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Zurück in die Zukunft

„Im heutigen Belarus fungiert die Geschichte als eines der wichtigsten Elemente der Staatsideologie”, sagt Waleri Karbalewitsch. In seiner Analyse für das Online-Medium Pozirk zeigt der Politikwissenschaftler, wie das Lukaschenko-Regime historische Narrative einsetzt und umdeutet, um zusätzlich zu einer neuen Wirklichkeit eine eigene Erinnerungskultur zu formen. 

Источник Pozirk – Nawіny pra Belarus

Lukaschenkos Vision der belarussischen Geschichte, versinnbildlicht im neuen Nationalen Historischen Museum / Collage dekoder, Architekturentwurf © belta.by, Foto © Sergei Savostyanov/ Itar Tass/ Imago 

Bei einem Besuch im Agrogorodok Parochonsk (Rajon Pinsk) kam Alexander Lukaschenko am 4. Oktober plötzlich auf das Thema Geschichte zu sprechen. Dabei überhöhte er die Bedeutung der Geschichte ins Unermessliche, als wäre sie für die belarussische Gesellschaft geradezu überlebenswichtig. 

Er sagte: „Die [im Westen] wollen, dass wir die Geschichte vergessen. Aber unsere Geschichte ist voller Helden. Es genügt nicht, sich nur zu erinnern, stolz müssen wir sein. Und das sind wir auch. <...> Sie wollen uns also umkodieren, neu formatieren. Sie wollen uns zu anderen machen – zu Iwans, die ihre Herkunft nicht mehr kennen. Damit verfolgen sie Schritt für Schritt das Ziel: uns wieder unterwerfen, uns in die Knie zwingen. Sie wollen uns zwingen zu tun, was sie brauchen, um auf unsere Kosten zu leben.“ 

Lukaschenko meint also, der Westen wolle mithilfe der Geschichte Belarus unterwerfen und unterdrücken. Hier drängen sich gleich mehrere Fragezeichen auf: Wo? Wann? Wie? Bisher war hauptsächlich von militärischer Bedrohung durch den Westen zu hören. Haben die Westler jetzt die Methoden geändert? Offenbar geschieht das so heimlich, dass es niemandem auffällt. Und nur mit dem Scharfsinn eines Alexander Grigorjewitsch gelingt es einem, zur Wahrheit durchzudringen, das Unsichtbare zu sehen. 

Erinnerungspolitik als grelle Illustration 

Als Reaktion auf die arglistigen Machenschaften des Westens verfolgen die belarussischen Machthaber ihre eigene Erinnerungspolitik. Dieser Prozess weist einige Besonderheiten auf:  

1. Vor allem fungiert das historische Gedächtnis als wichtigstes Element der Staatsideologie, manchmal sogar als ihr Ersatz. Denn das Regime kann keine klare Ideologie anbieten, die nämlich Narrative für die Zukunft erfordern würde. Deswegen appelliert es an die Vergangenheit. Eine heldenhafte Vergangenheit als Ersatz für eine strahlende Zukunft – das ist die Botschaft an die Gesellschaft. 

2. Die Erinnerungspolitik in belarussischer Auslegung ist eine grelle Illustration, zitiert wunderbar die bekannte These des sowjetischen Historikers Michail Pokrowski, Geschichte sei über die Vergangenheit gestülpte Politik.  

In allen Staaten nutzen Regierungen und Politiker historische Narrative, um ihren politischen Kurs zu legitimieren. Zumindest jene Narrative, die an Schulen unterrichtet werden oder in der Kunst Ausdruck finden (Geschichte als Wissenschaft klammern wir mal aus). Der russische Publizist Alexander Rubzow schrieb: „Sobald sich die Macht an die Geschichte heranmacht, dann wird Geschichte nicht mehr erforscht, sondern verwaltet wie eine begrenzte Ressource.“ 

Tatsächlich wirkt das bei uns oft allzu künstlich. Die Machthaber glauben, sie müssen permanent vom Sieg im Großen Vaterländischen Krieg sprechen, vom „Genozid am belarussischen Volk“ erzählen – und dann wird das Volk Lukaschenko lieben. Ob das funktioniert, ist fraglich. 

Welche Aspekte der Geschichte hervorgehoben werden, ist ein Indikator für Tendenzen des politischen Lebens, die starken Schwankungen unterliegen. Ein Beispiel dafür: Bis vor Kurzem war Kastus Kalinouski vielleicht die einzige Figur aus der belarussischen Geschichte, die weder Gesellschaft noch Politik spaltete. Er war bei Nationalisten und Kommunisten gleichermaßen anerkannt, gehörte auch in der Sowjetzeit zu den belarussischen Nationalhelden. Er hätte ein Symbol der belarussischen Einheit sein können. Das Regime machte jedoch auch aus ihm ein Symbol der Spaltung. 

Im November 2019 wurde zur feierlichen Umbettung von Kalinouskis sterblichen Überresten eine belarussische Delegation nach Vilnius entsandt, an deren Spitze Vizepremier Igor Petrischenko stand. Bei der offiziellen Zeremonie sagte er, Kalinouskis Wirken sei eng verbunden mit der Entwicklung der National- und Kulturbewegung zu einem Kampf für die belarussische Staatlichkeit und für einen eigenen, vom Volk regierten Staat. Damit ist klar, dass Kalinosuki ein belarussischer Nationalheld ist.  

Und es wurde noch besser: „Die Parole der Aufständischen um Kastus Kalinouski war wohlgemerkt: ‚Wen liebst du? – Ich liebe Belarus‘. Das Vermächtnis der Kämpfer hat nicht an Aktualität verloren und findet seine Fortsetzung in der obersten Devise unseres Landes: ‚Für ein starkes und blühendes Belarus‘“. Das lässt sich wohl herunterbrechen auf: Lukaschenko ist ideologisch ein Nachfolger Kalinouskis! 

Am 17. November 2019 sagte der Herrscher höchstselbst in einem Wahllokal auf die Frage von Journalisten, was er von Kalinouski halte: „Er wirkte in unserer Region, war einer von uns, wenn Sie so wollen – ein Staatsbürger. Das ist nicht zu leugnen.“ Es dauerte gar nicht lange, und alles war anders. Am 2. Juli 2022 hielt Lukaschenko bei Feierlichkeiten zum Unabhängigkeitstag eine Rede, in der er über den Aufstand von 1863 sagte, das belarussische Volk habe gegen die polnischen Aufständischen gekämpft, die von den belarussischen Bauern gefangen und dem Zaren ausgeliefert worden seien, weil sie nicht wieder unter die polnische Knute wollten.  

Anders gesagt: Die Aufstände gegen Russland auf belarussischem Territorium gelten nun offiziell als polnische Aufstände, zudem hätten sie sich nicht nur gegen das zaristische Imperium gerichtet, sondern auch gegen Belarus. Dazu zählt eben auch der Aufstand unter Kalinouskis Führung. 

Was ist da passiert? Der politische Wind hat sich gedreht. Seit 2020 schreibt sich das Regime fest in Russlands ideologischen Kontext ein und verzichtet im Umgang mit der eigenen Geschichte auf ein nationales Narrativ. Die Staatsideologie passt sich an die veränderten, momentanen Bedürfnisse der herrschenden Riege an, deren politisches Überleben auf dem Spiel steht. 

Großteil der Geschichte einfach abgehackt 

3. Historische Inhalte werden der Gesellschaft sehr aggressiv vermittelt, als einzige Wahrheit. Jegliche alternativen Ideen sind verboten und werden strafrechtlich verfolgt. Bücher, die Kritik an der Sowjetunion enthalten, werden für extremistisch erklärt.  

Das Thema des „Genozids am belarussischen Volk“ wird bezeichnenderweise von der Generalstaatsanwaltschaft bearbeitet. Auf Grundlage ihres Materials werden Schulbücher zu diesem Thema herausgegeben. Gleichzeitig führt diese Behörde Strafverfahren wegen Leugnung des Genozids durch. Die Propagandamaschine funktioniert also nicht ohne politische Repressionen gegen Andersdenkende. Den Gegner mundtot zu machen, ist eine Bedingung für den Erfolg.  

4. Eine eigenwillige Geschichtsinterpretation wird auch zur Entwicklung eines Lukaschenko-Kults aktiv eingesetzt. So hielt der Mythos in die Lehrbücher Einzug, die Präsidentschaftswahlen 1994 seien der wahre Beginn der belarussischen Staatlichkeit und gar der belarussischen Geschichte. So wird Lukaschenko zum „Gründervater“ der belarussischen Unabhängigkeit und Eigenstaatlichkeit erklärt. Um diesen Mythos zu stärken, werden andere bedeutende Ereignisse der reichen belarussischen Geschichte kleingehalten, Nationalhelden Stück um Stück abgewertet. 

Bereits 2005 ließ Lukaschenko nach Franzisk Skaryna und Pjotr Mascherow benannte Straßen im Zentrum von Minsk umbenennen. Nun ist Kalinouski an der Reihe. Die Entfernung seines Namens aus der belarussischen Geschichte ist nicht nur ein Tribut an die Ideologie des Russki Mir. Lukaschenko soll einfach keine Konkurrenz haben. 

Um die Bedeutung der eigenen Person aufzuzeigen, nutzt Lukaschenko auch selbst den Blick in die Geschichte. Im September 2024 sagte er bei einer Feierstunde zum Tag der Nationalen Einheit: „1919 <...> war die Stimme der neu gegründeten Belarussischen Sowjetrepublik noch nicht recht zu hören. Vielleicht, weil es keine Einheit gab. <...> Alle möglichen Nazmeny, nationalen Minderheiten, stritten sich um die Macht. <...> Hätten wir damals schon eine starke Hand und Einigkeit gehabt, dann hätten wir standgehalten. Und die Katastrophe mit dem Vertrag von Riga wäre nie passiert ...“ 

Nun ja, Sie verstehen, es gab keine „starke Hand“. Übersetzt in einfache Sprache: Hätte es damals eine Diktatur gegeben, so wie heute mit Lukaschenko an der Spitze, dann wäre das Land in Ordnung. Das ganze Unglück von Belarus basiert darauf, dass es damals noch keinen Lukaschenko gab, dass er leider erst jetzt aufgetaucht ist. (Anmerkung in Klammern: In 30 Jahren konnte niemand dem Herrscher vermitteln, dass Nazmeny für Nationale Minderheiten steht, und nicht – wie er denkt – für Nationalisten.) 

5. Historische Mythen, die dem Nationalbewusstsein zugrunde liegen, sollen normalerweise zeigen, dass der jeweilige Staat eine tiefverwurzelte Tradition hat. Je tiefer, desto besser. Der national orientierte Teil der belarussischen Intelligenzija betrachtete das Großfürstentum Litauen als historisches Fundament für den belarussischen Staat.  

Die Erinnerungspolitik, die die Regierung der Gesellschaft anbietet, umfasst allerdings nur einen sehr kleinen Ausschnitt der Geschichte. Im Grunde beschränkt sie sich auf die Zeit von 1941 bis 1945. Die restliche tausendjährige Geschichte von Belarus wird ausgeklammert, man kennt sie, interessieret sich aber kaum dafür. Man versucht, die gesamte heutige Politik durch das Prisma des Zweiten Weltkriegs zu interpretieren.  

Nach der imperialen Pfeife 

6. Die gesamte belarussische Geschichte wird nun als Teil der russischen betrachtet. Für die Mittelschule wird ein Lehrbuch zur gemeinsamen Geschichte des Unionsstaates erarbeitet, zudem wird eine Reihe mit dem Titel „Russland und Belarus: Seiten gemeinsamer Geschichte“ herausgegeben und es wurde das Label „Bibliothek des Unionsstaates“ ersonnen. 

Anders ausgedrückt: So wie die sowjetischen Schüler die Geschichte Russlands als „Geschichte der UdSSR“ lernten, so lernen die heutigen belarussischen Schüler die Geschichte Russlands unter dem Titel „Geschichte des Unionsstaates“. Die belarussische Geschichte aus nationaler Perspektive wird entsprechend verschwinden. 

Die Erfahrung anderer Länder zeigt, dass die Herausbildung einer jungen Nation auf einem strikten ideologischen Bruch mit dem Imperium und dem kolonialen Erbe (in unserem Fall dem russischen und sowjetischen) basieren muss.  

In Belarus läuft heute alles umgekehrt. Nationale belarussische ethnokulturelle Symbole und Elemente werden verworfen. Mehr noch, die weiß-rot-weiße Flagge, das Pahonja-Wappen, die Rada BNR werden zu nazistischen Symbolen erklärt. Die Regierung formt die belarussische Identität auf Grundlage russischer Geschichtsnarrative. Zu allen anderen Abhängigkeiten der Republik Belarus von Russland (wirtschaftlich, politisch, militärisch) kommen nun noch ideologische und soziokulturelle Abhängigkeiten hinzu. 

In diesem Zusammenhang sagte der polnische Historiker belarussischer Herkunft, Oleg Łatyszonek: „Lukaschenko ist mit keinem anderen Diktator der Weltgeschichte vergleichbar. Mir ist kein Diktator bekannt, der kein Patriot war. Das waren immer Nationalisten, alle wollten ihre Nation aufwerten. Aber hier haben wir den ersten, der seine Nation vernichtet.“ 

7. Die Geschichte wird aktiv zur Herleitung einer antipolnischen Politik genutzt. Polen wird das Bild eines äußeren Feindes zugeschrieben. Lukaschenko versucht, mit antipolnischen Narrativen weniger eine nationale, als vielmehr eine regionale Identität zu etablieren. Der gesamte Nationalismus im postsowjetischen Raum war antirussisch geprägt. Der ehemalige ukrainische Präsident Leonid Kutschma schrieb ein Buch mit dem Titel „Die Ukraine ist nicht Russland“. Lukaschenko hingegen versucht, den belarussischen Pseudonationalismus als antipolnisch festzuschreiben. 

Auch der neue Feiertag – der „Tag der Nationalen Einheit“ am 17. September – hat eine klar antipolnische Ausrichtung. Die Staatspropaganda spielt aktiv mit historischen Traumata der Zwischenkriegszeit, als der Westen von Belarus zu Polen gehörte. Das polnische Thema scheint auch in der offiziellen Kampagne gegen „Nazismus“ auf. In Dokumenten der Sicherheitsorgane, zum Beispiel in der Anklageschrift gegen den Vorstand der geächteten Bund der Polen in Belarus, werden die Soldaten der Armia Krajowa mit den Nationalsozialisten gleichgestellt.  

So wird die Geschichte in unverwechselbarer belarussischer Interpretation zu einer Dienstmagd der Politik. 

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Gnose Belarus

Francisk Skorina

Bibeldrucker, Unternehmer, der Johannes Gutenberg der Ostslawen: Francisk Skorina ist für Belarusen ein wichtiger Teil ihrer kulturellen Identität. Marion Rutz über den europäischen Grenzgänger, der die erste ostslawische Bibel druckte und außerdem das erste Druckwerk im Großfürstentum Litauen schuf – das jetzt zum 500. Jahrestag gefeiert wird. 

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Francisk Skorina

„Die herausragendste Persönlichkeit in der gesamten belarusischen Kultur“1 – so fasst es der renommierte Slawist Arnold McMillin zusammen. Francisk Skorina (belarus. Francysk oder Francišak Skaryna), 1470 bis ca. 1551, war der erste Ostslawe, der Bücher druckte. Angetrieben wurde er von der revolutionären Idee, den „einfachen Menschen“ eine sprachlich zugängliche Bibel zu liefern, die Biblija ruska. Mit Skorinas Bibel beginnt in der belarusischen Literaturgeschichte zugleich die Epoche der Renaissance: Skorinas rhetorisch ausgefeilten Vorworte sind bis heute lesenswert und die Gedichte Pionierarbeiten. Er signierte seine Werke, im Geist einer neuen Zeit, völlig unbescheiden: Er platzierte seinen Namen in roten Großbuchstaben auf dem Titelblatt der Heiligen Schrift. In einigen Exemplaren findet man sogar einen Holzschnitt mit seinem eigenen Porträt. 

Skorina ist für Belarus*innen ein wichtiger Teil ihrer kulturellen Identität, weil er aus der Region stammt. Er ist aber auch eine Symbolfigur für die multikulturelle Gesellschaft Litauens, denn er war zugleich der erste, der in Vilnius und damit im damaligen Großfürstentum Litauen Bücher druckte, und zwar im Jahr 1522, also genau vor 500 Jahren. Wer war Francisk Skorina? 

Vielleicht sollte man Skorina vor allem als einen Tatmenschen und Geschäftsmann sehen: mehr Johannes Gutenberg als Martin Luther, mehr Drucker als Reformer, mehr Buchhändler als Poet. Er stammte aus Polazk, das um 1500 eine florierende Handelsstadt war, und sein Vater war Kaufmann. Anders als Luther war Skorina kein Geistlicher und hat auch nie Theologie studiert. Er durchlief das übliche Grundstudium in den „Freien Künsten“ (Abschluss 1506 in Krakau) und machte danach seinen Magister. Er studierte auf Latein, muss aber auch eine Schule besucht haben, an der er die kyrillische Schrift und Kirchenslawisch lernte. An einer der Eliteuniversitäten seiner Zeit, im italienischen Padua, erwarb er 1512 schließlich den Doktor der Medizin.2

Ohne zertifizierte theologische Expertise sollte Skorina sich weniger als fünf Jahre nach der Promotion daran machen, die Biblija ruska zu drucken – ein Mammutprojekt. Die Heilige Schrift sei „nicht nur für Doktoren“, schrieb er, sondern für jeden wichtig. Dabei hatte er vor allem ostslawisch-orthodoxe Gläubige im Blick. 

Ein kosmopolitischer Europäer 

Mit dieser Idee und bei der Umsetzung in die Praxis zeigte sich Skorina als kosmopolitischer Europäer: Er bezog das notwendige Wissen vorurteilsfrei aus verschiedenen Kulturräumen und kümmerte sich nicht um konfessionelle Grabenkämpfe oder politische Konflikte. 
Die Arbeit an der Bibel, der Skorina seinen Ruhm verdankt, füllt allerdings einen recht geringen Teil seines bewegten Lebens. Seine intensive Drucker-Zeit dauerte (mit Unterbrechungen) nur von 1517 bis 1525. Dann wechselte er endgültig zurück in Brotberufe, denn als Nicht-Adliger und Nicht-Geistlicher musste er sich aktiv um seinen Lebensunterhalt bemühen: Er war zum Beispiel Arzt und Sekretär des Bischofs von Vilnius (vielleicht schon 1523, bis 1535). 1529 bis 1530 findet man ihn am Hof von Herzog Albrecht von Preußen. 1532 sitzt er wegen der Schulden seines verstorbenen Bruders im polnischen Posen im Gefängnis.3 
Irgendwann zwischen 1525 und 1533 ist er offenbar nach Moskau gereist und erlitt bei dem Versuch, einen neuen Absatzmarkt zu eröffnen, Schiffbruch. Das legt ein Beschwerdebrief des polnischen Königs und litauischen Großfürsten Sigismund II. August nahe: Auf Befehl des Zaren, heißt es darin, seien im Moskauer Reich Bibeln „in rus(s)ischer Sprache“ vernichtet worden, die ein Untertan seines Vaters gedruckt habe. Wem sonst als dem damals einzigen ostslawischen Bibeldrucker Skorina kann das passiert sein?4 


Links: Titelblatt des Buchs Genesis5, rechts: Skorina-Porträt aus dem Buch Jesus Sirach, letzte Seite6  / Bilder © gemeinfrei/open access

Buchkunst und Branding: die Prager Bibel

Die Hochzeit seines Druckerlebens verbrachte Skorina in Prag. Mit beeindruckender Geschwindigkeit wurde in den Jahren 1517 bis 1519 in einer angemieteten Werkstatt Buch auf Buch der Biblija ruska gedruckt. Jedes erschien als separate Einheit, mit der Option, alle zu einer Gesamtausgabe zusammenzufügen. Den Anfang machte der Psalter, danach Hiob, dann weitere Weisheitsbücher. Offenbar war hier die Nachfrage am größten: Der (manuell vervielfältigte) Psalter war damals das meistgelesene Buch überhaupt, erbauliche Lektüre für alle Lebenslagen, Gebetbuch und Lyrikband in einem. Mit Psalmen lernten Schüler die kyrillische Schrift lesen. Danach druckte die Prager Werkstatt weitere Teile des Alten Testaments, bald aus den Propheten, bald aus den Chroniken, dazwischen die fünf Bücher Mose – das Buch Genesis enthielt das repräsentative Gesamt-Titelblatt und ein umfangreiches Vorwort.

Der Herstellungsprozess war sicherlich Teamarbeit: Mitarbeiter bedienten den Setzerkasten und die Presse. Auch das Buchdesign der Biblija ruska stammt nicht allein von Skorina, all die Zeichnungen, die dann in Holz geschnitten wurden, die schmückenden Ornamentleisten, die verspielten Initialen.7 Offen bleibt, ob der Meister selbst die Muster für die im Ausland gefertigten kyrillischen Metalllettern entwarf. Konnten die Prager Mitarbeiter Kyrillisch lesen? Hat jemand seine Manuskripte lektoriert oder beim Setzen korrigiert?  

Wer in den – heute digital zugänglichen – Originalen blättert oder das berühmte Skorina-Porträt auf dem Titel studiert, trifft auf sich wiederholende Symbole, die nach wie vor Rätsel aufgeben. Selbst beim bekanntesten Motiv, einer Kombination aus Sonne und Mond, ist noch nicht endgültig geklärt, welche biographischen Bezüge oder symbolischen Bedeutungen dahinterstecken. In jedem Fall handelt es sich aber um eine Art Markenzeichen, mit der Skorina eine Gesamtautorschaft beansprucht. Der tschechische Forscher Ilja Lemeschkin hat kürzlich ein anderes Element entschlüsselt: Die (kyrillischen!) Buchstaben МЗ auf dem berühmten Porträt sind als Zahlen zu lesen. Skorina war im Jahr 1517, in dem er porträtiert wurde, also 47 Jahre alt und man muss die bisherigen Schätzungen um zehn bis 20 Jahre korrigieren. Die ‚Kritzeleien‘ in den drei Kartuschen am unteren Bildrand sind ebenfalls kunstvoll verflochtene Buchstaben. Sie ergeben Skorinas Vor- und Nachnamen sowie den akademischen Titel.9
Nach Prag sollte Skorina 1535 zurückkehren. Seine letzte bekannte Anstellung war die als Gärtner auf der Prager Burg im Dienst von Ferdinand von Habsburg, dem späteren Kaiser. Er starb ungefähr 1551, wohlgemerkt im Königreich Böhmen. 

Jubiläum 2022: Skorina – Vilnius – Litauen

Anfang der 1520er Jahre hatte Skorina Prag verlassen und begann, in Vilnius zu drucken. Sein zweites – und letztes – in der Hauptstadt des Großfürstentums Litauen produziertes Buch, erschien 1525. Es umfasste die Apostelgeschichte und Apostelbriefe, eine Art Fortsetzung seiner Biblija ruska, die sich noch auf Bücher des Alten Testaments beschränkt hatte. Das erste Buch der neuen Werkstatt verdient allerdings mehr Beachtung: Das Kleine Reisebuch (Malaja podoroshnaja knishka) ist 1522, also vor genau 500 Jahren, erschienen und war das erste gedruckte Buch im Großfürstentum. Dieses Jubiläum wird 2022 in der gesamten Region gefeiert, vor allem in Belarus und Litauen. Wegen des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine fallen die Festlichkeiten allerdings etwas ‚leiser‘ aus und mit weniger Kooperationen als geplant.10 

Wie bei der Biblija ruska handelt es sich auch beim Kleinen Reisebuch um ein Konvolut von einzelnen Publikationen, die auch separat erworben werden konnten. Zusammen bilden sie eine Art universelles Andachtsbuch. Die komplette Version umfasste den nachgedruckten Psalter, Gebete und kunstvolle Hymnentexte (darunter zwei von Skorina selbst verfasste Gedichte), komplettiert mit kalendarischen Übersichten. Zusammengebunden ergibt sich ein Kompendium vom Format eines dicken Reclam-Buchs, das sich trotz des Umfangs von mehr als 700 Seiten gut in der Reisetasche verstauen ließ. Das einzige vollständig erhaltene Exemplar befindet sich heute in Kopenhagen.11 

Dieser Visionär hat in der Kulturgeschichte einer ganzen Region Spuren hinterlassen. In Vilnius erinnert unter anderem die 1973 von einem Kunststudenten illegal errichtete Skulptur „Chronist“ an ihn. Sie markiert den Ort, wo Skorinas Werkstatt vermutet wird. / Foto © Marion Rutz
 

Belarusische Ambivalenzen

In Belarus ist Skorina heute eine markante Größe im literarischen Kanon und im kollektiven Gedächtnis. Es gibt Denkmäler, Straßen und Schulen, die nach ihm benannt sind. So wertgeschätzt wurde er allerdings nicht immer. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die die Sowjetzeit bewusst erlebt haben, notieren, dass Skorinas Bedeutung in der UdSSR lange Zeit heruntergespielt worden sei, um die Leistungen eines Anderen nicht zu überschatten: Iwan Fjodorow hatte 1564 – also mehrere Jahrzehnte nach Skorina – als erster Ostslawe in Moskau gedruckt. 
In einem erklärtermaßen atheistischen Staat galt es zudem zu übertünchen, dass Skorinas Lebenswerk im Kern darin bestand, möglichst vielen Menschen einen Zugang zum Wort Gottes zu eröffnen. Außerdem verwies der Name „Francisk, Franciscus“, mit dem er unterschrieb, eigentlich auf ein katholisches und damit polnisch beeinflusstes Milieu. Dies kam ihm insofern nicht zugute, da die sowjetische Geschichtspolitik polnischen und polonisierten Adeligen sowie der katholischen Kirche die Rolle der Bösewichte zuwies.12 In der belarusischen Forschungslandschaft brachten die Jahre 1988 bis 1990 die endgültige Wende. Der (falsch datierte) 500. Geburtstag Skorinas motivierte zu Editionsprojekten, Quellensammlungen und Monografien; zeitgleich bröckelte dank Glasnost und Perestroika das ideologische Zwangskorsett.
 

Der Unabhängigkeitsprospekt in Minsk, vormals Francisk-Skaryna-Prospekt: „Schwer zu fabrizierende Quadratur des Kreises, den europäischen Grenzgänger und Freigeist Skorina in das vom Lukaschenka-Regime propagierte Wertesystem einzupassen“ / Foto © Hanna Zelenko/CC BY-SA 3.0 

Neben den in der belarusischen Sowjetrepublik betriebenen Gedenk- beziehungsweise Vergessens-Praktiken gab es weitere Erinnerungsdiskurse, die ganz anders gelagert waren: Die belarusische Diaspora, die antikommunistisch gesinnt war, fand in Skorina – quasi als gebürtigem Belarusen – während des Kalten Krieges einen wichtigen identitätsstiftenden Bezugspunkt. Das 1951 in New York gegründete Belarusian Institute of Arts and Sciences wählte etwa das Skorina-Porträt als Logo. Und in London entstand die Francis Skorina Belarusian Library.13 

Obwohl Skorina heute in der offiziellen belarusischen Erinnerungskultur einzementiert erscheint, fallen gewisse Unstimmigkeiten auf. So wurde 1995 die wichtigste Magistrale der Hauptstadt (erneut) umbenannt: von Francisk-Skaryna-Prospekt in Unabhängigkeitsprospekt. Und es dauerte Jahre, bis entschieden war, dass das monumentale Minsker Skorina-Denkmal vor der Nationalbibliothek stehen sollte. Es erweist sich als schwer zu fabrizierende Quadratur des Kreises, den europäischen Grenzgänger und Freigeist Skorina in das vom Lukaschenka-Regime propagierte Wertesystem einzupassen, das zurück in die Sowjetzeit strebt.14

Mann der Superlative – berechtigt?

Aber auch der euphorische Skorina-Kult, dem sich die national und Lukaschenka-kritisch gesinnte belarusische Intelligenzija verschrieben hat, hat seine Schattenseiten. Man will in Skorina den Patrioten sehen, einen, der seiner „belarusischen“ Heimat und Muttersprache zutiefst verbunden gewesen sei. Man spricht über ihn in Superlativen, die den Blick auf seine Leistungen und sein Werk nicht weniger verstellen, als die ideologischen Vorgaben der Sowjetzeit. 

Tatsächlich besteht in der Wissenschaft bis heute bei grundlegenden Fragen Uneinigkeit und Klärungsbedarf. Kann man Skorina überhaupt als vollwertigen Bibel-Übersetzer bezeichnen? Denn anders als Luther übersetzte er nicht aus den Originalsprachen, sondern aus zweiter oder sogar dritter Hand, unter Zuhilfenahme verschiedener Textvorlagen. Daran schließen sich weitere Fragen an: Inwieweit hat er sich an vorhandene kirchenslawische Bibelversionen gehalten, von tschechischen Übersetzungen inspirieren lassen oder vielleicht auch nur Vorlagen klug umgearbeitet? Und: Übersetzte Skorina wirklich in die Volkssprache? Oder ist die Sprache der Biblija ruska ein – vereinfachtes – Kirchenslawisch? Linguisten gehen noch weiter und fragen ganz grundsätzlich: Macht die Unterscheidung Volkssprache und Kirchenslawisch bei seinen Büchern überhaupt Sinn, liegt die von Skorina verwendete Sprache nicht eher im stilistischen Dazwischen?15   

Es greift zu kurz, Skorinas Leistung pauschal darin zu sehen, die Bibel in die Volkssprache übersetzt und das „Altbelarusische“ auf ein neues Niveau gehoben zu haben. Viele Probleme, an denen sich die Forschung abarbeitet, waren für Skorina selbst wohl nur wenig relevant und seine Äußerungen sind widersprüchlich. Sehr leicht kann man daher grundlegende Fakten missverstehen: Vorsicht ist schon bei dem scheinbar so verständlichen Titel Biblija ruska geboten, der suggeriert, dass wir es mit einer „russischsprachigen“ Bibel im Verständnis des 21. Jahrhunderts zu tun hätten. Auf Deutsch sollte man Skorinas Meisterwerk besser als „Ruthenische“, „Rusʹische“ oder sogar „Ostslawische Bibel“ bezeichnen. Das Adjektiv ruski verwendete er in verschiedensten Bedeutungen. Das Schlüsselzitat, mit dem Skorina in einem Vorwort die von ihm verwendete Sprache charakterisierte, macht die Sache nicht leichter: Was meint ruskymi slowami a slowenskym jasykom? – „Mit rusʹischen (ruthenischen) Worten und slawischer (kirchenslawischer) Sprache“ klingt unsinnig. Die Linguistin N.B. Metschkowskaja hat die bisher beste Interpretation vorgeschlagen. Sie setzt beim Wort slowo an. Bis heute meint es ‚Wort‘, hatte damals aber auch eine zweite Bedeutung: ‚Schrift, Buchstabe‘. Dann ergibt sich folgende Übersetzung: Die Biblija ruska wurde „mit ruthenischen B u c h s t a b e n und in (kirchen-)slawischer S p r a c he“ gedruckt. 

In der Tat ist das Design der verwendeten kyrillischen Lettern sehr spezifisch und natürlich unterscheiden diese sich von „lateinischen“ oder „polnischen“ Buchstabensätzen. Der linguistische Befund zeigt, dass Skorinas Sprache sich zumindest stark am Kirchenslawischen orientierte.16 In der Forschung werden all diese Ansätze bis heute kontrovers diskutiert, während sich in populärwissenschaftlichen Beiträgen auch viel Unsinn findet.
Über das Gesamtwerk dieses kosmopolitischen Grenzgängers lässt sich dagegen eindeutig urteilen: Was es in Text und Bild zeigt, ist, dass er die Errungenschaften der orthodoxen und der lateinischen Kultur souverän zu einer Synthese gebracht hat. Damit hat dieser Visionär in der Kulturgeschichte einer ganzen Region Spuren hinterlassen. 


Anmerkung der Redaktion:

Weißrussland oder Belarus? Belarussisch oder belarusisch? Die Belarus oder das Belarus? Nicht ganz leicht zu beantworten. Da es im Deutschen keine einheitlich kodifizierten Schreibweisen für diese Bezeichnungen und deren Adjektive gibt, überlassen wir es den Autorinnen und Autoren der Gnosen, welche Schreibweise sie verwenden. Die Schreibweise in redaktionellen Inhalten (wie Titel und Erklärtexte) wird von der dekoder-Redaktion verantwortet.


1.McMillin, Arnold (2002): The Writer, in: Rothe, Hans/Scholz, Friedrich (Hrsg.): Biblija ruska vyložena doktorom Franciskom Skorinoju Prag 1517–1519, Kommentare: Apostol Wilna 1525, Facsimile und Kommentar, Paderborn et al., S. 32–41, Zitat S. 32 (im Original englisch) 
2.Seine italienische Alma Mater hat ihm in den 1940er Jahren als einem von 40 berühmten ausländischen Absolventen in einem Fresco-Zyklus ein Denkmal gesetzt. Zu sehen im Palazzo Bo (in der oberen Reihe, der zweite von rechts). 
3.Leseempfehlungen zur Biografie: Konan, Uladzimir (2002): Zum Lebenslauf und zur literaturgeschichtlichen Stellung, in: Rothe, Hans/Scholz, Friedrich (Hrsg.): Biblija ruska vyložena doktorom Franciskom Skorinoju Prag 1517–1519, Kommentare, Apostol Wilna 1525, Facsimile und Kommentar, Paderborn et al., S. 1–31. Ausführlich auf Russisch: Nemirovskij, E.L. (1990): Francisk Skorina: Žiznʹ i dejatelʹnostʹ belorusskogo prosvetitelja, Minsk. Zu Lücken und Legenden: Galenčanka, G.Ja. (2008): Francysk Skaryna u pacine versij, stėrėatypaŭ i mifaŭ, in: Rossijskie i slavjanskie issledovania. Vyp. 3. Minsk, Belaruskij gosudarstvennyj universitet, S. 123–136.
Die zentralen Quellendokumente, mit belarusischen und russischen Übersetzungen, wurden von V.I. Daraškevič und Ja.L. Nemiroŭski (russ. E.L. Nemirovskij) zusammengestellt: Francysk Skaryna: Zbornik dakumentaŭ i matėrijalaŭ, Minsk, 1988. 
4.Siehe hierzu den ursprünglich 1963 unter einem Pseudonym publizierten Aufsatz des Exil-Forschers Vitaŭt Tumaš: Symon Braha: Doktar Skaryna ŭ Maskve. Pradm. H. Sahanoviča. Mensk [sic!]: Navuka i tėchnika 1993 
5.Aus einem digitalisierten Exemplar der Russischen Staatsbibliothek 
6.Aus einem digitalisierten Exemplar der Russischen Staatsbibliothek 
7.Einen Überblick über das Bildmaterial gibt: Šmataŭ, Viktar F. (2002): Die künstlerische Gestaltung der Bibel, in: Rothe, Hans/Scholz, Friedrich (Hrsg.): Biblija ruska vyložena doktorom Franciskom Skorinoju Prag 1517–1519, Kommentare: Apostol Wilna 1525, Facsimile und Kommentar, Paderborn et al., S. 131–168 und S. 169–226 (Abbildungen) 
8.Die Russische Staatsbibliothek in Moskau bietet eine breite Auswahl an Digitalisaten. Das Gesamttitelblatt geht dem 1. Buch Mose voraus, S. #1. Das Porträt findet sich am Ende des Buchs Jesus Sirach, S. #163 
9.sh. Lemeškin, Ilʹja (2021): Portret Franciska Skoriny, 2. verb. und erg. Aufl. Vilnius, Prag, S. 54, 101–131; S. 62–67 
10.An der im September in Vilnius stadtfindenden internationalen Konferenz werden z.B. viele russische und belarusische Kolleg*innen nicht teilnehmen können. Was die wenig bekannte Bedeutung von Skorina in Litauen betrifft: Schon 2017 hat die Wróblewski-Bibliothek der Litauischen Akademie der Wissenschaften eine populärwissenschaftliche Jubiläumspublikation (in litauischer Sprache) herausgebracht und eine virtuelle Ausstellung organisiert (in englischer Sprache, sehr lesenswert). 
11.Link zum Kopenhagener Exemplar 
12.Zwischenzeitlich wurde Skorinas Vorname deshalb unter Berufung auf ein wackliges Quellendokument in Georgij geändert. Siehe Galenčanka, G.F. (2008): Francysk Skaryna u pacine versij, stėrėatypaŭ i mifaŭ, in: Rossijskie i slavjanskie issledovania, Vyp. 3, Minsk: Belaruskij gosudarstvennyj universitet, S. 123–136, S. 124–125 
13.Ausführlich über Skorina-bezogene Aktivitäten der Emigration: Jurėvič, Ljavon (2015): Ėmihrant Francysk Skaryna, ci Apalohija, Minsk 
14.Angenehm kritisch: Lemeškin, Ilʹja (2021): Portret Franciska Skoriny, 2. verb. und erg. Aufl., Vilnius, Prag, S. 255–265 
15.Arkadzij I. Zuraŭski bringt diese Situation schön auf den Punkt: Wer nachweisen wolle, dass Skorinas Sprache Belarusisch sei, finde Fakten, die diese These stützen. Genauso finde aber auch der, der sie für Kirchenslawisch halte, nicht weniger reichliche Belege für diese Gegenthese. Zuraŭski, Arkadzij I. (2002): Die Sprache der Übersetzungen,  in: Rothe, Hans/Scholz, Friedrich (Hrsg.): Biblija ruska vyložena doktorom Franciskom Skorinoju Prag 1517–1519, Kommentare: Apostol Wilna 1525, Facsimile und Kommentar, Paderborn et al., S. 69–103, S. 78. Ausführlich zur Sprache äußerte sich auch Rothe, Hans (2002): Zum Apostolos, Wilna 1525: Seine Erforschung und seine Quellen, in: Rothe, Hans/Scholz, Friedrich (Hrsg.): Biblija ruska vyložena doktorom Franciskom Skorinoju Prag 1517–1519, Kommentare: Apostol Wilna 1525, Facsimile und Kommentar, Paderborn et al., S. 921–1048 
16.Mečkovskaja, N.B. (1989): “Ruskymi slovami a slovenskym jazykom” (o jazykovom soznanii Franciska Skoriny, in: Russian Linguistics 13.3 (1989), S. 245–256. Diese Interpretation wird weiterhin dadurch gestützt, dass Skorina eine analoge Doppelformel im Bezug auf Bücher der Bibel verwendete, die „in aramäischer S p r a c h e (jazykom) und in hebräischen B u c h s t a b e n (slowami)“ geschrieben worden waren. 
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