Der belarussische Fußball ist mit seinen Vereinen, Verbänden und Sportfunktionären tief in das politische System des autoritären Staates verstrickt. Ein System, das in den vergangenen zwei Jahren wiederholt sowohl Fans als auch die Sportler selbst repressiert hat.
Im Gegensatz zu den russischen Fußballvereinen, die von der UEFA wegen des Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine suspendiert wurden, können die belarussischen Vereine an den Qualifikationsrunden der europäischen Wettbewerbe teilnehmen. Übrig geblieben ist allerdings nur noch der aktuelle belarussische Meister Schachzjor Salihorsk, der in der dritten Qualifikationsrunde der Conference League am heutigen Donnerstag ein Heimspiel gegen den rumänischen Verein CFR Cluj bestreitet. Allerdings hat der europäische Fußballverband den Belarussen untersagt, ihre Heimspiele in Belarus auszutragen, also findet das Spiel im türkischen Adazpan statt. In der Gruppenphase könnte Salihorsk auf den 1. FC Köln treffen. Die Klubführung des Fußball-Bundesligisten hatte kürzlich in einem Brief an UEFA-Präsident Aleksander Čeferin den Ausschluss aller belarussischen Teams gefordert, weil die belarussischen Machthaber den russischen Angriffskrieg unterstützten.
Der Sportjournalist Jegor Chawanski analysiert in diesem Beitrag die politische Verstrickung, dazu den aktuellen Zustand des belarussischen Fußballs und seine sportlichen Missstände, die zu einer historischen Krise geführt haben.
Dieser Artikel gehört zu unserer Reihe Platforma, in der russische, belarussische oder auch ukrainische Journalistinnen und Journalisten schreiben und Einblick in aktuelle Debatten und Entwicklungen zu osteuropäischen Themen liefern. Die Texte werden weitgehend von Journalistinnen und Journalisten geschrieben, die sich gezwungen sahen, aufgrund der Repressionen in ihren Ländern ins Exil zu gehen.
„Man könnte denken, dass ich die Nationalmannschaft Brasiliens trainiere.“ So lautete die Reaktion von Georgi Kondratjew, dem Cheftrainer der belarussischen Fußballnationalmannschaft, auf die Kritik nach einer weiteren Pleite seines Teams. Vor zehn Jahren noch hatte Kondratjew die belarussische U-21 zum dritten Platz bei der Europameisterschaft geführt und das Ticket zu den Olympischen Spielen geholt. Jetzt ist er ein passives Element in einem System, das die Nationalmannschaft in Europa zu einem Außenseiter werden ließ, und durch das der belarussische Fußball jetzt geächtet ist. Wie ist es dazu gekommen?
Eine Pyramide der Loyalität
Seit 28 Jahren schon ist es Alexander Lukaschenko, der in Belarus praktisch jeden ernennt, vom Premierminister bis zu den Landräten. In dieser Nomenklatur-Pyramide ist für Illoyalität kein Platz: Die Bürokraten sind nicht den Bürgern gegenüber verantwortlich, sondern dem, der sie auf ihren Posten gesetzt hat.
Auch im Sport werden die wichtigsten Posten nicht ohne Absegnung von ganz oben besetzt. Von 1997 bis 2021 war Lukaschenko höchstpersönlich Präsident des Nationalen Olympischen Komitees, bis er mit Sanktionen belegt wurde und den Posten abgab – an seinen ältesten Sohn Viktor. Im Sessel des Sportministers sitzt ein ehemaliger Sicherheitsbeamter Lukaschenkos, und die formal unabhängigen Sportverbände werden von Funktionären geleitet. Nahezu alles im belarussischen Sport wird vom Staat finanziert. Viele Einzelsportler gehören den Sicherheitsbehörden an und dienen offiziell in der Armee, in der Miliz oder im KGB.
Der Fußball ist in dieser Pyramide keine Ausnahme: Der belarussische Fußballverband ABFF ist noch nie von Sportlern geleitet worden. Sein aktueller Vorsitzender, Oberst Wladimir Basanow, war zuvor Militärkommissar und Abgeordneter des belarussischen Parlaments. Basanow hatte versprochen, dass die Nationalmannschaften unter seiner Führung in die Endrunden der großen internationalen Turniere einziehen und die Klubs regelmäßig die Gruppenphase der Europapokale erreichen würden. Diese Vorgabe wurde bald korrigiert: Die Nationalmannschaft solle sich erst 2028 für die EM qualifizieren. Unterdessen macht der belarussische Fußball, der ohnehin keine Höhenflüge erlebt, unter Basanows Führung auch noch durch ständige Pleiten und Skandale von sich Reden.
Sonderweg während der Corona-Pandemie
Die Startbedingungen für die neue Führung des ABFF waren 2019 nicht schlecht. Das Image des belarussischen Fußballs hatte sich gebessert, die Spiele wurden jetzt live übertragen, die Nationalmannschaft erhielt mit den „Weißen Flügeln“ ein Markenzeichen und schöne neue Trikots mit nationalem Ornament. Auch sportlich gab es Anlass zur Freude: Die Nationalmannschaft erreichte die Playoff-Spiele der Nations League und hatte eine realistische Chance, sich erstmals für die EM zu qualifizieren. Und der einstige Dauermeister BATE Baryssau erreichte in der Saison 2018/19 das Playoff der Europaliga. Von Wladimir Basanow wurde erwartet, dass er diese Lage nicht verspielt, und tatsächlich besuchte er anfangs viele Spiele und demonstrierte sein Engagement als Verbandschef.
Das alles änderte sich im März 2020. Die Führung des ABFF ließ während der Corona-Pandemie die belarussische Meisterschaft beginnen, und so wurde Belarus zum einzigen Land in Europa, in dem noch Fußballspiele stattfanden. Auf staatlicher Ebene wurden die Gefahren durch das Coronavirus geleugnet, und so war es die Aufgabe des Funktionärs Basanow, eines zu zeigen: Der belarussische Weg bei der Bekämpfung des Virus ist derart effektiv, dass das gewohnte Leben weitergehen kann. Also mussten die Fußballer Fußball spielen und die Fans ins Stadion kommen.
Die Fans der meisten belarussischen Klubs erklärten allerdings einen Boykott der Spiele und die Besucherzahlen brachen um 70 Prozent ein. Dieser „Sonderweg“ hatte allerdings auch etwas Positives: In Russland, der Ukraine, in Israel und anderen Ländern wurden die Übertragungsrechte für Spiele der höchsten belarussischen Spielklasse, der Wyscheischaja Liha, gekauft (um wenigstens irgendwas zu zeigen). Medien schrieben weltweit über den belarussischen Fußball, und es bildeten sich internationale Fanklubs. Als der Sport in die europäischen Stadien zurückkehrte, erlosch das Interesse an der Wyscheischaja Liha jedoch wieder.
Spieler von Krumkatschy Minsk in Trikots mit der Aufschrift „My supraz gwaltu“ (dt. „Wir sind gegen Gewalt“). Alexander Iwulin, ein Spieler des Teams und zugleich Blogger, wurde wegen Beteiligung an der Protestaktion zu zwei Jahren Strafkolonie verurteilt. / Foto © nashaniva.com
Die Wahlen 2020, die Proteste und der Fußball
Im August 2020, wenige Tage vor der Präsidentschaftswahl, tauchte in Social-Media-Kanälen des ABFF ein Werbeclip für Alexander Lukaschenko auf, und Basanow wurde bei Veranstaltungen zur Unterstützung des Regimes aktiv. Politik war nun gefährlicher als das Coronavirus: Aus Angst, dass die Fans die Stadien zu Protesten nutzen könnten, fanden die Spiele ohne Zuschauer statt oder wurden verlegt.
Nach der Wahl und der brutalen Unterdrückung der Proteste blieben die Fans den Stadien endgültig fern, während Hunderte belarussische Fußballer, Trainer und Schiedsrichter sich gegen die Gewalt aussprachen. „Ich weigere mich, die Interessen der Nationalmannschaft zu vertreten, solange das Regime Lukaschenko herrscht“, schrieb der junge Stürmer Ilja Schkurin auf Instagram. Seitdem spielt er nicht mehr für die Nationalmannschaft und ist nicht mehr nach Belarus zurückgekehrt.
Basanow hatte anfangs versprochen, dass Spieler oder Vereine nicht für ihre Haltung bestraft würden. Als die Proteste jedoch immer weiter unterdrückt wurden, erreichten die Repressionen auch den Fußball. In die Nationalmannschaft wurden keine Spieler mehr berufen, die sich gegen die Gewalt geäußert hatten. Um der ideologischen Reinheit Willen opferte der Verbandschef sogar die Chance, sich für die EM zu qualifizieren.
Die Säuberungen erfassten auch die Sportpresse, und Klubs wurde empfohlen, keine Verträge mit unliebsamen Spielern und Trainern abzuschließen. Die Verträge werden letztendlich im Sportministerium bestätigt, und viele Profis, die eine „falsche“ Meinung haben, erhalten dort eine Absage. Dem Fußballclub Krumkatschy Minsk, der sich offen gegen die Gewalt ausgesprochen hatte, wurde erst der Weg in die Wyscheischaja Liha verwehrt, dann folgte der erzwungene Abstieg in die dritte Liga.
Im Herbst 2020 kam Wladimir Basanow auf die Sanktionslisten von Litauen, Lettland und Estland. Die Belarusian Sport Solidarity Foundation (BSSF) hatte die UEFA mehrfach auf Fälle von Diskriminierung im belarussischen Fußball hingewiesen, was allerdings ergebnislos blieb. Dabei wird die Tätigkeit Basanows, der sich superloyal gibt, sogar vom Regime und der Propaganda nicht sonderlich hoch geschätzt. Sportminister Sergej Kowaltschuk bezeichnete das Niveau des belarussischen Fußballs als „Saustall und Sumpf“ und auch Lukaschenko hat den Fußball kritisiert.
„Herzensangelegenheit auf Pause gestellt“. Die Lage der Fans
Die Fußballfans in Belarus waren früher keine relevante politische Kraft. Die Ereignisse in der Ukraine 2014 haben jedoch alles verändert. Die Fans, von denen ein Teil früher mit russischen imperialen Vorstellungen sympathisierte, interessierten sich nun für die nationale Kultur und pflegten verstärkt das Belarussische. Sowohl beim Euromaidan wie auch im Donbass-Krieg spielten ukrainische Ultras eine wichtige Rolle. Das inspirierte die belarussischen „Kollegen“ und alarmierte die Sicherheitsbehörden im Nachbarland.
Bereits bei der Präsidentschaftswahl 2015 hatte es immer mehr Meldungen über Festnahmen junger Menschen gegeben, bei denen eine Zugehörigkeit zur Ultra-Kultur hervorgehoben wurde. Mit diesen „Säuberungen“ war die Hauptverwaltung für den Kampf gegen organisierte Kriminalität und Korruption (GUBOPiK) des Innenministeriums befasst. Gegen Ultras wurden Strafverfahren angestrengt, die zum Teil absurd waren: Vitali, Pseudonym „Puma“, ein bekannter Fan von Dynamo Minsk, wurde 2017 zu zwei Jahren und vier Monaten verurteilt, weil er im Internet eine Kondomwerbung geteilt hatte – das Gericht hatte hierin Pornographie ausgemacht.
2020 hat sich die GUBOPiK endgültig in eine politische Polizei verwandelt und stand bei der Unterdrückung der friedlichen Proteste gegen die gefälschte Wahl an vorderster Front. Die Sicherheitsbeamten bliesen zur Jagd auf Ultras, Anarchisten und Anhänger anderer Subkulturen, auf alle, die ihrer Ansicht nach dem Regime Lukaschenko gegenüber nicht loyal waren. Am 22. August 2020 wurde in Minsk Nikita Kriwzow, ein Fan des FK Maladsetschna, erhängt aufgefunden. Am Tag der Präsidentschaftswahl war er vor einer Kette von Milizionären mit der weiß-rot-weißen Protestflagge gesehen worden. Die Ermittlungen kamen zu dem Schluss, dass Kriwzow Selbstmord begangen habe, doch glaubt das kaum jemand.
Nach Einschätzung von Menschenrechtlern gab es in Belarus mit Stand vom 10. Juli 1236 politische Gefangene. Unter ihnen sind Dutzende Ultras, wobei in Mosyr, Soligorsk, Molodetschno, Minsk und Orscha besonders viele verhaftet wurden. Muss da noch erwähnt werden, warum die Fans den Stadien fernblieben? „Ohne aktive Unterstützung ist es nur ein Spiel mit einem Ball. Wir haben unsere Herzensangelegenheit auf Pause gestellt. Für einen echten Fan, für jemanden, der mit der Mentalität eines Ultras lebt, ist das sehr hart“, lautet die Analyse eines Ultras.
Auch gewöhnliche Anhänger haben es nicht leicht. Die Kontrollen der Miliz beim Einlass sind überaus streng; sie wurden nach der Wahl weiter verschärft. Die Klubs arbeiten schlecht und auch die Qualität des Fußballs kann einen kaum ins Stadion locken. 2012 kamen durchschnittlich 2014 Zuschauer ins Stadion, 2021 waren es nur noch 1422.
Wie steht es um die belarussische Meisterliga und die Nationalmannschaft?
In der aktuellen belarussischen Wyscheischaja Liha spielen 16 Teams. Viel zu viele. Jahr für Jahr haben viele Teams mitten in der Saison finanzielle Schwierigkeiten, weswegen einige dann die Saison nicht zu Ende spielen können. Die jüngsten Ereignisse haben zusätzlich Wirkung gezeigt. Wegen der Sanktionen, von denen die Besitzer der Klubs direkt betroffen sind, können diese sich keine hochklassigen Legionäre mehr leisten; es wurde eine Obergrenze für die Gehälter eingeführt und ein bestimmtes Kontingent an jungen Spielern, das auf dem Platz stehen muss.
Die 13-jährige Vorherrschaft von BATE Baryssau wurde zunächst von Dynamo Brest durchbrochen, das von Alexander Saizew finanziert wird. Saizew, ein Lukaschenko nahestehender Unternehmer, holte Diego Maradona nach Brest und machte ihn zum Vorstandsvorsitzenden des Klubs. Er geriet jedoch auf die Sanktionsliste und musste sich sowie sein Kapital aus dem belarussischen Fußball zurückziehen und seine Ambitionen aufgeben. Dynamo Brest gehört seit 2021 wieder dem belarussischen Staat, der Verein Ruch Brest wurde liquidiert.
Die letzten zwei Meistertitel errang der FK Schachzjor Salihorsk. Doch auch dieser Verein, der von dem sanktionierten Konzern Belaruskali finanziert wird, hat es nicht leicht. All das schlug sich in den Ergebnissen der Vereine nieder: In den letzten drei Saisons konnte sich keines der Teams in einem europäischen Wettbewerb für die Gruppenphase qualifizieren, 2021 war sogar spätestens in der zweiten Qualifikationsrunde Schluss. Hinzu kam, dass die Klubs und die Nationalmannschaft nach der erzwungenen Landung der Ryanair-Maschine im Mai 2021 und dem Beginn des Krieges in der Ukraine ihre internationalen Spiele nicht mehr in Belarus austragen dürfen.
Die Krise der Nationalmannschaft ist sogar noch heftiger. Trainer, die etwas auf sich halten, weigern sich, ein angeschlagenes Team zu übernehmen. Und die Führungsspieler weigern sich, zurückzukommen. Die Folge sind Negativrekorde wie das historische 0:8 gegen Belgien oder lange Serien von Niederlagen bei offiziellen Spielen, die Belarus in die unterste Etage des europäischen Fußballs abrutschen ließen. Im neuesten Ranking der UEFA belegt Belarus sogar den letzten Platz.
Die Stagnation im Fußball ist ein Spiegelbild der Lage im Land
Der belarussische Fußball steckt eindeutig in einer Krise. Doch den Verantwortlichen ist sehr bewusst, dass ihre Karriere nicht von Ergebnissen abhängt, sondern von ihrer Loyalität gegenüber dem Regime. Sie bleiben trotz aller Pleiten, die den belarussischen Fußball auf das Niveau der 1990er Jahre zurückwarfen, auf ihren Posten. Damals konnten junge ambitionierte Manager und Trainer die Karre aus dem postsowjetischen Loch ziehen; heute jedoch ist es gefährlich, Initiative zu zeigen. Der Fußball in Belarus schmort im eigenen Saft: Belarussische Spieler streben keine Karriere im Ausland an und Legionäre aus dem Ausland haben kein Verlangen nach einer toxischen Liga mit leeren Stadien. Das Niveau sinkt generell. Es wachsen keine neuen Stars heran – trotz der Pflichtkontingente von jungen Spielern in der Startaufstellung.
Die Stagnation im Fußball ist ein Spiegelbild der Lage im Land. Der belarussische Fußball wird sich nur dann aus dieser Lage befreien können, wenn sich auch das Land ändert – ein Umbruch im Sport wird erst mit einem politischen Wandel möglich.