Ethnomusik – das sollte nicht nur was für „Leute, in T-Shirts mit Wölfen“ sein. Findet Lucidvox. Die Mädchen-Band aus Moskau will die Klischees aufbrechen. Am 3 Mai spielen sie in Hamburg und am 4 Mai in Berlin. Das unabhängige Internetmagazin Colta.ru hat die Band schon 2017 vorgestellt: Alina (Gesang), Galla (Gitarre), Nadja (Drums) und Anja (Bass). Und weil die vier gut vernetzt sind, ist aus dem Gespräch ein kleines Audio-Kaleidoskop der musikalischen, russischen Ethnoszene geworden:
Denis Bojarinow: In eurer Musik verwendet ihr gezielt russische Klangfolgen, russische Texte und slawische Stilistik. Warum?
Nadja: Ein gewisser Ethnocharakter ist von selbst entstanden; teilweise auch durch die jakutische Kultur, die Anja in die Band hineingebracht hat, und anscheinend fasziniert uns alle das Düstere, Geheimnisvolle, Verbindende – jetzt muss ich gerade an die Musik von Huun-Huur-Tu denken.
Galla: Für mich ist wichtig, dass alles mit Geist gefüllt ist. Geschichte trägt viel davon in sich, und mir ist der Geist unserer Kultur sehr nah. Wenn du in einem ganz stillen verschneiten Wald bist oder im Nebel Sommerbeeren sammelst, an einem düsteren See, bei Sonnenuntergang – da kann man ihn immer noch finden.
Alina: Wegen des slawischen Stils denken viele wahrscheinlich, dass wir Musik für Leute in T-Shirts mit Wölfen machen. Diese Symbolik ist ziemlich klischeebehaftet. Ich glaube, dass unsere Musik das aufbricht.
Beschäftigt ihr euch auch mit Musik, die vor euch versucht hat, russische Wurzeln mit Rock-n-Roll zu verbinden? Habt ihr Idole in der russischen Rockmusik?
Galla: Mir fällt da ehrlich gesagt nichts wirklich Beachtenswertes ein. Als Erstes kommt mir noch die Band Grashdanskaja oborona in den Sinn. In dem Frontmann Jegor Letow geisterte wirklich so eine schaurige russische Mystik. Heute wird diese Linie aus meiner Sicht von Shortparis fortgeführt.
Nadja: Mir gefallen die russischen Wurzeln in der Musik von Lovozero und Tikhie Kamni. Galla und ich lassen uns von russischen (und nicht nur russischen) Chören inspirieren, außerdem hören wir auch Bands wie Goat, Flamingods, Lightning Bolt, Ty Segall, Show Me The Body. Aus alldem entsteht dann schließlich etwas Eigenes.
Was müssen wir über das neue Minialbum Dym [dt. Nebel] wissen? Was habt ihr bei den Aufnahmen Neues für euch gelernt?
Galla: Was man wissen muss? Nichts, denke ich, seid unvoreingenommen. Alles, was wir zu sagen hatten, haben wir im Grunde gespielt.
Alina: Ich habe gelernt, dass Duduk ein sehr schwieriges Instrument ist. Und wenn du mich ernsthaft fragst, dann haben wir gelernt, dass man die Arbeit am Material ohne Eile angehen muss.
Ihr fahrt zur Tallinn Music Week. Welche der Bands, die bei dem Festival Russland repräsentieren, sind euch bekannt, welche findet ihr interessant?
Nadja: Wir kennen viele der Teilnehmer, aber am meisten und von ganzem Herzen drücke ich natürlich der Band Spasibo die Daumen. Vor Kurzem war ich mit ihnen beim slowenischen Festival MENT, und sie waren eine der wenigen Bands, die das Publikum von Anfang bis Ende völlig entfesselt zum Tanzen brachten.
Besonders interessant finde ich die Band Shortparis, und zwar nicht nur unter den russischen Teilnehmern der Tallinn Music Week, sondern generell in unserer Szene.
Alina: Mich interessieren weniger die Bands selbst, sondern wie die russischen Interpreten beim Festival aufgenommen werden. Ich fahre zum ersten Mal zu einem Festival ins Ausland, und ich finde es sehr spannend, wie die Bands in diesem etwas anderen Kontext klingen werden.
Text: Denis Bojarinow
Übersetzung: Andrej Steinke (gekürzte Version)
Veröffentlicht am 22.03.2017