Iwan Golunow, Journalist im Investigativ-Ressort des Exilmediums Meduza, wurde am Donnerstag in Moskau festgenommen. Laut Meduza-Angaben wird ihm versuchter Drogenhandel in großer Menge angelastet. Details zum Fall sind derzeit noch unklar.
Dem Vorwurf versuchten Drogenverkaufs begegnen viele Kollegen mit Skepsis – untergeschobene Suchtmittel gelten in Russland als Klassiker, um strafrechtliche Verfahren zu erzwingen. Meduza-Chefin Galina Timtschenko und Chefredakteur Iwan Kolpakow kommentieren den Vorfall.
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Unser Kollege, Freund und Meduza-Korrespondent Iwan Golunow wurde in Moskau festgenommen. Bei ihm selbst sowie bei ihm zu Hause sollen angeblich Drogen gefunden worden sein: Der Ermittler spricht von einem „versuchten Verkauf“. Golunow konnte über Freunde mitteilen, dass ihm zwei Tüten mit unbekannter Substanz untergeschoben wurden. Laut Aussage Golunows, durfte er kein Telefon benutzen und keinen Anwalt rufen. Der Ermittler kontaktierte Golunows Freundin, die Korrespondentin der russischen BBC Swetlana Reiter, etwa 14 Stunden nach der Festnahme, mitten in der Nacht.
Später baten Iwan und sein Anwalt, dass man Proben an seinen Händen und Nägeln nehmen möge – ein Verfahren, über das ein Kontakt mit Drogen bestätigt oder widerlegt werden kann. Diesem Antrag wurde nicht stattgegeben. Iwan wurde während der Verhaftung und im Polizeirevier geschlagen; er und sein Anwalt baten, einen Krankenwagen zu rufen, um die Schlagspuren zu dokumentieren. Auch diesem Gesuch wurde nicht stattgeben.
Iwan Golunow ist einer der bekanntesten Investigativjournalisten Russlands. Sein fachlicher Ruf ist tadellos. Er ist ein peinlich genauer, ehrlicher und unparteiischer Journalist. Privat ist Wanja einer der anständigsten Menschen, die wir kennen.
Wir sind überzeugt, dass Iwan Golunow unschuldig ist. Wir haben außerdem Anlass zur Annahme, dass Golunow wegen seiner journalistischen Tätigkeit verfolgt wird. Wir wissen, dass Wanja in den letzten Monaten bedroht wurde; wir wissen auch, dass die Drohung mit einem seiner Texte zusammenhängt, an dem er zuletzt gearbeitet hatte; wir ahnen, woher diese Drohungen kommen. Meduza wird jeden Ermittlungsschritt im Fall Golunow verfolgen. Wir finden raus, in wessen Interesse Wanja verfolgt wird und werden diese Information publik machen. Wir werden unseren Journalisten mit allen verfügbaren Mitteln schützen.
Ein weiterer Schlag gegen die Pressefreiheit in Russland? Die Tageszeitung Kommersant verliert nach einer Kollektivkündigung ihr gesamtes Politikressort.
Lenta.ru ist ein Online-Nachrichtenportal, das Newsticker, Themen-Artikel und Meinungsbeiträge kombiniert. Mit über acht Millionen Besuchern monatlich ist die Ressource eine der populärsten ihrer Art im russischen Internet. Im März 2014 sorgte die Entlassung der Chefredakteurin für Diskussionen über die Ukraine-Berichterstattung und politische Zensur im Internet.
Weshalb? Pussy Riot-Aktivist Pjotr Wersilow spricht im Interview mit Meduza über die möglichen Hintergründe seiner Vergiftung. Seine Theorie führt über die Zentralafrikanische Republik zu Russlands höchster Machtelite.
Gesellschaft – von Jelisaweta Kirpanowa , Sascha Sulim , Anton Wschiwzew
Drei Journalisten und Filmemacher aus Russland arbeiteten in der Zentralafrikanischen Republik an einem Dokumentarfilm über russische Söldner. Am Abend des 30. Juli wurden sie bei einem Angriff von Unbekannten getötet. Nachrufe aus der Novaya Gazeta und Meduza.
Die neue Chefredaktion des einstigen Investigativmediums RBC weist ihr Team auf „Verkehrsregeln“ und „durchgezogene Linien“ in der Berichterstattung hin. Die Debatte darüber kommentiert Oleg Kaschin auf slon.ru.
Kann man das so sagen, wenn es um Berichterstattung in Russland geht? Und was ist mit dem Russland-Bild in deutschen Medien? Katrin Rönicke im Gespräch mit Michael Thumann (Die Zeit) und dekoder-Chefredakteurin Tamina Kutscher.
Lenta.ru (von russ. lenta = Band, Streifen, aber auch Newsfeed) ist ein Online-Nachrichtenportal, das seinem Titel entsprechend Newsticker, Themen-Artikel und Meinungsbeiträge kombiniert. Mit über acht Millionen Besuchern monatlich ist die Ressource eine der populärsten ihrer Art im russischen Internet. Die journalistische Website gehört aktuell zum Medienkonzern Afisha-Rambler-SUP, der personalisierte Nachrichtendienste anbietet. Lenta.ru wurde 1999 gegründet, in einer Zeit des journalistischen Internet-Booms, und die wechselhafte Geschichte ihrer Chefredaktionen und Eigentümer steht prototypisch für die Dynamiken der politischen Nutzung und Instrumentalisierung des Internet im Russland der Putin-Ära.
Dies kommt besonders im Jahr 2014 zum Ausdruck, als große Teile der Redaktion um die Chefredakteurin Galina Timtschenko (geb. 1962) im Protest gegen politische Einflussnahme zurücktreten. Anlass für diese spektakulären Rücktritte war ein Interview im März 2014 mit einem Protagonisten des ukrainischen Euro-Maidan. Der interviewte Andrej Tarasenko gehört der rechtsradikalen Formation Prawy Sektor (Rechter Sektor) an, die in Russland als terroristische Organisation verboten ist. Das Interview enthielt einen von der Aufsichtsbehörde Roskomnadsor inkriminierten Link auf einen Text des ukrainischen Ultranationalisten Dmytro Jarosch, dem damaligen Anführer des Rechten Sektors. „Früher oder später“, erklärte dieser, „werden wir gegen das Moskauer Imperium kämpfen müssen“.1 Anlässlich des im Interview enthaltenen Links erhielt die Redaktion eine Abmahnung von Seiten der russischen Medienaufsicht. Sie warf Lenta.ru die Verbreitung extremistischer Anschauungen und „Anstiftung zu internationalem Unfrieden“ vor.
Erst kam die Abmahnung, dann die Entlassung
Der Link wurde von der Redaktion umgehend entfernt. Nach zwei solcher Abmahnungen kann Roskomnadsor eine Publikation schließen lassen. Auf diese Situation reagierte der Mehrheitsaktionär der Medienholding Afisha-Rambler-SUP Alexander Mamut mit der Entlassung Galina Timtschenkos (die seit zehn Jahren Chefredakteurin war) – ohne die Angabe von Gründen. Infolgedessen kam es zur erwähnten Selbstauflösung der gesamten Redaktion.
Neuer Chefredakteur bei Lenta.ru wurde im Frühjahr 2014 zunächst Alexej Goreslawski (geb. 1977), Medienmanager von Afisha-Rambler-SUP. Er war vorher u. a. bei der kremlnahen Internet-Zeitschrift Wsgljad (russ. = Blick) aktiv gewesen. Sein Stellvertreter wurde Alexander Belоnowski2, bis dato u. a. bei der Nachrichtenagentur Interfax und dem Wirtschafts-Nachrichtenportal RBK tätig, der im Frühjahr 2016 seinerseits den Chefposten übernahm.3
In einem offenen Brief an ihre LeserInnen schreibt die Redaktion nach ihrem Rücktritt 2014: „Leider ist das nicht einfach eine Umbesetzung innerhalb der Redaktion. Wir sind der Meinung, dass es sich bei dieser Personalie um die Ausübung direkten Drucks auf die Redaktion von ‚Lenta.ru‘ handelt. Die Entlassung eines unabhängigen Chefredakteurs und die Ernennung eines leicht lenkbaren Menschen – und das direkt aus den Kreml-Kabinetten –, das alleine ist schon eine Verletzung des Gesetzes über die Massenmedien, das von der Unzulässigkeit jeglicher Zensur spricht.“4 Auch der Politologe Gleb Pawlowski bezeichnete die Entlassung Timtschenkos als Indiz für verstärkte politische Kontrolle im Mediensektor: „das ist eine Folge der Säuberung der Massenmedien”.5
Timtschenko und Teile ihres Redaktionsteams gründeten in der Folge die Medienplattform Meduza.
Die Rochaden innerhalb der Redaktion von Lenta.ru stehen exemplarisch für die verstärkte Einflussnahme der Regierungspolitik im Bereich des Internet und der Neuen Medien,6 die in der Protestbewegung 2011–2013 eine tragende Rolle für die Mobilisierung gespielt hatten.7 Die Politisierung des journalistischen Internet-Segments innerhalb der russischen Medienlandschaft reicht jedoch weiter zurück in die ausgehende Phase der Präsidentschaft von Boris Jelzin.
Lenta.ru in den wilden 1990ern
Die Gründung von Lenta.ru unter ihrem ersten Chefredakteur Anton Nossik fiel in die Boom-Zeit journalistischer Internet-Medien. In den wilden 1990er Jahren stehen diese einerseits in der aufklärerischen Tradition der Gorbatschowschen Glasnost (russ. = Offenheit, Transparenz, Öffentlichkeit) und des politischen Selbstverlags (Samisdat). Andererseits sind sie ein Produkt der sich herausbildenden Polittechnologie im Sinne einer strategischen Einwirkung auf die Meinungsbildung durch unterschiedliche politische Gruppierungen. Anton Nossik, der sich selbst als „social media evangelist“ bezeichnet8, ist eine für diese Zeit sinnbildliche Figur: als unermüdlicher Erfinder innovativer Medienformate, als so populärer wie provokativer Blogger, der den beständigen Brückenschlag zwischen ökonomischer und politischer Auftragsarbeit und individueller Artikulationsfreiheit versucht.
Lenta.ru wurde wie vergleichbare Internet-Medien (etwa Gazeta.ru) von der Stiftung für Effektive Politik (Fond effektiwnoj politiki, FEP) um den bereits zitierten Historiker und Polit-Strategen Gleb Pawlowski sowie den Moskauer Galeristen Marat Gelman gegründet. Die FEP trug um die Jahrtausendwende, die gleichzeitig den Systemwechsel von Jelzin zu Putin markiert, maßgeblich zur Entstehung eines politischen Nachrichten-Segments im russischen Internet bei und wird mit den ersten kompromittierenden Internet-Kampagnen in Verbindung gebracht. Ihr Gründer Pawlowski wurde in der folgenden Dekade als graue Eminenz des Kreml und zentraler Polit-Berater Wladimir Putins gehandelt.9 Seit dem Scheitern der Bürgerproteste gegen manipulierte Wahlen 2011–12 positioniert sich Pawlowski erneut kritisch gegenüber dem System Putin, wie auch das obige Zitat zur Entlassung Timtschenkos zeigt.
Die Protagonisten um die FEP verkörpern so in prototypischer Weise die Widersprüche der russischen Medienelite: Kulturelle Prägungen etwa durch die spätsowjetische Dissidenz und den bereits erwähnten Samisdat verbinden sich mit den kreativen Techniken der Werbebranche10 und variablen, auch auf ökonomischen Interessen basierenden, politischen Loyalitäten. Insofern können sie auch als Wegbereiter der aktuellen hybriden Informationspolitik des Systems Putin gelten, das weniger auf direkte Zensur als auf Desinformation und die Entwertung journalistischer Glaubwürdigkeit setzt.
6. Timtschenko, Galina / Nosik, Anton / Kolpakow, Iwan (2014): Dorogaya redaktsiya: Podlinnaya istoriya Lenty.ru, rasskazannaya yeye sozdatelyami [Liebe Redaktion: Die wahre Geschichte von Lenta.ru, erzählt von ihren Gründern], Moskau
7. Konradova, Natalja / Schmidt, Henrike (2014): From the Utopia of Autonomy to a Political Battlefield: Towards a History of the ‘Russian Internet’, in: Gorham, Michael / Lunde, Ingunn / Paulsen, Martin (Hrsg.) (2014): Digital Russia: The Language, Culture and Politics of New Media Communication, New York, S. 31-53
Am 6. Mai 2012 wurden beim Marsch der Millionen nach Zusammenstößen zwischen Demonstrierenden und Polizei etwa 650 Menschen verhaftet. Mischa Gabowitsch über den Bolotnaja-Prozess und die vorangegangenen Proteste 2011/12.
Das Jahrzehnt nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion war von tiefgreifenden Umbrüchen gezeichnet, aufgrund derer es in das kollektive Gedächtnis als die wilden 1990er eingegangen ist. Mit dem Begriff werden weniger die neu erlangten Freiheiten, sondern eher negative Erscheinungen wie Armut und Kriminalität assoziiert.
Die 1990er Jahre waren in Russland ein Jahrzehnt des radikalen politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umbruchs. Demokratischer Aufbruch einerseits und wirtschaftlicher Niedergang andererseits prägten die Zeit nach dem Zerfall der Sowjetunion.
„Man schreibt selbst, redigiert selbst, man zensiert selbst und sitzt auch selbst die Strafe dafür ab.“Mit diesen Worten brachte der bekannte sowjetische Dissident Wladimir Bukowski das Phänomen Samisdat auf den Punkt. Am vergangenen Sonntag verstarb er im Alter von 76 Jahren in Großbritannien.
Polittechnologija bezeichnet in Russland und anderen postsowjetischen Staaten ein Menü von Strategien und Techniken zur Manipulation des politischen Prozesses. Politik – als Theater verstanden – wird dabei als virtuelle Welt nach einer bestimmten Dramaturgie erschaffen. Politische Opponenten werden mit kompromittierenden Materialien in den Medien bekämpft, falsche Parteien oder Kandidaten lanciert oder ganze Bedrohungsszenarien eigens kreiert.
Anna Politkowskaja war die wohl bekannteste und couragierteste Journalistin und Menschenrechtsaktivistin im Russland der Putin-Ära. Am 7. Oktober 2006 wurde sie Opfer eines Auftragsmordes, dessen Hintergründe bis heute ungeklärt sind. Am 30. August wäre sie 66 Jahre alt geworden.
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