt der Wirtschaftswissenschaftler und Journalist – und vergleicht den Fall mit Belarus.

Deutsch
Original
Stellen wir uns vor, dass die gestrigen Ereignisse nicht in Washington, sondern in der Hauptstadt irgendeiner Bananenrepublik stattgefunden haben. Ein Typ mit Hörnern bricht in das örtliche Kapitol ein, während die Polizei Siesta hält. Ein anderer Typ klettert die Wand hoch, entweder mit Anlauf oder aus Schreck. Wie würden sie das bewerten? Wahrscheinlich als eine alberne Clownerie, die man belächeln kann, aber nicht mehr. [...]

In jedem Land gibt es Freaks mit einem Hang zum Schockieren und Provozieren. [...] Und nur selten kann ein Clown ernsthafte Veränderungen herbeiführen, wie es in Italien mit Beppe Grillo der Fall war.

Der Unterschied zwischen Aktionen einer Gruppe von Freaks und einer ernsthaften demokratischen Bewegung zeigt sich deutlich an den jüngsten Ereignissen in Belarus: Die Belarussen haben zwar verloren, aber [...] der starke friedliche Protest in verschiedenen Städten dieses kleinen Landes hat gezeigt, dass ein beträchtlicher Teil der Gesellschaft eine andere politische Ordnung will. In Amerika gibt es keine Spur von so etwas: Was auch immer für Krawallmacher auf den Straßen oder innerhalb der Mauern des Kapitols auftauchen, die Gesellschaft als Ganzes ist mit dem demokratischen System, in dem man Trump gegen Biden oder Republikaner gegen Demokraten austauschen kann, durchaus zufrieden.

Представим себе, что вчерашние события стряслись не в Вашингтоне, а в столице какой-нибудь банановой республики. Мужик с рогами влез в местный Капитолий, пока полиция была на сиесте. Другой мужик забрался на стенку: то ли с разбега, то ли с перепуга. Как бы мы к этому отнеслись? Наверное, как к дурацкой клоунаде, которой можно уделить для смеха немного внимания, но не более того. [...]
В любой стране есть маргиналы, склонные к эпатажу. [...] И лишь изредка клоун может спровоцировать серьезные перемены, как это было в Италии с Беппе Грилло.
Различие между акцией кучки маргиналов и серьезным демократическим движением хорошо видно по недавним событиям в Беларуси. Белорусы проиграли, но [...] мощный мирный протест в разных городах этой маленькой страны показал, что значительная часть общества хочет иного политического режима. В Америке ничего подобного нет. Какие бы погромщики не появлялись на улицах или в стенах Капитолия, общество в целом вполне удовлетворено демократической системой, при которой можно свободно менять Трампа на Байдена или республиканцев в целом на демократов.

erschienen am 07.01.2021, Original

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Farbrevolutionen

Als Farbrevolutionen bezeichnet man eine Reihe friedlicher Regimewechsel in post-sozialistischen Ländern. Diese wurden unter anderem durch gesellschaftliche Großdemonstrationen gegen Wahlfälschungen ausgelöst. Aufgrund der Farben beziehungsweise Blumen, mit denen die Bewegungen assoziiert werden, ist der Sammelbegriff Farbrevolutionen entstanden. Stellt der Begriff für die politische Elite in Russland eine Bedrohung ihrer Macht dar, verbinden oppositionelle Kräfte damit die Chance auf einen Regierungswechsel.

In der Regel werden die Rosenrevolution in Georgien (2003), die Orangene Revolution in der Ukraine (2004) und die Tulpenrevolution in Kirgisistan (2005) zu den Farbrevolutionen gezählt. Sie haben gemeinsam, dass sie von Studentenorganisationen und NGOs initiiert wurden, die ihren Protest in Form von farbigen Symbolen sichtbar machten und, vernetzt durch moderne Kommunikation und soziale Medien, friedliche und oft kreative Massendemonstrationen organisierten. Unmittelbarer Auslöser für die Demonstrationen waren in allen drei Fällen Wahlfälschungen. Ziel der Proteste war es, durch freie und faire Wahlen die autokratischen und korrupten Machthaber abzulösen und einen Demokratisierungsprozess einzuleiten. Obwohl die Autokraten durch den zivilgesellschaftlichen Druck abgesetzt werden konnten, blieb der Demokratisierungsprozess jedoch weitgehend aus.1 So fand beispielsweise in der Ukraine kein tiefgreifender Elitenwechsel statt und Viktor Janukowitsch, dessen Aufstieg zum Präsidenten durch die Orange Revolution zunächst verhindert wurde, gelangte 2010 an die Macht.

Obwohl den Farbrevolutionen häufig ihr nachhaltiger Erfolg abgesprochen wird, stellen sie prinzipiell immer  eine Bedrohung für autokratische Systeme dar. Wladimir Putin warnte vielfach vor Farbrevolutionen und sagte auf einem Treffen mit dem russischen Sicherheitsrat: „‚Wir sollten alles Notwendige daran setzen, dass etwas Ähnliches in Russland nicht passiert,ʻ […].“2 Als Reaktion darauf, dass die Mehrheit der Demonstranten auf den Farbrevolutionen junge Menschen waren, wurde 2005 in Russland die regierungstreue Jugendorganisation Naschi gegründet.

Da viele der an den Farbrevolutionen beteiligten NGOs im Rahmen von Demokratisierungsprogrammen finanzielle Unterstützung aus dem Ausland erhielten, wurde die russische Zivilgesellschaft durch mehrere Gesetze faktisch von internationaler Finanzierung abgeschnitten und zahlreiche Organisationen als ausländische Agenten in der Bevölkerung diskreditiert.

Demonstrierende während der Orangenen Revolution in der Ukraine auf dem Majdan, dem Zentrum des politischen Protestes - Foto © Irpen unter CC BY-SA 3.0

Bei der infolge von manipulierten Parlamentswahlen entstandenen Protestwelle 2011/12 griffen russische Demonstranten auf die Protestformen der Farbrevolutionen zurück.  Die Staatsmacht zerschlug die Proteste gewaltsam und verurteilte zahlreiche führende russische Aktivisten im Bolotnaja-Prozess zu mehrjährigen Haftstrafen.

 
 
Die drei Farbrevolutionen der Jahre 2003 - 2005 in der Ukraine, Georgien und Kirgisistan, deren Ziel es war, durch freie Wahlen einen Demokratisierungsprozess einzuleiten - Weltkarte © TUBS unter CC BY-SA 3.0

 

 

 


1. Laverty, Nicklaus (2008). The Problem of Lasting Change: Civil Society and the Colored Revolutions in Georgia and Ukraine,  in: Demokratizatsiya 16(02), Columbia, S. 143–162
2.zitiert nach: The Telegraph: Vladimir Putin: we must stop a Ukraine-style 'coloured revolution' in Russia. [„ʼWe should do everything necessary so that nothing similar ever happens in Russia,ʻ[…].”] 
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Der Bolotnaja-Platz befindet sich zwischen dem Kreml und dem alten Kaufmannsviertel Samoskworetschje im Zentrum Moskaus. Er hat im Mittelalter zunächst als Handelsplatz gedient, später kam ihm immer wieder eine wichtige politische Bedeutung zu, zuletzt während der Proteste gegen die Regierung in den Jahren 2011/12.

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Die Allrussische Staatliche Fernseh- und Radiogesellschaft WGTRK ist eine staatlich kontrollierte Medienholding. Sie besitzt mehrere landesweit empfangbare Fernseh- und Radiosender sowie Internetmedien, außerdem knapp 100 regionale Medienanstalten in den Föderationssubjekten der Russischen Föderation.

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Kurz vor der Dumawahl 2016 war es soweit: Das Lewada-Zentrum, das als das einzige unabhängige Meinungsforschungsinstitut Russlands gilt, wurde als ausländischer Agent registriert. Dem international renommierten Institut droht nun die Schließung. Weshalb das Lewada-Zentrum den russischen Behörden schon seit Jahren offenbar ein Dorn im Auge ist, erklärt Eduard Klein.

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Das weiße Band ist eines der Hauptsymbole der Protestbewegung von 2011/2012. Es bringt die Kritik an den manipulierten Dumawahlen im Dezember 2011 und den Präsidentenwahlen im März 2012 zum Ausdruck und steht sinnbildlich für die in diesem Zusammenhang entstandene Forderung „Für saubere Wahlen“.

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Alexander Bastrykin zählt zu den zentralen Figuren in Putins Machtapparat und ist als Leiter des mächtigen Ermittlungskomitees eine der einflussreichsten Personen in Russland.

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