Ein handelsübliches Drohnen-Schutznetz kostet fünf bis zehn Euro pro Quadratmeter. Die ukrainische Armee braucht aber ständig neue solche Abwehrnetze gegen russische Drohnenangriffe. Überall an der Front, über tausende Quadratkilometer. Freiwillige Helfer der ukrainischen Armee haben darum eine kostengünstige Alternative gefunden und ausprobiert.
Etwa 500 Tonnen ausgemusterte Fischernetze von niederländischen Fischereibetrieben haben sie schon zu Fronteinheiten gebracht. Die Soldaten schützen damit sich selbst und ihre Technik. Gleichzeitig verändern solche Schutznetze auch den Drohnenkampf an sich.
Wie genau alte Fischernetze ins Kampfgebiet kommen und dort eingesetzt werden, hat Frontliner-Reporter Artem Derkatschow in einer Fotoreportage dokumentiert.
In den Lagerhallen europäischer Häfen warten tausende Tonnen ausrangierter Fischernetze auf ihren Einsatz. Ukrainische Soldaten können die gut da gebrauchen, wo im Kampfgebiet Drohnen eingesetzt werden und der Schutz davor eine der größten Herausforderungen ist.
Ukrainische Armeehelfer starteten darum ihre Logistik-Operation Pawtunnja (Spinnennetz).
Eine Kolonne aus zehn Lkw rollt in Richtung Kyjiw. In jedem befinden sich etwa 15 Tonnen Fischernetze. Diese Netze sind grob genug, um an der Front FPV-Drohnen abzufangen, mit denen die russische Armee häufig ukrainische Stellungen angreift.
Die ukrainischen Militärhelfer rund um die Stiftung Volonter haben die Netze aus den Niederlanden organisiert, wo in zahlreichen Hafenanlagen noch etwa 4000 Tonnen Netze lagern. Denen jagten aber auch schon russische Händler hinterher, berichten die Freiwilligen bei einem Zwischenstopp zur Transportkontrolle in Kyjiw.
„Dieses Netz hier wollten Chinesen kaufen“, sagt Ihor Bondartschuk von Volonter. „Aber wir konnten unsere Partner in den Niederlanden davon zu überzeugen, sie uns kostenfrei zu geben. Wir müssen also nur Geld für die Logistik ausgeben.“
Die Netze wurden früher von Fischereibetrieben zum Fischen verwendet. Aber mit der Zeit hat sich das Material abgenutzt. Dann kamen sie ins Lager, um später recycelt oder entsorgt zu werden.
Bis die Militärhelfer sie entdeckten: Mit ganz ähnlichen Netzen bedecken die Soldaten ihre Schützengräben und Militärtechnik, um die Stellungen zu maskieren und gleichzeitig gegen Einschläge von Lancet-Kampfdrohnen und FPV-Drohnen zu schützen. Dank der festen Struktur fängt das Netz die Drohnen oder abgeworfene Geschosse ab und wirft sie zurück, bevor sie dann in einigermaßen sicherem Abstand vom eigentlichen Ziel explodieren. Der Angreifer muss dann eine neue Attacke starten.
Wenn so beispielsweise eine gegnerische Drohne mit Hohlladungsmunition ihr eigentliches Ziel verfehlt und nicht mehr direkt in Militärtechnik einschlägt, verursacht sie nur geringe Schäden. Oder die Drohne verfängt sich im Netz und explodiert dort.
„Am Anfang haben wir eine Testcharge geliefert“, berichtet der Leiter der Hilfsorganisation, Artem Kuljubajew. „Das war gar keine große Menge Netze. Sie erwiesen sich als tatsächlich effektiv und so nahmen die Anfragen verschiedener Einheiten, mit denen wir zusammenarbeiten, beträchtlich zu. Wir wollen unseren Jungs entlang der gesamten Frontlinie helfen: in den Regionen Saporishshja, Cherson, Donezk und Charkiw. Unsere Ressourcen sind unbezahlbar – die menschlichen wie die technischen: Panzer und gepanzerte Fahrzeuge sind, wenn sie mit solchen Netzen abgedeckt sind, kaum mehr erreichbar für russische Angriffe.“
Nach einem Zwischencheck in Kyjiw macht sich ein Teil der neuen Lieferung auf den Weg in die Oblast Charkiw. Dort kommt sie spät in der Nacht an. Das Ausladen muss schnell gehen, denn hier in Grenznähe greifen die Russen praktisch täglich auch mit Gleitbomben an. Und sicher beobachten ihre Aufklärungsdrohnen Orlan alles, was hier passiert.
Am nächsten Morgen befestigt einer der Soldaten, Rufname Wilhelm, direkt ein frisch geliefertes Netz an seinem Militärtruck. „Heute ist das Gras noch grün, morgen schon gelb. Welche Farbe die Netze haben, ist also nicht so wichtig“, erklärt der Soldat „Wilhelm“. „Das Wichtigste ist, dass uns diese verdammten Drohnen nicht gleich beim ersten Anflug treffen. Das ist jetzt ein Krieg der Artillerie und der Drohnen. Unsere Technik können wir jetzt gleich mit den Netzen schützen, aber unsere vordersten Stellungen leider nicht. Die Russen machen gerade viel Druck in Richtung Charkiw – haufenweise Bomben und Drohnen und Raketen. Da schaffst du es kaum, dich einzugraben, geschweige denn, Netze drüber zu ziehen.“
Die Verteidigungsstellungen abzusichern, ist unter den aktuellen Kampfbedingungen keine leichte Aufgabe. Das braucht nicht nur Material, sondern auch Zeit. Jeder zusätzliche Schutz bedarf gründlicher Planung. Die Soldaten erklären, dass man während des Anbringens von Fischer- oder speziellen Anti-Drohnen-Netzen mehrere Faktoren beachten muss: So darf das Netz nicht die Bewegungsfreiheit der Soldaten in den Schützengräben beeinträchtigen. Es darf auch nicht beim Schießen und Granatenwerfen stören.
Auch die Russen nutzen ähnliche Schutzvorrichtungen, erzählt ein Soldat mit Rufnamen „Dessjaty“ (dt.: der Zehnte). Bei einem der letzten Kampfflüge entdeckte der Drohnenpilot bei seinem Monitoring per Drohne ganze „Volleyballfelder“, wie er es nennt, Felder voller Netze.
„Da sind wir mal ziemlich weit geflogen, haben den Feind bei der Rotation der Truppen und nachrückenden Technik angegriffen“, so „Dessjaty“. „Eine Weile nach ein paar erfolgreichen Attacken haben wir entdeckt, dass sie dort Netze über ein ganzes Wäldchen ziehen. Wir nennen das jetzt Volleyballfeld. Ohne Witz – das ist über zehn Kilometer lang. Und ich sage euch, das ist kein Quatsch, das stört uns jetzt wirklich bei der Arbeit.“
Verteidigungsanlagen wie Anti-Drohnen-Netze zu beschädigen, ist indes schon ein eigener Teil des taktischen Drohneneinsatzes geworden. Der Pilot muss immer häufiger einen doppelten Angriff planen. Erst wenn die Verteidigung durchbrochen ist, können die eigentlichen Ziele ungehindert angegriffen werden.
Darum setzen sowohl die ukrainischen als auch die russischen Drohnenpiloten mittlerweile spezielle Drohnen mit Brandvorrichtungen, so genannte „Feuerzeugdrohnen“, ein. Ihre Aufgabe ist es, Netze oder andere Schutzvorkehrungen in Brand zu setzen.
„Wir hängen dann einen Brandsatz dran und brennen das Netz ab“, erklärt Drohnenpilot „Dessjaty“. „Ich kann auch versuchen, es zu umfliegen, oder ich zerstöre erst durch einen Einschlag das Netz und mache dann erst den eigentlichen Angriff.“
Bislang haben die Helfer nach eigenen Angaben etwa 500 Tonnen Fischernetze in die Ukraine gebracht. Aber das soll erst der Anfang sein: Geplant würden schon die nächsten noch größeren Transporte von noch mindestens 1000 Tonnen.
„Pro Tag gibt es mittlerweile bis zu zehn Angriffe hintereinander, den Russen gehen die Drohnen nicht aus. Und die Störsender funktionieren nicht immer. Wer solche Netze hat, aber nicht braucht – bringt die bitte her!“, bittet der Soldat Serhii Plotnyzky. „Was unsere Stellungen schützen kann, ist nie überflüssig. Mag es auch kein Allheilmittel gegen russische Drohnen sein, aber so manche FPV-Drohne hat sich schon in solchen Netzen verheddert.“