Es macht einen Unterschied, ob jemand über ein Land schreibt oder aus diesem heraus berichtet – insbesondere, wenn dieses Land das eigene ist und sich im Krieg befindet: In einer Kolumne für die Ukrajinska Prawda berichtet die ukrainische Journalistin Alina Poljakowa über einen Austausch mit Kolleginnen und Kollegen in europäischen Redaktionen, über typische Fragen zu Korruption und Pressefreiheit in der Ukraine sowie das Schreiben über die Heimat im Überlebenskampf.
Journalisten berichten im März 2022 über die Folgen eines Beschusses der Stadt Wassylkiw bei Kyjiw / Foto © Imago, NurPhoto
In den letzten anderthalb Monaten habe ich mit meinen ukrainischen Kollegen 18 Redaktionen ausländischer Medien in sechs europäischen Ländern besucht und mit mehr als hundert ausländischen Kollegen gesprochen.
Wir wurden gefragt: „Wie können wir die Berichterstattung über die Ukraine in unseren Medien verbessern?“ oder „Auf welche anderen Themen sollten wir die Aufmerksamkeit lenken?“ Sie boten uns an, etwas gemeinsam zu machen, und haben uns für die Arbeit gedankt.
An anderer Stelle wurden komplexe und wichtige Fragen aufgeworfen, auf die ich weiter unten eingehen werde, und wieder woanders wurde Propaganda beklagt.
Korruption in der Ukraine
Beginnen wir mit den Fragen. Zur Korruption in der Ukraine wurden am häufigsten Fragen gestellt. Definitiv war diese Frage in allen drei deutschen Redaktionen zu hören.
Meine Kollegen und ich haben es sogar geschafft, einen internen Witz darüber zu machen, denn in jeder dieser Redaktionen mussten wir das Gleiche wiederholen: Alle Recherchen zur Korruption in der Ukraine in den letzten gut zwei Jahren wurden von ukrainischen Journalisten veröffentlicht – man denke nur an die Eier für 17 Hrywnja oder an die türkischen Jacken. Und, vor allem: Es hatte Konsequenzen. Die Leute verloren ihre Positionen.
Als wir gefragt wurden, ob es deswegen interne Konflikte gebe, ob solche Stücke während des Krieges publiziert werden sollen, waren sich alle einig, dass das Thema behandelt gehört, wenn es gesellschaftlich wichtig ist und die Situation im Land verbessern kann.
Natürlich wurde auch nach Verfolgung gefragt: etwa die Überwachung von Journalisten von Bihus.info und Einberufung als Rache für die Journalisten von Slidstvo.info. Unsere internen Angelegenheiten sind nicht so intern, was übergangslos zur nächsten Frage führt.
Meinungsfreiheit
Auch das Thema Meinungs- und Pressefreiheit in der Ukraine stand ganz oben. Nicht zuletzt wegen der beiden oben beschriebenen Fälle.
Stellenweise klang es auch ein wenig ungläubig: „Könnt ihr überhaupt während des Kriegsrechts über alles schreiben?“ Wo sich herauslesen ließ: „Können wir Euch, den ukrainischen Medien, vertrauen?“ Auch das Thema Objektivität tauchte mehr als einmal auf.
Aber seltsamerweise fühlen sich die Medien in der Ukraine meiner persönlichen Wahrnehmung nach während des Krieges freier an als in Ungarn ohne den Krieg. Zwei der drei Medien, die wir dort besucht haben, hatten ihren Sitz in gemieteten oder gekauften Wohnungen, weil es für sie schwierig ist, überhaupt ein Büro zu mieten. Und Geschichten wie die über UMH und Kurtschenko trifft man dort oft an.
Obwohl wir noch viel vor uns haben, wenn wir uns beispielsweise an den Telemarathon oder die Situation mit Ukrinform erinnern.
Verhandlungen
Am Vorabend des Friedensgipfels [am 15./16. Juni in der Schweiz – dek] gab es viele Fragen über Frieden und Verhandlungen. „Unsere Leser wollen wissen, wohin das alles führt“, hieß es.
Also, ich würde auch gerne wissen, wohin das führt. Aber bisher mussten wir in jeder Redaktion, in der das gefragt wurde, über Minsk 1, Minsk 2 und die „Position der Stärke“ als einzig möglicher Option für die Ukraine sprechen, in der die Ukraine in solche Verhandlungen eintreten kann. Vorausgesetzt, dass auch Russland das will. Russland zeigt jedoch keine Anzeichen der Bereitschaft dazu, sondern versucht nur, so viel wie möglich zu zerstören.
Reisen in die besetzten Gebiete
Was in den besetzten Gebieten passiert, ist sowohl für ausländische als auch für ukrainische Medien von Interesse. Der einzige Unterschied ist, dass es für ukrainische Journalisten einfach unmöglich ist, dorthin zu fahren, weil wir wissen, was das für Folgen haben kann. Einige ausländische Journalisten fragen sich, ob es für sie möglich ist.
Im Laufe der Gespräche sind wir zu dem Schluss gekommen, dass die überwiegende Mehrheit von ihnen nicht gegen die Gesetze der Ukraine verstoßen will, und genau das würde passieren, wenn sie zum Beispiel von Russland aus auf das Territorium der Krim einreisen würden, was jetzt die einzige Option ist.
Sie würden auch ihre Russland-Korrespondenten nicht dorthin schicken (die sie immer noch haben), weil sie verstehen, dass die Realität und das, was sie vor Ort zeigen dürfen, sehr unterschiedlich sein kann. So geschehen zum Beispiel bei dem Journalisten des ZDF.
Nicht synchron
Und obwohl wir in den meisten Fällen mit allen eine gemeinsame Basis und eine gemeinsame Sprache fanden, selbst als es um „gute Russen“ (!) ging, kamen unsere Meinungen in einigen Fällen nicht überein.
Das anschaulichste Beispiel ereignete sich auf einem Diskussionspanel mit einem spanischen Fotografen, der acht Jahre lang den Einmarsch Russlands in die Ukraine einen „Bürgerkrieg“ genannt hatte, während er auf der Krim und im Donbas fotografierte, dem aber 2022 anscheinend alles klar wurde.
Die Gedanken, die er in dem ihm eigenen Ton weiter äußerte, veranlassten mich und meine Kollegen schließlich, den Raum zu verlassen, was er mit den Worten kommentierte: „Das ist es, was Propaganda von Journalismus unterscheidet.“
Wenn man dich Propaganda nennt, dann berührt dich das emotional.
In solchen Momenten möchte ich gerne sehen, wie diese Leute arbeiten würden, wenn der Krieg in ihr Land kommt.
Denn es ist eine Sache, nach Libyen, Syrien oder in die Ukraine zu fahren, um eine Pulitzer-Preis-würdige Geschichte zu finden.
Eine andere Sache ist es, Berichterstattung über die Folgen des Beschusses deiner Heimatstadt zu machen, von Orten zu berichten, an denen deine Freunde möglicherweise getötet worden sind, Kollegen in den Krieg zu verabschieden und Freunde und Verwandte zu begraben.
Ein bisschen spät zum „Tag des Journalisten“, und dennoch möchte ich meinen ausländischen Kollegen danken, die weiterhin über den Krieg in der Ukraine berichten, und natürlich unseren ukrainischen Kollegen, die einfach keine andere Wahl haben.
Unsere Aufgabe ist es, die Wahrheit lauter zu schreien als die russische Propaganda schreit.
Machen wir also weiter.