Krieg oder Hilfseinsatz? Intervention oder Internationalistische Pflicht? Verbrüderung oder Gewaltexzess? Es gibt viele Perspektiven auf die sowjetische Präsenz in Afghanistan, die von 1979 bis 1989 dauerte. Doch welches Bild hatten die zeitgenössischen SowjetbürgerInnen von diesem Krieg? Die meisten unter ihnen waren angewiesen auf den offiziellen Blick, der in der zensierten Staatspresse festgehalten wurde. Zugleich beobachteten sowjetische Fotojournalisten vor Ort aber auch das, was in den Zeitungen nicht abgedruckt werden konnte.
Zum 30. Jahrestag des Abzugs der sowjetischen Truppen aus Afghanistan bringt dekoder in Kooperation mit dem Institut für Geschichtswissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin Fotos aus dem Fundus der staatlichen Fotoagentur MIA Rossija Segodnja (ehemals RIA Nowosti), einzelne davon wurden in der Zeitung Prawda veröffentlicht. Sie geben Einblicke in eine widersprüchliche sowjetisch-afghanische Geschichte und machen die Grenzen des Zeigbaren deutlich.
„Aufbauhilfe“ und „Modernisierungsmaßnahmen“ – das waren die Schlagworte, die mit der sowjetischen militärischen Präsenz im Nachbarstaat Afghanistan in Verbindung gebracht wurden. Die UdSSR schickte Soldaten und zivile ExpertInnen in das Land am Hindukusch, um es auf seinem Weg zum Kommunismus nach sowjetischem Vorbild zu unterstützen. Fabriken wurden gebaut, Wasserversorgungsanlagen installiert, Lehrkräfte ausgebildet, und es wurde humanitäre Hilfe geleistet. So lautete die eine, die offizielle Erzählung über den sowjetischen Einsatz in Afghanistan.
Statt blutigen militärischen Auseinandersetzungen, zerstörten Gebäuden und Aufnahmen von Toten und Verletzten sahen LeserInnen der Prawda (dt. Wahrheit) sowjetische und afghanische Ingenieure, die die Satelliten-Bodenstation besprechen, oder eine Ärztin, die die afghanischen Dorfbewohner untersucht. Denn die sowjetische Führung musste den Einsatz innen- wie außenpolitisch legitimieren. Die in den Staatsmedien gezeigten Fotografien zeugten von politischer Zusammenarbeit und inszenierten die Soldaten auf heroische Art und Weise. Beliebte Sujets waren überdies die Emanzipation der Frau, Alphabetisierungsprojekte und der wirtschaftliche Aufschwung. Neben Szenen der Brüderlichkeit und Motiven einer gemeinsamen sozialistischen Idee, wurden von den Fotografen besonders die Momente des Gegensätzlichen festgehalten: Scheinbar rückständigen Lebensverhältnissen wurden Symbole des sowjetischen Fortschritts gegenübergestellt.
Mit der Perestroika und Glasnost unter Michail Gorbatschow nahm die Kritik an der Intervention zu. Damit erweiterten sich auch die Grenzen des Sagbaren in der sowjetischen Öffentlichkeit. Doch gerade deshalb war es wichtig, die visuelle Gestalt des Krieges und insbesondere die Bilder des Abzugs der letzten sowjetischen Truppen am 15. Februar 1989 besonders wirkmächtig zu inszenieren. Mit den kanonischen Aufnahmen der sowjetischen Panzer auf der „Brücke der Freundschaft“ endete das Bildnarrativ eines erfolgreich geführten Hilfseinsatzes.
In Afghanistan fingen Fotografen auch solche Szenen ein, die in der UdSSR nicht veröffentlicht werden konnten. Doch selbst aus vermeintlichen Propagandabildern können bei genauerem Hinsehen unterschiedliche Geschichten herausgelesen werden. Die Vielschichtigkeit der Narrative spiegelte sich auch in der sowjetischen Bildpolitik wider. Damit reflektieren die Bilder aus dem Krieg auch die widersprüchlichen Haltungen über diesen Krieg – eine Debatte, die mit dem Abzug nicht endete, sondern bis heute anhält.
Zum Weiterlesen:
Mirschel, Markus (2019): Bilderfronten: Die Visualisierung der sowjetischen Intervention in Afghanistan 1979-1989, Köln
Fotos: MIA Rossija Segodnja
Text: Mara Bolzern, Sophia Freitag, Nicola Wündsch
Fotorecherche und -auswahl: Mara Bolzern, Sophia Freitag, Nicola Wündsch
Bildredaktion: Andy Heller
Wir danken Markus Mirschel für seine Hinweise bei der Erstellung dieses Visuals.
Veröffentlicht am 15.02.2019