Batenka-Autor Alexej Sinjakow sucht nach Gegenständen, die Putin berührt hat. Und stellt fest: Der Onlinehandel blüht.
In Russland gibt es zwei Besonderheiten: Putin wird gefürchtet, und er wird verkauft. Und je mehr man ihn fürchtet, desto teurer verkauft man ihn – diese seltsame Dynamik kann man auf Online-Kleinanzeigenseiten wie Avito und Jula beobachten. Es ist alarmierend: Anscheinend verliert und vergisst der Präsident ständig Dokumente, Papiere, Geschirr, Wäsche und Sportgeräte. Manchmal finden Leute diese Sachen und verkaufen sie.
Wenn man zum Beispiel in die Suchmaschinen dieser Online-Märkte „Putin“ eingibt, findet man: „Luftballon für Sammler mit Putin-Portrait. Preis: 10.000 Rubel [ca. 115 Euro – dek].“ Selbst ein schwarzes Baumwoll-T-Shirt mit ordentlich gekämmtem Präsidenten und Kampfjet über der Bauchspeicheldrüse kostet in der Boutique Armija Rossii an der Küste des Ferienortes Anapa nur ein Sechstel – wahrscheinlich deswegen, weil diese T-Shirts in Massen hergestellt werden, während der Verkäufer auf Avito eine extreme Sammlerrarität verspricht.
Auf dem Foto sind drei unaufgeblasene Luftballons drapiert, alle mit demselben Aufdruck: der lächelnde Präsident in satten Zeiten, während der Rochade zwischen Wladimir Putin und Dimitri Medwedew.
Bläht sich Putins Gesicht nicht auf, wenn man den Ballon aufbläst?
Ich rufe den Verkäufer an. Es meldet sich Maria.
„Wie viele Luftballons kriegt man für 10.000 Rubel?“, frage ich und hoffe auf alle.
„Einen.“
„Warum sind die so teuer?“
„Ich habe mir gedacht, der Ballon selber kostet ja nicht viel. Aber wenn der Präsident drauf ist, kann man ihn doch nicht für drei Rubel verkaufen …“
Diese Logik ist bestechend, doch in unserem Gespräch entsteht eine peinliche Pause. Dann erzählt die geschickte und sanfte Verkäuferin sogleich, wie sie zu diesen Luftballons gekommen ist: Als Studentin habe sie „bei der ersten Wahlkampagne von WWP [Wladimir Wladimirowitsch Putin – dek] gearbeitet“ und die Ballons an Moskauer Passanten verteilt.
„Solche Luftballons werden Sie nirgendwo mehr finden“, setzt sie angesichts meines Schweigens fort. „Ich habe nämlich gehört, nicht alle bekommen die Erlaubnis Porträts von Wladimir Putin zu drucken.“
„???“
„Ja, auch auf T-Shirts und Tassen: Auf billigen und schlechten Sachen ist das verboten“, beteuert die Frau.
„Na gut, aber wenn man den Luftballon aufbläst, bläht sich dann nicht Putins Gesicht auf? Die Backen zum Beispiel?“
„Aber nein! Ich habe Putin schon so oft aufgeblasen! Auch mein Sohn hat ihn einmal aufgeblasen – bei einem Fest im Kindergarten. War alles in bester Ordnung.“
Auf mein Schweigen hin bietet Maria an, mit dem Preis auf 3000 [ca. 35 Euro – dek] pro Stück herunterzugehen. Ich lege auf.
Illustrationen © Julia Prokopowa
Mit dem Namen des Präsidenten verleihen sie den Dingen eine sakrale Macht
Die Russen verkaufen alles, was der Präsident berührt haben könnte. Was sie dazu bewegt, ist schwer zu sagen und schon gar nicht, ob sie wirklich mit Erfolg rechnen. Mit dem Namen des Präsidenten verleihen sie den Dingen eine sakrale Macht, dann bringen sie ein astronomisches Preisschild an und warten geduldig. Da bietet einer eine schwarze Sportsocke feil, die, wie er behauptet, Putin in der Hektik einer anstrengenden Dienstreise in einem Petersburger Hotel vergessen hat – für 60.000 Rubel [knapp 700 Euro – dek]. Ein kariertes Freizeitsakko – der Verkäufer versichert, es habe Putin gehört. Es lässt sich gut bei Weinverkostungen und in Zigarrenlounges tragen, oder auch bei harmlosen, feuchtfröhlichen Betriebsfeiern in der Regionalstelle irgendeiner großen Eisenbahnfirma. Oder man tut damit einfach so, als wäre man reich.
Oder das Hockeyshirt von Dynamo Moskau. Am Telefon, meldet sich ein höflicher, gebildeter Mann.
„Sagen Sie, hat Putin in diesem T-Shirt wirklich gespielt?“
„Das ist kein T-Shirt, sondern ein Trikot“, erklärt der Verkäufer geduldig. „Dieses Trikot wurde eigens für Putin hergestellt, als er für den HK Dynamo Moskau aufs Eis gehen sollte. Das war, als Andrej Safronow Präsident des Clubs war – vor 2014.“
Der Verkäufer kennt sich offenbar gut aus mit Eishockey, wahrscheinlich arbeitet er in dem Bereich. Seine Antworten klingen trocken und gewichtig, wie Zitate aus dem Lexikon. Außerdem hat er mehrere Dutzend Anzeigen geschaltet: von einfachen Buttons über Eishockeyschläger bis hin zu Eislaufschuhen, manche davon mit Autogrammen von Spitzensportlern, etwa Wjatscheslaw Fetissow.
„Klebt denn der Schweiß des Präsidenten an diesem Trikot?“
„Putin kam damals gar nicht zum Match. Das Trikot habe dann ich bekommen.“
Allein die Herstellung eines Trikots koste 12.000 bis 14.000 Rubel [ca. 150 Euro], erzählt der Verkäufer weiter, aber solche Sachen würden ab 1000 Dollar zum Verkauf angeboten. „Das ist nämlich etwas auf seine Art Einzigartiges“, sagt er mit hörbarer Kennermiene.
Klebt denn der Schweiß des Präsidenten an dem Trikot?
„Warum einzigartig?“
„Es steht ‚Putin‘ drauf.“
„Das kann doch jeder draufschreiben …“
„Hören Sie, Sie verstehen das wohl nicht ganz: Das Trikot ist von der Firma Lutsch. Und solche Namen werden ohne Abstimmung mit dem FSO nicht aufgedruckt. Lutsch wird ja nicht seinen Ruf und seinen Kopf riskieren – deswegen muss es da eine Genehmigung von oben gegeben haben.“
„Es ist also kein Tropfen Präsidentenschweiß dran?“
Der Mann willigt ein, das Trikot für 50.000 Rubel [580 Euro – dek] herzugeben, dann geht er runter auf 30.000 Rubel [350 Euro – dek].
Da wird es höchste Zeit, sich die Frage zu stellen: Warum 30.000 für ein Trikot ausgeben, das Putin gar nicht getragen hat, wenn man sich genauso gut ein neues bestellen kann? Ich versuchte mehrmals, mit der Firma Lutsch Kontakt aufzunehmen, aber dort taten sie mehrere Monate angestrengt so, als hätten sie meine Aufträge zur Herstellung eines Trikots, wie es der Präsident hat, nicht bekommen.
Ein spezielles Genre in diesem Warenkult sind Visitenkarten, Dokumente und Papiere, die der Präsident in verschiedenen Lebensjahren unterschrieben hat (oder auch nicht). Zum Beispiel: „Firmengründung 1993. Sankt Petersburg. Mit Putins Unterschrift. Preis 99.000.“ Mit der Anmerkung: „Bitte keine Anrufe mit dummen Fragen.“
Ich rufe an.
„Das Dokument hat meine Mutter bei der Firmengründung bekommen“, sagt Anton aus dem Mikrorayon Dubinki in Krasnodar und fügt sofort hinzu: „Aber fast wäre es auf dem Müll gelandet.“
„Wieso das?“
„Als die Firma aufgelöst wurde, blieb bei uns zu Hause eine ganze Aktentasche voller Dokumente zurück“, erinnert sich Anton. „Vor dem Wegwerfen wollte ich sie durchsehen – und fand auf einmal ein Dokument mit Putins Unterschrift. Damals in den 1990ern hat meine Mutter gemeinsam mit einem Geschäftspartner ein Unternehmen gegründet, und WWP war zu dieser Zeit Vorsitzender des Komitees für Außenbeziehungen in Sankt Petersburg. Er hat dieses Dokument eigenhändig unterschrieben. Kriminelle oder korrupte Machenschaften sind mir persönlich in dieser Sache nicht bekannt.“
‚Wie kann die Echtheit der Visitenkarte bestätigt werden?‘ ‚Ich versichere Ihnen, dass sie echt ist.‘
Am teuersten sind Visitenkarten.
Nach langem Suchen stoße ich endlich auf etwas Lohnendes: eine Visitenkarte, die aussieht wie jene, deren Echtheit im Jahr 2019 vom Pressesprecher des Präsidenten kommentiert werden musste. Allerdings kostet sie 1.100.000 Rubel [ca. 12.700 Euro – dek]. Für diesen Betrag bekommt man in Orechowo-Sujewo eine ganze Wohnung.
Beim x-ten Versuch erreiche ich schließlich die Verkäuferin Olga über WhatsApp. Olgas Profilbild ist eine Fünf-Kopekenmünze von 1916.
„Sind Sie Journalist?“, fragt statt Olga eine Männerstimme aus dem Hörer.
„Nein“, sage ich und lüge, ich sei Eventmanager und suche Geschenke für eine Betriebsfeier.
„Mich rufen nämlich dauernd Journalisten an“, ärgert sich der Mann über bisherige Interessenten.
„Wie können Sie garantieren, dass die Visitenkarte echt ist?“
„Die Visitenkarte hat mein Vater bekommen. Er war im Komitee für öffentliche Kommunikation tätig.“
„Wie kann ihre Echtheit bestätigt werden?“
„Ich versichere Ihnen, dass sie echt ist.“ Die Telefonnummer des Mannes beginnt mit 995, und Yandex gibt sofort preis, dass sie nicht in Sankt Petersburg registriert ist, sondern von der tschetschenischen Wainach Telekom stammt.
„Na gut, aber kann ich ein persönliches Treffen mit Ihrem Vater vereinbaren, immerhin geht es um eine Million Rubel?“
„Nein, er ist verstorben.“
Das Gespräch ähnelt immer weniger einem Dialog, und ich entschuldige mich, so gut ich kann.
„Aber mein Vater ist auf Fotos drauf – sogar zusammen mit Putin und Peskow.“
„Kann ich bei einem Treffen diese Fotos sehen?“
„Nein.“
„Warum nicht?“
„Weil alle Fotos im Besitz von Verwandten sind, die sie nicht herzeigen wollen.“
„Aber …“
Der Mann meint, ich könne das Foto der Visitenkarte jedem zeigen, der lange mit Putin zusammenarbeitet, und fügt hinzu, eine solche Karte nachzumachen sei einfach unmöglich – sie sei echt.
Ich gehe auf Jula und finde dort etwas Billigeres, das der nationale Leader berührt haben könnte. „Souvenir-Medaille Sotschi von Präsident Putin“, 7000 Rubel [80 Euro – dek].
„Erzählen Sie mal, hat die der Präsident persönlich überreicht? Ich muss wissen, ob Putin sie in der Hand hatte oder nicht.“
„Aber ich bitte Sie, wieso der Präsident?! Glauben Sie, ich würde sie dann noch zu so einem Preis verkaufen? Da würde sie doch 100.000 kosten! Die Medaille wurde in China produziert und für weniger als 1.000 Rubel gekauft.“
„Verstehen Sie, ich brauche Dinge, die Putin berührt hat. Haben Sie solche?“
„Ja, hab ich. Die Putinmedaille.“
„...“
„Für 7.000“, er spricht noch immer von derselben Medaille.
„Wie beweisen Sie, dass sie echt ist?“
„Es steht drauf, dass sie vom Präsidenten ist. Solche Medaillen hat Putin nach der Olympiade den Sportlern überreicht.“
„Und wem konkret hat er diese Medaille überreicht?“
„Selbst wenn ich Ihnen den Namen nennen würde, würde er Ihnen ohnehin nichts sagen.“
„Aber so könnte ich immerhin im Internet nachschauen.“
„Sage ich nicht.“
Aber eigentlich, warum habe ich überhaupt beschlossen, dass es einen Unterschied macht, ob der Präsident Sachen berührt hat oder nicht? Wer sagt denn, dass das wichtig ist? Und für wen? Die Leute sammeln diese bedeutungsgeladenen Horkruxe in der Hoffnung, dass sie so dem Präsidenten näher sind, und halten das Ersehnte für die Wirklichkeit.
Und irgendwann finde ich die Antwort auf diese Frage: Ich entdecke ein Inserat mit Kopien alter Visitenkarten von Putin – 100 Stück zum Preis eines Humpens Importbier. Ich kaufte sie und verkaufte sie sofort weiter, zuerst zu einem durchschnittlichen Avito-Preis von 800.000 Rubel [etwa 8.800 Euro – dek], und dann schrieb ich mit Feststelltaste: GRATIS ABZUGEBEN. Innerhalb eines Tages riefen acht Personen an, aber wie ich die Echtheit des Dokuments beweise, das hat nur einer gefragt.