Kaum ein Stil der Kunstgeschichte erfreut sich einer so ungebrochenen Beliebtheit wie der Impressionismus. Mit ihm verbindet man die luftig-heiteren Szenen der Pariser Straßencafés und die subjektive Wiedergabe flüchtiger Naturphänomene von Malern wie Claude Monet, Pierre-August Renoir und Éduard Manet. Die russische Ausprägung des Impressionismus wird dagegen nur selten in den Blick genommen, wohl auch, weil die Bewegung in Russland keine institutionelle Form fand. Dabei war der Impressionismus um 1900 als Schwellenstadium im Werk vieler bedeutender russischer Künstler wirksam – von Ilja Repin bis Michail Larionow. Genreszenen, Portraits und vor allem die russische Landschaftsmalerei erhielten durch die Sprache des Impressionismus mit ihrem gestisch-spontanen Pinselstrich, den intimen Bildausschnitten und der tageslichtdurchfluteten Atmosphäre eine Erweiterung des Ausdrucks.
Trotz einiger „heimischer Vorboten“ in Russland liegt die Wiege des Impressionismus im Frankreich der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die vielen russischen Künstler, die sich zu dieser Zeit in Paris aufhielten, kamen als erste mit dieser neuen malerischen Wiedergabe der Welt in Berührung. Ilja Repin etwa, der Großmeister des russischen Realismus, traf Anfang der 1870er Jahre in der französische Metropole auf Éduard Manet. Repins Gemälde Pariser Café (1875, Christie’s 2011) bezieht sich denn auch deutlich auf Manets La Musique aux Tuileries (1862, National Gallery, London/Dublin City Gallery The Hugh Lane).
Zurück in Russland schuf der Repin-Schüler Walentin Serow mit dem Portrait Mädchen mit Pfirsichen (1887, Staatliche Tretjakow Galerie, Moskau) eine erste Ikone des russischen Impressionismus, die ganz die lockere, den Moment beschreibende Malweise des Impressionismus bezeugt. Das Gemälde gewann 1888 den Preis der Moskauer Gesellschaft der Kunstliebhaber. Damit erhielt der russische Impressionismus seine erste offizielle Auszeichnung.
Inhaltliche Neuakzentuierung
Zur gleichen Zeit wurden auch die Werke der französischen Impressionisten in Russland populär. Die Moskauer Kunstmäzene Iwan Morosow und Sergej Schtschukin trugen mit ihren Sammlungen moderner französischer Kunst maßgeblich zur Verbreitung des Stils bei. Viele russische Künstler zeigten sich tief beeindruckt von Werken wie Claude Monets Kathedrale von Rouen (1894, Staatliches Museum für Bildende Künste A. S. Puschkin, Moskau), die sie an den Samstagnachmittagen in Schtschukins geräumigem Moskauer Haus besichtigen konnten.
Trotzdem wurde der Impressionismus nicht einfach nach Russland importiert, sondern erfuhr eine – inhaltliche – Neuakzentuierung. Während die französischen Maler zu Chronisten des modernen Großstadtlebens wurden, hielt man sich in Russland vermehrt an Stillleben, Interieurs, die russische Landschaft sowie ländliche Genreszenen, die den Müßiggang der Moskauer und St. Petersburger Upperclass auf ihren Landsitzen zeigen.
Szenen des städtischen Lebens finden sich bei den russischen Impressionisten nur dann, wenn auch sie die Pariser Cafés und Boulevards zu ihrem Motiv machten. Bestes Beispiel dafür ist Konstantin Korowins Zyklus Pariser Lichter, den der bedeutende Vertreter des russischen Impressionismus in der ersten Dekade des 20. Jahrhunderts in Frankreich schuf.
Malewitschs „missing link“
Korowins Paris-Bilder entstanden in einer Zeit, in der sich in Russland immer deutlicher eine neue Garde in der Kunst formierte. Doch auch die kommenden Avantgardisten wie Michail Larionow durchliefen zunächst eine impressionistische Phase, die ihnen den befreiten Umgang mit den malerischen Mitteln eröffnete. Und sogar Kasimir Malewitsch, der Spiritus rector des gegenstandslosen Suprematismus kam nicht ohne den Impressionismus aus. So rekonstruierte er Ende der 1920er Jahre selbst das „missing link“1 in seiner künstlerischen Evolution, indem er die dann entstandenen, impressionistisch anmutenden Landschaftsdarstellungen kurzerhand auf 1903/04 vordatierte.
In der Forschung stiefmütterlich behandelt
In der kunsthistorischen Forschung der Sowjetunion wurde der russische Impressionismus stiefmütterlich behandelt, da dessen – vermeintlich – sorgenfrei-heitere und vom subjektiven Empfinden geprägte Grundhaltung als dekadent verfemt wurde.
Doch auch in der Staatskunst, dem Sozialistischen Realismus, lässt sich das Nachwirken des Impressionismus spüren, etwa bei Juri Pimenows Gemälde Neues Moskau (1937, Staatliche Tretjakow Galerie, Moskau), das mit dem städtischen Sujet, dem schnappschusshaften Bildausschnitt, der hellen Palette und dem spontanen Pinselstrich dem Impressionismus verpflichtet bleibt.