Trumps Wahlsieg hat in deutschen und internationalen Medien Anstoß zu zahlreichen Texten gegeben, die nach Gründen für seinen Aufstieg und für den Misserfolg von Hillary Clinton suchen. Die Autoren fragen sich, ob die politische Klasse noch eine gemeinsame Sprache mit der breiten Bevölkerung spreche, ob noch genug Verständnis für deren Probleme bestehe. Manche dieser Texte grenzen an Selbstkasteiung. Ganz so weit lässt es der kremlkritische Journalist Oleg Kaschin in seinem bissigen Stück für Republic nicht kommen, er begreift die US-Wahl und die riesige Debatte darum jedoch als Anschauungsobjekt: Da es in Russland schon jetzt nicht an Führungsfiguren nach Trumps Muster mangele, müsse die russische Öffentlichkeit doch auch etwas lernen können, oder?
Ein anrüchiger reicher Mann mit komischer Frisur, schlechtem Geschmack, schwieriger Reputation und einem seit langem und auf lange Sicht beschädigten Verhältnis zur Presse, mit junger Ehefrau von modelhaftem Äußeren – wie heißt der? Natürlich Igor Setschin; aber wenn Sie an jemand anders gedacht haben, etwa an Donald Trump, dann wäre das nicht verwunderlich. Solch einzigartige Typen gibt es nicht so viele auf der Welt. Die einen kommen in Mode, die anderen geraten aus der Mode, so ist das beim Film, so ist das im Showbusiness, so ist das in der Politik.
Russland erinnert sich noch, wie im Gefolge des ikonenhaften Lushkow in den Regionalregierungen das Standardgesicht „kerniger Wirtschaftsfunktionär“ auftauchte – und zügig die Helden der vorangegangenen Mode verdrängte, die Demokraten der ersten Welle –, bevor das Feld schließlich mit dem Amtsantritt Putins den wortkargen Silowiki und Bürokraten überlassen wurde. Moskau kann aber seine Standards nur nach unten, auf die Regionen übertragen, während es selbst, und mag sein Weg noch so „besonders“ sein, den globalen Trends ausgesetzt ist. Und da ist er schon: Trump, der neue globale Trend und eine echte Herausforderung. Welche Auswirkungen wird er auf die politische Mode in Russland haben?
Gemeinsames Zauberwort suchen
Einen russischen Trump zu finden, ist das Einfachste auf der Welt. Eine Kandidatur Igor Setschins wäre wohl die radikalste Variante, doch an seiner Stelle könnte stehen, wer will. Menschen, die in Russland heute an der Macht sind oder in deren Nähe, ähneln sich in vielem: Sie sind alle reich, sie sind – im Großen und Ganzen – alle Rednecks, und sie würden sich alle harmonischer ins Interieur des Casinos Trump Taj Mahal einpassen als in ein Co-Working Space im Silicon Valley. Der ideale russische Trump ist natürlich Wladimir Putin, den muss man nicht groß suchen, er ist eh ständig da und wird uns bei den nächsten Präsidentschaftswahlen erneut versprechen, Russland wieder groß zu machen. Soviel ist klar.
Interessanter ist die Gesellschaft. Im amerikanischen Wahlkampf schien über den gesamten Verlauf auch unsere gesellschaftliche Dauerdiskussion durch: Debatten über das Volk, das plötzlich zum größten Konservativen geworden sei, über die progressive Minderheit, dazu verdammt, massenhaft auf Unverständnis zu stoßen, über die Grenzen des Populismus und die Grenzen der ideologischen Flexibilität des Regimes – solche Diskussionen werden bei uns schon lange geführt. Und wenn die gleiche Debatte sich nun plötzlich am amerikanischen Objekt wiederholt, dann ist das doch eine hervorragende Gelegenheit, sich von der Seite zu betrachten. Wann war denn so etwas schon mal möglich?
Verweise auf die russischen Präsidentschaftswahlen von 1996 gelten vor dem Hintergrund dessen, was diesen Herbst in den amerikanischen Medien abging, längst als völlig unpassend. Wahrscheinlich ist der Vergleich insoweit unzutreffend, als dass der Wahlkampfsumpf für die Amerikaner ein Schauspiel von begrenzter Dauer war, während sich bei uns das Komplott von Regime und Presse gegen die Gesellschaft, dem im System keine Grenzen gesetzt sind, als unbefristet herausgestellt und in der Ära von „gekreuzigten Jungen“ zu ganz widerwärtigen Zuständen geführt hat. Auch ohne Bezug auf die Wahlen in Amerika ist es stets sinnvoll, sich daran zu erinnern, dass bei uns alles mit guten Absichten begann, als Journalisten sich in Reih und Glied stellten, um die Regierung vor dem unvernünftigen Wähler zu schützen. Bei uns wurde darüber seit zwanzig Jahren nicht reflektiert, und vielleicht ist das der Grund dafür, dass die hysterischsten Texte über den Tod der amerikanischen Demokratie derzeit eben auch auf Russisch geschrieben werden.
Das Jahr 1996 ist jedoch Geschichte, während 2011/2012 beispielsweise noch Gegenwart ist: Wir haben die Erfahrung einer Konfrontation der gutsituierten, protestierenden Moskauer Intelligenz mit dem Regime, das damals den breit angelegten Versuch unternahm, die Volksmassen auf seine Seite zu ziehen (oder diese Anziehung zu imitieren). Jetzt lieferte Amerika dem Bolotnaja-Platz von damals ein anschauliches Modell einer ebensolchen Konfrontation, bei der die Minderheit so sehr Recht haben mag, wie sie will, aber dennoch zur Niederlage verdammt ist. Es liegt auf der Hand: All jene, die in Russland irgendetwas erreichen wollen, sollten sich die amerikanische Suche nach jenem Zauberwort genau anschauen, mit dem man eine gemeinsame Sprache mit der Mehrheit finden kann. Es ist schwer zu sagen, welches dieses Wort sein könnte, aber eines steht fest: Es muss ehrlich sein und darf nicht von oben herab kommen.
Moment für Eingeständnisse
Das klassische „Russland, du bist wohl völlig durchgedreht“ nach den Wahlen (auch schon 1993, als die LDPR bei den Dumawahlen auf dem ersten Platz landete), das man heute paradoxerweise ins Englische übertragen kann, bedeutet und bedeutete im Grunde immer so etwas wie: „Wir dachten wir könnten die Meinung derer einfach ignorieren, die wir für Rednecks halten.“ Gerade ist wohl der Moment gekommen, sich einzugestehen, dass solche Formeln schäbig sind und man akzeptablen Ersatz für sie suchen sollte.
Und hier steckt das größte Paradoxon: So oder so werden es die Amerikaner sein, die etwas suchen, um das bestehende Verhältnis zwischen der „klugen“ Minderheit und der „dummen“ Mehrheit zu erneuern. Aus der Niederlage, die Trump dem linksliberalen Establishment beibrachte, müssen unbedingt Schlüsse gezogen werden. Lektionen werden gelernt und auf Englisch formuliert werden, und zwar auf den Seiten der gleichen Medien, die jetzt den ganzen Herbst Angst verbreitet haben vor Trumps möglichem Einzug ins Weiße Haus. Und dann wird unsere verwestlichte „kluge“ Minderheit, die nicht immer fähig ist, etwas eigenes hervorzubringen, die aber sehr sensibel für die weltweite intellektuelle Mode ist, die amerikanischen Schlussfolgerungen vielleicht lesen, sie als gegeben annehmen und sich mit ihnen rüsten. Es mag wohl eine naive Hoffnung sein, aber dennoch: Wenn ein Autor des New Yorker überlegt, wie man sich verhalten sollte, damit der Spießbürger in Oklahoma nicht zu Trump umschwenkt, dann könnte es auch innerhalb der russischen kreativen Klasse möglich werden, ein solches Gespräch mit Menschen in Nishni Tagil zu führen, damit man dort nicht verstört schaudert und denkt: Dann lieber Putin als die da.
Die Wahlen, die die amerikanische Intelligenz verloren hat, werden die Verlierer etwas lehren, woran sie bislang noch nicht gedacht hatten. Und auch die russischen Epigonen der amerikanischen Intelligenz werden dann etwas lernen. Wir haben genug eigene Trumps. Und es mangelt uns auch nicht an jenen, die überzeugend und detailliert darstellen, was für ein Pech sie doch hätten mit dem russischen Volk. Aber es mangelt uns an jenen, die mit der Volksmehrheit angemessen in deren Sprache sprechen können. In Amerika, so hat sich jetzt herausgestellt, gibt es ein ähnliches Problem, aber das werden sie wohl lösen. Und wir werden bei ihnen abgucken. Und es auch bei uns lösen.