Dossier

Afghanistan-Krieg: 30 Jahre Truppenabzug

Am 15. Februar 1989, als der letzte sowjetische Konvoi die sogenannte „Freundschaftsbrücke“ zwischen der UdSSR und Afghanistan überquerte, war der zehnjährige Afghanistan-Krieg zu Ende. Die Folge waren hunderttausende Opfer in der afghanischen Bevölkerung, mehrere Millionen mussten aus dem Land fliehen. Die Sowjetunion verlor circa 15.000 Soldaten, mehr als 54.000 wurden verwundet und die Gesellschaft war dauerhaft traumatisiert.

Zum 30. Jahrestag des Truppenabzugs veröffentlicht dekoder in Kooperation mit dem Institut für Geschichtswissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin ein Dossier. Eine Gnose gibt einen Überblick über den Krieg, ein Visual zeigt den Afghanistan-Krieg, wie ihn der russische Zeitungsleser wahrgenommen hat, eine historische internationale Presseschau bildet die breite Palette an Meinungen ab, die der Truppenabzug hervorgerufen hat, und eine Gnose über die Erinnerung an den Krieg thematisiert die Veränderung der offiziellen und nicht offiziellen Diskurse zu diesem Krieg.

Inhalte

Gnose

Erinnerung an den Afghanistan-Krieg

Mit dem Abzug der letzten Rotarmisten am 15. Februar 1989 endete die zehnjährige militärische Intervention der Sowjetunion in Afghanistan. Doch um die Deutungshoheit wird weiterhin gerungen: Heroischer Einsatz für das Vaterland oder sinnloses Sterben in einem fernen Land? Eine Gnose über die schwierige Aufarbeitung eines zentralen Ereignisses der Perestroika.

Gnose

Afghanistan-Krieg

Das militärische Eingreifen der Sowjetunion in Afghanistan dauerte von 1979 bis 1989 an. In der sowjetischen Armee dienten neben den Eliteeinheiten vor allem junge Wehrpflichtige. Auf der sowjetischen Seite wurden 15.000 Soldaten getötet und 54.000 verwundet. Der Krieg führte bei der Bevölkerung zu einem Trauma, das bis heute nachwirkt und die Deutung des aktuellen Einsatzes der russischen Luftwaffe in Syrien nicht unerheblich beeinflusst.

Dieses Dossier ist im Rahmen eines Lehrprojekts an der Humboldt-Universität zu Berlin unter der Leitung von Robert Kindler entstanden. Das Vorhaben wurde vom bologna.lab der HU Berlin finanziell unterstützt.

Gnosen
en

Afghanistan-Krieg

Das militärische Eingreifen der Sowjetunion in Afghanistan dauerte von 1979 bis 1989 an. In der sowjetischen Armee dienten neben den Eliteeinheiten vor allem junge Wehrpflichtige. Auf der sowjetischen Seite wurden 15.000 Soldaten getötet und 54.000 verwundet. Der Krieg führte bei der Bevölkerung zu einem Trauma, das bis heute nachwirkt und die Deutung des aktuellen Einsatzes der russischen Luftwaffe in Syrien nicht unerheblich beeinflusst.

Bevor die sowjetischen Truppen Ende 1979 in Afghanistan einmarschierten, sprach nichts dafür, dass dieser entlegene Landstrich für die nächsten Jahrzehnte die internationale Aufmerksamkeit auf sich ziehen würde. Für die USA war das Land weder wirtschaftlich noch geostrategisch von besonderem Interesse. Und es gehörte in der Topographie des Kalten Krieges als direkter Nachbar unangefochten in die Einflusssphäre der Sowjetunion.1

Enge Beziehungen

Die Beziehungen zwischen der Sowjetunion und Afghanistan waren seit den 1950er Jahren entsprechend eng: die UdSSR leistete Wirtschaftshilfe, sowjetische Experten arbeiteten in Afghanistan und auch im Bildungssektor gab es enge Kooperationen. Diese stabile Konstellation zerbrach mit dem Sturz des Königs und der Machtergreifung der Demokratischen Volkspartei (DVPA) im Jahre 1978. Die Partei, die 1965 gegründet und von Nur Mohammad Taraki geführt wurde, pflegte bis zu ihrer Machtergreifung enge Kontakte zu Moskau. Von den Umsturzplänen war die Sowjetunion jedoch nicht unterrichtet gewesen.

Laut den Protokollen der Politbürositzungen beobachtete die sowjetische Führung mit großer Sorge die brutalen Reformen, die den Anspruch hegten, das Land nach sowjetischem Vorbild umzustrukturieren.2 Bezeichnend ist die Bewertung des Landes, die der KGB-Chef Juri Andropow im März 1979 in einer Sitzung des Politbüros geäußert hat: „Dass in Afghanistan heute der Sozialismus noch nicht die Antwort auf alle Probleme des Landes sein kann, steht außer Frage. Die Wirtschaft ist rückständig, fast die gesamte Landbevölkerung kann weder lesen noch schreiben, und die islamische Religion besitzt entscheidenden Einfluss.“3 Auch in der afghanischen Bevölkerung stieß das neue Terrorregime auf starken Widerstand; zudem war es durch Auseinandersetzungen innerhalb der Führungsspitze gespalten. In diesen bürgerkriegsähnlichen Zuständen folgte im Herbst 1979 ein weiterer Putsch, bei dem Taraki von seinem Stellvertreter Hafizullah Amin ermordet wurde.4

Verbreitung des Kommunismus vs. Grenzsicherung

Die sowjetischen Truppen überschritten am 25. Dezember 1979 die Grenze zu Afghanistan und brachten das Regime unter ihre vollständige Kontrolle.5 Dabei wurde Amin von Spezialkräften getötet und eine neue Regierung unter Babrak Karmal installiert. Diese Aktion war die größte Militäroperation der Sowjetunion nach dem Zweiten Weltkrieg. Die sowjetischen Truppen sicherten schnell die Städte und strategischen Punkte, aber die Intervention rief auf der afghanischen Seite einen „Heiligen Krieg“ (Dschihad) hervor. Die aus unterschiedlichsten Gruppierungen zusammengesetzten Mudschaheddin6 führten den Krieg aus den unzugänglichen Gebirgsregionen Afghanistans und des angrenzenden Pakistans. Sie verfügten weder über eine zentrale Führung noch über moderne Waffen, trotzdem waren sie durch ihre enorme Ortskenntnis den sowjetischen Einheiten überlegen. Ab 1986 bekamen sie tragbare Luftabwehrsysteme vom Typ „Stringer“ von den USA geliefert, was als Wendepunkt des Krieges gilt. Es gelang den Mudschaheddin, immer mehr ländliche Gebiete unter ihre Kontrolle zu bringen.

Die neueste Forschung geht immer mehr davon aus, dass es der sowjetischen Führung in diesem Konflikt weniger um die vor allem von den Zeitgenossen unterstellte Verbreitung des Kommunismus gegangen sei, sondern um die Sicherung ihrer südlichen Grenzen. Die zehnjährige Besetzung Afghanistans erfolgte in einer Phase der Verschärfung des Kalten Krieges, in die auch der Nato-Doppelbeschluss fiel, was die Lösung des Konflikts erschwerte. Erst ab 1985 unter den Vorzeichen der Glasnost durften die sowjetischen Medien über den Einsatz berichten. Gorbatschow bemühte sich um eine politische Lösung, aber erst am 14. April 1988 wurde das Genfer Abkommen unterzeichnet. Darin verpflichtete sich die Sowjetunion, bis zum 15. Februar 1989 die Truppen abzuziehen.

Tiefes Trauma

Der Krieg führte zu einer Massenflucht der afghanischen Bevölkerung, zur Zerstörung des Landes und, nach dem Abzug der sowjetischen Truppen, zum Bürgerkrieg. Auf der sowjetischen Seite hinterließ der Krieg ein tiefes Trauma, symbolisiert durch zurückkehrende Särge mit getöteten Soldaten, die unter der militärischen Bezeichnung Fracht 200 bekannt sind.
Die fehlende Berichterstattung und die unklaren Ziele des Krieges, der mit sehr hohen Verlusten und aus Sicht der Bevölkerung „irgendwo am Ende der Welt“ geführt wurde, verdeutlichte, dass das System im Kern marode war und führte zu einer Delegitimierung der staatlichen Führung.
Die große Zahl der durch die Kampfhandlungen traumatisierten und nach ihrem Ausscheiden nicht weiter betreuten ehemaligen Kriegsteilnehmer stellte ein soziales Problem dar. Viele von ihnen ließen sich von Kampftruppen anwerben oder gerieten ins Räderwerk der organisierten Kriminalität.

Kulturelle Aufarbeitung fand das Thema unter anderem in bekannten Filmen wie 9 Rota (Die Neunte Kompanie, 2005) von Fjodor Bondartschuk oder Grus 200 (Fracht 200, 2007) von Alexej Balabanow sowie im Buch Zinkjungen von Swetlana Alexijewitsch (erschienen 1992). Auch in der Popmusik wurde der Krieg häufig thematisiert, unter anderem von den Bands Kino, DDT, Alisa und Nautilus Pompilius. Bis heute wird der Krieg in Afghanistan offiziell lediglich als „Entsendung eines begrenzten Kontingents“ bezeichnet.


1.Gibbs, David N. (2006): Die Hintergründe der sowjetischen Invasion in Afghanistan 1979, in: Greiner, Bernd / Müller, Christian Th. (Hrsg.): Heiße Kriege im Kalten Krieg, Hamburg, S. 291-314
2.Schattenberg, Susanne (2014): Der Militäreinsatz in Afghanistan 1979, in: dies. (Hrsg.): Sowjetunion II – 1953–1991: Informationen zur politischen Bildung 323, S. 39
3.Wilson Center Digital Archive: Sitzung des Politbüros am 17. März 1979
4.Dorronsoro, Gilles (2005): Revolution Unending: Afghanistan: 1979 to the Present, London
5.1000dokumente.de: Der Einmarsch der sowjetischen Truppen in Afghanistan: Beschluss des CK der KPSS, Nr. P 176/125, 12. Dezember 1979
6.Das Wort Mudschaheddin bezeichnet jemanden, der für den „Heiligen Krieg“ kämpft, um damit den Islam zu schützen. Eine breite Verwendung fand der Begriff während der sowjetischen Besatzung Afghanistans. Seitdem verwenden die Angehörigen islamischer Guerilla-Gruppen den Begriff als Eigenbezeichnung.
dekoder unterstützen
Weitere Themen
Gnose

Leonid Breshnew

Am 19. Dezember vor 115 Jahren ist Leonid Breshnew (1906-1982) als Sohn eines Metallarbeiters geboren.  Von 1964 bis 1982 prägte er als erster Mann im Staat fast zwei Jahrzehnte lang das Geschehen der Sowjetunion. Seine Herrschaft wird einerseits mit einem bescheidenen gesellschaftlichen Wohlstand assoziiert, gleichzeitig jedoch auch als Ära der Stagnation bezeichnet.

Gnose

Auflösung der Sowjetunion

Heute vor 31 Jahren trafen sich die Staatsoberhäupter von Russland, Belarus und der Ukraine und vereinbarten, die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten zu gründen. Damit besiegelten sie faktisch das Ende der Sowjetunion. Welche Dynamiken damals die einstige Supermacht zum Zerfall brachten, skizziert Ewgeniy Kasakow.

 

Gnose

Erinnerung an den Afghanistan-Krieg

Mit dem Abzug der letzten Rotarmisten am 15. Februar 1989 endete die zehnjährige militärische Intervention der Sowjetunion in Afghanistan. Doch um die Deutungshoheit wird weiterhin gerungen: Heroischer Einsatz für das Vaterland oder sinnloses Sterben in einem fernen Land? Eine Gnose über die schwierige Aufarbeitung eines zentralen Ereignisses der Perestroika.

Gnose

Großer Vaterländischer Krieg

Als Großen Vaterländischen Krieg bezeichnet man in Russland den Kampf der Sowjetunion gegen Hitlerdeutschland 1941–1945. Der Begriff ist an den Vaterländischen Krieg gegen Napoleon im Jahr 1812 angelehnt. Galt der Sieg über den Faschismus offiziell zunächst als ein sozialistischer Triumph unter vielen, wurde er seit Mitte der 1960er Jahre zu einem zentralen Bezugspunkt der russischen Geschichte.

weitere Gnosen
Ein kurzer Augenblick von Normalität und kindlicher Leichtigkeit im Alltag eines ukrainischen Soldaten nahe der Front im Gebiet , © Mykhaylo Palinchak (All rights reserved)