In unregelmäßigen Abständen werden wir auf dekoder nun auch Beiträge aus russischen Blogs übersetzen, den Anfang macht diese Woche der Blog noodleremover (russisch: lapschesnimalotschnaja) von Alexej Kowaljow.
Jemandem Nudeln auf die Ohren hängen – das heißt in Russland soviel wie: jemanden für dumm verkaufen, jemandem einen Bären aufbinden. Die Wendung kommt wohl aus dem Gefängnis-Jargon, und mit Nudeln hat sie mit ziemlicher Sicherheit ursprünglich gar nichts zu tun, aber Kowaljow nimmt sie beim Wort: Er hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Fälle zu entlarven, in denen russische Massenmedien ihren Lesern (und Zuschauern) die Pasta auf die Ohrmuscheln zu kleben versuchen – und kratzt sie mit medienanalytischen Werkzeugen wieder ab. Fündig wird er dabei häufig, und seine Leser danken es ihm inzwischen mit bis zu 100.000 page views für jeden seiner Posts.
In dem hier übersetzten Beitrag wirft Kowaljow – der als ehemaliger Chefredakteur von inosmi.ru und Co-Chef von yodnews.ru die Medienszene genauestens kennt – einen Blick auf einige Persönlichkeiten, die im russischen Fernsehen als westliche Experten zu verschiedenen politischen Themen präsentiert werden. Dabei spielt die deutsche rechtsnationale Szene keine unbedeutende Rolle.
Gestern hatte euer ergebener Diener ein Gespräch mit den Kollegen des Internetfernsehens Nastojaschtscheje Wremja [currenttime.tv – dek], und zwar anlässlich eines kürzlich veröffentlichten noodleremover-Beitrags über die „Experten“, die in den russischen Fernsehprogrammen auftreten und sowohl für den einheimischen Markt, sprich für die WGTRK, tätig sind als auch für den ausländischen Markt, also beispielsweise für Sendungen von RT und Sputnik. Diese Experten werden gewissermaßen zur äußeren Legitimation propagandistischer Thesen benutzt – schaut mal her, wir haben uns diese ganzen Geschichten über das niederträchtige Amerika gar nicht selbst ausgedacht, sogar die amerikanischen Experten sagen das.
Es gibt also eine Handvoll Leute, die von Beitrag zu Beitrag ziehen, wo sie mal als „Experten“, mal als „Analytiker“ und mal als „Journalisten und Schriftsteller“ vorgestellt werden. Obgleich sie bei sich zu Hause keineswegs als Experten gelten. In Russland kann man ja Parlamentssprecher oder Leiter der größten Staatsbetriebe sein oder einen anderen höchsten Staatsposten bekleiden und dabei in der Öffentlichkeit den tumbesten verschwörungstheoretischen Blödsinn von sich geben, und das wird dann in den staatlichen Medien abgedruckt, ohne dass es irgendjemanden kümmern würde. Im Westen aber, im Gegensatz zu Russland, hat der Begriff Reputation doch ein gewisses Gewicht. Wenn jemand ein hohes Amt anstrebt oder in den seriösen Medien auftreten will, obwohl er irgendwelche komplett marginalen Standpunkte vertritt oder Anhänger einer Verschwörungstheorie ist, so wird er versuchen, diese für sich zu behalten. Denen, die ihre Leidenschaft für Aluhüte nicht im Griff haben, bleiben nur die Websites für den kleinen Kreis ihrer Gesinnungsgenossen – oder der Fernsehsender RT, wo man ihre Phantasien live an ein mittlerweile durchaus breites, wenngleich weltweit gesehen doch marginales Publikum ausstrahlt. So gelangen „Experten“ zuerst zu RT und von dort aus auch in die Westi – bei näherer Betrachtung entpuppen sie sich dann als stadtbekannte Irre, sonstige schräge Vögel oder als mehr oder weniger offene Nazis.
In meinem Gespräch mit Nastojaschtscheje Wremja kam eine interessante Frage auf, deren Beantwortung bedauerlicherweise nicht gesendet wurde. Woher kommen diese ganzen Leute eigentlich? Sitzt irgendein unbekannter Redakteur des Staatsfernsehens da und überlegt: „Welchen renommierten ausländischen Experten hole ich am besten in die Sendung, damit er dort über Amerikas heimtückische Intrigen berichtet?“ Wir wollen einfach mal versuchen, anhand jenes Westi-Beitrags über sogenannte Couchexperten Licht ins Dunkel zu bringen.
Da ist zum Beispiel William Engdahl, der behauptet, die USA hätten „einen umfassenden Plan zur Dämonisierung Russlands aufgestellt“. Engdahl ist Autor zahlreicher Bücher, Artikel und Vorträge über die schädlichen Folgen von Genmanipulation sowie darüber, dass die globale Erderwärmung ein Mythos sei und dass hinter sämtlichen globalen Entwicklungen in der Welt, vom Sturz des Schahs im Iran 1979 bis zur ägyptischen Revolution 2011, die CIA stehe. Er ist häufig zu sehen auf RT, unter anderem war er in der Sendung Truthseeker im Juli 2014 zugeschaltet, und zwar in der Ausgabe über das „gekreuzigte Baby“, die nach zahlreichen Zuschauerbeschwerden wieder aus dem Programm genommen wurde.
Außerdem ist Engdahl ständiger Autor des Zentrums für Globalisierungsforschung und seine Texte werden häufig auf der Website globalresearch.ca publiziert. Ich habe bereits darüber geschrieben, warum diese Seite eine solch wertvolle Quelle für die verschiedensten „Analytiker“ und „Politologen“ im russischen Fernsehen darstellt. Der Gründer des Zentrums für Globalisierungsforschung Michel Chossudovsky gehört dem wissenschaftlichen Beirat der italienischen Zeitschrift Geopolitica an, deren Chefredakteur Tiberio Graciani wiederum im obersten Rat der Internationalen eurasischen Bewegung sitzt, deren Vordenker und Anführer Alexander Dugin ist. Wenn ihr nicht darüber informiert seid, wer das ist, lest es bitte nach, so auf die Schnelle lässt sich das nicht sagen. Eine, kurz gesagt, facettenreiche Persönlichkeit, die in Russland innerhalb von wenigen Jahren vom „verrückten Professor“ zu einem der einflussreichsten öffentlichen Intellektuellen mit einer enormen Wirkung auf die Innen- und Außenpolitik geworden ist. Über sein Verhältnis zur russischen Führung gibt wohl am deutlichsten ein Zitat von ihm aus dem Jahr 2007 Aufschluss. Seither haben sich seine Ansichten nicht allzu sehr geändert.
„Gegner des Putinschen Kurses gibt es nicht mehr, und wenn doch, sind sie psychisch krank und man muss sie zur Gesundheitsfürsorge schicken. Putin ist überall, Putin ist alles, Putin ist absolut, Putin ist unersetzlich.“ Der Anführer der Eurasischen Bewegung Alexander Dugin am 17. September, auf einem Empfang der Zeitung Izvestia
Es gibt noch eine italienische Zeitschrift für ultrarechte Intellektuelle, die Putin nach dem Prinzip „der Feind meines Feindes“ (Hauptsache, es geht gegen Amerika) unterstützen, und dort steht Engdahl beim wissenschaftlichen Beirat direkt in der Zeile unter Dugin. Man kann also davon ausgehen, dass Engdahl mit Dugin persönlich bekannt ist und über ihn Zugang hat zu den Köpfen und Büros der höchsten Führungsetagen, also auch zu den Chefs der staatlichen Fernsehgesellschaft WGTRK, dass er also nicht auf persönliche Initiative eines Jungredakteurs im russischen Äther auftaucht. Dugin nahestehende Kreise der europäischen Ultrarechten, Neonazis, Euroskeptiker und verschiedenste Verschwörungstheoretiker – das sind, wie es aussieht, die Hauptquelle, aus der das russische Fernsehen seine „Experten“ rekrutiert. Und nicht nur fürs Fernsehen. Da ist zum Beispiel Manuel Ochsenreiter, der regelmäßig sowohl auf RT als auch auf den russischen TV-Kanälen als „Journalist“ herumgeistert. Hier ist er beispielsweise in Gesellschaft von Alexander Dugin zu sehen:
Der Journalist Ochsenreiter ist natürlich ein ziemlicher Spezialfall: Er ist Redakteur der ultrarechten [deutschen] Zeitschrift Zuerst!, die in Deutschland immer wieder für Schlagzeilen sorgte (beispielsweise lehnte der Bauer-Verlag wegen Sympathien für die Nazis die Zusammenarbeit ab). Und Ochsenreiter ist nicht einfach nur ein häufiger Kommentator im russischen Fernsehen – er war auch „Beobachter“ bei den „Wahlen“ in der „Volksrepublik Lugansk“. Die sich anscheinend der Aggression der faschistischen Junta zur Wehr setzt. Mit Hilfe eines echten deutschen Neonazis, der früher eine Zeitschrift über die ruhmreichen Siege der Wehrmacht herausgegeben hat.
Izvestia, 2. November 2014:
Ausländische Beobachter verzeichnen hohe Wahlbeteiligung bei den Wahlen in der Volksrepublik Lugansk
Der Vertreter Deutschlands, Manuel Ochsenreiter, erklärte, er habe bislang „keinen einzigen Verstoß beobachtet“.
Die ausländischen Beobachter, die an dem Wahlmonitoring teilnehmen – gewählt werden das Oberhaupt der Volksrepublik Lugansk und die Abgeordneten des Volkssowjets – verzeichnen eine hohe Wahlbeteiligung.
„Wir kommen gerade aus einem Wahllokal – das war voll bis zum Anschlag. Mein erster Eindruck ist, dass die Menschen ein enormes Interesse daran haben, an diesen Wahlen teilzunehmen“, erklärte Manuel Ochsenreiter, der hier Deutschland vertritt, gegenüber der Nachrichtenagentur TASS. Die Gruppe, der er angehört, hatte ein Wahllokal in Brjanka besucht.
Und so sieht das Cover der Deutschen Militärzeitschrift aus, deren Chefredakteur Ochsenreiter bis 2011 war:
Weiter im Text unseres Westi-Beitrags: Nach Engdahl tritt dort Jeffrey Steinberg auf. Steinberg schreibt für die Zeitschrift Executive Intelligence Review, die von der sogenannten LaRouche-Bewegung (LaRouche Movement) herausgegeben wird. Die „Bewegung“ – diplomatisch ausgedrückt, in Wirklichkeit sind die LaRouchisten eine faschistoide Sekte mit ziemlich ekelhaften Ritualen (nachzulesen beispielsweise unter dem Stichwort „Ego-Striptease“ [im Wikipedia-Eintrag über LaRouche – dek]). Ihre Ansichten sind ebenfalls extrem verschwörungstheoretisch und sektenmäßig. Die LaRouchisten haben zum Beispiel einen kompletten Dachschaden, was die britische Königsfamilie angeht, die ihrer Ansicht nach generell an allem Unglück der Menschheit schuld ist, Königin Elisabeth II. kontrolliert persönlich das Kokainkartell und so weiter. Eben jener Jeffrey Steinberg behauptete zum Beispiel in einem Interview, Prinzessin Diana sei nicht bei einem Autounfall ums Leben gekommen, sondern auf Weisung Prinz Philips vom britischen Geheimdienst ermordet worden (eine populäre Verschwörungstheorie bezüglich Diana: murder, not accident). Bei der Zeitschrift Executive Intelligence Review (EIR) finden sich regelmäßig Cover im Geiste wie diesem hier:
Wie ihr wahrscheinlich ahnt, ist in Amerika die Herausgabe von Zeitschriften mit einem derartigen Cover und solchen Ansichten zwar nicht verboten (man stelle sich das mal entsprechend in Russland vor), doch sie sind, gelinde gesagt, bei der breiten Masse nicht gerade beliebt.
Ganz anders in Russland. Zum einen haben die LaRouchisten eine Niederlassung in Russland – das sogenannte Schiller-Institut. Und die Executive Intelligence Review hat auch eine russischsprachige Website. Dort steht genau das Gleiche wie im Original, bloß dass es in russischer Übersetzung noch hirnverbrannter wirkt:
Britische Agenten – Verfechter des Völkermords [an in der Ukraine lebenden Russen] – [...] Organisation eines US-imperialen Umsturzes in der Ukraine. Mannomann.
Dabei sind diese Leute nicht erst gestern aufgetaucht. Seit 2008 gibt Lyndon LaRouche auf RT regelmäßig Interviews.
Doch er ist nicht vom Himmel gefallen. Lyndon LaRouche ist kein persönlicher und langjähriger Freund von irgendjemandem, sondern vom Präsidentenberater zu Fragen der Wirtschaftsintegration Sergej Glasjew. Hier sehen wir LaRouche und Glasjew im Jahr 2001 auf einer gemeinsamen Pressekonferenz:
Und hier eine persönliche Gratulation von Sergej Glasjew an Lyndon LaRouche auf der russischen EIR-Seite:
Lieber Lyndon LaRouche!
Von ganzem Herzen gratuliere ich Ihnen zu Ihrem runden Geburtstag, den Sie dieser Tage feiern, Sie, ein weltweit anerkannter Wissenschaftler, der verdientermaßen die Achtung von Spezialisten, Politikern und Personen des öffentlichen Lebens in verschiedenen Ländern der Welt genießt. Ihre visionäre Gabe und die von Ihnen lange vor der weltweiten Finanzkrise erarbeitete Prognose des Zusammenbruchs des internationalen Finanzsystems haben Ihnen den Ruhm eines Propheten und Gurus für die Schlüsselprobleme der Menschheitsentwicklung eingebracht!
Aufrichtig wünsche ich Ihnen neue schöpferische Großtaten, eine robuste Gesundheit und das Glück, die Umsetzung Ihrer Vorschläge und Empfehlungen zur Gesundung und Entwicklung der Weltwirtschaft mitzuerleben.
Ihr
Sergej Glasjew
29.08.2012
Wie ihr seht, fallen diese „Experten“ und „Analytiker“ wirklich nicht vom Himmel und werden nicht auf Initiative irgendwelcher Nachrichtenredakteure ins russische Fernsehen geholt, sondern von ihren Freunden an der Spitze der russischen Macht. Dugin, Glasjew und die Partei Rodina unterhalten enge Verbindungen zu europäischen und amerikanischen Ultrarechten, Neonazis und sonstigen Obskuranten, die man als im Westen einflussreiche Politikwissenschaftler und Journalisten ins Fernsehen schleift – die sie aber natürlich nicht sind. Und die sich deshalb freuen wie die Schneekönige, wenn sie, zwar nicht im eigenen Land, aber in Russland, ins echte Fernsehen dürfen und als wichtige Leute vorgestellt werden. Die Partei Rodina, der Sergej Glasjew angehört, ist ebenfalls ein Großlieferant für unterschiedlichste handgemachte TV-„Experten“. Einer davon ist zum Beispiel John Laughland, der immer wieder in der Nachrichtensendung Westi zitiert wird. Mindestens schon seit 2002:
Heute wird Laughland als „Forschungsprogrammleiter des Instituts für Demokratie und Zusammenarbeit“ zitiert. Dieses hat seinen Sitz in Paris und nennt sich solide The Institute of Democracy and Cooperation oder auch Institut de la Démocratie et de la Coopération. Nur ist Leiter des Instituts nicht Laughland und auch nicht irgendein Monsieur Sowieso, sondern die ehemalige (2003–2007) russische Dumaabgeordnete für die Partei Rodina Natalja Narotschnizkaja, die von Putin persönlich zur Leiterin ernannt wurde.
Narotschnizkaja und Laughland sind ebenfalls langjährige und gute Freunde.
Das Institut für Demokratie und Zusammenarbeit ist eine NGO, die offiziell von Russland aus gegründet wurde und gesponsert wird. Wenn ihr also solche Experten im Fernsehen seht, lasst euch nicht durch ein Institute of Democracy and Cooperation und einen Mister Laughland täuschen, die die NATO, Amerika und die Demokratie kritisieren – das sind alles einheimische Pflanzen.
So weit für heute, lasst euch keine Nudeln auf die Ohren hängen und bleibt online.
PS: Für eine Vielzahl an nützlichen Hinweisen dankt der Nudelentferner Anton Schechowzow, der die Verbindungen zwischen dem russischen Polit-Establishment und den europäischen und amerikanischen Ultrarechten gründlich erforscht hat.