Video #7: Kalaschnikow als „kulturelles Markenzeichen Russlands“
—
15.12.2017 von
Am 19. September 2017 wurde in Moskau ein neues Denkmal eröffnet – für Michail Kalaschnikow, den Konstrukteur der meistverbreiteten Feuerwaffe der Welt, der AK-47. Bei der feierlichen Einweihungszeremonie wählte Kulturminister Wladimir Medinski Worte, die im Anschluss für Diskussionen sorgten.
„Jede Waffe ist todbringend. Wenn man sie nicht zu Verteidigungszwecken einsetzt, wird sie zu einem gefährlichen widersprüchlichen Instrument”, so der Erfinder des berühmten Sturmgewehrs Michail Kalaschnikow kurz vor seinem Tod. Am 10. November wäre er 101 Jahre alt geworden.
Kalaschnikow blicke auf seine berühmte Schöpfung „wie auf ein Kunstwerk, zum Beispiel eine Stradivari-Geige“ – so beschreibt der Bildhauer Salawat Schtscherbakow die Bildsprache des von ihm geschaffenen Denkmals. Am 19. September 2017 wurde es feierlich im Zentrum Moskaus enthüllt.1
Vorangegangen waren Diskussionen darüber, dass es zynisch sei, die am weitesten verbreitete Feuerwaffe der Welt in einem Denkmal zu verewigen.2 Schließlich habe sogar Michail Kalaschnikow selbst – eineinhalb Jahre vor seinem Tod im Jahr 2013 – Abbitte geleistet: Er hatte an den Patriarchen Kirill geschrieben und ihm vom „unerträglichen Seelenschmerz“ berichtet – sei er doch indirekt verantwortlich für den Tod von so vielen Menschen.3
Kirill erlöste den Waffenkonstrukteur – schließlich habe dieser die Waffe nur zur „Verteidigung des Vaterlandes“ konstruiert. Der Patriarch gratulierte dem Büßer zum Tag des Sieges und betonte, dass Kalaschnikows Beitrag zur Erlangung des „Großen Sieges immer in der Erinnerung dankbarer Nachkommen leben wird“.4
Es bleibt verborgen, was Kirill mit dem „Großen Sieg“ meinte: Schließlich verweist die Bezeichnung von Kalaschnikows Schöpfung AK-47 (Awtomat Kalaschnikowa obrasza 1947, dt. Kalaschnikows automatisches Gewehr, Modell 1947) auf ihr Geburtsjahr 1947 – also auf ein Datum zwei Jahre nach dem „Großen Sieg“im Großen Vaterländischen Krieg.
Da weder die Sowjetunion noch Russland danach Verteidigungskriege führten, bleibt auch schleierhaft, was Kirill mit „Verteidigung des Vaterlandes“ meinte. Vielleicht ja den Kalten Krieg, vor dessen Hintergrund die Kalaschnikow zu einem festen Bestandteil politischer Ikonographie wurde – nicht nur in Russland.
Irgendwas war schiefgelaufen, als die linksextremistische RAF an ihrem Logo bastelte: Am Ende prangte darauf die Maschinenpistole MP 5 von Heckler & Koch – Standardwaffe der bundesdeutschen Polizei, die für die RAF mitunter den Klassenfeind verkörperte.5 Eigentlich hätte es eine Kalaschnikow sein müssen – wie auch bei vietnamesischen und kubanischen Kommunisten, die sich dem Kampf gegen Kapitalismus und Imperialismus verschrieben hatten.
Diese Episode verdeutlicht, dass sich an der symbolischen Wirkung der AK-47 bereits 1971 die Geister schieden. Für die einen ist sie Symbol für Terrorismus, Kriege in Entwicklungsländern und Kindersoldaten, die kaum größer sind als das Maschinengewehr. Die anderen assoziieren sie mit Unabhängigkeit, Widerstand gegen Kolonialismus, Imperialismus und kapitalistische Unterdrücker.
Die AK-47 prangt auf der Staatsflagge Mosambiks und ziert die Wappen Simbabwes und Osttimors. Die kolumbianische Guerillabewegung FARC trägt es genauso im Logo wie die palästinensische Hisbollah und das Freiwilligenkorps der rechtsradikalen Formation Prawy Sektor aus der Ukraine. Russia Today verweist in seinem Lexikon Russiapedia darauf, dass in Afrika Kinder Kalash genannt werden,6 und Narcocorridos (mexikanische Drogen-Balladen) besingen die Waffe als Ziegenhorn – wegen des gebogenen Magazins.7
Abgekupfert?
Doch ist die Kalaschnikow tatsächlich eine Konstruktion Kalaschnikows? Eben wegen des gebogenen Magazins und anderer äußerer Ähnlichkeiten mit dem deutschen Sturmgewehr 44 kursiert seit den 1950er Jahren die Hypothese, dass nicht Michail Kalaschnikow der eigentliche Schöpfer der Waffe sei, sondern der deutsche Waffenkonstrukteur Hugo Schmeisser. Dieser wurde nach dem Krieg zwangsweise als Spezialist für Waffentechnik in die Sowjetunion gebracht und hatte dort bis 1952 in einer Waffenfabrik in Ishewsk gearbeitet.
Die Quellenlage zu seiner dortigen Arbeit ist dürftig, da sich die Ähnlichkeiten seines Sturmgewehrs 44 mit dem Sturmgewehr AK-47 aber vor allem auf das Äußere beschränken, sehen Waffenspezialisten die Kalaschnikow als eine weitgehende Eigenleistung des sowjetischen Waffenkonstrukteurs.8
Ishewsk
Gestützt wird diese Argumentation auch dadurch, dass Kalaschnikow erst 1948 nach Ishewsk kam – demnach konnte er Schmeisser erst nach der Entwicklung seiner AK-47 kennengelernt haben. Wie dem auch sei, 1948 fingen die Ishmasch-Werke in Ishewsk mit der Massenproduktion der AK-47 an. Die Stadt im Ural avancierte alsbald zu einem wichtigen Industriezentrum, bekam das Label Hauptstadt der Rüstung und den Ehrentitel Stadt des Arbeitsruhms.
Im Laufe der Zeit wird die Waffe immer weiter entwickelt, insgesamt verlassen über 70 Millionen Exemplare die Fabrik in Ishewsk. Hinzu kommen die lizensierten Kalaschnikows, die befreundete Länder der Sowjetunion oft kostenlos herstellen durften. Schließlich wird das Gewehr auch ohne Lizenz kopiert, sodass mit den Jahren insgesamt schätzungsweise rund 100 Millionen Exemplare in Umlauf kommen.9 Andere Schätzungen gehen von der doppelten Menge aus10, jedenfalls ist die Kalaschnikow sowie ihre Nachbauten und Derivate die am weitesten verbreitete Feuerwaffe der Welt.11
Weapon of choice
Die Beliebtheit der Waffe erklärt sich aus ihrer Verlässlichkeit, ihrer Einfachheit und ihrem Preis. Vor allem Letzterer ist dafür ausschlaggebend, dass die Kalaschnikow als weapon of choice bei den Kriegen und bewaffneten Konflikten in Entwicklungsländern zum Einsatz kommt. Manche Exemplare waren auf afrikanischen Märkten in den Jahren 1986 bis 2005 schon für zwölf US-Dollar erhältlich12; mit höherer Nachfrage stiegen auch die Preise – in Syrien musste man von 2011 bis 2013 beispielsweise mindestens 2100 US-Dollar für eine Kalaschnikow auf den Tisch legen.13
Nimmt man also an, dass die Kalaschnikow die am weitesten verbreitete Feuerwaffe ist, und dass sie vor allem in Konfliktregionen zum Einsatz kommt, in denen weltweit die meisten Menschen durch Schusswaffen umkommen14, dann ist der Schluss naheliegend, dass sie auch die mengenmäßig tödlichste Feuerwaffe ist.
Bescheidenheit
Vielleicht war es ja eine solche Wahrscheinlichkeitsrechnung, die Kalaschnikow 2013 zu seinem Büßerbrief an den Patriarchen bewegt hatte. Einige Monate nach seiner Erlösung durch Kirill verstarb der 94-Jährige in Ishewsk. Die Waffenschmiede Ishmasch wurde ihm zu Ehren in Konzern Kalaschnikow umbenannt. Heute rühmt sich der Konzern, der mehrheitlich zu Rostec gehört, 95 Prozent aller Kleinwaffen Russlands zu produzieren.15
Die staatsnahen Medien zeichnen Michail Kalaschnikow als einfachen Mann von nebenan.16 Er sei sehr bescheiden gewesen, genauso anspruchslos wie seine Schöpfung. Nicht einmal die Rechte an der Handelsmarke Kalaschnikow wollte er zu Geld machen – als „wirklicher Patriot hat er kein Wort über eine Bezahlung dafür verloren“, so der ehemalige Direktor von Ishmasch/Konzern Kalaschnikow Konstantin Bussyrgin.17
Heute wird unter der Marke Kalaschnikow auch Bekleidung vertrieben, unter anderem erhältlich im neuen Kalaschnikow-Shop am Moskauer Flughafen Scheremetjewo.18 Der mit höchsten Ehrentiteln des Landes dekorierte Waffenkonstrukteur wurde in Russland zu einer Legende.19 Mehrmals traf er sich mit Putin, angeblich soll im Gespräch mit Kalaschnikow Putins Idee für die Einführung eines Tags des Büchsenmachers entstanden sein.20
Zur fünften Begehung dieses Feiertags am Tag des Erzengels Michael – dem in Russland mitunter als Heerführer der himmlischen Scharen verehrten Heiligen – weihte Russlands Kulturminister Wladimir Medinski das Kalaschnikow-Denkmal am Moskauer Gartenring ein. Der Bildhauer Salawat Schtscherbakow betonte, dass sein Werk genau dem entspreche, was der Mensch Kalaschnikow verkörperte – Bescheidenheit.21Das Denkmal ist rund sieben Meter hoch.
Im 3D-Kino den Sturm auf Berlin erleben, am Schießstand den Rückschlag einer Kalaschnikow – Dimitri Okrest schildert auf Snob seine Eindrücke vom neuen Freizeitpark der russischen Armee.
Gleich zu Beginn seines Wehrdiensts wurde Jewgeni drei Mal zusammengeschlagen. Ein paar Monate später machte er selbst mit beim Verdreschen seiner Kameraden. Eine Meduza-Reportage über Misshandlungen unter Soldaten..
Um den 20. Februar 2014 eskalierten die Ereignisse auf dem Kiewer Maidan. Welche Rolle spielten dabei Schüsse von Maidan-Aktivisten auf die Regierungskräfte? Ein brisantes Interview, das im russischen wie im ukrainischen Internet für Aufruhr sorgte.
„Worin liegt die Kraft, Bruder?“ – so lautete im Russland der 1990er Jahre die Schlüsselfrage. Christine Gölz über den Kultfilm Brat (Der Bruder), einen neuen Volkshelden und eine gefährliche Antwort, mit der sich die Hauptfigur Danila Bagrow in der neuen Gesellschaft behaupten will.
In Kubinka bei Moskau stellen Rollenspieler die Schlacht um Berlin nach. Ilja Milschtein darüber, warum derartige Aktionen eher helfen, die Vergangenheit zu vergessen.
Der Krimkrieg (1853–1856) war eine militärische Auseinandersetzung zwischen Russland und einer Koalition aus dem Osmanischen Reich, Frankreich, Großbritannien sowie Piemont-Sardinien, die aus konkurrierenden Territorialansprüchen in Südosteuropa entstand. Russland erlitt eine verlustreiche Niederlage, die der Staatsführung die technologische und soziale Rückständigkeit des Landes vor Augen führte. Gleichwohl werden mit dem Krimkrieg bis heute heroische Motive der aufopfernden Verteidigung der Stadt Sewastopol verknüpft.
weitere Gnosen
Um unser Webangebot stetig zu verbessern, nutzen wir Cookies. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung. Sind Sie mit der Verwendung von Cookies einverstanden?