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Presseschau № 32: Fußball-Hooligans

Die UEFA hat durchgegriffen: Nachdem russische Fans am Samstag beim EM-Fußballspiel Russland gegen England randaliert und englische Fans heftig attackiert hatten, verhängte die UEFA nun eine Geldstrafe von 150.000 Euro. Kommt es erneut zu Zwischenfällen, wird die russische Mannschaft disqualifiziert.

Etwa 150 russische Hooligans hatten nach dem EM-Spiel englische Fans im Stadion von Marseille attackiert, schon vor dem Spiel kam es zu Ausschreitungen. Ein Engländer schwebte danach in Lebensgefahr.

In russischen Medien war nach den Hooligan-Attacken vor allem über die Äußerungen des stellvertretenden Duma-Vorsitzenden und Vorstandsmitglieds des Allrussischen Fußballverbands RFS Igor Lebedew diskutiert worden. Еr hatte die Hooligans auf Twitter in Schutz genommen: „Ich kann nichts Schlimmes an kämpfenden Fans finden. Im Gegenteil, gut gemacht, Jungs. Weiter so!“

So gab es auch Stimmen, die die Schuld nicht bei den gewalttätigen Hooligans, sondern bei westlichen Provokateuren sahen. Debattiert wurde auch, ob die Randalierer vom russischen Staat gesteuert seien – oder eben einfach Hooligans wie deutsche, britische oder polnische auch.

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Echo Moskvy: Immer gegen Russland!

Der einstige Fußballprofi und Trainer Alexander Tschugunow empfindet die Strafe der UEFA als ungerecht, wie er auf Echo Moskvy schreibt:

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Eine Frage bleibt offen: Warum wurden keine Sanktionen gegen das Gastgeberland verhängt? Warum blieb Frankreich außen vor, während  Mütterchen Russland wie immer die ganze Suppe auslöffeln muss? Ich bin fest davon überzeugt: Hätten sich englische und walisische Fans geprügelt oder deutsche und ukrainische oder wer auch immer – Frankreich hätte auf jeden Fall schuldig dagestanden. Aber hat man einmal russische Fans in der Schlägerei gesichtet, dann heißt es gleich: Also sorry, Russland gehört bestraft und disqualifiziert.
Остаётся один вопрос. Почему не наложили санкции на принимающую сторону? Почему Франция осталась за бортом, а расхлёбывать всё пришлось как всегда матушке-России? Я уверен, произошла бы стычка между болельщиками Англии и Уэльса, Германии и Украины, да кого угодно — Франция осталась бы виновата! Но раз в драке увидели русских, то, уж извините — России штраф и дисквалификация.

Komsomolskaja Prawda: Feinde des Vaterlands

Die Boulevard-Zeitung Komsomolskaja Prawda dagegen lässt nach dem Urteil weniger Milde mit den gewalttätigen Fans und ihren Unterstützern walten:

Deutsch
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Zu gewinnen reicht Sluzkis Team nicht mehr. Die Fußballer müssen hoffen, dass jetzt kein Dummkopf vor der ganzen Welt seinen Schlagradius demonstrieren will  oder dunkelhäutigen Spielern etwas zuruft.

Natürlich wissen wir, wer Schuld hat. Wussten es schon vorher: Die Feinde des Vaterlands, die englischen Provokateure, die Polizisten von Marseille … In Wirklichkeit (können wir uns das eingestehen?) wird bei uns gegen die Hooligans nichts unternommen. Im Gegenteil, man unterstützt sie in jeder Weise, streichelt ihnen über die Köpfe, bespaßt sie.

Теперь команде Слуцкого мало выиграть. Футболисты должны надеяться, что ни один придурок не захочет показать миру размах своего удара и не крикнет что-нибудь в адрес темнокожих игроков.

Конечно, мы уже знаем кто виноват. Заранее. Враги Отечества, английские провокаторы, марсельские полицейские... На самом деле (сами себе-то мы можем признаться?) с футбольными хулиганами у нас не борются. Наоборот, всячески поддерживают, гладят по голове, организуют досуг.

Grani.ru: Kreml managt die Ultras

Unmittelbar vor der UEFA-Strafe reagiert Journalist Ilja Milstein auf dem oppositionellen Portal grani.ru auf die Worte von Igor Lebedew, der der Sohn des rechtspopulistischen LDPR-Chefs Wladimir Shirinowski ist. Dabei bringt Milstein organisierte Hooligans in direkte Verbindung zum Kreml:

Deutsch
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Igor Lebedew plaudert Geheimnisse aus, aber man muss es ihm nachsehen. Immerhin ist er Shirinowskis Sohn [...] Ja und auch das Geheimnis selbst gehört nicht zu den streng gehüteten. Im Gegenteil. Dass die russische Führung die Ultras managt und sie zur Lösung unterschiedlichster staatlicher Aufgaben heranzieht, das ist schon lange bekannt. [...]

Ähnlich wie die Traktoristen und Bergarbeiter im Donbass, sind die russischen Fußballfans seit einiger Zeit Figuren im großen politischen Spiel. Zunächst im innenpolitischen, und jetzt, bittesehr, auch in der internationalen Arena. Deswegen haben sie, umhegt von staatlicher Fürsorge, kurz vor der Europameisterschaft in Frankreich vermutlich auch trainiert – wie die Fußballer. Nur eben auf ihrem Gebiet.

Игорь Лебедев выбалтывает сокровенное, но ему простительно. Все-таки он сын Жириновского [...]. Да и сама тайна не принадлежит к разряду тщательно охраняемых. Напротив. О том, что российское начальство руководит ультрас и обращается к ним для решения разнообразных государственных задач, известно уже давно. [...]

Подобно трактористам и шахтерам в Донбассе, российские футбольные фанаты с некоторых пор стали фигурами в большой политической игре. Сперва в игре внутриполитической, а теперь вот и на международной арене. Поэтому они, окруженные государственной заботой, незадолго до чемпионата Европы во Франции тоже наверняка тренировались, подобно футболистам. Только на свой лад.

Novaya Gazeta: Vollpfosten haben keine Nationalität

Eine solche Verbindungslinie zum Kreml sieht Wladimir Rodionow in der unabhängigen Novaya Gazeta dagegen nicht und wundert sich, wer die Ausschreitungen gutheißt:

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Die Zusammenstöße der russischen und britischen Fußballfans in Frankreich bestätigen meiner Meinung nach nur, dass Vollpfosten keine Nationalität haben. Zwei Gruppen aggressiver angetrunkener Männer haben sich einfach entschieden, auf alle Konventionen zu pfeifen und gedankenlos die Fäuste zu schwingen.

[...] Doch diese traurige, für einige auch tragische Geschichte wurde auf Facebook zum Anlass für Stolz. Den Stolz bekunden dabei nicht mal die Fußball-Hooligans, die aus irgendwelchen Gründen zuhause geblieben waren, sondern die denkbar intelligentesten Leute. Oder zumindest Leute, die sich als solche ausgeben.

Столкновения во Франции российских и британских футбольных фанатов только подтвердили, на мой взгляд, что у отморозков нет национальности. Просто две группы агрессивных подвыпивших мужчин решили отбросить все условности и бездумно помахать кулаками.

[...] Но эта грустная, а для кого-то и трагичная история стала поводом для гордости в Facebook. Причем эту гордость выражали не футбольные хулиганы, по каким-то причинам оставшиеся дома, а самые что ни на есть интеллигентные люди. Ну или, по крайней мере, позиционирующие себя таковыми.

Rossijskaja Gaseta: Die brüllenden Engländer auseinander gejagt

Die offizielle Regierungszeitung Rossijskaja Gaseta nimmt die russischen Hooligans kurz nach dem Spiel in Schutz – und lobt ihre Taten:

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Ehrlich gesagt, ist mir vollkommen unklar, wie man mehrere Tage am Stück hemmungslos saufen kann und sich rundherum für gar nichts interessiert. Aber für englische Fußballfans im Ausland ist das wohl das einzig denkbare Verhalten. Die russischen Fans, von denen viele mit ihren Frauen und Kindern zu den Spielen fahren, verbringen ihre Zeit völlig anders: Sie machen Exkursionen, kaufen Kleidung und schaffen es auch noch, Sehenswürdigkeiten zu bestaunen [...]

Prügeleien, an denen Engländer beteiligt waren, gab es schon drei Tage lang mehr als genug, die Russen traten erst unmittelbar vor dem Spiel auf den Plan. Und innerhalb von ein paar Minuten gelang ihnen, was weder Polizei noch einheimische Fans geschafft hatten: Sie jagten diese brüllende Menge hunderter Engländer einfach auseinander.

Честно говоря, с трудом понимаю, как можно беспробудно пить несколько дней подряд, не интересуясь вообще ничем вокруг, но для английских футбольных фанатов такое поведение на выезде является чуть ли не единственно приемлемым. Те же россияне, многие из которых приезжают на футбол с женами и семьями, проводят время совсем иначе - ходят на экскурсии, закупают одежду, успевая любоваться достопримечательностями. […]

Драк с участием англичан за три дня происходило достаточно, а вот русские вышли на авансцену уже непосредственно перед игрой. И за несколько минут сделали то, чего не смогла ни полиция, ни местные ребята - попросту разогнали эту орущую английскую толпу из нескольких сотен человек.

dekoder-Redaktion

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Wladimir Shirinowski

Wenn im russischen Fernsehen ein massiger Mann mit kurzem grauem Haar, lockerer Krawatte und eindringlicher Mimik drohend den Zeigefinger schüttelte, konnte man sich schon recht sicher sein: Es ist Wladimir Shirinowski, und er ist wütend. Diese leidenschaftlichen Ausbrüche konnten alles und jeden treffen, doch mit Vorliebe richtete Shirinowski seine Wut auf die angeblichen Feinde Russlands und der russischen Nation. Der landesweit bekannte Politclown war erster und einzig denkbarer Chef der nationalistischen Liberal-Demokratischen Partei Russlands (LDPR – Liberalno-Demokratitscheskaja Partija Rossii) und zugleich hochdekorierter Staatsdiener. Regelmäßig sprengte er mit rassistischen Ausfällen die Grenzen des Sagbaren. Kurz, die russische Öffentlichkeit wäre anders ohne Wladimir Shirinowski.

Wladimir Wolfowitsch Shirinowski wurde im Jahr 1946 im kasachischen Alma-Ata geboren. Seine Familie war arm, sein Stiefvater hatte nichts für ihn übrig. Der fortgezogene Vater war jüdischer Abstammung, den Nachnamen Eidelstein legte Shirinowski mit 18 Jahren ab. Auf seine Eltern angesprochen, antwortete Shirinowski einmal mit dem legendären Satz: „Meine Mutter war Russin, mein Vater Jurist.“1 Zum Studium ging er an die Moskauer Staatliche Universität, wo er orientalische Sprachen (er sprach fließend Türkisch) und später Jura studierte – und spätestens hier begannen die Gerüchte. Seine ersten Jobs hatte er in staatlichen Einrichtungen, die unter strenger Aufsicht des Geheimdienstes KGB standen. Vom Journalisten Wladimir Posner darauf angesprochen, stritt er persönliche Verbindungen zum Geheimdienst ab, leugnete jedoch nicht, dass sein eigenes politisches Projekt während der Perestroika vom Staatsapparat als „unabhängige Alternative“ gefördert wurde.

So fand Shirinowski in den späten 1980er und frühen 1990er Jahren in die Politik; seine LDPR ist seit 1993 konstant im Parlament vertreten. Er selbst inszenierte sich von Beginn an erfolgreich als Gegenentwurf zum verstaubten Parteibürokraten: er war laut, von derbem, aber treffendem Humor und sprach in kurzen, verständlichen Sätzen. Noch 1990 erklärte er: „Mein Programm ist wie das von jedem anderen: Perestroika, freier Markt und Demokratie!“2 und knüpfte Kontakte zu liberalen Parteien in Westeuropa3. Doch bald schon entdeckte er die nationalistische Nische für sich. Der drohende Zerfall des Staates, wirtschaftliche Not und Orientierungslosigkeit bereiteten den Boden für das Bedürfnis nach Ordnung und alter Stärke. Das versprach Shirinowski. Bis zu seinem Lebensende trat er für eine aggressive Großmachtpolitik ein4 und sah die russische Nation von allen Seiten bedroht: Von innen durch Jelzins „falsche Demokraten“5 oder „ausländische Agenten“  und von außen wahlweise durch die muslimische Welt, den Zionismus oder die USA. Seine Kontakte in die westliche rechtsradikale Szene (unter anderem zum damaligen DVU-Chef Gerhard Frey), seine Parolen einer atlantisch-israelischen Verschwörung gegen Russland und seine provokativen Vorschläge zur Neuaufteilung der Territorien Mittelosteuropas brachten ihm den Spitznamen „Adolfowitsch“ ein.

Wenngleich rechtsradikale Stimmungsmache eine Konstante Shirinowskis war, überraschte er hin und wieder mit sozialpolitischen Positionen, die ins Bild des Chauvinisten nicht recht passen wollten. So erklärte er Homosexualität zu einem Teil der menschlichen Natur, prognostizierte die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe in Russland6, und empfahl der russischen Bevölkerung auf Fleischkonsum zu verzichten7 – er selbst lebte nach eigenen Angaben seit 2013 vegetarisch. Weniger als seine sozialpolitische Liberalität demonstrierten solche Aussagen jedoch Shirinowskis ideologische Unangreifbarkeit und sein Selbstbild als jemand, der schonungslos sagt was er denkt – unabhängig von zu erwartenden Folgen. Dazu gehörte auch, seinen Emotionen freien Lauf zu lassen. Und so war Shirinowski regelmäßig dabei zu beobachten, wie er andere vor laufenden Kameras übel beleidigt und tätlich angreift – beispielhaft ist seine Saftattacke auf Boris Nemzow8 aus dem Jahr 1995.

So grotesk die Figur Shirinowskis auch wirken mag, war er doch alles andere als lächerlich. Denn Shirinowski, der seit 1991 bei jeder Präsidentschaftswahl kandidierte, erfüllte im politischen System eine wichtige Funktion. Einerseits betrieb er rhetorische Frontalopposition zu Putins (Innen-)Politik und zog damit nationalistische Protestwähler auf seine Seite. Andererseits ließ er seine Fraktion mit der Regierungspartei Einiges Russland (Jedinaja Rossija) abstimmen, lobte Putins Außenpolitik und hielt die Protestwähler so im System: Shirinowski, der zuverlässig unberechenbare Demagoge, starb offiziellen Angaben zufolge im April 2022. Mit der von ihm vollständig kontrollierten LDPR war er stets ein zuverlässiger Puffer an Putins rechter Seite.

Aktualisiert am 06.04.2022


1.Eatwell, Roger (2002): The rebirth of right-wing charisma? The cases of Jean-Marie Le Pen and Vladimir Zhirinovsky, in: Totalitarian Movements & Political Religions, 3(3), S. 1-23
2.Golosov, Grigorij (2004): Political parties in the regions of Russia: Democracy unclaimed, Boulder, S. 24
3.Luchterhandt, Galina (1994): Die Entfesselung der Marionette: Wladimir Schirinowski und seine LDPR, S. 122, in: Eichwede, Wolfgang (Hrsg.): Der Schirinowski-Effekt: wohin treibt Russland?, Reinbek bei Hamburg, S. 117-142
4.Siehe z. B. sein Buch Poslednij brosok na jug (dt. Der letzte Durchbruch nach Süden), das mehrfach neu aufgelegt wurde.
5.Foreign Affairs: The Zhirinovsky Threat
6.Doždʼ: Vladimir Žirinovskij: zakon ob odnopolych brakach kogda-nibudʼ primut i u nas
7.Ria Novosti: Žirinovskij: partija LDPR postepenno perejdet na vegetarianskuju pišču
8.Dem Angriff ging eine Provokation Nemzows voraus, der aus einem Playboy-Artikel über Shirinowskis Sexualverhalten referierte.
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Ein kurzer Augenblick von Normalität und kindlicher Leichtigkeit im Alltag eines ukrainischen Soldaten nahe der Front im Gebiet , © Mykhaylo Palinchak (All rights reserved)