Медиа

Niedriglöhne – das kleinere Übel?

In Russland liegt der Mindestlohn noch unter dem Existenzminimum. Die Niedriglöhne gehen oft mit geringer Arbeitsproduktivität einher – darin sehen viele Experten den Kern der russischen Wirtschaftsprobleme. Im Februar hat die Duma bereits über eine Angleichung beraten, voraussichtlich im August soll eine Arbeitsgruppe dazu eine Entscheidung vorlegen.

Auf Vedomosti erklärt Maria Podzerob, weshalb allerdings nicht nur Arbeitgeber, sondern auch viele Arbeitnehmer in Russland Niedriglöhne als einen Vorteil begreifen.

Источник Vedomosti

Veraltete Transformatoren, die oft repariert werden müssen – darüber läuft die Stromversorgung der Stadt Kineschma in der Oblast Iwanowo. Laut Sergej Sirotkin, Generaldirektor des örtlichen Stromversorgers, würden eine neue Technik und eine Modernisierung der Anlagen 125 Millionen Rubel [ca. 2 Millionen Euro] kosten. Da das Unternehmen über solche Mittel nicht verfügt, stellt es für die Reparaturen 130 Handwerker ein, denen es 20.000 Rubel [ca. 333 Euro] im Monat zahlt. Im Jahr machen diese Gehälter 31,2 Millionen Rubel [ca. 520.000 Euro] aus – deutlich günstiger als eine technische Umrüstung. Auch die regionalen Behörden seien zufrieden: Sie wollen nicht, dass aufgrund von Automatisierung Mitarbeiter entlassen werden – die seien auf dem Arbeitsmarkt in Kineschma nicht wieder vermittelbar, sagt Sirotkin. 

Vizeministerpräsidentin Olga Golodez gab kürzlich bekannt, dass 4,9 Millionen Beschäftigte im Land unter der Armutsgrenze leben. Daten von Rosstat zufolge lag im Vorjahr bei 10,4 Prozent der Beschäftigten der Verdienst unter dem Existenzminimum.

 

 
Nach Angabe der Statistikbehörde Rosstat waren 2015 rund 72 Millionen Personen mit Wohnort in Russland erwerbstätig, etwa vier Millionen Menschen galten als arbeitslos. Die amtliche Statistik über Verdienste erfasst allerdings nur rund 29 Millionen Beschäftigte. Auf diese krasse Differenz machte Olga Golodez schon 2013 aufmerksam: Der Staat wisse überhaupt nicht, was diese Menschen eigentlich machen – darüber habe man keinerlei Daten. Quelle: Rosstat.

In Russland habe sich eine große Klasse von Working Poor herausgebildet, heißt es in einem kürzlich erschienenen Bericht des Zentrums für strategische Entwicklung (ZSR), der zusammen mit der Moskauer Higher School of Economics erstellt wurde. Tatsächlich ist es aber nicht nur für Unternehmen lohnend, Working Poor anzustellen – auch Arbeitnehmer profitieren davon, für ein paar Kopeken zu arbeiten.

Spezielles Arbeitsmarkt-Modell

Laut ZSR-Bericht ist in Russland ein spezielles Arbeitsmarkt-Modell entstanden: Wirtschaftskrisen werden demnach nicht mittels wachsender Arbeitslosenzahlen gemeistert, sondern dank sinkender Löhne. Letztere können Unternehmen fast ungehindert senken, da ja das obligatorische Minimum – der Mindestlohn – sehr niedrig sei, so der Bericht. Derzeit beträgt der Mindestlohn 7500 Rubel [ca. 125 Euro]. 

Der Staat sei daran interessiert, dass die Betriebe möglichst wenigen Mitarbeitern kündigen. Auch jetzt üben regionale Regierungen weiterhin Druck auf Großbetriebe mit mehr als 500 Mitarbeitern aus, um Kürzungen und Arbeitslosigkeit nicht zuzulassen, so Alexander Safonow, Vizerektor der Russischen Akademie für Volkswirtschaft und Öffentlichen Dienst beim Präsidenten der Russischen Föderation.

Laut Sergej Sokolow, ehemaliger GR-Manager bei Nike, kommen sich Behörden und wichtige Arbeitgeber dabei gegenseitig entgegen: Die Regionalverwaltung erteilt den Betrieben etwa die Erlaubnis, einigen wenigen Personen zu kündigen, jedoch dürfe das die Arbeitslosenzahlen in der Region nicht erhöhen, weswegen sich der Betrieb wiederum verpflichtet, Umschulungskurse zu organisieren oder Umzug und Arbeitsaufnahme in einer anderen Region zu finanzieren. Im Gegenzug berücksichtigt die Behörde etwa stärker, wenn ein Unternehmer vorankommen möchte und um Unterstützung seiner Investitionspläne bittet. 

Den Rest gibt’s im Briefumschlag

Alexander Masljuk, Senior Consultant der Korn Ferry Hay Group, erläutert, ein offizielles Gehalt in Höhe des Mindestlohns würden vor allem große staatliche Infrastrukturunternehmen zahlen. Für die sei eine verdeckte Arbeitslosigkeit charakteristisch, bei der die Leute zwar im Personalbestand erfasst sind, aber nur minimale Aufgaben erfüllen. 

Private Unternehmen, die offiziell Gehälter in Höhe des Mindestlohns zahlen, händigen ihren Mitarbeitern in Wahrheit den Rest im Briefumschlag aus, sagt Masljuk. Laut Rosstat sind die Beschäftigtenzahlen im Schattensektor von 2010 bis 2014 von 15,2 Millionen auf 16,4  Millionen gestiegen.  

Angestellte, die monatlich 8000 bis 9000 Rubel [etwa 125 bis 150 Euro] bekommen, seien nicht daran interessiert, sich großartig abzumühen, und würden versuchen, die Situation für sich zu nutzen, meint Dimitri Koschnew, Koordinator der interregionalen Gewerkschaft Rabotschaja assoziazija [Arbeitsassoziation – dek], die zur Arbeitskonföderation Russlands gehört. 

Er hat selbst drei Jahre in einer Fabrik gearbeitet, in der Drehgestelle für Schienenfahrzeuge produziert wurden. Und er erinnere sich noch, wie ein Drittel der Werkstatt auf Sauftour ging und der Chef nicht wirklich eingriff: Was soll man denn verlangen von jemandem, der 5000 Rubel [knapp 85 Euro] im Monat verdient? In der Fabrik seien ständig Bauteile und Werkzeuge weggekommen, erinnert sich Koschnew. 

Was soll man denn verlangen von jemandem, der 5000 Rubel im Monat verdient?

Geklaut wird auf Schritt und Tritt, stimmt der Top-Manager eines mächtigen Energiekonzerns zu. In Energieunternehmen, sagt er, lassen die Angestellten oft Stromkabel mitgehen, um sie weiterzuverkaufen. 

Die niedrigen Löhne würden außerdem dazu führen, dass die Leute in zwei oder drei Jobs gleichzeitig arbeiten – wovor die Arbeitgeber eher die Augen verschließen, so Safonow. 
Die Kehrseite der niedrigen Gehälter ist eine geringe Produktivität, konstatieren die Experten des ZSR. In Branchen der New Economy (Einzelhandel, Onlineverkauf, Banken, Autoindustrie) kämpfe man ernsthaft um die Produktivität des Personals.  

Höhere Löhne senken Konkurrenzfähigkeit 

Für die Arbeitgeber sei es günstiger, niedrige Löhne zu zahlen, als in eine Automatisierung der Produktion und Umstrukturierung der Organisation zu investieren, meint Sergej Lossinski, Regionalentwicklungschef am Zentrum für infrastrukturelle Ökonomie.   

Sergej Sirenko, Generaldirektor einer Schnurfabrik in Tscheljabinsk, hat Zeiten erlebt, in denen es vom Umsatz her möglich gewesen wäre, einem neu angestellten Arbeiter 40.000 Rubel [etwa 670 Euro] im Monat zu zahlen. Doch das habe er nicht gemacht, weil in der Region ein vergleichbarer Fachmann nicht mehr als 30.000 Rubel [etwa 500 Euro] verdiente. Wenn man den Leuten mehr zahle als andere Betriebe, sinke die Konkurrenzfähigkeit der Produktion, zur Verringerung der Herstellungskosten müsse man automatisieren, wofür aber wiederum das Geld nicht reiche, überlegt Sirenko.  
    
Daten aus dem Bericht des ZSR zufolge geben Verarbeitungsbetriebe für Löhne derzeit ungefähr 30 Prozent weniger aus als zu Beginn der 2000er Jahre.

Niedrige Einkommen, also keine Nachfrage, also keine Modernisierung, also keine anständigen Gehälter 

Safonow gibt zu bedenken, dass die Voraussetzung für die technische Umrüstung eines Betriebs die ausreichende Nachfrage sei. In einer einkommensschwachen Bevölkerung entstehe aber keine hohe Nachfrage. Ohne Nachfrage keine Modernisierung, also auch keine anständigen Gehälter. 

Wer sich für die Modernisierung entscheide, gewinne langfristig an Perspektive, meint Dimitri Teplow, Generaldirektor des Reparatur- und Montagewerks Krasnokamsk (Region Perm), der seine Produktionstechnik 2013 erneuert hat. Seine Fabrik stellt Landwirtschaftsmaschinen her und ist im Lieferantenverzeichnis von Rossagrolising gelistet. Nach Angaben von SPARK-Interfax stiegen ihre Erträge zwischen 2012 und 2015 um 27 Prozent auf 311 Millionen Rubel [gut 5 Millionen Euro], die Aktiva um 43 Prozent auf 201,4 Millionen Rubel [rund 3,4 Millionen Euro].  

Im Februar beriet die Duma, den Mindestlohn auf das Existenzminimum anzuheben. Eine solche Anhebung könne die Betriebe zwar zu einer kleinen Lohnerhöhung bewegen, meint Safonow, ändere aber noch nichts am ökonomischen Modell. Das man aber, den Autoren des ZSR-Berichts zufolge, auch gar nicht ändern soll: Dieses Arbeitsmarktmodell habe Krisensicherheit bewiesen. Eine große Armee von Working Poor sei eben der Preis für die niedrige Arbeitslosenrate. 

Пожертвовать

читайте также

Gnose

Russische Wirtschaftskrise 2015/16

Die Wirtschaftskrise im Herbst 2014 hatte Russland ökonomisch vor eine unsichere Zukunft gestellt. Drei unabhängige Entwicklungen setzten die russische Wirtschaft gleichzeitig unter Druck: der Einbruch des Ölpreises, wirtschaftliche Sanktionen gegen Russland sowie strukturelle Probleme, das heißt fehlende Anreize zu Investitionen und zur Steigerung der Produktivität. Erst mit der Erholung des Ölpreises 2017 kam es wieder zu einem leichten Wirtschaftswachstum.

Гнозы
en

Garagenwirtschaft

Larissa arbeitet als Zuschneiderin bei einem halblegalen Möbelhersteller, der sich in Uljanowsk in einer Garage befindet. Sie sagt, sie arbeite hier, weil es woanders keine Arbeit gebe. „Und sie zahlen anständig – zwischen 25.000 und 40.000 Rubel [umgerechnet 290 bis 580 Euro] kommen dabei raus. [...] Es ist schlecht, dass ich nur schwarz arbeite, es werden keinerlei Sozialabgaben gezahlt, Urlaub geht auch nur schwarz und ohne Lohnfortzahlung. Aber wo ist es schon besser momentan?‟1 Larissa ist eine von mehr als 80.000 Uljanowskern, die im sogenannten „Garagensektor“ arbeiten, so genannte Garashniki. Ein wirtschaftliches Feld, das nach eigenen Gesetzen existiert und vielen in Russland ein Auskommen bietet. Mit dieser Garagenökonomie haben sich kleine und mittelständische Unternehmer eine Nische gesucht, um nicht im Blickfeld der Behörden zu sein. Vizepremierministerin Olga Golodez sprach einmal davon, dass dem Staat bei 38 von 86 Millionen Erwerbsfähigen völlig unklar sei, „wo sie beschäftigt sind, womit sie beschäftigt sind und wie sie beschäftigt sind‟.2 Während der Staat keine Ahnung hat, was diese Menschen tun, weiß die Soziologie, dass sich mindestens fünf Millionen von ihnen eine Existenz als Garashniki aufgebaut haben – und von ihrer Seite alles dafür tun, um sich gerade vom Staat fernzuhalten.

Der Garashnik setzt nicht auf soziale Institutionen des Staates und erwartet auch keine Rente / Foto © Max Sher

Es gab kaum eine Stadt, wo sie ab den 1960-er Jahren nicht wuchsen: riesige Garagenviertel, die sich über viele Quadratkilometer erstrecken und von 400 bis zu 5000 Garagen beherbergen. Von Jahr zu Jahr entstanden neue solcher Gegenden und die Garagen wurden zu einem untrennbaren Teil der sowjetischen und später der postsowjetischen Stadtlandschaft. Auch soziokulturell gesehen. Damals wurden die Garagen meist ihrer Bestimmung nach verwendet – für Autos. Das Auto, so schreibt der Historiker Kirill Kobrin, lieferte Männern „den idealen Grund, um sich aus dem Haus zu verdrücken, wo die Ehefrau nach der Arbeit eine Suppe kochte und darauf Acht gab, dass der Sohn seine Mathehausaufgaben macht, wo es [für den Mann] im Grunde nichts zu tun gab.“ Die Garage wurde zum „Männerklub“, zu „einem der wichtigsten Orte des spätsowjetischen, informellen, horizontalen Soziallebens.“3

Bereits in den 1960er Jahren wurde die sogenannte „Garagenökonomie“ geboren – ein soziales und wirtschaftliches Leben, das sich in der Garagenwelt abspielt. Schon bald tauchten die ersten Meister auf, die private Autoreparaturen anboten oder eigene handwerkliche Produkte fertigten, was zu der Zeit verboten war. In den Folgejahren dehnte sich der Sektor immer weiter aus: Die Gesetzgebung über unternehmerische Tätigkeiten und Eigentumsrechte wurde seit Beginn der Perestroika zunehmend gelockert, parallel dazu wuchs die Anzahl der Garagen, der Garashniki und ihrer Tätigkeitsbereiche.

Im gegenwärtigen Russland finden sich in den Garagen alle möglichen Gewerbearten, oft auch ganz unerwartete. Reparaturwerkstätten, Lackierereien, Soundsystem-Installateure und Reifendienste sind überall verbreitet. In den Garagen werden zum Beispiel Möbel,4 Eisenwaren, Maschendraht, Pflastersteine, Betonblöcke und alle möglichen Baumaterialien hergestellt. Insbesondere im Süden Russlands wurden in den vergangenen Jahren zahlreiche Garagen zu mietbaren Wohngebäuden umgebaut.5 Außerdem werden in den Garagen Lebensmittel produziert und für den Verkauf abgepackt (unter anderem Beljaschi, Pelmeni, Brot, Salat). Anzutreffen sind auch Geschäfte, Cafés, Apotheken, Hundepensionen, Tierärzte, Banjas, Anwaltskanzleien, Inkasso-Unternehmen und vieles mehr. Teilweise bekommt man in einem einzigen Garagenviertel alle Dienstleistungen, die für eine autonome Existenz notwendig sind, was zu einer regelrechten Abschottung von der Außenwelt führen kann.

Der Garashnik

Der typische Garashnik ist ein Mann mittleren Alters, der gar nicht oder nur wenig trinkt („keine Zeit“ oder auch „kein Grund zum Trinken“) und, meist mit Familie, in einer Wohnung in der Stadt lebt. Er fährt einen günstigen Wagen und kleidet sich außerhalb der Garage gewöhnlich sehr anständig. Er hat handwerkliches Geschick und bezeichnet sich selbst in der Regel als Meister. Er arbeitet entweder allein oder in einem Kleinbetrieb mit drei bis fünf Mitarbeitern (häufig sind das Verwandte oder enge Freunde). Normalerweise hat er keine festen Arbeitszeiten. Wenn es viel zu tun gibt, arbeitet er hin und wieder mehr als zehn Stunden täglich und auch am Wochenende. Der Garashnik hat ein ausgeprägtes Sozialleben und pflegt verschiedene Beziehungen, die er für sein Geschäft als relevant sieht. Fragen klärt er für gewöhnlich auf informellem Wege und hat eine genaue Vorstellung davon, mit wem man wie sprechen muss. Der Garashnik besitzt in der Regel keinen Hochschulabschluss. Selbst wenn, besteht kein klarer Zusammenhang zwischen seinem Bildungsabschluss und der ausgeübten Tätigkeit. Als weitaus wichtiger erweisen sich Arbeits- und Lebenserfahrung.

Eine große Rolle beim Abtauchen in die Garagenwelt spielt der Wunsch, unabhängig zu arbeiten, die eigenen Fähigkeiten in angemessener Weise einsetzen zu können, sich als Spezialist selbst zu verwirklichen und Anerkennung aus dem Umfeld zu erfahren. Viele Garashniki sprechen von der Motivation, anderen helfen zu können – wobei sie im Gegenzug erwarten, dass man ihr Handwerk und ihre Professionalität schätzt.

Garashniki und der Staat

„Alle sind halt in den Garagen, weil die Steuern hoch sind, und keiner auffallen will. Dann gibt es diese ganzen Inspektionen, jeden muss man schmieren und jeder will dir in die Tasche greifen‟, so beschreibt der Besitzer einer Autowerkstatt in einer der Hochburgen der Garagenökonomie, Toljatti, seine Lage. Die Garashniki berichten oft von Druck seitens der Behörden auf mittelständische Betriebe. Daher tauchen viele Unternehmer in die Garagenwelt ab, weil sie dort „im Schatten“ ihr Geschäft weiterführen können. Die Garashniki melden für ihre Tätigkeit gewöhnlich kein Gewerbe an oder begrenzen sich auf den Status eines selbstständigen Unternehmers. Doch auch in dem Fall bewerben sie ihre reale Tätigkeit nicht. Der Garashnik setzt nicht auf soziale Institutionen des Staates und erwartet deshalb auch nicht, eine Rente zu bekommen, sondern baut in erster Linie auf sich selbst und sein eigenes Umfeld. Zum Staat verhält er sich wie zu etwas von ihm völlig Losgelösten, das kein besonderes Interesse bei ihm hervorruft, es sei denn, es betrifft direkt sein Leben und seine Arbeit.

So bestimmt im Prinzip weniger geltendes Gesetz das soziale und wirtschaftliche Miteinander in den Garagen, sondern vielmehr ein System informeller Regeln und Normen, nach dem sich die Garashniki streng richten. Die Instanz, die Streitigkeiten löst und Strafen erteilt, ist hier kein Gericht, sondern eine respektierte Person. Das kann der Vorsitzende der Garagenkooperative sein, oder der sogenannte Smotrjaschtschi (etwa „Aufseher“; informeller Chef einer Gemeinschaft) oder der Poloshenez (informeller Chef einer Region).

Beispielsweise muss für jede Garage ein Mitgliedsbeitrag an die Kooperative bezahlt werden (etwa 3000 bis 5000 Rubel im Jahr [umgerechnet 45 bis 75 Euro]), was viele jedoch nicht tun. Statt die Schulden gerichtlich einzufordern, geht man in der Garagenwelt meist anders vor: Zum Beispiel wird dem Schuldner das Garagentor verschweißt, der Strom abgeschaltet oder ein Umzug in eine andere Garage mit schlechteren Konditionen erzwungen – und das, selbst wenn der Schuldner Eigentümer der ursprünglichen Garage war. Zwar gäbe es offizielle Lösungsmechanismen für solche Fälle, sie würden jedoch Kontakt mit dem Staat bedeuten, den aber wollen Garashniki meiden - selbst bei solchen Konflikten.


1.Zitat aus dem unveröffentlichten Interview, das im Rahmen des Forschungsprojektes „Die Garagenökonomie in der russischen Provinz“ geführt wurde.
2.Interfax.ru: Wice-premjer Golodec: 40 mln rossijan zanaty „neponjatno gde i čem‟
3.Kobrin, K. (2016): Sowetskij garaž: istorija, gender i melancholija, in Neprikosnowennyj zapas, Nr. 3 (107)
4.Besonders verbreitet ist die Möbelproduktion in Uljanowsk, wo nach Schätzungen des Regionalchefs der Möbelhersteller bis zu 40.000 Menschen in „Möbelgaragen“ beschäftigt sind.
5.Hauptgrund dafür sind Preissteigerungen auf dem Wohnungsmarkt in diesen Städten und eine gesteigerte Nachfrage durch Gäste. Aktuell werden in Anapa beispielsweise 50 % der Garagen als Wohnraum für den Eigenbedarf oder für Touristen benutzt. Eine vergleichbare Situation bietet sich in Sotschi, Noworossijsk und anderen Kurorten. Diese Entwicklung beschränkt sich jedoch nicht nur auf den Süden Russlands: Auch in Chanty-Mansijsk und seit Kurzem ebenso in Moskau werden ähnliche Tendenzen beobachtet.
6.Selejev, S., Pavlov, A. (2016): Garažniki, Moskau, S. 80

 

Пожертвовать
читайте также
Gnose

Rentensystem

Am Eröffnungstag der Fußball-Weltmeisterschaft 2018 legte die Regierung einen Entwurf zur Rentenreform vor. Tausende Menschen protestierten seitdem gegen die Erhöhung des Renteneintrittsalters. Eduard Klein über das russische Rentensystem, das für viele Experten ein Flickwerk darstellt.
 

Gnose

Russische Wirtschaftskrise 2015/16

Die Wirtschaftskrise im Herbst 2014 hatte Russland ökonomisch vor eine unsichere Zukunft gestellt. Drei unabhängige Entwicklungen setzten die russische Wirtschaft gleichzeitig unter Druck: der Einbruch des Ölpreises, wirtschaftliche Sanktionen gegen Russland sowie strukturelle Probleme, das heißt fehlende Anreize zu Investitionen und zur Steigerung der Produktivität. Erst mit der Erholung des Ölpreises 2017 kam es wieder zu einem leichten Wirtschaftswachstum.

Gnose

Samogon

Als Samogon bezeichnet man einen in häuslicher Eigenproduktion und für den Eigenbedarf hergestellten Schnaps. Grundlage bildet eine Maische, die in der Regel aus Kartoffeln, Früchten, Zucker oder Getreideprodukten besteht und in selbstgebauten Anlagen destilliert wird. Vor allem in den Übergangsphasen vom Zarenreich zur Sowjetunion und später während der Perestroika war der Samogon, der inzwischen fest zur russischen Alltagskultur zählt, weit verbreitet.

Gnose

Sozialprotest

Weit verbreitet sind in Russland Proteste zu Sozialthemen wie Lohnrückstände, Sozialabbau oder LKW-Maut. Im Gegensatz zu Protestaktionen der Oppositionellen und Aktionskünstler wird jedoch über sie gerade von den westlichen Medien selten berichtet. Die Aktionsformen reichen vom Bummelstreik bis zur Selbstverbrennung. Von einigen Beobachtern als unpolitisch abgetan, gilt der Sozialprotest anderen als der wahrhaft politische, da es um konkrete Interessen statt eines abstrakten Wandels geht.

Gnose

Zentralbank

Die Russische Zentralbank ist die Hüterin der Währungsstabilität. War die vorrangige Aufgabe der Zentralbank in den 1990ern, die Inflation des Rubels zu begrenzen,so konnte sie im letzten Jahrzehnt dank steigender Rohstoffexporte große Währungsreserven anhäufen. Ende 2014 musste die Zentralbank einen Teil der Reserven jedoch verkaufen, um den drastischen Kursverfall des Rubels zu verhindern.

Gnose

Lewada-Zentrum

Kurz vor der Dumawahl 2016 war es soweit: Das Lewada-Zentrum, das als das einzige unabhängige Meinungsforschungsinstitut Russlands gilt, wurde als ausländischer Agent registriert. Dem international renommierten Institut droht nun die Schließung. Weshalb das Lewada-Zentrum den russischen Behörden schon seit Jahren offenbar ein Dorn im Auge ist, erklärt Eduard Klein.

Gnose

Walenki

Walenki sind nahtlose, in einem Stück gefertigte Filzstiefel aus Schafswolle. Sie halten auch bei großer Kälte warm und gelten deshalb als ideales Winterschuhwerk für die trockenen russischen Winter. Walenki werden als ein Symbol traditioneller russischer Kultur betrachtet, heute aber in erster Linie mit dem Landleben assoziiert.

показать еще
Motherland, © Таццяна Ткачова (All rights reserved)