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Russland und der Kolonialismus

Kolonialimperien – das sind immer die anderen. Und doch hat Russland über eine Vielzahl an Völkern geherrscht und sein Territorium seit dem 16. Jahrhundert auf das 22-Fache vergrößert. Von der Eroberung Sibiriens bis zur angeblichen „Brüderlichkeit der Sowjetvölker“ wird die Kontinuität des russischen Kolonialismus im Krieg gegen die Ukraine besonders deutlich. Die vor diesem Hintergrund erstarkende Idee einer Dekolonisierung Russlands versucht der Kreml mit allen Mitteln zu unterdrücken. 

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Olga Skabejewa

Zweimal täglich erklärt die Moderatorin im Staatsfernsehen die Welt aus Moskauer Sicht. An manchen Tagen ist sie bis zu fünf Stunden mit Desinformation und Kriegshetze nach Vorgaben des Kreml auf Sendung. Skabejewas Spezialgebiet ist der Vollkontakt: Je nach Bedarf werden Gegner provoziert oder niedergebrüllt. 

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Margarita Simonjan

Ihre steile Karriere begann mit einer Lüge im staatlichen Auftrag. Heute kokettiert die Chefin des Propaganda-Senders RT und der staatlichen Medienholding Rossija Sewodnja offen mit ihrer Rolle als Gesicht der russischen Desinformation. Der Kreml belohnt sie großzügig dafür. 

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Patriarch Kirill

Kirill, seit 2009 Patriarch der Russisch-Orthodoxen Kirche, bemühte sich in der Ausübung seiner Ämter stets, zwei Wirkungsbereiche miteinander zu vereinbaren: Durch seine wöchentliche Fernsehsendung Hirtenwort, die seit 1994 im Ersten Kanal läuft, positioniert er sich als Seelsorger des Volkes. Gleichzeitig trat er als „effektiver Kirchenmanager“ auf, indem er die Kirchenstruktur zum Zweck einer stärkeren Präsenz der Kirche in der Gesellschaft auszubauen versuchte. Seine Figur verbinden viele zugleich mit einer Vorliebe für irdische Genüsse: Die Annahme teurer Geschenke sowie seine Residenz am Ufer der Moskwa waren Gegenstand ausgedehnter öffentlicher Debatten. Kirill steht zudem für eine deutliche Annäherung von Kirchen- und Staatsführung in den vergangenen Jahren.

Patriarch Kirill wurde 1946 als Wladimir Gundjajew in eine Leningrader Priesterfamilie geboren. Sein Vater und sein Großvater saßen in den 1930er Jahren als Gläubige und „politisch Unzuverlässige“ für mehrere Jahre im Straflager.

Kirill selbst wurde 1984 zum Metropoliten von Smolensk und Kaliningrad ernannt, stieg 1989 zum Leiter des Außenamtes der Russisch-Orthodoxen Kirche (ROK) auf, und wurde 2009 schließlich zum Patriarchen gewählt.

Obwohl seine eigene Familie von Repressionen betroffen war, wurde Kirill nie ein kompromissloser Kritiker des Stalinismus und der sowjetischen Ideologie. Auch sein Verhältnis zum KGB in der UdSSR und zu den heutigen Geheimdiensten Russlands bleibt eine in der (Medien-)Öffentlichkeit kaum thematisierte, weiterhin aber heikle Frage.

Ökumene und Hierarchisierung

Im Westen ist Kirill vor allem durch seine ökumenische Tätigkeit während der Sowjetzeit bekannt: Er war unter anderem von 1971 bis 1974 Vertreter der ROK beim Ökumenischen Rat der Kirchen in Genf. Damals setzte er sich für eine Annäherung der europäischen Kirchen und ihre gemeinsame Friedenstätigkeit in Europa ein.

Nach dem Ende der Sowjetunion galt er deswegen in Europa – zumindest in christlichen Kreisen – als Hoffnungsträger, der Russland auf seinem Weg zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit unterstützen würde.

Im Zuge seiner Kirchenreformierung seit 2009 wurden kirchliche Gremien wie das Landeskonzil und die Gemeinderäte zugunsten der Bischöfe entmachtet1 und die Diözesen in kleinere Einheiten geteilt.2 So stieg die Zahl von Kirill eingesetzter, junger Bischöfe. Dies sollte eine Koalition gegen den Patriarchen vor allem seitens der kritischen „alten Bischofsgarde“ verhindern – und unterband letzten Endes jeden innerkirchlichen Widerstand. Auf eine zunehmende Hierarchisierung wies auch der damalige Kirchensprecher Wsewolod Tschaplin hin.

Präsentiert sich im TV gerne als Seelsorger des Volkes - Foto © Sergej Pyatakow unter CC-BY-SA 3.0

Kirche und Staat als gleichberechtigte Partner

Unter Kirills Vorsitz entstanden mehrere zentrale Positionspapiere der Kirche, unter anderem die Sozialkonzeption der ROK (2000). Sie regelt das Verhältnis der Kirche zu Staat, Nation und Politik aber auch zu vielen anderen Fragen des gesellschaftlichen Lebens. Als Ideal der Beziehungen zwischen Kirche und Staat proklamierten die Verfasser das aus Byzanz übernommene Prinzip der Symphonie (Zusammenspiel) von weltlicher und geistlicher Macht.

Nach dieser Vorstellung sind Kirche und Staat gleichberechtigte Partner mit eigenen voneinander getrennten Handlungssphären. Die Kirche unterstützt den Staat in geistlicher Hinsicht, der Staat sichert seinerseits die institutionelle Existenz der Kirche.

Im Jahr 2008 wurde in einem weiteren Dokument die Position der Kirche zu Menschenrechtsfragen erweitert. Es stellt die westeuropäische Menschenrechtspraxis, der auch Russland als Mitglied des Europarates unterliegt, in Frage. Stattdessen versucht es, eigene Rechtsvorstellungen zu legitimieren, die „traditionellen“ Normen folgen und kollektive statt individuelle Rechte zu implementieren versuchen.3

Die Sozialkonzeption schreibt die grundsätzliche Unabhängigkeit der Kirchenpolitik von der weltlichen Macht fest. Allerdings wird Kirill selbst sowohl von seinen Anhängern als auch seinen Kritikern als Befürworter der Kreml-Politik wahrgenommen. Kritiker werfen Kirill auch seine implizite Zustimmung zu repressiven Maßnahmen wie zum Beispiel dem Gesetz Über die Verletzung religiöser Gefühle vor. Proteste, sei es gegen die Regierung oder gegen den Bau neuer Kirchen, verurteilt der Patriarch als politisches Engagement, das die Einheit der russischen Gesellschaft gefährde.4

Als Verfechter eines eigenständigen russischen Weges liefert Kirill so die ideologische Unterstützung für Putins Innen- und Außenpolitik. Dabei propagiert er zum Beispiel das Konzept der Russischen Welt auf dem Gebiet der GUS und liefert dafür eine quasi-religiöse Legitimierung.

Im Zuge der Ukraine-Krise hielt sich die Kirill jedoch auffällig zurück – nicht zuletzt aus der Befürchtung, durch zu deutliches politisches Engagement auf Seiten des russischen Staates einen Großteil der Gläubigen in der Ukraine zu verlieren.

Im Visier der Medien

Immer wieder geriet Kirill ins Visier der Medien, die auf seine Vorliebe für irdischen Luxus aufmerksam machten: Zollfreie Alkohol- und Tabakimporte und deren illegaler Weiterverkauf in den frühen 1990er Jahren5 wurden ihm ebenso zum Vorwurf gemacht wie protzige Accessoires (zum Beispiel eine teure Uhr und eine Residenz in einem Naturschutzgebiet) und der Versuch, sich die Nachbarwohnung durch ein dubioses Gerichtsurteil anzueignen.6

Auch solche Nachrichten könnten ein Grund dafür sein, dass in einer Umfrage aus dem Jahr 2014 nur ein Prozent der Befragten den Patriarchen als moralische Autorität bezeichneten. Er landet damit auf dem 8. Platz – hinter Wladimir Putin, Wladimir Shirinowski und sogar hinter dem Vorsitzenden der Kommunistischen Partei, Gennadi Sjuganow.7

aktualisiert am 31.01.2020


1.Die neue Redaktion der Gemeindesatzung wurde auf der Synodensitzung am 10.10.2009 verabschiedet.
2. Die Diözesenzahl stieg von 159 im Jahr 2009 und auf 293 im Jahr 2016.
3. Laut dem Dokument darf die Verwirklichung der Menschenrechte den „von Gott gegebenen moralischen Normen" nicht widersprechen. Durch Menschenrechte würden „verschiedene Laster“ wie „sexuelle Zügellosigkeit und Perversion, Profitgier und Gewalt“ gerechtfertigt. „Unsittliche und unmenschliche Hand­lungen [...] wie etwa Abtrei­bung und Euthanasie“ zur „Norm“ erhoben. Siehe Uertz, Rudolf und Schmidt, Lars Peter (Hrsg.) (2008): Die Grundlagen der Lehre der Russischen Orthodoxen Kirche über die Würde, die Freiheit und die Menschenrechte, Moskau, III.3
4. Patriarchia.ru: Slovo Svjatejšego Partiarcha Kirilla posle Liturgii v chrame svjatitelja Dmitrija Rostovskogo v Barnaule
5. Neue Zürcher Zeitung: Angekratztes Image: Partiarch Kyrill hat ein Problem.
6. Nachrichten.at: In Russland rätseln viele über den mysteriösen Goldstaub des Patriarchen
7. FOM.ru: Moralnye avtoritety  
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Ein kurzer Augenblick von Normalität und kindlicher Leichtigkeit im Alltag eines ukrainischen Soldaten nahe der Front im Gebiet , © Mykhaylo Palinchak (All rights reserved)